Buchauszug Thomas M. Fischer: „Zukunft verpflichtet – Modernes Unternehmertum für ein lebenswertes Land“

Buchauszug Thomas M. Fischer: „Zukunft verpflichtet – Modernes Unternehmertum für ein lebenswertes Land“

 

Thomas Fischer (Foto: PR

 

Wer Bäume setzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen. Dieses Zitat des indischen Philosophen Rabindranath Thakur hat mich nachhaltig inspiriert. Handlungsleitend übersetzt heißt es für mich: „Verantwortungsvolle Menschen pflanzen Bäume, unter deren Schatten sie nie sitzen werden.“ In unserer heutigen krisengeschüttelten Zeit erlebe ich vielfach ein anderes Verhalten: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft reagieren mehr, als dass sie proaktiv agieren; weitsichtiges Handeln ist kurzfristiger Krisenbewältigung oder Eigennutzmaximierung gewichen, und die Definition von Erfolg folgt einer traditionellen finanziellen Logik. Hinzu kommt, dass Handlungszyklen zunehmend kürzer werden, das Rad der Veränderung sich immer schneller dreht und der technologische Fortschritt exponentieller ist denn je. Langfristigkeit und Langlebigkeit? Häufig Fehlanzeige.

 

Dabei sollte uns bewusst sein, dass wir unsere bisherige Art, zu leben und zu wirtschaften, überdenken müssen. Dies legt uns auch das Grundgesetz mit Artikel 14 Absatz 2 ans Herz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Diese wichtige Ergänzung von Artikel 14 Absatz 1, der das Recht auf Eigentum garantiert, erinnert uns daran, dass Eigentum nicht nur privaten, eigennützigen Interessen dienen, sondern ebenso die Interessen der Gesellschaft berücksichtigen sollte. Daraus leitet sich der Grundsatz ab, dass Unternehmen Verantwortung für Mitarbeitende und Umwelt tragen.

 

Ist dieses Verständnis noch aktuell? Ich finde, dass Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes eine Neuinterpretation braucht, die weniger stark am Status quo orientiert ist, sondern sich deutlicher der

Zukunft widmet. Ich begreife also die darin enthaltene Verpflichtung nicht nur als Handlungsmaxime in der und für die Gegenwart, sondern als eine Aufforderung, bereits heute die Lebensgrundlagen, das Wohl und die Chancen zukünftiger Generationen zu schützen. Konkret bedeutet das für mich, dass Unternehmen, Einzelpersonen und Staaten sich verpflichtet fühlen, nachhaltig zu wirtschaften und ökologische Schäden zu vermeiden, dass Ressourcen wie Wasser, Walder und fossile Brennstoffe nicht rücksichtslos ausgebeutet werden. Fortschritt und Wohlstand müssten so gestaltet sein, dass sie langfristige Zukunftsaussichten bieten. Bildung und Forschung werden als Bausteine einer lebenswerten Zukunft priorisiert. Klimaschutz wird nicht nur als moralische Pflicht, sondern als selbstverständliche, eigens auferlegte Verpflichtung verstanden. Emissionen und Umweltverschmutzung dürfen die Lebensgrundlagen künftiger Generationen nicht gefährden. Entscheidungen über Schulden, Infrastruktur und Rohstoffabbau müssen die Interessen der zukünftigen Generationen mitberücksichtigen. Klingt das absurd? Abwegig? Naiv? Oder klingt es nicht eher nach einer Binsenweisheit, dass ich nichts tue, was anderen in Zukunft schadet? Doch die Welt verhält sich leider anders. Die Auswirkungen des Klimawandels sind schon lange schmerzlich zu spüren und wir wissen längst, dass die Kosten der Klimaschaden hoher sind als die Prävention.

 

Die Weiterentwicklung von „Eigentum verpflichtet“ in „Zukunft verpflichtet“ setzt die Verantwortung der Wirtschaft für die Zukunft in den Mittelpunkt des Handelns. „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“, heißt es seit über zwanzig Jahren in Artikel 20a des Grundgesetzes. Das ist also ihr Auftrag, „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“ zu sorgen. Eine Wirtschaft mit Zukunftsverpflichtung wiederum ist hingegen aufgefordert, ihren Beitrag also nicht nur für die Nutzung des Eigentums zum Wohl der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, sondern eine ganzheitliche Verantwortung für die langfristige Bewahrung und Verbesserung der Lebensbedingungen auf unserem Planeten.

 

(Foto: PR/Westend Verlag)

Thomas M. Fischer: „Zukunft verpflichtet. Modernes Unternehmertum für ein lebenswertes Land“ 192 Seiten, 20 Euro, Westend Verlag

 

Diese Haltung setzt voraus, dass wir bereit sind, langfristig zu denken und zu handeln, über den Tellerrand zu schauen und auch willig zugunsten nachfolgender Generationen zu verzichten. Wenn jede Generation nur auf sich selbst schaut und von Generation zu Generation mehr verbraucht als erzeugt wird, mehr emittiert als abgebaut wird – dann bleibt in absehbarer Zeit nichts mehr übrig.

Wenn wir den Leitsatz „Zukunft verpflichtet“ ernst nehmen, dann müssen wir bei der Betrachtung von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit auch die zeitliche Dimension berücksichtigen.

Investieren wir ausschließlich in die Fortschreibung des Status quo, bürden wir kommenden Generationen die Probleme auf, die wir heute nicht lösen. Wenn wir stattdessen konsequent in die Zukunft investieren, profitieren die zukünftigen Generationen, die ihrerseits diese Investitionskette fortsetzen können. Damit ist eine Zukunftsorientierung in Gang gesetzt, die kontinuierlich zur Verbesserung nachfolgender Generationen beiträgt. Wenn also jede Generation mehr regenerierenden Ressourcenzuwachs zulässt, als sie verbraucht, weniger CO2 ausstößt, als von der Natur abgebaut werden kann, und fortlaufend in zukunftsweisende Infrastruktur investiert, dann wird sich der Wohlstand über Generationen hinweg mehren und die Lebensgrundlage verbessern.

