Buchauszug Markus Balser/Uwe Ritzer: „Lobbykratie – Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft“

 

Die Journalisten Markus Balser und Uwe Ritzer packen für die „Süddeutsche Zeitung“ heiße Themen an. Für das Aufdecken des Siemens-Skandals bekamen sie den Henri-Nannen-Preis, für seine Recherchen im Fall Mollath und zum ADAC-Skandal erhielt Uwe Ritzer zwei Mal den Wächterpreis der Tagespresse. Hier ein Kapitel aus ihrem Buch „Lobbykratie – Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft“.

 

Autoren-Team Markus Balser (l.) und Uwe Ritzer (r.)

 

„Wir erledigen das“

Wie Lobbyagenturen und Kanzleien unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit Regierungen und Parlamente bearbeiten und die Demokratie für ihre Zwecke formen.
Die Platane  war ein kleiner  Baum, als sie der internationale Lobbyistenverband Seap, die Society  of European Affair Professionals, stiftete  und  2001  in  Brüssel  einpflanzte. Ein Gedenkstein erinnert heute  noch  an die Spender.  Und  zwar direkt  vor  der  gläsernen Fassade  des  Europaparlaments in Brüssel. Als Symbol  dafür,  wie Europas Lobbyfirmen Ideen so wirksam einpflanzen, dass sie wachsen, gedeihen und noch Jahre später ihre Saat aufgehen  lassen.

 

Diskrete Arbeit für Wirtschaft und Interessenverbände über Agenturen und Kanzleien 

Entstanden ist aber auch ein wachsendes Wahrzeichen für die Schlüsselrolle, die Lobbyfirmen in den  Entscheidungsprozessen in Europas Hauptstädten längst spielen. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass sich allein in Brüssel rund  15 000 Lobbyisten tummeln. Niemand allerdings vermag verlässlich zu sagen, ob es nicht vielleicht doch  doppelt so viele sind, wie Nichtregierungsorganisationen munkeln. Klar  ist nur:  Ein  großer  Teil arbeitet  nicht  unmittelbar und gut erkennbar für die Wirtschaft und  ihre Interessenverbände. Sondern  ganz diskret  für Agenturen, Kanzleien und Beratungsdienste, die immer massiver  versuchen, auf die Gesetzgebung der Europäischen Kommission und die der EU-Mitglieder Einfluss  zu nehmen. Auf  jene Paragraphen also, die immer wichtiger für das Leben  der Europäer werden. Denn inzwischen haben vier von fünf Gesetzen, die die Europäer betreffen, auch in Europas Kapitale ihren Ursprung.

 

Im unkontrollierten Schattenreich der Politik – PR-Agenturen und Strategieberater mit hohen Honoraren

Das  Treiben dieser Lobbyfirmen ist immer mehr  Politikern und Nichtregierungsorganisationen ein Dorn im Auge. Denn es spielt sich in der Regel im unkontrollierten Schattenreich der Politik ab.

Es geht um Firmen, die schon von Berufs wegen am liebsten diskret im Hintergrund arbeiten und sich oft nicht trauen, offen mit der eigenen Lobbytätigkeit umzugehen. Zu sehr umweht die Klinkenputzer der Ruch des Dubiosen. Kaum ein Deutscher kennt  ihre Namen. Sie heißen Hill & Knowlton,  Pleon oder Deekeling Arndt Advisors und bezeichnen sich meist zurückhaltend und benannt nach weiteren Arbeitsfeldern als PR-  oder  Strategieberater und -agenturen. Die hohen  Honorare für intensive  Stimmungsmache nimmt man gerne mit. Den Ärger in der öffentlichen Debatte erspart man sich dagegen lieber.

 

Zehntausende pro Monat von Konzernen an Lobbyisten ihres Vertrauens

Sie agieren diskret wie geheimnisvoll im Hintergrund, doch für Insider ist ihr Wirken nicht mehr zu übersehen. Sie haben sich mit hoch  spezialisierten Experten in Europas Hauptstädten in den feinsten  Adressen eingenistet und spinnen immer intensiver ihre Netze. Im Sinne von Steuerzahlern, Wählern oder  der  Mehrheit ist diese  intensive  Arbeit selten. Warum sollten Konzerne auch Zehntausende Euro pro Monat an den Lobbyisten ihres Vertrauens überweisen, wenn demokratische Prozesse von sich aus ohnehin das gewünschte Ergebnis erzielen würden?

Nein,  es geht darum, Europa bis hinein  in die Politik  der Mitgliedsländer nach eigenem Gusto zu formen  – oft genug zum  Schaden  seiner Bürger.  Etwa  wenn  es darum  geht, Gesetze zum Schutz  der Konsumenten oder schärfere Umweltregeln im Interesse der Industrie aufzuweichen. In jedem Fall aber sind die Firmen offenbar mühelos in der Lage, politische Prozesse wenigstens zu beeinflussen und so eine demokratische Schieflage zu erzeugen. Ihr Erfolg  zeigt: Wer die Mittel hat, hat oft auch die Wahl.

Beispiele für problematische, schädliche  oder auch einfach dubiose Einflussnahme gibt es zuhauf.  Etwa  rund  um  den europäischen Datenschutz. Seit 2012 versucht die Europäische Union die Datenschutzverordnung von 1995 zu aktualisieren.  Erst  brachte die EU-Kommission ihre Vorschläge ein, 2014 folgte das Parlament. Dann  war der Rat an der Reihe. Eigentlich soll eine neue Richtlinie den Bürgern  der EU mehr Privatsphäre verschaffen.  Doch  so einfach ist das nicht. Denn  auch die Lobbyisten von Unternehmen wie Facebook, Google, Amazon und der Schufa schwärmten aus und machten ihren Einfluss  geltend.

Für die Konzerne geht es um viel. Die neuen  Vorschriften sollen eine Art europäisches Grundgesetz für  die  Behandlung personenbezogener Daten  werden. Binnen zwei Jahren soll die Richtlinie nach dem Beschluss von EU-Kommission und  Rat  der  Europäischen Union – einer  vergleichsweise kurzen Übergangsfrist – alle bestehenden Gesetze in allen 28 EU-Ländern ablösen. Das  macht  die Angelegenheit für  die Wirtschaft bedeutend. Vor allem für die Deutschen und  ihre strengen datenschutzrechtlichen Vorgaben steht  dabei viel auf dem Spiel.

Die  Fronten sind  klar  umrissen: Die  Wirtschaft wünscht sich, dass es künftig  in einigen Ländern leichter  wird,  Daten etwa  aus  sozialen  Netzwerken oder  anderen Diensten für Persönlichkeitsprofile zu nutzen. Darauf zielen so neue wie lukrative Geschäftsmodelle von IT-Konzernen.

 

Facebook-Posts als Parameter für die Prüfung der Kreditwürdigkeit

Ein Beispiel: Setzen  sich  die  Befürworter einer  laxen  Regelung   durch, könnte es viel leichter  werden, Daten  für ganz andere  Ziele zu  verwenden, als sie Nutzer preisgeben. So könnten etwa Facebook-Einträge für die Prüfung der Kreditwürdigkeit genutzt werden. In  Deutschland könnte dies  nach  bisheriger Rechtslage  mit dem Datenschutz kollidieren.

Vor allem Irland  springt den IT-Riesen in Europa bei. Kein Wunder: US-Internetunternehmen wie Google  haben auf der Insel ihren  Europa-Sitz. Die Gegner etwa in Deutschland wünschen sich, dass Bürger die Möglichkeit bekommen, sich mit ein paar Handgriffen vor solcher  Überwachung wenigstens zu schützen. Geht  es nach Datenschützern hierzulande, können Verbraucher künftig  auf einen Blick sehen, wie viele Daten  sie den Konzernen gewollt  oder ungewollt zur Verfügung stellen. Verletzen Konzerne die Richtlinie, sollen sie den Hardlinern zufolge hohe Strafen zahlen – zur Abschreckung.

Davon  halten  die Konzerne, die Milliarden am Geschäft mit Daten  verdienen, wenig. Es gilt für sie, strengere Regeln möglichst wirksam zu verhindern. Und  wenn  das misslingt, sie wenigstens zu entschärfen oder zu verzögern.

Für  die Nichtregierungsorganisation Transparency International  ist der Kampf  um die Datenschutzrichtlinie geradezu  ein Paradebeispiel für  modernen Lobbyismus. Internetkonzerne hätten  versucht, massiv Einfluss  zu nehmen, klagt die Organisation. Wortgleich hätten  sich Passagen  aus Stellungnahmen amerikanischer IT-Konzerne später  in Änderungsanträgen von Europaparlamentariern wiedergefunden. So belegen  es die Recherchen der Crowdsourcing-Initiative Lobbyplag.

Lobbyplag dokumentiert akribisch, welche Abschnitte aus Papieren von Unternehmen und Lobby-Organisationen teils wörtlich in eine Stellungnahme des EU-Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) eingeflossen  sind. Es geht um Papiere von Amazon, der  US-Handelskammer für den  Handel mit der EU, dem europäischen Bankenverband EBF oder dem Verband der Kreditauskunfteien. So stamme  etwa der im Binnenmarkt- und Verbraucher-Ausschuss (IMCO) zur Datenschutzverordnung namentlich eingebrachte Änderungsvorschlag des Europaabgeordneten Andreas Schwab (CDU) zum Artikel  4 Ziffer  13 teilweise Wort  für Wort  aus einem Lobby-Papier von Amazon, macht Lobbyplag klar.

 

Wo sind die schwächsten Behörden oder Kontrollen?

Die gewünschte Änderung würde  es Unternehmen erlauben,  ihren   Hauptsitz  selbst   zu   bestimmen. Nach  der ursprünglichen Formulierung wäre ein Mitgliedsstaat  der  faktischen Hauptverwaltung  zuständig  gewesen. Käme die Änderung durch, könnten Konzerne sich das Land mit den schwächsten Behörden oder  Kontrollen aussuchen.

Eine Einigung von EU-Parlament, Rat und  Kommission im Dezember 2015 erschwert das zwar.  Doch zu Ende  ist der Kampf  der  Lobbyisten noch  nicht. 2016 sollen Parlament und  Ministerrat den Text formell  beschließen, anschließend wird über nationale Regelungen beraten  – dort,  wo die Einigung dies vorsieht. Die Verordnung tritt  erst 2018 in Kraft.

Wie, fragen sich viele Bürger besorgt, gelingt es Unternehmen in diesen Zeiten nur, ihre Ziele in Brüssel immer  wieder an so entscheidender Stelle einzubringen? Wie kann  es sein, dass in Zeiten  wachsenden Demokratiebewusstseins in einigen Fällen noch immer mehr in Hinterzimmern verhandelt wird als im Parlament? Wie ist es Unternehmen möglich, ihre Stimme in diesem Chor der Interessen so in Szene zu setzen, dass vor allem sie Gehör finden?

„Lobbykratie – Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft“ : Droemer Knauer Verlag, 359 Seiten, 19,99 Euro https://www.droemer-knaur.de/buch/8144192/lobbykratie

 

Eine Kanzlei wie ein Kraftwerk

Andreas   Geiger   kennt   Antworten. Der   Anwalt,  den  wir schon  zu  Beginn  des Buches vorgestellt haben,  ist in dieser Welt  zu  Hause. Wir  haben  Geiger  als höflichen Menschen kennengelernt, dessen Freundlichkeit schnell und gleitend  in fordernden Ton  umschlagen kann.  Seine Lobbyfirma Alber &  Geiger  gehört  zu  denen,  die  keineswegs  nur  im  Wind- schatten  der Politik  segeln. Sie gestaltet als Akteur in der neuen  europäischen Polit-Welt offensiv  und  direkt  mit.  Ohne jedes demokratische Mandat.

Andreas  Geiger ist eine Spitzenkraft im europäischen Lobbygeschäft – so wie seine Kanzlei, der er als Managing Partner einen  Teil des Namens gibt. Mal sitzt  er  in  den  Alber-&-Geiger-Büros in Brüssel in einem Prachtbau der Rue des Colonies, mal in seinem Büro am Pariser Platz in Berlin.

