Buchauszug Gudrun Happich: „Herausforderungen im Führungsalltag. 28 Führungsthemen für den Weg ins Topmanagement“

Gudrun Happich: „Herausforderungen im Führungsalltag. 28 Führungsthemen für den Weg ins Topmanagement“

 

(Foto: Happich/Privat)

 

Mit Unsicherheit umgehen

Unsicherheit begleitet uns ständig. Die Coronapandemie ist ein besonderes Beispiel dafür – eine noch nie dagewesene Situation mit ungewissem Ausgang, die immer wieder neu weitreichende Entscheidungen erforderte. Eine Klientin gestand damals: ≫Ich bin Vorstandsvorsitzende, aber ich weiß nicht, was ich tun soll.≪ Sollte sie vorgeben, souverän zu sein, oder ihre Verzweiflung offen zeigen? Beides schien keine Lösung zu sein.

Verunsichert war auch in einem anderen Fall ein Bereichsleiter, der mit ansehen musste, wie der Vorstand, dessen Mitglied er in Zukunft werden sollte, völlig zerstritten war und das Unternehmen durch die Konflikte zunehmend destabilisiert wurde – quasi
führungslos auf den Abgrund zusteuerte. Sollte er die Augen davor verschließen oder
sich aktiv einbringen?

Nicht weniger verunsichert war eine Bereichsleiterin in einem
mittelständischen Unternehmen, die unerwartet zur alleinigen Geschäftsführerin ernannt wurde. Ihr ganzes Berufsleben lang hatte sie einen Chef gehabt, den sie um Rat fragen konnte und der die letzte Verantwortung trug. Plötzlich war niemand mehr da. Sie fühlte sich überfordert und unsicher. Und manchmal reicht auch nur ein einziger
unerwünschter Kommentar aus, um tiefe Verunsicherung zu verursachen. Hierzu
zahlt zum Beispiel unerbetenes kritisches Feedback von Kollegen zur eigenen Performance bei wichtigen Anlässen

 

Vier Beispiele, die zeigen: Unsicherheit ist Teil des Führungsalltags. Und so kommt
es, dass viele Führungskräfte nach Hilfe, Orientierung und Stabilität suchen. Man versucht, sich abzusichern, etwa durch gut ausgehandelte Verträge, muss aber erkennen, dass diese nur eine trügerische Sicherheit bieten. Verträge können gekündigt werden, Unternehmen Pleite gehen. Oder man gibt sich den Versprechungen eines Beraters hin und hofft, damit das Gefühl der Unsicherheit zu beseitigen. Am Ende steht dahinter oft der Wunsch, dass jemand anderes die Verantwortung übernimmt und uns damit von der Unsicherheit oder der Gefahr der Fehlentscheidung befreit. Die Hilfe von außen, die einfache Lösung – der ≫Ritter auf dem weißen Pferd≪, der plötzlich auftaucht und den Weg weist: Das bleibt in den meisten Fallen eine Illusion. Die Welt ist zu komplex, die Dinge sind zu sehr miteinander verbunden.

 

Aber wie dann? Wie findet man Sicherheit? Was braucht man, um sich sicher zu fühlen? Die Lösung liegt weniger in der Suche nach Lösungen im Außen, sondern in der Suche nach Lösungen im Inneren – also im persönlichen Umgang mit den unvermeidlichen, unsicherheitsauslösenden Situationen.

 

Um als Führungskraft souverän mit Unsicherheit umzugehen, hat sich ein Vorgehen in
drei Schritten bewahrt:

• Wahrnehmen: Nehmen Sie eine Unsicherheit wahr, achten Sie dabei auf körperliche
Reaktionen.

• Ernst nehmen und stoppen: Akzeptieren Sie die Unsicherheit und halten Sie inne,
anstatt impulsiv zu reagieren.

• Reflektieren und Handeln: Überlegen Sie sorgfältig, welche Optionen Sie haben –
und ergreifen Sie dann geeignete Maßnahmen.