 

Unternehmen, die sich in einem Spannungsverhältnis zwischen kurzfristiger Umsatz- und Ergebnisorientierung und langfristiger strategischer Planung befinden, kommt hierbei eine wichtige Rolle zu. Allzu oft bestimmen akute Krisen, Marktveränderungen und Wettbewerbsdruck die Agenda und fuhren zu eher reaktivem, also kurzfristig orientiertem Handeln. Gleichzeitig unterliegen

Strategien längst einer immer kürzeren Halbwertszeit: Einen Fünfjahreszeitraum zu überblicken, erscheint fast schon absurd, wenn man bedenkt, welche unvorhergesehenen Krisen uns in den letzten fünf Jahren massiv beeinflussten. Wie wohltuend erlebe ich es dagegen, wenn ich so manche Familienunternehmen besuche, die seit 100 Jahren und langer existieren. Nachhaltigkeit, Langfristigkeit und das Denken in Generationen liegen in ihrer DNA. Sie sind geprägt durch ein traditionelles Wertegerüst und leben Tugenden wie Fleiß, Verantwortungsbewusstsein und Fürsorge. Oft hindern aber ihre sehr hierarchischen und mitunter starren Strukturen und Denkmuster sie daran, mit der Veränderungsgeschwindigkeit Schritt zu halten. Als Unternehmer interessiert mich, wie ein modernes Unternehmertum sich an Nachhaltigkeit und Langfristigkeit orientieren und gleichzeitig Adaptionsfähigkeit und Agilität aufzeigen kann. Dafür musste ich mich zunächst fragen, wie ich mir die Zukunft vorstelle und welchen Beitrag ich dazu leisten kann, dass die Maxime „Eigentum verpflichtet“ endlich einen expliziten Zukunftsbezug erhält: „Zukunft verpflichtet. Alle Handlungen und Entscheidungen müssen so gestaltet sein, dass sie den Erhalt der Lebensgrundlagen sichern und die Chancen für die nachfolgenden Generationen fordern.“

 

Mit diesem Buch möchte ich zum Nachdenken anregen und einen Impuls zur Diskussion in Unternehmen und Gesellschaft liefern – als Mensch und als Unternehmer. Meine persönliche Haltung zu vielen Dingen hat sich durch meine verstärkte Auseinandersetzung mit der Zukunft verändert. Mein Verhalten hat sich hingegen noch nicht immer verbessert, denn nur allzu oft unterliege ich auch der Tyrannei der kleinen Entscheidungen, über die ich im Verlauf des Buches schreibe. Aber ich gehöre zur Generation, die dringend ihre Haltung und ihr Verhalten korrigieren muss. Und so anstrengend es für uns ist, so viel einfacher wird es für die nachfolgenden Generationen sein, sodass in absehbarer Zeit das Selbstverständliche auch selbstverständlich ist. Wir tun nichts, was anderen in Zukunft schadet. Ein einfacher Grundsatz mit der Tücke im täglichen Detail. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sind kein Widerspruch. Im Gegenteil, Nachhaltigkeit ist ein zutiefst betriebswirtschaftlicher Aspekt: Ressourceneinsatz minimieren, Verschwendung vermeiden und Geschäftschancen ergreifen. Und in der Nachhaltigkeit steckt ein riesiges Potenzial für neuartige Produkte, innovative Technologien und Dienstleistungen sowie ganz neue Geschäftsmodelle. Vor uns allen liegt in vielen Branchen ein blue ocean: ein Meer – und damit ein Mehr – an Chancen und Geschäftsmöglichkeiten.

 

Beinahe täglich stehe ich mit Unternehmerinnen und Unternehmern sowie mit Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in einem intensiven Austausch. Ich weiß, dass viele so denken wie ich und sich intensiv mit Zukunftsgestaltung beschäftigen. Ihnen mag ich zurufen: Es steckt enormes Potenzial in der Nachhaltigkeitstransformation. Es ist ein Weg, der Geld und Anstrengung kostet, der vielleicht zunächst einmal einen Profitabilitäts-Dip bedeuten kann und der einiges an Verhaltensänderungen erfordert. Aber haben wir eine Wahl, wenn wir an die zukünftigen Generationen denken?

 

Und so fordere ich Unternehmerinnen und Unternehmer, Vorstände und Geschäftsführungen, Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft auf: Lasst es uns für unsere Kinder, für unsere Enkelinnen und Enkel tun. Lasst es uns aus intrinsisch motivierter, selbstgewählter und überzeugter Verantwortung tun. Wir haben es selbst in der Hand. Und wer, wenn nicht wir, ist in der Lage, den Planeten ein bisschen besser zu machen, als wir ihn vorgefunden haben? Lasst uns in Zukunft zur Verpflichtung machen: für ein lebenswertes Land in einer lebenswerten Welt auf einem lebenswerten Planeten.

 

Über den Autor: Thomas M. Fischer ist Co-Gründer und ehemaliger Vorstandssprecher der Avantum Consult AG und seit 2017 Gründer sowie CEO der Allfoye Managementberatung für Strategie, Organisationsentwicklung und Transformation. Referenzkunden sind Soennecken, Brita und Zwilling. Er ist im Board der All for One Group und Aufsichtsrat der Bauer Group (Lebensmittelhersteller). 2022 hat er die Gründung der Wirtschaftsvereinigung der Grünen e. V. initiiert und ist Co-Vorsitzender.

 

 

 

 

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