 

Andreas Geiger: „Wir erledigen das“

»We get it done« – wir erledigen  das, heißt der Slogan seiner Firma.  Ein Scheitern  von Zielen der Mandanten ist nicht vorgesehen. Verteidigung, Finanzen, Bildung,  Wettbewerb, Handel, Gesundheit, Umwelt – es gibt kein wichtiges  Brüsseler  Thema, dem  sich Alber  & Geiger  nicht  verschrieben hat. Man  kenne  die Entscheidungsträger, verspricht die Firma. Und  man vermöge  es, Allianzen und  Prioritäten zum Wohl der eigenen Klienten zu verändern. Alber & Geiger beschreibt sich selbst  als »Political  Lobbying  Powerhouse«  – als politisches Lobby-Kraftwerk also.

 

Schwierigere Arbeit für Hinterzimmer-Drahtzieher

Um  auch  wirklich  den maximalen  Erfolg  in Brüssel oder Berlin zu erzielen, empfehlen Lobbyisten den  Betroffenen neuer Gesetzesvorschläge möglichst früh im Laufe eines Gesetzgebungsprozesses einzuschreiten – und  nicht  erst, wenn die öffentliche Debatte längst Fahrt  aufgenommen hat. Denn wenn  engagierte  Bürger  und  Nichtregierungsorganisationen erst mal mitmischen, wird die Arbeit  der Hinterzimmer- Drahtzieher immer  schwieriger. Die  öffentlichen Debatten und der Widerstand gegen die Geheimniskrämerei beim transatlantischen Handelsabkommen TTIP  etwa zeigen, was dann passiert.

Wie aber arbeitet Alber & Geiger?

In Newslettern weist die Kanzlei einen Kreis von Entscheidern in einem besonders frühen Stadium  auf drohende Veränderungen in der EU-Gesetzgebung hin. Mal geht es um die Regulierung von  Drohnen, mal  um  schärfere  Auflagen für  Tabakwerbung. Oft  wissen  die Firmen  längst  Bescheid. Auch sie sind in der Regel gut verdrahtet. Manchmal aber ist Alber & Geiger den  entscheidenden Schritt  schneller.  Wer sich gegen die Vorhaben wehren  will, kennt  meist die entscheidende Telefonnummer eines Brüsseler Lobbyisten seines Vertrauens. Kommt eine Anfrage, nehmen Kanzleien wie Alber & Geiger die Neuregelungen in juristischer und politischer Hinsicht erst mal im Sinne des Interessenten unter  die Lupe.  In Memos, nicht länger als eine Seite, listen sie kurz und knapp Probleme auf und  entwerfen eine aus Sicht der Kundschaft sinnvolle Lösung.

 

Wink mit dem Zaunpfahl? Oder doch subtile Drohung?

Dann  folgt  die eigentliche Lobbyarbeit. Alber  & Geiger weist in der Administration und  bei Politikern erst mal diskret auf Probleme hin, die man sonst in einer späteren  Phase öffentlich  einbringen  würde. Mit anderen Worten: Man macht die Politik auf Ärger aufmerksam, der da auf sie zukommen könnte. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, den  man auch als subtile Drohung verstehen kann.

 

Das Androhen von Schadenersatzansprüchen zieht immer

Nicht immer  geht es dabei freundlich zu. Die Lobbyisten müssen  einem  Ministerium oder  einer  nachgeordneten Behörde schon mal klar machen, welche Konsequenzen sich aus falschen Entscheidungen für seinen Mandanten ergeben können. Im Zweifel weise man auch auf mögliche Schadensersatzansprüche hin, sagt Geiger.

In Berlin, Brüssel und London tritt Alber & Geiger prominent  auf. Die offensive  Vermarktung zahlt  sich aus. Könige und  Konzerne vertrauen ihr  Schicksal  gleichermaßen den Anwälten an. Mal will man für das Königreich Marokko die EU  im Zusammenhang mit  dem  West-Sahara-Konflikt beeinflussen  – der Konflikt schuf Probleme bei neuen Handels- abkommen. Mal wollen  Glücksspiel- oder Tabakunternehmen schärfere  Gesetze verhindern – neue Geldwäschevorschriften wollten  doch  tatsächlich mehr  Transparenz. Und mal gilt es, für einen Hersteller ein sofortiges Verbot umweltfeindlicher Plastiktüten zu umschiffen.

Es gibt kaum eine Anfrage, die es nicht gibt. Selbst die Vertreter eines afrikanischen Schurkenstaats klopften höflich an.

Er  vertrete eine afrikanische Regierung, erklärte der  Absender. Eine  Nation mit einer ernsten  politischen Krise,  die sich mit Tausenden Toten  derzeit  verschärfe.  Die Regierung wünsche sich Lobbyarbeit in der EU, denn die Rebellen machten die bessere PR-Arbeit in Europa und den USA. Sie sei derzeit  jedoch  zu sehr damit  beschäftigt, die eigenen Namen  aus Korruptionsskandalen herauszuhalten, schrieb der Absender offen.

»Wir haben das natürlich nicht gemacht«, sagt Geiger. Ob eine andere Lobbyfirma eingestiegen ist, vielleicht des schnellen Geldes  wegen? Wer sich in der Szene der lobbyierten Interessen  auskennt, würde  dafür  seine Hand nicht  ins Feuer legen.

Je komplexer die Welt wird,  je internationaler und verwobener,  desto  besser  ist es für das Geschäft von  Leuten wie Andreas Geiger. Brüssel und Berlin erlebten derzeit einen grundlegenden Wandel der  Lobby-Arbeit, sagt Geiger. Die Folge: Allgemeine Kontaktpflege reicht  nicht aus. Geigers Kanzlei versucht den Weg über die Öffentlichkeit zu vermeiden. Anzeigenkampagne, öffentliche Schlammschlachten. Eine  solche  Quasi-Erpressung der  Handelnden komme  in der  Politik  heute  nicht  mehr gut  an, sagt Geiger.  Entscheidend  sei es, maßgeschneiderte Lösungen zu liefern und Vorgänge von A bis Z zu begleiten. »Wir gehen die Leute direkt an, die mit den Themen zu tun haben – mit Argumenten.«

Mal sind es Referentinnen und Referenten in der Kommission oder Ministerien auf Arbeitsebene. Mal sind es Minister und Kommissare. Besonders wichtig  dabei: schwergewichtige Aushängeschilder. Geigers Co-Chef Siegbert Alber saß drei Wahlperioden für  die CDU im Bundestag, war Abgeordneter im EU-Parlament, wurde schließlich Vizepräsident des Europäischen Parlaments und sogar Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). So einer kennt das politische wie juristische Parkett aus dem Effeff. So einem schlagen auch Leute wie der ehemalige Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kein Treffen aus.

 

Was ist, wenn RWE keine Spezialisten aufgebaut hat? 

»Gute  Lobbyisten brauchen permanenten Zugang  zu den wichtigsten Entscheidern«, sagt ein anderes  Schwergewicht einer konkurrierenden Lobbyfirma. »Den  bekommen Sie nicht, wenn Ihr  Konzern RWE  heißt, und Sie eben  mal ein aufgetretenes Problem lösen müssen – ohne Vertrauen zu den Spezialisten  auf diesem Gebiet  aufgebaut zu haben. Das bekommen Sie nur nach jahrelanger Arbeit in der Nähe der Entscheider hin.«

Illegal  sind  solche  Zugänge selbstverständlich nicht.  Es zeigt sich aber in der Welt der gelenkten Interessen, dass Geld häufiger  Macht und Erfolg in politischen Entscheidungsprozessen  garantiert, als sich viele das vorstellen. Wer über die nötigen Ressourcen verfügt,  hat  in diesem  System  deutlich bessere Chancen, mit politischen Anliegen durchzukommen, als jemand ohne. Was das für  die Zukunft der  Gesellschaft bedeutet, zeigt sich an den erfolgreichen Fällen der Kanzlei Alber & Geiger.

 

Der Fall der Aliyew-Brüder – Werte oder Geld?

Die Brüder Farhad und Rafiq Aliyew aus Aserbaidschan sind zwar  überaus vermögend, konnten die Lobbyfirma Alber  & Geiger  für ihren  eigenen  Fall aber dennoch nicht  selbst ein- spannen. Sie waren verhindert, sie saßen im Gefängnis.

Der   ehemalige   Wirtschaftsminister  von   Aserbaidschan und der Chef des aserbaidschanischen Ölkonzerns Azpetrol wurden 2005 wegen eines angeblichen Putschversuchs gegen Aserbaidschans Präsidenten und  Autokraten Ilham  Aliyew und   weiterer   Vorwürfe  verhaftet  und   eingesperrt. Ohne fairen  Prozess,   wie  auch  der  Europäische Gerichtshof für Menschenrechte später  feststellte. 2007 wurden sie zu  zehn beziehungsweise neun Jahren Haft  verurteilt. Begründung: Korruption, Betrug und Putschversuch.

Nach  der Hälfte  der Haft  wollte der Aliyew-Clan dem ein Ende setzen.  Ein Sohn und ein Neffe der Inhaftierten heuerten die Spezialisten von Alber & Geiger an. Das Ziel: die schwer reichen Brüder, den Ex-Politiker und  den Unternehmer, endlich aus dem Gefängnis zu bugsieren.

 

Beste Kontakte und Fürsprecher in höchsten Ämtern

Kein leichtes Mandat in Zeiten, in denen Europa ganz andere Sorgen hatte. Eines in jedem Fall, für das es beste Kontakte und Fürsprecher in höchsten Ämtern braucht. Am besten  gleich solche,  die kreuz und quer über den Erdball  reichen. Ein Netz also, das in kurzer Zeit wie von Zauberhand gelenkt ein sorgsam orchestriertes internationales Tauziehen um Wirtschaftsbeziehungen und Menschenrechte einfädeln kann, das nicht nur zeigt, wie  beeinflussbar internationale Politik ist. Es hält der EU auch noch einen wenig schmeichel- haften Spiegel vor. Besonders deutlich  aber macht  es, wie in Brüssel und Washington internationaler Lobbyismus ganz praktisch und wirksam funktioniert.

Denn  in Brüssel  hatte  sich schon  eine Zeit  lang niemand mehr so richtig für die Missachtung von Menschenrechten in Aserbaidschans Hauptstadt Baku interessiert. Die Regierung des Landes  war zudem  fest entschlossen, der Welt eindringlich klar zu machen, dass sie und ihr rohstoffreiches Land  ein bedeutender Akteur auf der internationalen politischen Bühne sind. Fernsehzuschauer erinnern sich vielleicht daran, dass Aserbaidschan im Mai 2012 Gastgeber des Eurovision Song Contests war. Die schillernde Veranstaltung wurde  durch  die breite Berichterstattung über die Zwangsräumungen getrübt, die Platz für den Austragungsort des Song Contests schufen. Auch über andere Menschenrechtsverletzungen in dem Land wurde  in Zusammenhang mit dem Songwettbewerb weltweit berichtet. Aserbaidschan gehört zu  jenen etwa  50 Ländern, denen  Amnesty International Menschenrechtsverletzungen und das Einkerkern politischer Gefangener vorwirft. Die Politik des Westens  hält sich dennoch bis heute  mit Kritik auffällig zurück.

 

Bei Alber & Geiger ahnt man, warum: »Europa musste mit Aserbaidschan in Sachen Energie  verhandeln«, heißt es in einem  Memo  der Kanzlei. Der Gaslieferant sei zentral in der Politik Brüssels gewesen, unabhängiger vom ungeliebten Rohstofflieferanten Russland zu werden. In einem Klima, in dem die EU das Land  also für ihre wirtschaftlichen Interessen brauchte, sei es für Brüssel wohl leichter gewesen, bei Menschenrechten ein Auge zuzudrücken.

 

Verbündete für Allianzen in höchsten politischen Ämtern

Das ist eine Steilvorlage für Lobbyisten. Im Fall Aliyev beginnt die Kanzlei genau hier mit der Suche nach Argumenten für einen Strategiewechsel der Europäer. Sie sucht nach Verbündeten für mögliche Allianzen. Und sie findet sie in höchsten  politischen Ämtern und bei führenden Köpfen,  die mit der Lobbyfirma verdrahtet sind. John McCain  zum Beispiel. Weltweit gilt  der  einflussreiche US-amerikanische Senator und  ehemalige Präsidentschaftskandidat der  Republikaner als Verfechter  einer »America   First«-Politik. McCain schien nie sonderlich viel für  die Staaten der ehemaligen Sowjetunion übrig zu haben, früher nicht und heute  auch  nicht. Am  30. Dezember 2011  jedoch schreibt der Senator  geradezu schmeichelnde Zeilen an den aserbaidschanischen Präsidenten, die er über  die Botschaft des Landes in Washington D.C.  an ihn richtet. Auf Bitten von Lobbyisten.