 

Schritt 1: Wahrnehmen

Unsicherheit wahrnehmen, das klingt banal: Ich merke doch, wenn ich unsicher bin,
wenn ich irritiert oder überfordert bin, wenn ich Angst habe? Tatsächlich ist das alles
andere als selbstverständlich. Viele Menschen neigen dazu, Unsicherheit, Angst und
andere Emotionen zu übersehen oder zu verdrängen. Das gilt besonders für Führungskräfte:

Sie wollen stark und kontrolliert wirken – und fürchten, dass das Eingeständnis
von Unsicherheit von ihnen selbst und von anderen als Schwäche oder Inkompetenz
gewertet wird. Also versteifen sie sich auf die von außen vorgegebenen Aufgaben und
Ziele, um die eigenen emotionalen Zustände möglichst nicht wahrzunehmen.

Wer aber lernen will, mit Unsicherheit umzugehen, muss diesen ersten Schritt tun:
sich seiner Gefühle und damit seiner Unsicherheit bewusst werden. Dazu gehört auch,
auf die Signale des Körpers zu achten. Symptome wie Halsschmerzen oder Bauchgrummeln sind nicht nur körperliche Empfindungen, sondern können auch Indikatoren für emotional belastende Zustände wie Stress oder Unsicherheit sein. Anstatt bei solchen Symptomen zu denken, ≫das nervt mich, ich ignoriere es≪, sollten wir sie als Signale für verdrängte Emotionen verstehen.

 

Sich seiner Unsicherheit bewusst werden, bedeutet nicht, sich von ihr beherrschen
zu lassen. Es geht nur darum, sie wahrzunehmen – als ersten Schritt auf dem Weg zu
einem konstruktiven Umgang mit ihr. Nur wenn wir unsere Unsicherheit wahrnehmen
und im nächsten Schritt ernst nehmen, können wir geeignete Maßnahmen ergreifen,
um sie zu bewältigen. Nur so können wir verhindern, dass sie sich weiter ausbreitet
und zu einem noch größeren Problem wird.

 

Schritt 2: Ernst nehmen und stoppen

Wenn Führungskräfte Unsicherheit wahrnehmen, lassen sich typische Reaktionen
beobachten. Die einen greifen nach der erstbesten schnellen und einfachen Lösung,
andere verfallen in hektische Aktivität und treffen kopflos Entscheidungen, wieder
andere drücken das Gefühl der Unsicherheit weg und ignorieren die damit verbundenen
körperlichen Symptome. Anstatt so zu reagieren und das Gefühl der Unsicherheit
nicht ernst zu nehmen, sollte man sich klarmachen: Unsicher zu sein, ist erst einmal
in Ordnung. Wir Menschen haben alle mehr oder weniger die gleichen Gefühle. Wenn
also Ängste oder Unsicherheiten hochkommen, darf man sicher sein: Das ist normal,
das ist menschlich.

 

Der zweite Schritt besteht also darin, die Situation und die damit verbundene Unsicherheit zu akzeptieren. Sie ernst zu nehmen. Er bedeutet aber auch, unüberlegte
Reaktionen zu vermeiden. Statt einem Impuls nachzugeben oder in einer emotionalen
Ausnahmesituation voreilige Entscheidungen zu treffen, gilt es, erst einmal innezuhalten.

 

Hier sind zwei Szenarien denkbar: Das Gefühl der Unsicherheit hat einen
unmittelbaren Auslöser, wird also zum Beispiel durch die Kritik des Vorgesetzten oder
eines Kollegen getriggert – oder die Unsicherheit ist auf eine allgemeine Lage wie eine
Pandemie oder sich verschlechternde Wirtschaftsdaten zurückzuführen.

 

In der Trigger-Situation kommt es darauf an, dem gewohnten Impuls zuvorzukommen
und nicht wie gewohnt zu reagieren. Die Regel lautet: wahrnehmen, ernst nehmen
– stoppen! Der Automatismus des gewohnten Handelns kann zum Beispiel darin bestehen, das Gefühl der Unsicherheit zu verdrängen. Oder er liegt darin, die Unsicherheit durch unbedachte Entscheidungen zu überspielen. Die gute Nachricht ist: Solche unerwünschten Automatismen lassen sich noch rechtzeitig stoppen. Ich selbst spreche dieses ≫Stopp!≪ innerlich so laut, dass es mich erschreckt. Dann bin ich erst einmal irritiert – und die reflexhafte Reaktion bleibt aus. Eine bewährte Strategie ist es auch, ein Meeting kurz zu verlassen und auf die Toilette zu gehen, wenn eine auslösende Situation eingetreten ist.

