„Argumente spielen meist keine Rolle“ – Buchauszug Volker Kitz, Manuel Tusch: „Warum uns das Denken nicht in den Kopf will“

Volker Kitz und Manuel Tusch  erklären in ihrem neuen Buch, dass wir im Alltag oft automatisch handeln, ohne bewusst nachzudenken. Dass wir nur darauf achten, wie alles äußerlich korrekt läuft, aber auf den Inhalt dann oft gar nicht mehr. Hier ein Kapitel ihres neuen Buchs, das manches Aha-Erlebnis beschert:

 

Autoren-Duo Volker Kitz und Manuel Tusch

Autoren-Duo Volker Kitz und Manuel Tusch

 

Das Zauberwort heißt nicht nur „Bitte“: Placebo-Informationen« helfen Ihnen dabei, Ihre Wünsche erfüllt zu bekommen

 

An der Schlange im Supermarkt: Sie haben keine Lust zu warten. Was sagen Sie zu den Leuten vor Ihnen? „Darf ich bitte mal kurz vor, weil ich es sehr eilig habe? Ich musste heute Überstunden bei der Arbeit machen; wissen Sie, mein Chef ist einfach etwas verpeilt. Hätte er mir früher gesagt, dass er für morgen Unterlagen für einen Vortrag braucht, dann hätte ich ihm das schon vor ein paar Tagen fertiggemacht. Immer das Gleiche, aber das kennen Sie ja selbst. Na ja, und jetzt habe ich gleich noch einen Termin beim Osteopathen, die Schulter … Und nachher kommt noch mein Nachbar vorbei, weil er sich mal meinen neuen Dielenboden anschauen will. Sagt er. Da steckt ja meist mehr dahinter, aber das kennen Sie wahrscheinlich selbst…“

 

„Darf ich bitte mal kurz vor, weil ich die Sachen hier bezahlen muss?“

„Darf ich bitte kurz vor?“

 

Schwierig? Gehen wir die Möglichkeiten zusammen durch:

 

Die erste ist vielleicht etwas verschwatzt – aber immerhin haben Sie erschöpfend erklärt, warum Sie es eilig haben und vorgelassen werden wollen. „Da kann ja jeder kommen“, kann Ihnen da niemand mehr entgegen halten.

 

Am dümmsten erscheint die zweite Möglichkeit. Die Begründung ist völliger Blödsinn – bezahlen wollen ja alle, die da anstehen.

 

Die dritte Möglichkeit ist etwas unhöflich. Andererseits haben wir ja nun schon öfter in diesem Buch festgestellt: Menschen interessieren sich sehr selten für Argumente. Schon gar nicht interessieren sie sich für die Probleme anderer Leute. Also warum diesen Teil nicht einfach weglassen?

 

Richtig ist: Argumente spielen in der Tat meist keine Rolle. Und deshalb werden Sie mit der ersten und der zweiten Alternative etwa gleich viel Erfolg haben. Geringer sind Ihre Aussichten, wenn sie die Begründung einfach völlig weglassen.

 

Darauf deutet folgendes Experiment hin: Man spricht Menschen an, die an einem öffentlichen Kopie- Vorlage aufs Glas gelegt haben. Ein Lockvogel fragt, ob er schnell dazwischen darf, um fünf Kopien zu machen. Dabei formuliert er sein Anliegen unterschiedlich gegenüber unterschiedlichen Probanden:

 

1. „Entschuldigen Sie, ich habe fünf Seiten. Darf ich den Kopierer benutzen?“

 

2. „Entschuldigen Sie, ich habe fünf Seiten. Darf ich den Kopierer benutzen, weil ich Kopien machen muss?“

 

3. „Entschuldigen Sie, ich habe fünf Seiten. Darf ich den Kopierer benutzen, weil ich es eilig habe?“ Der reinen Bitte ohne Begründung – also Variante Nr. 1 – geben immerhin 60 Prozent der Probanden nach. Das ist ja schon mal nicht schlecht für eine relativ schlichte, unhöfliche ‚Bitte’, nicht wahr?

 

Begründet der Lockvogel seine Bitte plausibel wie in Variante Nr. 3, dann steigt die Quote auf 94 Prozent. Fast jeder lässt ihn nun vor. Zählen Argumente also doch? Dann dürft e bei Variante Nr. 2 niemand helfen, denn das »Argument« ist keins. Es ist nur eine leere Hülle, eine Scheinbegründung, daher hat man ihr den Namen »Placebo-Information« gegeben. Das Erstaunliche ist aber: Hier helfen praktisch genauso viele Menschen wie bei einer sinnvollen Begründung – 93 Prozent.

 

Entscheidend ist also ganz offensichtlich nicht die inhaltliche Begründung selbst, sondern allein der Umstand, dass die Bitte rein äußerlich eine Begründung enthält.

Cover

Das Zauberwort heißt daher nicht unbedingt ‚bitte’ – sondern ‚weil’.

 

Die Versuchsleiter werten das Ergebnis als Beleg dafür, dass wir im Alltag oft automatisch handeln, ohne bewusst nachzudenken. Wir achten nur darauf, dass alles äußerlich korrekt läuft, dass also eine Bitte formal eine Begründung trägt. Sonst empfinden wir sie als unhöflich. Hören wir die gewohnte höfliche Satzstruktur einer Bitte, scheint uns alles in Ordnung zu sein – auf den Inhalt achten wir dann gar nicht mehr.

 

Das Ergebnis zeigt aber eben auch einmal mehr, dass Argumente tatsächlich überschätzt sind. Es kommt auf die Form an, nicht auf den Inhalt. Wenn Ihnen nun schon ganz neue Strategien für das nächste Gehaltsgespräch vorschweben, dann müssen wir Ihnen leider sagen: Der Trick hat seine Grenzen. Er funktioniert nur bei kleineren alltäglichen Gefallen. Ändert man das Experiment von oben so, dass der Lockvogel 20 Kopien dazwischen schieben möchte und nicht nur fünf, dann hören die Leute bereits etwas genauer hin. Wie wir schon an vielen anderen Stellen in diesem Buch gesehen haben, kommt es aber selbst bei größeren Anliegen auf andere Dinge an als auf den Inhalt. Nur funktioniert es dann nicht ganz so plump – damit beschäftigen wir uns im nächsten Kapitel.

 

Aus diesem Kapitel können Sie sich merken: Meist lohnt es sich nicht, zu viel Zeit in ausgefeilte Begründungen zu investieren. Kleine Gefälligkeiten tun Ihnen die Leute bereits, wenn Sie einen Placebo-Grund nennen – Hauptsache, Sie benutzen ein »weil« in der Bitte.

 

Wo zeigt sich der Effekt von Placebo-Informationen in meinem Leben konkret? Langer, E. J., Blank, A., Chanowitz, B. (1978): The Mindlessness of Ostensibly Thoughtful Action: The Role of Placebic Information in Interpersonal Interaction. Journal of Personality and Social Psychology, 36, 635–642.

 

Volker  Kitz, Manuel  Tusch: „Warum uns das Denken nicht in den Kopf will – Noch mehr nützliche Erkenntnisse der Alltagspsychologie“

Originalausgabe, Taschenbuch, 288 Seiten, 8,99 Euro, Heyne Verlag

Erscheinungstermin: 9. Dezember 2013

http://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Warum-uns-das-Denken-nicht-in-den-Kopf-will/Volker-Kitz/e433969.rhd

 

 

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