»Lieber  Präsident Aliyev«,  heißt  es da, »wir  kennen  uns seit vielen Jahren,  und  ich bin seit Langem  ein Unterstützer Ihres Landes und Ihrer  Regierung.« Der Senator  gibt sich verbindlich. »Unsere  bilaterale  Beziehung war niemals wichtiger,  und   ich  arbeite weiterhin  persönlich  daran,   sie  zu stärken. Es ist meine andauernde Hoffnung, dass die Kooperation  zwischen unseren Ländern, unseren Bürgern  und Regierungen tiefer und  breiter  wird.  Ich werde  Ihr  Partner bei diesen Bemühungen bleiben.«

Er hoffe doch sehr, schreibt McCain  weiter,  dass die Partnerschaft zunehmend nicht allein durch  gemeinsame  Interessen, sondern auch durch  gemeinsame Werte definiert werde. Er wolle die Bedeutung der  Menschenrechte dabei  hervorheben. Dass das Regime in diesem  Zusammenhang den  Jugendaktivisten Jabbar Savalan, der wegen der  Organisation friedlicher Demonstrationen zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, freigelassen  habe, sei ja schon  mal ein positives  Zeichen.

Dann  kommt McCain  zum  Kern  seines  Anliegens.  Und das gilt den  wohlhabenden Inhaftierten: Ernsthaft beunruhigt  sei er allerdings  darüber, »dass  Ihre  Regierung Farhad und  Rafiq  Aliyew  seit 2005 inhaftiert hat«.  McCain  appelliert: »Sie haben die Macht, die Aliyew-Brüder und die anderen politischen Gefangenen zu befreien, die Ihre Regierung inhaftiert hält.« Das wäre der richtige und gerechte Kurs und würde  »unseren Ländern ermöglichen, die Grenzen unserer bilateralen Partnerschaft zu erweitern«.

 

Mithilfe von prominenten EU-Politikern wie Martin Schulz

Schon diese deutlichen Zeilen aus Washington sind eine erstklassige Unterstützung für die Lobbyfirma. Bessere Kontakte mit den USA – ein feines Argument. Doch bei der Mithilfe  durch  den  prominenten US-Politiker bleibt  es nicht. Auch  in den Büros europäischer Spitzenpolitiker werden plötzlich Briefe aufgesetzt. Die Lobbyfirma schaltet zum Beispiel den Präsidenten des Europaparlaments ein, den deutschen SPD-Politiker Martin Schulz. Auch  er fordert in einem  Brief  an den  aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyew die Freilassung der inhaftierten Brüder.

»We get it done« – kein zu großes  Versprechen an die Kundschaft. Die konzertierte Aktion für die prominenten Häftlinge zeigt in der Hauptstadt Baku am kaspischen Meer mit etwas Verzögerung Wirkung. Im Oktober 2013 wird schließlich  eine kleine Gruppe von Häftlingen begnadigt. Mehrere Gefangene dürfen  die berüchtigte Haftanstalt Nr.  6 im Nizami-Viertel von Baku im Morgengrauen des 15. Oktober verlassen. Darunter: die Aliyew-Brüder.

Eine  politische Entscheidung, die  ohne  Lobbyisten und deren  prominente Mitstreiter wohl  kaum  zustande gekommen wäre. Drei Jahre sollen sie in Europa und  den USA an dem Fall gearbeitet haben. Die Öffentlichkeit erfuhr  nur von der Inhaftierung und der Freilassung der Brüder. Aber nichts von der Arbeit  der Spezialisten  dazwischen. Wie viel Honorar floss, wer Geld bekam oder einen Gefallen im Gegenzug? Ob  auch  Politiker ein Honorar erhielten? All das bleibt  im Dunkeln. Zwischen Anfang  und  Ende  herrscht Schweigen. Allein: Farhad Aliyew  ist seither  voll des Lobes über die Fähigkeiten der Lobbyfirma. »Alber  & Geiger half uns in einer sehr sensiblen Zeit, die politische Landschaft in Europa zu steuern«, erklärt Aliyew  wörtlich. Er soll heute  in London leben.

Ein Erfolg  für die Lobbyisten, zweifellos.  Womöglich ist der undurchschaubare Fall der Aliyew-Brüder auch ein Erfolg  für  die  Menschenrechte, was  gut  wäre.  Der  Fall  zeigt aber  auch  eine  Schieflage. Denn:  Europas politische Landschaft zu steuern  und gleich noch Teile der US-Spitzenpolitik mit  – davon  können viele  andere  politische Gefangene in Aserbaidschan nur träumen.

Die anderen Geiseln  des Regimes,  wie  die  bekannten Journalisten Khadija  Ismayilova und  Parviz  Hashimli, sind weiter  in Haft.  Sie wurden beide unter  dubiosen Umständen zu  einer  jahrelangen Haftstrafe verurteilt. Sie verfügen nicht  über  die großen Vermögen der Aliyew-Brüder. Lobbyisten können sie sich nicht leisten. Sie sind weit davon  entfernt, freizukommen. Ist ihr Leben,  ihre Freiheit, sind ihre Schicksale weniger  wert? Warum erwärmt sich die globale  Spitzenpolitik nicht  für den Kampf  um die Freiheit dieser  Frau   und  dieses  Mannes?   Warum werden nicht auch in diesem Fall sorgsam  orchestriert so freundliche wie bestimmte Briefe nach Baku geschickt? Geht es bisweilen etwa  in der  höchsten Politik  eben  doch  um  andere  als nur ideelle Werte?

 

Der Fall Asarow – Wie man von Sanktionslisten verschwindet

In den Büros der Lobbyisten hoffen indes schon die nächsten Mandanten auf eine Rettung. Eine der ganz anderen Art.  Es kommt auch bei Firmen  wie Alber & Geiger  nicht jeden Tag vor, dass ein ehemaliger  Premierminister anruft.  Im Mai 2014 aber klingelt Mikola Asarows Büro  in der vornehmen Brüsseler Dependance in der Rue de Colonies durch. Asarow gilt als enger Vertrauter des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und  wird  im Westen  deshalb  äußerst kritisch  beäugt.  Denn  die Clique um Janukowitsch soll sich am Vermögen ihres  Landes  bedient  und  Reichtümer außer Landes  geschafft  haben,  etwa  nach  Wien.

Asarow war  von 2010  bis  Februar 2014  Ministerpräsident der  Ukraine, trat dann während der wochenlangen Proteste und Demonstrationen auf dem Maidan-Platz in Kiew auf Anweisung Janukowitschs  zurück, ehe er sich mit seinem Privatjet nach Österreich absetzte. Am Kiewer  Michailowski-Platz besaß der Multimillionär eine Elf-Zimmer-Wohnung. Der Umsturz bereitete Asarow bereits  vor seiner Flucht  nach Wien gewaltiges Kopfzerbrechen. Denn  plötzlich fand sich der Politiker auf einer Schwarzen Liste der EU wieder. Asarows Eigentum in  EU-Mitgliedsländern war  damit  eingefroren. Und  nicht nur  das. Visa-Probleme hinderten ihn am freien  Reisen. Eigentümer an die Liebsten zu verschenken war auch keine Lösung.  Denn  auch  sein Sohn  Alexej, ein Geschäftsmann, der aus Österreich heraus  arbeitete, war  auf der  Liste  gelandet. Er residierte bereits  in einer Prachtvilla im Wiener Vorort Währing.

Vor  diesem  Hintergrund erschloss  sich  den  Lobbyisten von Alber & Geiger  der Grund des Anrufs schnell. Die Botschaft war deutlich:  Teile der alten ukrainischen Machtclique wollten  runter von der bedrohlichen Sanktionsliste der EU. Damit  ging die alte Staatsführung also ziemlich  unverfroren hinter  den  Kulissen  gegen  die zentrale Strafmaßnahme der EU-Kommission gegen die Annexion der Krim durch  Russland und das Maidan-Massaker vor.

 

Honorar der Lobbyarbeit: 80.000 Euro im  Monat

Was  Brüsseler oder Berliner Lobbyisten in  einem solchen  Fall tun?  Natürlich: Sie nehmen den  Fall an. Es geht schließlich  um viel Geld. Experten aus der Branche schätzen das Monatssalär für  derartige Lobbyarbeit auf  rund  80 000 Euro.

Bei Alber  & Geiger  begann  man für die feine ukrainische Gesellschaft das große  Rad zu drehen.  Bekannt  ist, dass die Lobbyisten im Frühjahr 2014 eine ganze Reihe von Offiziellen im Auswärtigen Dienst  der Europäischen Union, dem European External Action  Service (EEAS),  kontaktierten. Catherine Ashton, damals  EU-Außenbeauftragte und  Chefin des Dienstes, lehnte  ein Treffen  ab. Aber  Beamte aus der mit den Ukraine-Sanktionen betrauten Abteilung reagierten. Ein erster Erfolg.

Die Lobbyisten hatten  sich für solche Gespräche eine spitzfindige Strategie  ausgedacht, mit  der  sie den  Brüsseler Apparat herausforderten. Denn  nach EU-Recht sind Sanktionen  zulässig,  wenn  sie Regierungen zu einer Änderung des Verhaltens zwingen wollen. Die Sanktionsliste trat jedoch im März 2014 erst in Kraft, als die betroffene Machtclique schon gar nicht mehr am Ruder  war. Zudem richteten sich die Sanktionen gegen die Hinterleute des Maidan-Massakers, bei dem Scharfschützen im Februar 2014 im Zentrum der ukrainischen  Hauptstadt Kiew  auf Demonstranten schossen.  Eine persönliche Verstrickung der Asarows aber, argumentierte Alber  & Geiger,  sei gar nicht erwiesen.  Die Sanktionen deshalb gar nicht rechtens.

Und  auch das war erst der Anfang. Die zweite Lobbywelle richtete  sich an den Ministerrat. Dort vor allem an die ständigen Vertreter der 28 EU-Mitglieder. Die Hoffnung: Das Problem möge seinen Weg zu den Botschaftern und  so auch zu den zuständigen Außenministern finden.  Selbst die Lobbyisten räumen  in einer eigenen Einschätzung ein: Es habe eines raffinierten Einsatzes »juristischer und  emotionaler Aufklärung«  bedurft, um  durch  diese politischen Turbulenzen zu navigieren. Am Ende  der intensiven Bearbeitung der Bürokraten  stand ein erstaunlicher Erfolg: Brüssel beugte sich zumindest teilweise dem Druck.

Das eingefrorene Vermögen des Politikersohns Alexej Asarow wurde wieder freigegeben. Im  März  2015  wurde er zusammen mit drei weiteren Mitgliedern der Janukowitsch-Clique von der Sanktionsliste gestrichen. Auch die Position des Vaters habe man wahrnehmbar verbessert, heißt es bei Alber  & Geiger.  Details  will man  nicht  nennen. Wie Lobbyisten über einen solchen  Auftrag denken?  Es gebe Geldwäschevorwürfe, sagt  Geiger.  Aber  bewiesen  sei noch nichts.

 

Mandanten wie Philip Morris oder Davidoff

Eine  gewisse  Skrupellosigkeit gehört  wohl  zum  Geschäftsprinzip  mancher Lobbyfirma. Bei  Alber  &  Geiger  jedenfalls geht es nicht darum, das gesellschaftlich Wünschenswerte zu erzielen. Sondern  das, was der Mandant wünscht. Die Kanzlei schaffte  es so  immer wieder,  ganze  Branchen und Konzerne aus beinahe ausweglosen Situationen zu manövrieren. Für  die Mehrheit muss das kein Erfolg  sein. Die Firma half etwa Tabakkonzernen wie Philip  Morris  oder  Davidoff im Kampf  gegen härtere Regulierung der  gesundheitsschädigenden Tabakgeschäfte. Und sie half Deutschlands bekanntestem  Glücksspielunternehmer, sein fragwürdiges Milliardengeschäft am  Laufen  zu  halten  –  gegen  alle  öffentliche Kritik.

 

….oder der große Spieler: Automatenkönig Gauselmann

Mit  Glücksspielmaschinen, bei denen  sich Kirschen oder Orangen  auf  Walzen  drehen, hat  Paul Gauselmann sein Glück gemacht. Ein Mann, der meist einen Dreiteiler, eine goldene Krawattennadel und den eckigen Goldring trägt und aus dem ostwestfälischen Städtchen Espelkamp heraus  ein kleines  Imperium dirigiert, das mit  Geldspielautomaten ein jährliches  Geschäftsvolumen von 1,8 Milliarden Euro  erwirtschaftet.  Gauselmann, Jahrgang  1934, ist Unternehmensgründer und Chef von rund  8000 Leuten.