 

Im zweiten Szenario, bei allgemeiner Unsicherheit, gerät man ohne direkten Anlass in
eine unsichere oder überfordernde Situation. Auch hier ist es wichtig, ein Stoppsignal
zu setzen, um aus der typischen Endlosschleife des Grübelns auszubrechen. Anstatt
sich in Gedanken ständig im Kreis zu drehen, besteht so die Möglichkeit, zu einer ruhigeren und klareren Denkweise zurückzukehren. Das schafft die Grundlage für den dritten Schritt: die Situation nüchtern zu betrachten, Optionen zu prüfen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.

 

Schritt 3: Reflektieren und Handeln

Das Gefühl der Unsicherheit ist da, man nimmt es wahr und halt inne. Nun stellt sich
die Frage: Wie gehe ich jetzt damit um? Es geht jetzt nicht darum, eine schnelle Losung
im Außen zu finden, sondern erst einmal bei sich selbst zu bleiben: Ist dieses Gefühl
überhaupt berechtigt? Wenn ja: Was brauche ich, um mich sicher zu fühlen?

Es spricht nichts dagegen, erst einmal gedanklich alle Optionen auf den Tisch zu legen.
Hat ein Mitarbeiter Sie mit seiner Kritik oder seinem Verhalten verunsichert, können
Sie in Tränen ausbrechen, nach Hause gehen, den Mitarbeiter anschreien oder
ihn zu einem richtig bösen Kritikgespräch einbestellen. Das alles sind Optionen, aber
sind sie auch sinnvoll? Die Frage ist immer, was das übergeordnete Ziel ist. Wenn Sie
den Mitarbeiter wirklich schrecklich finden, und zu dem Schluss kommen, dass Sie ihn
ohnehin loswerden und in die Kündigung treiben wollen – dann nur zu, geben Sie Gas.

 

Die Ausgangsfrage bei der Lösungsfindung aber lautet immer: Was ist das übergeordnete Ziel? Ist es das Wohl des Unternehmens, dem man sich verpflichtet fühlt? Eine klare Vorstellung davon, wohin Sie als Führungskraft Ihren Bereich oder Ihr Unternehmen in den nächsten Jahren steuern wollen, hilft bei der Entscheidung und wirkt dem Gefühl der Unsicherheit bereits deutlich entgegen. Überprüfen Sie Ihre Handlungsoptionen vor dem Hintergrund Ihres übergeordneten Ziels.

 

Reflektieren heißt auch, das eigene Bauchgefühl zu hinterfragen. Wenn eine Entscheidung im Bereich der eigenen Profession liegt, kann man dem Bauchgefühl, der Intuition, vertrauen. Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung. In Bereichen, von
denen man weniger Ahnung hat, sollte man sich jedoch mit Menschen beraten, die
auf diesem Gebiet erfahren sind – und sich dann eher auf deren Intuition verlassen.

 

Manchmal kann es auch richtig sein, erst einmal nichts zu tun und die Lage eine Zeitlang zu beobachten. Zugegeben: In einer unsicheren Situation nichts zu tun, fällt den meisten Menschen schwer. Für viele ist es das Schlimmste, was ihnen passieren kann. Andererseits gibt es Situationen, in denen Abwarten die sinnvollste Option ist. Helfen kann dann das Prinzip des aktiven Leerlaufs: ≫Stell dir vor, du sitzt auf dem Fahrrad, die Kette ist abgesprungen und du trittst wie verrückt in die Pedale. Du kommst ins Schwitzen, bist völlig erschöpft, bleibst aber auf der Stelle.≪ Sprich: Man bewirkt nichts Relevantes in dieser Situation.

