„Vorsicht Zickenzone“: Die gute Landluft – Buchauszug Christine Koller (3)

 3. und letzte Folge Buchauszug aus „Vorsicht Zickenzone“ von Christine Koller und Claudia Riess

 

 

Die gute Landluft

 

Seit ein paar Jahren sind auch wir Stadtflüchtlinge. Jeden Freitag bei schönem Wetter zieht es uns von München ins bayerische Voralpenland. Ah, die gute Luft und die freundlichen Menschen. Ersteres stimmt. Beim zweiten können auf alle Fälle nicht die Mamas gemeint sein. Denn da haben wir ganz andere Kaliber erlebt.

Auf Münchner Spielplätzen herrscht ein ungeschriebenes Gesetz: Wer kein Spielzeug dabei hat, leiht sich zum Buddeln die zahlreichen Schaufeln und Eimer, die so herumliegen, und bringt sie anschließend zurück. Doch auf dem Land ticken die Uhren anders. Solidarität mit Mamas, die das Wichtigste vergessen haben – das Sandspielzeug? Keine Chance! »Meins« heißt hier auch »meins«. Und wenn das einer nicht sofort kapiert, gibt’s was auf die Mütze. Diese Erfahrung mussten auch meine zwei Söhne machen. Blauäugig von der Münchner Spielplatzgemeinschaft schnappten sie sich einen kleinen Bagger samt Eimer, der besitzerlos im Sand herumlag. Keine Minute verging, und der Baggerführer, 3 Jahre alt und in voller Bob der Baumeister-Montur, griff zur Plastikharke und briet meinen kleinen Männern eins über ihre Käppis. Und die dazugehörige Mama, Mitte 30 und von Kopf bis Fuß in praktischem Allwetter-Outfit, bellte meinen Kindern zu: »Ja klaut’s ihr daheim auch Sachen, die Euch nicht gehören?« Als ich der Mutter freundlich meine Situation erklärte, dass ich sämtliches Spielzeug vergessen hatte und meine Kinder sich nur kurz etwas ausleihen wollten und das selbstverständlich umgehend wieder zurückbringen werden, schaute sie mich fassungslos an und sagte: »Na, da könnt’ ja jeder kommen. Da müsst’s ihr halt das nächste Mal dran denken, wenn ihr auf’n Spielplatz geht!«

Da hatten wir unsere Lektion, wir Städter.

Es blieb nicht bei dem Einzelfall, und mir wurde klar: Auch wenn das Gras hier draußen grüner ist als in der Stadt, die Luft reiner, der Himmel blauer, die Blumen bunter – das Leben als Mutter wird dadurch nicht leichter. Denn hier wird sich vor allem um die eigene Brut gekümmert. Nach uns die Sintflut. Ein Wir-Gefühl, eine Gemeinschaft, wie ich mir das auf dem Land immer vorgestellt hatte, war nicht anzutreffen. Auch spontane Einladungen zum Spielen, offene Gartentüren oder gemeinsame Wasserschlachten im aufgeblasenen Gummipool, wie ich sie aus meinen Kindertagen (aus der Reihenhaussiedlung in wo??? ) kenne, blieben hier bislang aus. An Platz mangelt es nicht, denn die Gärten in unserer Umgebung sind riesig und könnten auch zwei Kinder mehr vertragen. Aber die dazugehörigen Eltern scheinbar nicht. Hier springt jedenfalls keiner keck über Nachbars Gartenzaun und ruft freudig: »Hallo, hier bin ich. Was steht an?« Meine zwei kleinen Männer hatten jüngst diese verrückte Idee und dachten, sie könnten auf Nachbars Riesentrampolin mithüpfen. Schließlich gab’s da Platz für acht, und zwei waren erst auf dem federnden Rondell. Die Nachbarskinder fanden es lustig, als plötzlich zwei Spielkameraden übers versperrende Holz kletterten. Doch die Mutter und Herrscherin über Trampolin und Garten war von der spontanen Idee wenig begeistert. Sie rief mir über die Absperrung zu: »Kannst du bitte deine Kinder wieder zurückholen, das ist doch hier kein öffentlicher Spielplatz?« Wir duzen uns seit einem gemütlichen Schluck Birnenschnaps aus der voralpenländischen Brennerei über den Gartenzaun an einem lauen Sommerabend. Ihre Kinder steigen öfter über den Zaun, fast unbemerkt, und brechen ein paar Zweige von unseren Büschen ab, um daraus Pfeil und Bogen zu basteln. Das finde ich nicht schlimm, Kinder sollten so etwas dürfen. Das wird nicht gepetzt, wo kommen wir denn da hin. Auch zum Spielen sind die Kinder von nebenan schon manchmal zu uns rüber geklettert. Heimlich, ohne große Einladung vorher. Das war kein Problem für mich, nur einmal sollte mein Sohn noch schnell seine Hausaufgaben fertig machen. Das haben die Kinder schnell besprochen, unter sich, und damit war die Sache geregelt und niemand vor den Kopf gestoßen. Warum aber dieser raue Ton? Es ging hier um eine Runde Trampolinspringen, um das Dulden anderer Kinder auf dem eigenen Grün für rund 15 Minuten, um jede Menge Spaß auf allen Seiten! Was war daran verkehrt?