Gut  45 000 Automaten produziert Gauselmann jedes Jahr. Mehr als die Hälfte der derzeit bundesweit 250 000 Geldspielgeräte stammen aus seiner Produktion. Marktführer ist Gauselmann  zudem  mit seinen mehr  als 200 Spielhallen  bundesweit. Hinzu kommen weitere  300 Spielstätten in neun  Ländern  Europas. Wie sich das für ihn auszahlt? Über Gewinne spricht  Gauselmann nicht.  Auf eine Milliarde  Euro  wird  das Vermögen des Unternehmers geschätzt, das ihm die Spielotheken  unter  dem  Logo  der Merkur-Sonne und andere  Kasinogeschäfte bislang einbrachten. Die Quintessenz seiner Karriere:  Ab und  zu gewinnt  der Kunde.  Unter dem Strich gewinnt  Paul Gauselmann.

 

Jahrelange Spenden an CDU, FDP und SPD – ohne Namen im Rechenschaftsbericht

Für Gauselmann ist selbstverständlich, dass dies möglichst auch  für  den  Umgang mit der Politik  gelten  soll.  Spenden und  Sponsoring des Automaten-Königs sorgen  in der deutschen Lobbydebatte bereits  seit  Langem   für  Schlagzeilen. Die Firmengruppe beziehungsweise deren Manager,  die allesamt von der Liberalisierung der Regeln für Spielhallen  2006 enorm  profitierten, spendete jahrelang  Millionen an CDU, FDP  und SPD  – legal mit  Einzelbeträgen jeweils unter  der Grenze von 10 000 Euro,  um eine Namensnennung der Spender in den Partei-Rechenschaftsberichten zu umgehen.

An  dieser  Form  der  politischen Landschaftspflege kann der betagte Glücksspiel-Veteran mit den besonders engen Beziehungen zur  FDP  nichts  Verwerfliches erkennen. Gute Beziehungen setzt er auch ganz gezielt in Brüssel ein, um sein in der Politik  in Ungnade gefallenes Geschäft am Laufen  zu halten.  Gauselmann habe sich gemeldet, als in gleich mehreren EU-Staaten schärfere Regulierungen für privates Glücksspiel drohten, die für ihn »verheerende« Auswirkungen gehabt  hätten,  heißt  es bei Alber  & Geiger. Man sei beauftragt worden, eine Benachteiligung gegenüber staatlichem Glücksspiel sowie die Folgen der  Gesetze im Kampf gegen Geldwäsche  und Terrorismusfinanzierung auf das Glückspielgeschäft zu begrenzen und zu beseitigen.

Terrorismus, Geldwäsche? Wenigstens hier, sollte man meinen, müsste die Kommission doch hart bleiben. Bei Alber & Geiger weiß man es besser. In der Firma erinnert man sich an einen geradezu wegweisenden Lobbyerfolg.

Dabei  hatte  die  EU  konsequent begonnen. Sie kündigte Mitte 2012 an, Geldwäsche und  Terrorismusfinanzierung durch  mehr  Kontrolle bei Glücksspielen und Steuerzahlungen besser zu bekämpfen – nur ein Teil neuer Regelungen, die die Hersteller fürchteten. Im Herbst werde dazu eine Reform der Anti-Geldwäsche-Richtlinie vorgelegt, erklärte Brüssel damals.  Der  ehemalige  Binnenmarktkommissar Michel Barnier wollte definieren, welche Arten von Glücksspiel von den bestehenden Kontrollen erfasst  werden sollen. Die  Palette sollte nach ersten Überlegungen der Kommission über Kasinos auf Online-Spiele hinaus ausgeweitet werden.

Etwa auch die der Automatenwirtschaft?

Nicht mit Gauselmann. Nicht mit Alber & Geiger. Es ging diesmal darum, direkt auf die Kommission einzuwirken. Wie genau?  In  diesem Fall bleibt Alber  &  Geiger zugeknöpft. Man habe im Markt  fundamentale Freiheiten verteidigt und erfolgreich auf das neue Geldwäschegesetz eingewirkt, indem man die Kommission etwa auf drohende Einbußen im Geschäft der Glücksspielunternehmen hingewiesen habe.

 

 

Unerwarteter Lobby-Erfolg für Gauselmann

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Gegner  einer Verschärfung  schafften es,  eine Ausnahmeregelung für Glücksspiele außerhalb des Internets aufzunehmen, die nicht für große Casinos gilt. EU-Mitgliedsstaaten können über die Anwendung dieser Ausnahmen selbst entscheiden. Sogar im Gauselmann-Lager war man verblüfft über den Lobbyerfolg.

»Raffinierte EU-Lobbyisten«, urteilt  Maik Sellenriek  beeindruckt,  Finanzchef der Merkur  Casinos  in  der   Gauselmann-Gruppe, über Alber & Geiger.

Wer  den  neuesten Kampf gewinnt? Man  darf  gespannt sein, denn  die jüngsten Bemühungen um mehr Regulierung des anrüchigen Marktes  laufen in Deutschland bereits. Mindestens 500 Meter Abstand bis zur nächsten Spielhalle, maximal acht Spielautomaten pro Standort und all das nicht in der Nähe  von Kinder- oder Jugendeinrichtungen – mit diesen Regulierungen gegen  Spielsucht  wollen  sich Berliner Spielhallenbetreiber nicht  abfinden. Vor Gericht kämpfen sie gegen das Spielhallengesetz. Die Gauselmann-Gruppe argumentiert: Ein wirtschaftlicher Betrieb sei mit den Regulierungen nicht mehr möglich, sie kämen einem Berufsverbot gleich.

 

Die Lobby-Szene erinnert an „Kir Royal“

Je tiefer  man  in diese  Lobbyszene eintaucht, desto  stärker fühlt man sich erinnert an »Kir Royal«.  Jene inzwischen mit Kult-Status versehene Fernsehserie aus den  80er Jahren  um den Klatschreporter Baby Schimmerlos. Alle wollen in seiner Gesellschaftskolumne vorkommen, denn  nur  wer drinsteht, ist wichtig  in der Münchner Schickeria.  Entsprechend hartnäckig  buhlt  der von Mario Adorf  gespielte Klebstofffabrikant  Heinrich Haffenloher, ein  Provinzling mit viel Geld und wenig Manieren, um die Gunst des Baby Schimmerlos. Als der ihn abblitzen lässt, kauft  ihn sich Haffenloher: »Ich scheiß dich so was von zu mit meinem Geld«,  sagt er und macht dem Reporter klar, wer aus seiner Sicht der wirkliche Hauptdarsteller in der Gesellschaft ist: das Geld.  »Wer reinkommt, der ist drin«,  so der Titel der ersten Folge, an deren Ende die Schickeria mit Haffenloher Cancan  tanzt. Geld  kann führen  und verführen. Das  weiß  man  auch  in Berlin.

 

Die Skatbrüder – das Russland-Netzwerk und die SPD-Genossen

Ein  böiger  Wind  bläst  durch  die  deutsche Hauptstadt,  als Heino Wiese an einem Novembertag 2015 kurz  nach 12 Uhr die »Peking-Ente« betritt. Das chinesische Restaurant in Berlin-Mitte steht an historischer Stelle. Früher war auf dem riesigen Areal Ecke Voßstraße/Wilhelmstraße die Reichskanzlei Adolf  Hitlers. Zu DDR-Zeiten wurden die letzten  Reste abgebrochen und  an ihrer  Stelle Plattenbauten für privilegierte Ost-Berliner errichtet. So gesehen ist es ein besonderer Ort, an dem wir Heino Wiese zum Mittagessen treffen.  Von hier aus  sind  es nur  wenige  Meter  zu seiner  Firma,  der Wiese Consult in der Behrenstraße, direkt  hinter  dem Brandenburger Tor.  Eine  Firma, die nach eigenen Angaben ganz direkt »an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik«, insbesondere in den Bereichen »Internationale Geschäftsbeziehungen  und Investments«, arbeitet.  Schön formuliert.

 

Wiese Consult – für Regionen, wo einflussreiche Kontakte die halbe Miete sind

Wer sich dieser Firma  nähert, stößt  auf einen Hansdampf an ihrer Spitze. Heino Wiese, Jahrgang  1952, scheint auch international bestens verdrahtet. Er war einige Jahre Sprecher im Advisory Board  von  TÜSIAD, dem  wichtigsten Unternehmerverband der Türkei. Er ist Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums und der Emiratisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft sowie Mitglied  in der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft und in der Parlamentarischen  Gesellschaft.  Wiese also wirft  sein Netz in solchen Regionen aus, die als lukratives wie schwieriges  Pflaster  für  deutsche Geschäftsleute gelten. Regionen in jedem Fall, in denen  gute, einflussreiche Kontakte die halbe Miete sind.

 

Wer dann allerdings wissen will, was Wiese Consult eigentlich für Beratungsleistungen erbringt, wird auf der Internetseite der Firma kaum fündig. Die kleine Firma bietet zwar ein breites Spektrum an, darunter Politik- und Behördenkontakte. »Wir beraten national und international agierende Unternehmen, Institutionen und Verbände auf Landes- und Bundesebene«, heißt es etwa. Doch  was heißt das im Detail? Immerhin, der Aktionsradius ist riesig: »Aserbaidschan, China, Costa  Rica, Indien, Kasachstan, Kroatien, Lettland, Mongolei, Nordzypern, Rumänien, Russland, São Tomé und Príncipe, Serbien,  Slowenien,  Turkmenistan, Türkei, Ukraine, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate.« Vor allem ein Land sticht hervor:  Durch langjähriges  Engagement in Russland sei Wiese Consult einer der »TOP-Spezialisten und Ansprechpartner für Investitionen und wirtschaftliche Fragen im russischen Sprachraum«, verspricht der Inhaber. Mit fünf Mitarbeitern?

 

Motive der Auftraggeber: Kontakte zur SPD

Wer  sich in Berlin  umhört, unter  Sozialdemokraten oder bei führenden Unternehmen, bekommt erstaunliche Antworten über  die Reize  dieser  kleinen  Firma  im Herzen der Hauptstadt. Es gehe weniger  um  die Expertise auf den  genannten Märkten, heißt es. Der Unternehmensberater Heino Wiese sei für einige Kunden vor allem aus einem Grund interessant,  sagt ein ehemaliger  Geschäftspartner: weil er Kontakte  zu deutschen Politgrößen vermitteln und  sie für Lobbytätigkeiten gewinnen könne.Vor allem solche der SPD.

Aus diesen Kontakten macht  Heino Wiese auch kein Geheimnis,  ganz  im  Gegenteil. »Gestern Abend   war  ich  mit Otto Schily essen«, erzählt er scheinbar beiläufig, gleich nachdem er im China-Restaurant Platz  genommen hat. Im Fußballstadion in Hannover hat der  Familienvater mit Freunden eine eigene VIP-Loge. Viele Fotos  zeigen ihn dort mit einem  noch  wichtigeren Deutschen  als  dem  früheren RAF-Anwalt und  späteren Bundesinnenminister Schily: mit Gerhard Schröder.

Der ehemalige Bundeskanzler ist ein enger Freund Wieses, was nicht  nur mit einer langjährigen, gemeinsamen Zugehörigkeit  zur  SPD zu tun  hat. Als junge Kerle schon trafen sie sich in der legendären Hannoveraner Kneipe  Plümecke häufig zum Skat. Daraus  wurde eine dicke Freundschaft. Zwei Arbeiterkinder mit unbändigem Ehrgeiz, es nach oben zu schaffen. Der eine, Schröder, wurde  Vorsitzender der Jungsozialisten, Bundestagsabgeordneter,  niedersächsischer Ministerpräsident und schließlich Bundeskanzler. Kumpel  Heino brachte es über einen Job als Personalentwickler beim Autozulieferer Continental, die  Posten des  Bezirks- und  später des Landesgeschäftsführers der  SPD  in Hannover für vier Jahre als Abgeordneter in den Bundestag. Nachdem er 2002 die Wiederwahl verpasste,  kam Wiese auf einem lukrativen Posten  beim Bekleidungsunternehmen s.Oliver unter, wo er nach eigenem Bekunden zuletzt für Business  Development, Export und International Sales verantwortlich war. Dann machte er sich selbständig. »Als Lobbyist«, sagen die einen.