 

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte einer C-Level-Führungskraft, die jahrelang ein
ausgezeichnetes Verhältnis zum Vorstandsvorsitzenden hatte – bis eines Tages ein
Freund von ihr in das Unternehmen eintrat. Plötzlich fühlte sie sich in dieser neuen
Dreierkonstellation unwohl, konnte aber nicht genau sagen, warum. Ihr erster Impuls
war, sich Sicherheit zu verschaffen, indem sie das Gespräch sowohl mit dem
Vorstandsvorsitzenden als auch mit dem Freund suchte. Im Coaching reflektierten wir
die Situation und kamen zu dem Verdacht, dass einer der beiden ein doppeltes Spiel
spielte und direkte Gespräche wahrscheinlich nicht die Wahrheit ans Licht bringen
würden. ≫Warten Sie erst einmal ab≪, riet ich meinem Klienten. Das Nichtstun fiel ihm
jedoch sehr schwer, und so entwickelten wir die Idee des ≫aktiven Leerlaufs≪: sich beschäftigen, aber nichts Entscheidendes bewirken. So beobachteten wir die Lage einige Wochen lang, bis sich tatsachlich herausstellte, dass der Freund unehrlich war und versuchte, meinen Klienten zu hintergehen.

 

Handeln kann also vieles bedeuten. Schnelles, aber gut überlegtes Eingreifen, Hinzuziehen eines Beraters, Experimentieren, vorsichtige kleine Schritte – bis hin zum
Nichtstun und Beobachten, vielleicht kombiniert mit aktivem Leerlauf.

 

Der Unsicherheit begegnen: Vom Wahrnehmen zum Handeln

Kommen wir zu den vier Beispielen zurück – der Verunsicherung durch die Coronapandemie, durch die Führungslosigkeit des Vorstands, durch Überforderung nach dem Aufstieg in die Geschäftsführung und durch den irritierenden Kommentar des Kollegen. Wie wurde hier eine Lösung gefunden, wie hat hier die Drei-Schritte-Methode in der Praxis funktioniert?

 

Ausnahmesituation Corona

Die Coronapandemie stellte die Vorstandsvorsitzende vor neue, ungewisse Situationen.
Täglich trafen beunruhigende Nachrichten ein. Märkte brachen ein, Lieferketten
wurden unterbrochen, die Gesundheit der Mitarbeiter war bedroht. Als die sonst so
souveräne Frau ins Coaching kam, wusste sie nicht weiter: Sollte sie ihre Unsicherheit
verbergen und Stärke vortäuschen? Oder sollte sie ihre Verzweiflung offen zeigen,
um authentisch zu bleiben? Indem sie diese Frage stellte, machte sie bereits wichtige
Schritte in Richtung Lösung: Sie akzeptierte ihre Unsicherheit und nahm sie ernst. Anstatt impulsiv in die eine oder andere Richtung zu handeln, hielt sie inne und nutzte
den Coachingprozess, um die Situation zu reflektieren und eine Lösung zu finden.

 

Sie erkannte, dass weder das Vorgeben von Sicherheit noch das Offenlegen ihrer Verzweiflung der richtige Weg waren. Stattdessen entschied sie sich für einen mittleren
Weg: sich als Mensch zeigen, zu ihrer Unsicherheit stehen, aber gleichzeitig ihre Rolle
und souveräne Haltung als Vorstandsvorsitzende wahren. Die Botschaft, die sie ihren
Mitarbeitern vermitteln wollte, lautete daher: ≫Wie stehen vor einer neuen Situation,
für die es keine Blaupause gibt. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, aber
es kann sein, dass Fehler passieren. Wir alle wissen nicht, wie es weitergeht, aber wir
werden diesen Weg gemeinsam gehen.≪

 

Hinzu kam eine weitere Überlegung: Es galt, das Vertrauen in ihre Führung zu erhalten,
und das hieß in dieser unsicheren Situation vor allem, dass Worte und Taten
übereinstimmen mussten. Doch wie sollte man klare Aussagen machen, wenn sich die
Dinge täglich änderten? Was kann man in dieser ungewissen Situation versprechen?
Es gibt eine nützliche Regel: In einer solchen Situation kann man Verhaltensweisen
versprechen, aber keine Ergebnisse. Bezogen auf die damalige Situation hieß das: Die
Vorstandsvorsitzende konnte Transparenz und ehrliche Kommunikation versprechen,
zum Beispiel versichern: ≫Ich werde alles tun, um Lösungen zu finden. Ich bin für jedes
Gespräch offen.≪ Nicht versprechen konnte sie hingegen, keine Mitarbeiter zu entlassen, da in der unsicheren Situation völlig unklar war, ob sie dieses Versprechen hätte halten können.