Auch an einen anderen Vormittag erinnere ich mich noch genau. Wir Eltern wollten kurz zum Einkaufen und die Kinder hatten wie immer große Lust auf eine Rundreise durchs Sortiment von »Kaiser’s Tengelmann«. Also fragte ich freundlich die Nachbarsmama, ob meine zwei Jungs kurz zu ihnen zum Spielen dürften. Ja klar, kam die unerwartet offene, freundliche und prompte Antwort. Alle Kinder waren glücklich und wollten zusammen ein Zelt aus Stöcken bauen. Ich steuerte vorher noch eine Tüte Kekse für die hungrigen Bauarbeiter dazu. Als wir nach einer knappen Stunde zurückkamen, es war gegen 11.30 Uhr, saßen unsere Buben alleine auf unserer Terrasse. Drüben, einmal über den Zaun, saßen unsere Nachbarn in trauter Runde beim Mittagessen. Was war passiert? Gab es Streit? Hatten sich meine Jungs schlecht benommen? Ich stellte meine Männer zur Rede. Nichts von all dem war passiert, die Jungs wurden nur nachdrücklich gebeten, das Essens-Feld zu räumen nach dem Motto: Eure hungrigen Mäuler kann ich nicht auch noch stopfen. Pünktlich zur deutschen Mittagessen-Stunde wurde hübsch eingedeckt und mächtig aufgetischt. Ja, die Landluft macht eben hungrig. Anstatt einer Einladung auf ein Butterbrot und einem Glas Sprudel erhielten meine Söhne die prompte Aufforderung, sich doch bitte auf ihr eigenes Grundstück zurückzuziehen. Schließlich ist doch jetzt Mittagszeit, da werden die Eltern schon bald heim kommen. Und da kamen sie, und erhielten Blicke die signalisierten: Pech gehabt, hättet ja früher kommen können. Oder wie verlottert macht ihr das in der Big City?

 

Christine Koller, Journalistin, Buchautorin und Mutter

 

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Einen Monat lang haben Leserinnen Christine Koller Zickenmütter-Sprüche zugeschickt:

    Hier die Top 5:

    „Oh, wie schade, dass Ihr Kind so eine schlechte Motorik hat!“

    „Ach, ich dachte dein Kind wäre genauso DICK wie du.“

    „Mit einem Jahr schon zur Tagesmutter? Das könnte ich meinem Kind NIEMALS antun..“

    „Was? Du kochst den Brei nicht selbst?“

    „Man sieht dem Kind die Muttermilch an