»Falsch«, sagt Heino Wiese, »als Unternehmensberater.«

Was macht den Unterschied? »Ein Lobbyist vertritt direkt die Interessen seiner Auftraggeber. Ich berate Unternehmen vorwiegend bei ihren Aktivitäten in Russland und China. In allen  meinen Verträgen mit  Kunden steht  drin,  dass  ich in Deutschland nicht  lobbyistisch tätig  werde, höchstens mal im Ausland.«

Vereinfacht zusammengefasst geht Heino Wieses Unterscheidung so: Ich selbst werde bei keinem Politiker für meine zahlenden Auftraggeber vorstellig. Sondern  ich  sage ihnen nur, wie sie selbst die Türen öffnen können.

Wenn  er  hierzulande doch  einmal  als Lobbyist auftrete, dann als solcher für Russland und dann  auch  nicht gegen Geld,  sondern aus eigenem Antrieb. Denn das Land werde im Westen oft verkannt, falsch verstanden und ungerecht, zumindest aber  nicht  unbefangen behandelt. Da halte  er dann argumentativ dagegen und versuche, seine Gesprächspartner zu überzeugen. Sigmar Gabriel zum Beispiel, den SPD-Chef, Vizekanzler und  Bundeswirtschaftsminister. »Den habe ich beim Thema  Russland bearbeitet«, sagt Wiese. Auch diese beiden  sind  eng miteinander, auch  privat.  »Einmal  im Jahr gehen wir miteinander auf Abspeckkur«, sagt Wiese.

Protzt da einer  nur  mit  seinen  Kontakten? Kokettiert er nur  mit der Nähe  zur  Macht?  Oder kann  er es sich schlicht leisten, über sein Netzwerk zu sprechen?

 

Besondere Nähe zu Gerhard Schröder

Menschen, die Heino Wiese und sein Geschäftsmodell länger und besser kennen, sagen, er sei der am besten verdrahtete Lobbyist in der Sozialdemokratie. Sein Handwerk: Diskretion. Sein Netzwerk? »Alle Sozis, die älter sind als 55 Jahre«, sagt er selbst und lächelt vielsagend. Vor allem seine Nähe  zu Gerhard Schröder fällt auf. Wenn der Ex-Kanzler im kleinsten Freundeskreis Geburtstag feiert, dann gehören auch Wiese und Wladimir Putin  dazu. »Gerhard ist für mich so etwas wie ein Idol, wie ein großer  Bruder«, schwärmt Heino Wiese. Mehr Verehrung geht nicht. Und Sigmar Gabriel? »Ich könnte den Sigmar jederzeit anrufen, aber ich tue es nicht«, sagt Wiese. Höchstens privat.

Selbstverständlich schadet  ihm all das nicht,  im Gegenteil.

»Die  Leute  wissen  natürlich, mit  wem  ich befreundet bin«, sagt er. »Nur nutze  ich das nicht aus.« Nicht einmal fürs Geschäft? Ach, er wolle doch keine großen Reichtümer verdienen, sagt Wiese, sondern nur so viel, dass es für ein gutes Leben und eine sichere Altersversorgung langt. Wie bescheiden.

Die Frage nach dem Nutzen – sie stellt sich bei Heino Wiese durchaus. Sie stellt sich aber auch für Politiker, die mit ihm zusammenarbeiten. Und  sie stellt sich für diejenigen,  die diese Politiker wählen.

Wer Gerhard Schröder eine Lobbytätigkeit andienen wolle, versuche dies über Wiese, behauptet einer, der beide  gut kennt.  »Da ist der Draht kurz, der Rückruf kommt schneller als beim offiziellen Weg über  die Büros der Politiker«, sagt der Manager.  Allerdings stehe immer  im Raum,  dass dieser kurze  Draht einiges koste. »Wir wollten  Schröders Kontakte, also  engagierten wir  Wiese«,  erinnert sich  der  Manager  an den Auftrag seiner Firma  für Wiese Consult. Das Unternehmen habe von den Kontakten beider profitieren wollen. »Uns war klar, dass vor allem für solche Kontakte das Honorar für die Agentur fällig wird.«

 

Anbahnungseinrichtung für Geschäfte von Ex-Kanzler Schröder?

Dient  Wiese Consult also höchst  diskret  auch der Vermarktung von  Schröder-Kontakten – etwa  nach  Russland? Ist die Firma,  die keine Lobbyagentur sein will, eine Anbahnungseinrichtung für Geschäfte des Ex-Kanzlers – oder auch anderer Politiker? Und wie sieht es mit einer Gegenleistung aus? Gute  Kontakte gegen Honorar? Diese  Fragen  sind  Anlass  genug,  sich  die  Geschäfte des Schröder-Kumpels einmal genauer  anzusehen.

 

Regionaler Stromversorger EWE: Überraschend auf Märkten der Großen

Nach  einigen Wochen können wir Unterlagen sichten,  die zeigen, wie hilfreich die Arbeit der Agentur Wiese und deren Kontakte für Unternehmen in Schwierigkeiten sein können. Es geht um interne Dokumente des niedersächsischen Unternehmens EWE. Sie zeigen,  wie ein kleiner  Spieler plötzlich und  überraschend auf den  Märkten der ganz  Großen aktiv wird. Denn EWE ist eigentlich ein regionaler Stromversorger aus Norddeutschland mit  allerhand Zusatzgeschäften. Ein kleines Energie-Firmenreich, das vom niedersächsischen Oldenburg aus gesteuert wird.  Eigentlich, denn  die EWE  und ihr ehrgeiziger Ex-Chef Werner Brinker mochten viel lieber eine Liga höher  spielen. Auf Augenhöhe mit Weltkonzernen.

Es gab Zeiten,  da sah es nicht  gut aus, für das Unternehmen, seinen langjährigen Chef und die ehrgeizigen Pläne. Im September 2011 geriet EWE  wegen eines dubiosen Präventionsprogramms namens  »Sign« gegen  Gewalt  und  Drogen- und Alkoholkonsum von Jugendlichen immer heftiger  in die Kritik. Ausgaben in Millionenhöhe für die betreibende Agentur Prevent seien über mehrere  Jahre nicht ausreichend kontrolliert worden. Kritiker hinterfragten, ob  das  Programm wirklich  so ehrenwert war,  wie es selbst vermittelte.  »Sign« wirkte  wie eine dubiose Geldsammelmaschine. Eine, die eine ganze Menge  Geld  von  der  EWE  bekam  – wohl  deutlich mehr, als das Präventionsprogramm brauchte. Wozu?

Die Sache sah so dubios  aus, dass zwei beteiligte  Banken 2010 Alarm schlugen und  die Vorgänge  als verdächtig meldeten. Auffällig  fanden die Banker,  dass neben einem Salär der Agentur Prevent 2008 und 2009 eine Millionensumme auf Privatkonten der Prevent-Chefin bei einem anderen Institut weiterfloss. Die Bank  urteilte, die Überträge auf die Privatkonten stünden »in keinem Verhältnis zu den Eingängen für das Projekt«. Eine missbräuchliche Verwendung der von der EWE Netz GmbH gezahlten Gelder könne  man »nicht  ausschließen«.

Die EWE und ihr Chef Brinker gerieten  in Erklärungsnot und standen öffentlich ziemlich dumm  da. Die Staatsanwaltschaft  Oldenburg stellte  die Ermittlungen zwar ein, da die Geldflüsse auf  vertraglichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Unternehmen  beruht hätten; Geldwäsche aber setze Geld aus rechtswidrigen Geschäften voraus. Die konnte also niemand nachweisen. Das Vertrauen in den Konzern und  seine Führung aber  war  dennoch gewaltig  erschüttert. Zumal dem ehemaligen Vorstandschef Werner Brinker die Rechnungen der Agentur, die das Programm ausrichtete, immer persönlich vorgelegen  haben sollen.

 

Noch mehr Compliance-Probleme

Die Zweifel wuchsen, als der damalige EWE-Chef ein weiteres Compliance-Problem einräumen musste.  Konzernmanager  hatten  bei der  Übernahme von  Anteilen an einem ostdeutschen Stadtwerk 2002 dem  damaligen  Bürgermeister der brandenburgischen Stadt in einem Brief 307 000 Euro  als Zuschuss für  die dort  stattfindende Landesgartenschau ge- zahlt. Die für Wirtschaftskriminalität zuständige Staatsanwaltschaft Neuruppin  ermittelte wegen  Vorteilsgewährung gegen Brinker und ein weiteres Vorstandsmitglied, die Ermittlungen wegen Vorteilsgewährung wurden  2007 eingestellt. Diesmal allerdings nur gegen eine Unternehmensgeldbuße  in Höhe von 400 000 Euro. Koscher  war die Sache mit der Zahlung  nicht.  Der Bürgermeister wurde  wegen Annahme von Vorteilen durch  die EWE zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Als der ältere Vorgang  2011 ans Licht  kam, geriet Brinker darüber noch  mehr  unter  Druck. Ihm und den anderen Verantwortlichen bei EWE  wurde  klar:  Es galt jetzt  mit  allen Mitteln um den Vorstandschef zu kämpfen – und um den Ruf der  Firma. Für so eine heikle Mission braucht es natürlich ein  gut  verdrahtetes Lobbyunternehmen  aus Berlin an der Schnittstelle zwischen Politik  und Wirtschaft, dessen gute Kontakte in die niedersächsische SPD obendrein nicht  schaden  können. Also  holte  sich  die  Oldenburger EWE  2012 Wiese Consult ins Haus. Mit großen Hoffnungen.

 

Diese geschäftliche Liason startete  genau am 25. Juli in den EWE-Räumen der alten Fleiwa in Oldenburg, einst Europas modernste und  größte  Fleischfabrik. Fünf Stunden, von  13 bis 18 Uhr,  tagte in dem roten  Backsteinbau mit seinem markanten Wasserturm ausweislich  interner Protokolle eine erlesene Runde  beim »Workshop Kick Off EWE«.  Auch Heino Wiese war  vor  Ort. Es fehle ein einheitlich schlüssiges  Gesamtbild des Unternehmens EWE in der Öffentlichkeit, mäkelte  die Beraterfirma dem  Papier  zufolge  in der  Eventlocation der  Energiefirma. Skandale  dominierten die Wahrnehmung. Ziel müsse es nun sein, die Wahrnehmung zu vermitteln, dass  EWE  es wert sei, von Seiten der  Politik geschützt und unterstützt zu  werden  – trotz aller unschönen Geschichten.

 

Ziel: Beeinflussung von Multiplikatoren

Klingt  gut,  befand  man  bei EWE  und  beauftragte WiCo, wie die Lobbyfirma kurz heißt, unter  anderem, innerhalb der kommenden 14 Tage eine Liste  mit sogenannten »Stakeholdern« zusammenzustellen, mit jenen dem Unternehmen verbundenen Personen also, die als Nächstes angesprochen wer- den  müssten. »Es geht  um Personen aus dem  Kreis: Kommunalpolitik, Landespolitik, Parteien, Fraktionsreferenten, Referenten in  Ministerien, Pressesprecher in  Ministerien«, hält das  Papier  fest.  Im  Klartext:  Ziel  war  es offenkundig nicht  in erster  Linie,  das Verhalten des Unternehmens zum Positiven  zu wenden. Ziel war vielmehr  zunächst die Beeinflussung  von  Multiplikatoren mit  einem Fokus  auf andere, positivere Nachrichten aus dem Hause  EWE.

 

SPD-Kontakte als Job-Retter

Der  Plan ging offenbar auf. Die Sache wirkte  schon  nach kurzer Zeit.  Die  Drähte von Wiese  in die niedersächsische Landespolitik glühten  nach  Angaben von  Insidern und besänftigten die Kritiker ziemlich schnell. Brinker durfte  trotz aller Vorwürfe und Ungereimtheiten erst mal Chef  des Unternehmens bleiben. Wiese habe dabei geholfen,   ihm den Posten  zu retten,  erinnert sich ein EWE-Manager. Vor allem dank   seiner  glänzenden Kontakte  in  die  niedersächsische SPD.  Die  erste Mission  also  hatte  der  Lobbyist Wiese mit Bravour  erfüllt. Billig war das für das kommunale Unternehmen mit einem öffentlichen Haushalt nicht. Denn  der Honorarsatz des Lobbyisten liegt nach seinen eigenen Angaben bei 2800 Euro  pro  Tag. Ein  Honorar, das im Monat bei größerer Auslastung für  Mandanten Kosten  von  bis zu 60 000 Euro  bedeutet – und für Wiese Consult ein solches Salär. Mögliche Provisionen für den Abschluss von Geschäften etwa nicht eingerechnet.

 

Die Image-Offensive mit freundlichen Gesprächen war dennoch  erst  der  Anfang. Heino Wiese  entwickelte sich  nach und  nach  zum  unentbehrlichen Helfer  des Unternehmens aus der Provinz. Die Aufträge wurden immer  verantwortungsvoller, die Themen  immer brisanter – und  die Beteiligten immer hochkarätiger. Plötzlich wird eine Nähe zwischen der Lobbyfirma und  einem einflussreichen Politzirkel sichtbar, die zeigt, dass Wiese durchaus Spitzenpolitiker wie den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in die eigenen Strategien  einwebt, sogar für eine Art Lobbying im Sinne der Kunden. Auch wenn er selbst das bestreitet. Und  so wird die kleine Geschichte um EWE plötzlich zu einer, die sich um ganz große  Namen der deutschen Politik  dreht. Und um ein ziemlich großes Problem mangelnder Transparenz hinter den politischen Kulissen Berlins.

 

EWE´s bizzarer Streit mit der Türkei

Es ist Frühjahr 2014, als EWE  in einen bizarren Streit  in der Türkei gerät. Die türkische Gas-Tochterfirma soll auf Anweisung der  türkischen Regulierungsbehörde bis zu  120 Millionen türkische Lira – fast 40 Millionen Euro  – zahlen, weil  sich Durchleitungsgebühren für  Gas  geändert haben. Eine ernste Bedrohung. EWE wehrte sich juristisch, doch die Sache kam nicht  so recht  voran.  Also entschied man sich in Oldenburg für  einen  anderen Weg. Einen,  der  einen  selten unverstellten Blick in den Maschinenraum des Berliner  Lobbyings freilegt.

EWE schickte  nun Lobbyist Heino Wiese mit einem neuen Auftrag los. Es ging jetzt darum, das Türkei-Geschäft von EWE  wieder  auf Kurs  zu bringen – und  den Streit auf dem staatlich  regulierten Energiemarkt in den  Griff  zu  kriegen. Ob  Wiese bei derartigen Aufträgen wie dem  in der  Türkei seinen Vertrauten, den Altkanzler, einschaltet? Ob der gar an den Geschäften der Agentur beteiligt ist? Wiese verneint  entschieden.  Er  schalte  Schröder in solchen  Dingen  nicht  ein. Die hätten  nicht  die Kragenweite des Altkanzlers. Nach  außen soll nicht  der Eindruck entstehen, dass Wieses Agentur vom Politnetzwerk lebt. Und  schon  gar nicht,  dass dies von ihm leben könnte. Doch  die Kontakte sind offenkundig enger, die Interessen zwischen Beratern und Politikern wohl vermengter, als es Lobbykritikern lieb sein kann.

 

Ein vertrauliches Drehbuch fürs Lobbying

Hoffnungsvoll entwarfen EWE-Manager angesichts  des Engagements von Wiese hinter  den Kulissen  eine Art  internes und  vertrauliches Drehbuch für  das Lobbying und  das gewünschte Ergebnis. So entstand auch ein vierseitiges  Briefing, das uns vorliegt  – und  das Zweifel  an Wieses Darstellung weckt.  Es richtete  sich an genau jene Akteure, von denen man sich eben gemeinsam  eine Lösung  erhoffte:  das Duo Heino Wiese und Gerhard Schröder.

Wiese und seine Kontakte, das hatte sich in Niedersachsen herumgesprochen, konnten so manches Problem lösen. Beim Autozulieferer Continental in Hannover kennt  man noch die Geschichte vom  Ökoreifen. Einem  Label,  das der  Konkurrent Michelin aus Frankreich in Brüssel etablieren wollte. Einem, das dem eigenen Geschäft zupass  kam, weil es eher um Langlebigkeit als um grüne Produktionsstoffe ging. Michelin hatte  14 Lobbyisten in Brüssel, Continental einen,  erinnert sich Wiese an seinen Kampf  um Gummi. Der Reifen der Franzosen kam nie.

In einer vertraulichen Mail also schickt  der für die Türkei verantwortliche EWE-Manager Frank  Quante das Papier  an einem Freitag  im Juli 2011 auch an den Konzernchef in Oldenburg. Quante stellt  klar: »Mein  Ziel ist es, die aus Sicht der EWE  Türkei  bestehenden ›Machbarkeiten‹ für eine Lö- sungsfindung über die Ansprache der Top-Ebene in der Türkei bei  Herrn  Wiese/BK Schröder so  gut  wie  möglich  zu kommunizieren. Damit  steigen  – hoffentlich – die Erfolgswahrscheinlichkeiten«, erklärt Quante freimütig. Im  Kopf des Briefing-Protokolls vom 7. Juli 2014 heißt  es kurz und knapp:   »Ziel:›Information von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Herr Heino Wiese, Wiese Consult‹«.

 

Ex-Kanzler Schröder bei Erdoğan für EWE

Es ist eines der seltenen Dokumente einer ansonsten höchst diskreten Zusammenarbeit des Strippenziehers und des einst so mächtigen Politikers, die der breiten Öffentlichkeit bislang unbekannt ist. Bei EWE  indes weiß man, wie Wiese in dem komplexen Fall in der Türkei, der sich mit einem Streit vor regionalen Gerichten kaum lösen lässt, Ergebnisse erzielen will. Schon im Mai 2014 erreicht Teile der Konzernspitze eine E-Mail  mit vielsagendem Betreff: »Bursagaz  Lobbying, BK Gerhard Schröder«. »Dear  Gentlemen«, heißt  es in dem Schreiben  von EWE-Direktor Frank Quante an einen Kreis um  den  damaligen  EWE-Chef Werner Brinker. »Heute hat mich  Heino Wiese angerufen und  mich  darüber informiert, dass BK Schröder das Bursagaz-Thema in seinem persönlichen Treffen mit Premierminister Erdoğan besprechen will.« Und  Wiese? Konfrontiert mit unseren Rechercheergebnissen, fällt seine Antwort einsilbig aus: Er wolle und dürfe sich zu seinen Aufträgen nicht äußern,  teilt er mit.

 

Schröder ist zwar  kein Kanzler mehr.  Er scheint  dennoch der ideale Mann  für die Probleme des Unternehmens in der Türkei. Schließlich  kam der  heutige  türkische Präsident – und damalige Premier – Recep Tayyip  Erdoğan in Schröders Haus  in Hannover schon  mal zum privaten  Frühstück vorbei. Beide kennen  sich seit Schröders Kanzlerschaft bestens. Zum  65. Geburtstag des Ex-Kanzlers im April 2009 flog Erdoğan eigens zur Party  nach Hannover ein. Die Kontakte Schröders können also durchaus noch  immer auf  höchster Ebene nutzen.

Nicht nur Schröder wird im Sinne von EWE aktiv. Gleich mehrere  Bundesminister mischen sich in den Streit ein. »Mittels intensivem Lobbying unter  Aktivierung« etwa des Bundeswirtschaftsministeriums von  SPD-Chef Gabriel  und  der deutschen Botschaft in Ankara, habe EWE  versucht, das eigene Risiko  zu minimieren. Der Schröder/Wiese-Genosse und -Kumpel Wirtschaftsminister Gabriel  habe »die Angelegenheit«  im März  2014 in Schreiben  an Premierminister Erdoğan  und Energieminister Yildiz  adressiert. Auch Finanzminister  Schäuble  habe  »das  Thema« am  2. April  2014 bei seinem  Treffen   mit Deputy Prime Minister Babacan zur Sprache gebracht. Offenkundig nicht  ohne  Erfolg:  »Bisher wurde  von Deputy PM Babacan und  Energieminister Yildiz das Signal gegeben, EWE  von den drohenden Zahlungen zu entlasten.«

 

Verblüffende Gesetzesvorlagen

Und  siehe da. Der kollektive Druck wirkt.  Auf einmal tun sich erstaunliche Dinge. Die türkische Seite bittet EWE sogar plötzlich um eine der  EWE  genehme Gesetzesvorlage. Das Entgegenkommen  verblüfft  sogar hartgesottene  Manager. »Wegen  der Zinszahlungen ist EWE  Turkey Holding gebeten worden, einen Gesetzentwurf zu erstellen, der die Zahlung verhindert oder  verringert. Aktuell  besteht  eine besonders gute Möglichkeit, ein solches  Gesetz  im Rahmen  eines umfassenden Maßnahmen-Gesetzes einzubringen und  zu verabschieden«, heißt es in EWE-Papieren weiter.  Mit anderen Worten: Deutsche Lobbyisten eines Regionalversorgers aus der  Provinz schicken  sich an, die Gesetzgebung in der Türkei  zu beeinflussen – dank  guter  Kontakte zu deutschen Lobbyisten und  deren  Verbindungen zu deutschen Spitzenpolitikern.

Der Ex-Kanzler äußert  sich auf Anfrage nicht zu den Kontakten.  Auch  nicht  zur  Frage,  ob er von Wiese Consult für Arbeiten honoriert wird  oder  in bestimmte Geschäfte, etwa den Kauf von Unternehmensteilen durch EWE, eingebunden war. »Über  anwaltliche Tätigkeiten gibt Herr Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder grundsätzlich keine Auskunft«, lässt er uns von einer Mitarbeiterin mitteilen.

Es sind in jedem  Fall Verbindungen wie diese, die inzwischen auch führenden Sozialdemokraten in Deutschland aufstoßen  – und  die Liaison  zwischen Wiese Consult und dem einen oder  anderen Parteigranden in ein schummriges Licht tauchen. Nicht wenige Beobachter hegen den Verdacht, dass die Lobbyfirma letztlich  auch  ein Vehikel  ist, die Kontakte Schröders und  möglicherweise weiterer SPD-Granden zu vermarkten, ohne, dass in der Öffentlichkeit deren Namen fallen. »Viele in der SPD sehen die Nähe führender Genossen zu  Wiese  inzwischen kritisch. Mancher Minister hält  Abstand  zum  Lobbyisten«, sagt uns  ein führender SPD-Mann in Berlin.

 

 

Die SPD und das Russland-Netzwerk

Doch  nicht  jeder  geht  auf Distanz. Im  Gegenteil. Ein  Berliner Altbau, eine Privatwohnung. Und  ein Manager, der der SPD nahesteht. Ein Gespräch und eine Warnung: »Wenn  Sie sich  Wiese  zum   Feind   machen,   haben   Sie  einflussreiche Feinde«,  sagt der Parteiinsider. Auch in Russland. Vor allem, wer die Verbindungen Wieses nach Russland beleuchte, müsse fürchten, ins Visier des russischen Geheimdienstes zu geraten.  In  der  SPD  würde  sich  wegen  Wieses  Draht in  die SPD-Spitze auch kaum  jemand  trauen, dem Lobbyisten das Handwerk zu legen.

Heino Wiese und  Russland. »Ich kenne  die Gouverneure von 13 russischen Regionen persönlich«, erzählt  Wiese, »und auch drei, vier Leute aus der Regierung in Moskau  kenne ich ganz gut.« Wladimir Putin,  den er immer  wieder  gemeinsam mit  Kumpel   Schröder treffe,  schreibe  er  ab  und  an  einen Brief. »Da teile ich ihm unaufgefordert mit, was er besser machen könnte«, sagt Wiese. Eine Antwort komme  immer, auch schon mal direkt  vom Kreml-Chef.

Gibt  da einer an? Oder stimmen die Geschichten von der Nähe  des kleinen,  in der breiten Öffentlichkeit unbekannten Lobbyisten in eines der Machtzentren dieser Welt hinein?

Unsere  Recherchen werden  auf ein anderes  Geschäft gelenkt: eine Firmenübernahme. In der niedersächsischen Provinz  lernt  der  Energiekonzern EWE  eine weitere  Seite von Heino Wiese schätzen. Denn Wiese wirbt in der Folge gegen- über dem Energiekonzern nun auch damit, auf höchster Ebene  politische Kontakte nach  Russland, etwa  zu  Gazprom, knüpfen zu können. Und die können für EWE durchaus vorteilhaft sein, wie man in der Zentrale weiß. Man verfolgt schließlich große Pläne.

 

Der kleine Regionalversorger EWE will sich die Kontrolle über das größte  ostdeutsche Unternehmen, mit rund  zehn Milliarden Euro  Umsatz größer  als man selbst, sichern: den Leipziger Gaskonzern VNG.  Das  Problem: Im  Jahr  2013 hatten  sich die Oldenburger nur mit einem Minderheitsanteil von  49,9 Prozent an VNG beteiligt. Weitere  Teile  gehören dem russischen Energieriesen Gazprom und der BASF-Gas- Tochter Wintershall, die wiederum über gemeinsame  Gasförderung eng  mit Gazprom verbandelt ist.  Wintershall hält etwa 15 Prozent. Mit diesem Paket,  schwant  den EWE-Leu- ten, wäre schon  viel gewonnen. Nun plötzlich die Mehrheit am Gasriesen VNG übernehmen zu wollen,  ist ein ziemlich großes  Ding  für  ein  vergleichsweise kleines  Unternehmen aus der Provinz wie EWE.  Und  eine harte  Nuss  obendrein, denn Gazprom verkauft  viel Gas über VNG. Würde  der Mil- liardenmulti aus Moskau einem solchen  Deal wirklich  zu- stimmen?

 

Wieder Gerhard Schröder

Wieder  wird  Heino Wiese eingeschaltet und  wieder  wird er nach Angaben aus EWE-Kreisen mit seinem engen Zirkel aktiv. Der damalige Wintershall-Chef Rainer  Seele und Gazprom-Manager – ein kleiner  Kreis von Eingeweihten wickelt den Angaben zufolge  nun höchst  diskret  ein ziemlich  dickes Geschäft ab. Und  wieder  spielt  der  Altkanzler Gerhard Schröder angeblich  eine wichtige  Rolle. Er soll Beteiligten zufolge  sogar  Gazprom-Chef Alexej  Miller  den  Deal  empfohlen  haben  – Zugänge,  die nur  ein Vertrauter Putins  genießt.

Am Ende  funktioniert das Geschäft: Die kleine EWE  kapert  elegant  den  größeren VNG. Im  März  2014 schließlich wird  der Deal unterschrieben. Mehr  als 60 Prozent gehören nun dem Konzern aus Oldenburg. Damit  wird auch eine saftige Provision für Heino Wiese fällig – behauptet ein Insider von EWE. Wiese sei wohl nicht der Einzige, der von den Deals persönlich profitiert habe, vermutet er weiter.

 

Das Geschäft ist ein Musterbeispiel dafür,  wie es geht. Da ist ein Lobbyist mit  besten Kontakten in die Spitze der  russischen Politik und womöglich einem Ex-Kanzler als Helfer.

Am Ende  schluckt  ein westdeutscher Konzern ein ostdeutsches Aushängeschild gegen alle politischen Widerstände. Dabei, so heißt es hinterher, soll man sich sogar bei Gazprom gefragt  haben,  ob  es wirklich   eine  gute  Idee  war,  sich  zu trennen. Gremienbeschlüsse zum  Verkauf  verzögerten sich deshalb massiv. Doch  wie es scheint, war kein Widerstand zu groß.

Diese Nähe  von Heino Wiese zu einflussreichen Sozialdemokraten lässt in jedem Fall aufhorchen. Offiziell gibt es keine  Verbindung zwischen seiner  Firma  und  den  Politikern. Doch  dass die intensiven Kontakte und Hilfen  für den Lobbyisten   auf  Arbeitsebene nur aus  Freundlichkeit erfolgen, mag inzwischen kaum noch jemand glauben. Geht es da nicht um mehr?

 

Ein fragwürdiger Freundschaftsdienst

Der Fairness  halber  sei gesagt: Die Arbeit  für Lobbyagenturen  ist  Politikern  natürlich nicht  verboten. Sowenig  eine Grenze zwischen Politik  und  Wirtschaft hochgezogen werden sollte, so wenig lässt sich aber auch erklären, warum große Parteien sich seit Jahren nicht mal einen unverbindlichen Verhaltenskodex für Lobbyismus zumuten wollen,  der etwa die Modalitäten eines Wechsels  oder  den Umgang mit Lobbyisten definiert.

Die Vorgänge  um Wiese Consult im Herzen der Berliner Macht  lassen unterdessen auch aktuelle  Verbindungen des Firmenchefs in neuem  Licht  erscheinen. Denn  auch zu amtierenden Parteifunktionären pflegt der Lobbyist enge Kontakte, so zu Sigmar Gabriel.  Und so ist man sich auch in Berlin manchmal ganz nah. Zum Beispiel bei jener Buchvorstellung  im März  2015, bei der Heino Wiese seine Gäste  in der prachtvollen russischen Botschaft begrüßte. Wirtschaftsminister  Gabriel  verlieh dem  Abend  Glanz. Vor Russlands Botschafter Michailowitsch Grinin und  vielen  führenden Managern aus Deutschland und Russland, etwa dem Statthalter  von  Gazprom in Berlin,  Gazprom-Germania-Hauptgeschäftsführer Vyacheslav Krupenkov.

Just auf dem Höhepunkt der Krim-Krise hat Wiese damit eine  ziemlich   illustre  Runde  zusammengetrommelt. Wohl kaum  jemand  weiß an diesem  Abend,  dass ein paar Monate später  ein ziemlich  brisantes Geschäft über  die Bühne  gehen soll. Denn  die Oldenburger EWE  will nun  auch noch  Gazprom  dessen Anteil am ostdeutschen Gasunternehmen VNG abkaufen. Wieder  ein großer  Deal. Wieder  kein leichtes Unterfangen. Denn  die Sanktionen gegen Russland haben  die Stimmung mit  Moskau  drastisch verschlechtert. Der  EWE- Plan  aber  lebt  auch  vom  Gas  aus Russland, mit  dem  VNG versorgt  wird.  Wirtschaftsminister Gabriel  hat in diesen Tagen Einfluss  auf Wohl und Wehe dieser Branche.

 

Kritik von Schröder? Kaum

Es wird  ein  Abend,  der  am  Ende  vielen  Teilnehmern in fragwürdiger Erinnerung bleibt.  Auch  weil sich Vizekanzler Gabriel  nicht  etwa an dem Konflikt abarbeitet, sondern sich kaum  eine  Kritik  am russischen Vorgehen erlaubt. Gabriel wünscht sich zudem  eine Wiederbelebung des »Petersburger Dialogs«.   Deutsche Nichtregierungsorganisationen hatten den 2014 wegen  Repressalien der russischen Führung gegen zivilgesellschaftliche Organisationen  abgesagt.  »Die Stimme der Zivilgesellschaft« hingegen  sah Gabriel  an diesem Abend aus dem neuen Russland-Buch sprechen, das er sehr empfehlen konnte. Auch eine handfeste Utopie hatte er in die russische Botschaft mitgebracht. Eine  mit  Mehrwert: Er  träume von  einem  Freihandelsabkommen von  Lissabon bis Wladiwostok. Eine  Idee,  die vor  einigen  Jahren  Russlands Präsident Putin  erstmals  in Berlin ins Spiel gebracht hatte. Ein wirklich  unabhängiger Auftritt des Wirtschaftsministers?

Die SPD-Granden und die Nähe  zu Russland – eine natürliche  Nähe  oder  das  Ergebnis der Verquickung politischer und geschäftlicher Interessen? Ex-Kanzler Schröder hat sich in der jüngeren Vergangenheit jedenfalls mit Verve der fragwürdigen Aufgabe  verschrieben, Russland und seinen Präsidenten  und  Schröder-Freund Putin gegen  viele Kritiker zu verteidigen.  »Es  gibt  bestimmte  Ängste   in  Russland,  auf die ein russischer Präsident reagieren  muss«, sagte Schröder noch  im Mai 2015 der Bild-Zeitung. »Deswegen ist die Art und Weise, wie der Westen mit Russland umgeht, nicht immer richtig.« Auf die Frage, ob er Putin auch heute noch als seinen Freund bezeichnen würde, antwortete er mit: »Ja, sicher.«

 

Hochbezahlter Aufsichtsratsjob für Schröder

Putin  belohnt solche Treue  mindestens mit großem Vertrauen. Dass mit Schröder ein deutscher Ex-Politiker so effektiv in Russland vermitteln kann, gilt als förderlich für die deutsche Wirtschaft. Es ist aber  durchaus auch  gut  für Schröder. Allein an der Spitze des Nord-Stream-Aufsichtsrats bekommt er eine Vergütung von  250 000 Euro  im Jahr. »Mir war  klar, dass ich meine in der Politik  zusätzlich erworbenen Kenntnisse nicht am Amtsgericht Hannover umsetzen kann,  sondern besser in Form von Beratung an der Nahtstelle zwischen Wirtschaft und Politik«, sagte Schröder einst dem Manager Magazin. Selbst Berater Wiese bemüht in seinem Firmenslogan die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik.

 

Politik als Wirtschaftssalon

Die Berliner  Politik,  so scheint es bisweilen,  muss aufpassen, dass sie nicht  zum Wirtschaftssalon verkommt. Einem,  wie an jenem 11. März 2014. Gerade  mal 100 Tage Regierungszeit, da lud  die Wiese Consult GmbH zu  einem  Gesprächskreis Wirtschaft  mit  Bundeswirtschaftsminister Sigmar  Gabriel.

»Zum  Thema  ›Von der Energiewende bis zur Außenwirtschaft:  Politische Schwerpunkte des BMWi  in den nächsten vier Jahren‹ referierte Gabriel  vor geladenen  Gästen aus Wirtschaft und  Politik  über  anstehende Herausforderungen und  Chancen der deutschen Wirtschaft«, schwärmt man bei Wiese Consult selbst.  Die  Teilnehmerliste des Abendsalons liest  sich  wie  eine  Kontaktbörse zwischen Wirtschaft und Politik:  Sigmar Gabriel,  Jörg Asmussen, Beamteter Staatskretär im Bundesministerium für Arbeit  und  Soziales, der Honorarkonsul der  Mongolei, Marcus  Reinberg, Hubertus Heil,  stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion seiner Partei  mit Zuständigkeit für die Themen Wirtschaft und  Energie,  Bildung  und  Forschung, Volkswagen-Cheflobbyist und  Ex-Regierungssprecher Thomas Steg und natürlich gleich mehrere  EWE-Manager, wie der damalige Vorstand Heiko Sanders.

Wie nah bewegt sich die Spitze der Sozialdemokratie da an der Wirtschaft? Wie eng ist sie mit ihr verbunden?

Heino Wiese jedenfalls,  der Lobbyist, ist nah dran.  Ganz nah. Als Wirtschaftsminister Gabriel  am 13. Juli 2015 zu einer dreitägigen Reise nach China  aufbricht, wird  er nach Angaben seines Ministeriums nicht nur von Mitgliedern des deutschen Bundestags begleitet, sondern auch von einer hochrangigen  Wirtschaftsdelegation.  Bei  solchen Reisen sind  die Plätze  meist hart umkämpft. Viele  hochrangige  Manager wollen mit, nicht alle finden Platz im Regierungsjet. Oft wird hart  ausgesiebt. Am Ende  bleiben meist Vertreter großer Konzerne  oder   besonders  hoffnungsvoller  Start-ups  im Tross.

Diesmal dürfen  gut 60 Manager mit, darunter etwa Mittelstandspräsident Mario Ohoven. Und  einer, der eigentlich nicht zu den ganz großen Repräsentanten der deutschen Wirtschaft gehört:  Heino Wiese. Für den  ist die Reise eine gewaltige Chance.  Denn  er treibt  gerade ein deutsch-chinesisches Projekt voran  – in China. Es geht  um  den  Bau einer Gesundheitsstadt in Yingkou im Nordosten des Landes  für 260 000 Menschen. Noch kurz vor Gabriels Reise hatte Wiese im Februar 2015 selbst eine  Delegation aus  Niedersachsen nach China  organisiert. Angeführt wurde  diese Mission übrigens von Ex-Kanzler Gerhard Schröder.

Der Draht ist eng. So eng, dass der Lobbyist im Ringen um Macht im Herbst 2015 einen so sensiblen wie  inoffiziellen Auftrag aus der Parteispitze bekommen haben soll. Gabriel selbst soll den Abspeck-Genossen Wiese gebeten  haben,  der SPD  für  den nächsten Bundestagswahlkampf als Eintreiber von Geldern für die Wahlkampfkasse zu dienen. Ein Lobby- ist, der mithilft,  die Kassen  der deutschen Sozialdemokratie zu füllen? Ein Politiker und ein Lobbyist, die sich gegenseitig fördern? Selbst Parteikollegen attestieren Gabriel wenig Gefühl für Compliance-Regeln. Wiese hält sich in der Sache bedeckt. Gabriel  lässt einen Fragenkatalog zu seinen Kontakten unbeantwortet.

 

Anwälte der Wirtschaft: Spezialisierte Großkanzleien mit hohem Stundenhonorar

Wiese, Alber & Geiger: die spezialisierten Lobby-Boutiquen sind längst nicht mehr allein auf dem Markt  der Macht-Kontakte.  Vor allem ohne  die Handwerker aus den Fabriken des Rechts  kommt heute  beim Promoten der eigenen Interessen kein Konzern mehr aus. Egal ob Konflikte mit EU-Richtlinien, dem  Kartellrecht, mit  geplanten Vorgaben beim  Klimaschutz  oder  in der Lebensmittelkontrolle – fast immer  sind inzwischen für die Wirtschaft auch spezialisierte Großkanzleien am Werk, die den Weg aus kritischen Situationen weisen sollen. Sie beraten, antichambrieren, warnen  oder klagen. Sie heißen  Linklaters, Freshfields, Clifford Chance,  Noerr oder Hengeler Mueller.  Und  sie sind inzwischen selbst ein florierender  Wirtschaftszweig.

Allein die 100 größten Kanzleien in Deutschland kommen jährlich nach aktuellen Zahlen des Informationsdienstleisters Juve zusammen auf mehr als fünf Milliarden Euro Jahresumsatz. Mandanten lassen sich den Einsatz  der Experten so einiges kosten. Versierte  Wirtschaftsanwälte berechnen schon mal 1000 Euro  pro Stunde.

 

Mit  kauzigen Typen  wie  »Liebling  Kreuzberg« und  mit den reinen Lobbyfirmen, die von einzelnen Kontakten leben, haben  diese Kanzleien nichts  zu tun.  Ihre Angestellten sind die besten Absolventen der Unis und lassen sich das auch bezahlen. Schon viele Einsteiger beginnen mit 100 000 Euro  im Jahr. Wer ein paar Jahre dabei ist, kann  mit noch  mehr rechnen. Die Anwälte arbeiten  in Kanzleien mit hunderten Kollegen und in Büros in den feinsten Lagen von Washington, Berlin, London oder Brüssel. Die Kanzleien profitieren davon, dass immer  mehr Dinge des Lebens  per Gesetz  geregelt werden. »Verrechtlichung« nennen  das die Experten. Und sie holen  das Beste für ihre  Mandanten heraus.  Auf  allen Ebenen.

Kritische Beobachter sehen  genau  das  mit  großer  Sorge. Denn  viele Gesetze sind längst so kompliziert, dass sie selbst die Fachleute in den Ministerien überfordern, wo Gesetze eigentlich mit neutralem Wissen entstehen sollen. Die Praxis ist deshalb inzwischen oft eine andere.  Nicht selten lagern  Ministerien Teile  der Gesetzeswerdung aus  und  beauftragen große Kanzleien mit dem Ausformulieren der Paragraphen.

Mit der Transparenz um solche  Aufträge ist es nicht  weit her. In der Regel hüllen sich Ministerien in Schweigen, wenn es um die Details der Aufträge oder um die Höhe der Honorare geht. Beispiel Finanzministerium. Das Haus  zahlte etwa von  2005 bis 2009 in der Amtszeit des damaligen  Ministers Peer  Steinbrück (SPD)  etwa  1,8 Millionen Euro Beraterhonorar  an die Kanzlei  Freshfields Bruckhaus Deringer, einer führenden Wirtschaftskanzlei für  Bankenrecht. Ans  Licht kam die Summe nur durch  eine Klage.

Schließlich ist Diskretion oberstes  Gebot in diesem Metier. Das gilt auch für Alexander Glos, den Sohn des CSU-Politikers und ehemaligen  Wirtschaftsministers Michael Glos. Der Top-Jurist mit Einser-Examen ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer. Glos junior verfolgt wohl  kaum eigene politische Ziele. Schon eher die Interessen seiner Mandanten.

 

Freshfields Rolle bei der Bankenrettung

Meistens  kommen die aus der Finanzbranche. Doch  manchmal klingelt  auch  die Politik durch.  So wie in dem  Fall aus dem Jahr 2008, als Glos und einige Freshfields-Kollegen den Auftrag bekamen, den Eilentwurf für das Gesetz  zur Finanzmarktstabilisierung – also zur Bankenrettung – mit  zu  formulieren. Dass die Anwälte somit halfen, den Bankenrettungsschirm aufzuspannen, gilt noch  immer  als fragwürdig. Denn Freshfields-Berater vertraten später  auch solche Geldinstitute, die vorübergehend Hilfe  aus dem Fonds beanspruchten. Klar,  dass  man  kompetent beim Ausnutzen der Instrumente helfen konnte.

 

Outsourcing an Linklaters

Für Aufsehen sorgte nur zwei Jahre später ein weiterer  Fall von  »Outsourcing«. Der damalige  Bundeswirtschaftsminister  Karl-Theodor zu  Guttenberg (CSU)   hatte   die Großkanzlei  Linklaters an einem Entwurf für das »Gesetz  zur Ergänzung des Kreditwesengesetzes« arbeiten  lassen. Der Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Ulrich  Battis ärgerte sich im Zusammenhang mit diesem Auftrag über eine »Bankrotterklärung des Wirtschaftsministeriums«, das sich trotz 1800 Mitarbeitern in der heiklen Frage noch Sachverstand von außen geholt habe.

Schließlich  wirft  diese Form  der  Privatisierung einer  der zentralsten Aufgaben von Parlament und  Regierung auch politische Fragen  auf. Nicht nur, ob die hohen Honorare ihren Preis wirklich wert  sind  und  ob die Kompetenz in den Ministerien nicht  ausreicht. Sondern  auch  die, welche  Risiken damit verbunden sind, das Ausarbeiten von Gesetzesentwürfen  oder wenigstens Teilen davon, an Fachkräfte auszulagern, die nicht allein per Gesetz  dem Gemeinwohl verpflichtet  sind.  Wie  groß  ist  das Einfallstor für Lobbyismus für solche Kanzleien, die gleichzeitig  Mandanten jener Branchen vertreten, die Gesetze in Schranken weisen sollen?

Zumal manche Kanzlei ganz offensiv auch Lobbydienste anbietet. Beispiel: ausgerechnet die Großkanzlei Freshfields. Unumwunden wirbt  die Kanzlei  mit politischen Eingriffen um Kunden. »Unser  Public-Affairs-Arm in Berlin bietet eine umfangreiche Bandbreite an Dienstleistungen an, die es uns ermöglicht, Kunden strategische Politikberatung und Unterstützung beim Formen der Gesetzgebung und  administrativer  Entscheidungen auf  (lokaler  wie  auch  auf)  nationaler Ebene  anzubieten. Wir  stehen  in ständigem Austausch mit den verantwortlichen Akteuren im politischen Meinungsbildungsprozess und werden  als kompetente Gesprächspartner in der Hauptstadt ebenso  geschätzt  wie in den Ländern oder vor Ort in Städten  und Gemeinden. So können wir jederzeit die richtigen Ansprechpartner auf allen politischen Ebenen vermitteln, Gespräche organisieren und – wenn  nötig  – professionell begleiten.«  Zur  Erinnerung: Es geht um jene Spitzenkanzlei, die in der  Ausarbeitung des Gesetzes zur  Bankenrettung aktiv wurde  – und  immer  wieder  auch von Banken wie Deutschlands Marktführer Deutsche Bank mit Aufträgen bedacht wird.

Welche Kanzlei  an welchem  Gesetz  mitarbeitet – nachverfolgen lässt sich das in der Regel nicht. Organisationen wie Transparency International machen  sich deshalb  für die Einführung einer legislativen  Fußspur stark. Das Ziel: eine amtliche Dokumentation aller an den Gesetzen beteiligten Kanzleien und Berater.

Dass Kanzleien einen Großteil des Geschäfts übernehmen, das  Lobbyisten für  sich reklamieren, führt  inzwischen zu einem skurrilen Streit in Brüssel. Denn dort bekämpfen sich die beiden Gruppen, die das Lobbygeschäft heute prägen, inzwischen gegenseitig. Die Lobbyfirmen kämpfen nicht  ganz uneigennützig für  eine Reform der Lobbyregulierung nach US-Vorbild. Denn dort wird Kanzleien, die auch lobbyieren, das Recht  genommen, ihre  Klienten vertraulich zu  behandeln. Experten erwarten, dass die Kommission einen öffentlichen Beratungsprozess startet,  wie die Regeln verschärft werden  können.

Mehr Transparenz war  eines der zentralen Versprechen in der  Kampagne zur  Wahl  des EU-Kommissionspräsidenten von Jean-Claude Juncker  2014. Damit  wäre ein großer  Vorteil der  Kanzleien dahin.  Denn  Lobbyisten, die hochrangige Offizielle der Kommission treffen wollen, müssen  ihre  Klienten in  ein  Transparenzregister eintragen, eine Datenerhebung von Kommission und EU-Parlament. Anwälte, die auf EU-Ebene lobbyieren, mussten  dies bislang nicht.  Es scheint  allerdings einigermaßen unwahrscheinlich, dass  am Ende wirklich wirksame Transparenz steht,  wenn zwei mächtige und  auf Diskretion bedachte Lobbygruppen aufeinander losgehen.

 

Keine Kontrolle der Nebeneinkünfte im EU-Parlament

Für  Organisationen wie Transparency International ist das ohnehin nur eines von vielen kritischen Feldern.  EU-Regeln gegen Korruption gebe es zwar, doch diese würden oft nicht umgesetzt, analysiert die Organisation in einer Studie. So kritisiert Transparency unter  anderem, dass  die  Erklärungen über  Nebeneinkünfte der  Europaparlamentarier nicht  kontrolliert würden. Es mangele auch noch immer am Schutz für

»Whistleblower«, Hinweisgeber aus dem Inneren des Apparats. Ganz allgemein reiche nicht aus, was Brüssel dem ausufernden Lobbyismus entgegensetze, sagt der Leiter der Studie Mark Perera bei deren Vorstellung in Brüssel.

Die EU-Institutionen machten zwar viele Dokumente und Informationen aus ihren Entscheidungsprozessen öffentlich zugänglich, vor allem das EU-Parlament. Viele wichtige Verhandlungen liefen aber auch noch immer  hinter  verschlossenen Türen  ab. Das betreffe insbesondere die sogenannten Triloge, also jene diskreten Unterredungen zwischen Vertretern  von  EU-Parlament, Rat  und  Kommission, die bei Gesetzgebungsvorhaben das entscheidende Glied  in der  Kette sind.  Allein  in  der  vergangenen Legislaturperiode habe es mehr als 1500 »Triloge« gegeben. Doch mitunter sei nicht mal mehr zu eruieren  gewesen, an welchen  Daten  sich die Vertreter der Institutionen zusammengesetzt hatten,  klagte Perera.

 

„LobbyControl kann nur brandmarken“

Wer  die Aktivitäten dieser  Lobbyfirmen in Deutschland überwacht? Wer immer wieder vor ihrer  wachsenden Macht warnt?

Von den noblen  Lobbyfirmen in Berlin-Mitte ist das kleine Büro so weit entfernt wie Lobbyisten von echter Transparenz. Kein Marmor, kein Sandstein, kein Vitra oder USM. Kiefer-Schreibtische, ein Flur  in einem Plattenbau, ein paar hundert Euro  Miete. Das gute Gewissen leistet sich ein paar Ikea-Klappstühle für Besucher. Mehr ist nicht drin. Außer den Aktivisten von LobbyControl gibt es kaum  eine andere  Adresse,  die so beständig bei versteckter Einflussnahme auf die Hygiene in den Regierungsvierteln der Republik achtet.  Doch  auch  Campaigner Timo Lange weiß, dass dem Einfluss seiner Organisation Grenzen gesetzt  sind.  »Beobachten, brandmarken  – mehr geht oft nicht«, sagt Lange und ist sich sicher: »Viele Türen bleiben auch für uns verschlossen.«

 

 

 

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