 

Mit diesem Ansatz kehrte sie ins Unternehmen zurück. Sie legte die Situation offen
dar, zeigte sich jederzeit gesprächsbereit und versprach, ihre Mitarbeiter laufend über
neue Entwicklungen und Entscheidungen zu informieren. So brachte sie Zuversicht
zurück ins Unternehmen und navigierte erfolgreich durch die Pandemiemonate. Diese
Haltung, Unsicherheit zu akzeptieren, ehrlich zu kommunizieren und gleichzeitig eine
souveräne Führungsrolle zu wahren, erwies sich als vorbildlich. Andere Führungskräfte
im Unternehmen übernahmen diese Haltung. Da die Coronakrise für alle neu war,
gab es niemanden, der eine sichere und bessere Lösung präsentieren konnte.

 

Führungslosigkeit im Vorstand

Erinnern Sie sich an den Bereichsleiter, der in den Vorstand aufrücken sollte (Kapitel
21, Abschnitt ≫Identifizieren Sie frühzeitig die Schlüsselpersonen≪)? Auch er war
stark verunsichert, als im Vorstand Streit ausbrach und das Unternehmen dadurch
praktisch führungslos wurde. Sein erster Impuls war, die Augen vor dem zu verschließen, was in der Vorstandsetage vor sich ging. Er spürte jedoch, dass er damit nicht zufrieden war und dass dies nicht der richtige Umgang mit der Situation sein konnte.

 

Der Bereichsleiter nahm seine Unsicherheit bewusst wahr, hielt inne und reflektierte
im Coaching seine Optionen: Was würde passieren, wenn er seinem ersten Impuls
nachgäbe und das Geschehen im Vorstand ignorierte, sich stattdessen nur seinen
täglichen Aufgaben widmete? Sicherlich: Erfolgreiche Arbeit im eigenen Verantwortungsbereich konnte kurzfristig ein Gefühl von Kontrolle und Zufriedenheit bieten.

Der Grund seiner Unsicherheit bliebe jedoch bestehen. Die Alternativen lauteten also:
am Rande stehen und zuschauen – oder schon in seiner jetzigen Position anfangen, als
designiertes Vorstandsmitglied Führung zu übernehmen und im Sinne des Gesamtunternehmens zu handeln.

Er kam zu dem Schluss, dass er sich aktiv mit der Situation des Unternehmens auseinandersetzen musste, um seine Unsicherheit zu überwinden. Deshalb entschied er sich für die zweite Variante und begann, sich auf seine zukünftige Rolle im Topmanagement vorzubereiten. Indem er sich auf das konzentrierte, was er schon jetzt beeinflussen und verändern konnte, entkam er dem Gefühl der Ohnmacht und gewann sein altes Selbstvertrauen zurück.

 

Plötzlich Geschäftsführerin

Der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens suchte einen Nachfolger.
Nach einigen vergeblichen Versuchen, eine externe Lösung zu finden, fragte er eine
langjährige Mitarbeiterin, ob sie die Aufgabe übernehmen wolle. Sie freute sich sehr
darüber und sagte sofort zu. Kaum hatte sie die Geschäftsführung übernommen, fühlte
sie sich völlig überfordert. Ihr ganzes Berufsleben lang hatte sie einen Chef, den sie
fragen konnte und der als alleiniger Geschäftsführer die finale Verantwortung trug.
Das fiel plötzlich weg, es war niemand mehr da – sie fühlte sich überfordert und unsicher. Zunächst versuchte sie, dieses Gefühl wegzudrücken, nach dem Motto: ≫Das darf so nicht sein!≪ Doch dann nahm sie die Situation ernst und holte sich Hilfe von außen.

Im Coaching reflektierte sie ihre Lage und identifizierte das Problem, das gar nicht so
selten vorkommt: Viele Führungskräfte unterschätzen, was es bedeutet, eine neue,
verantwortungsvollere Rolle zu übernehmen. Die neue Situation überfordert sie, sie
fühlen sich unsicher. Notwendig ist jetzt ein Weg, um in die neue Rolle hineinzuwachsen.

Um ihre Souveränität und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, musste die Geschäftsführerin also lernen, mit der neuen Verantwortung umzugehen. Geholfen hat
ihr eine Strategie der kleinen Schritte. So gewann sie an Sicherheit, indem sie bewusst
auf vergangene Erfahrungen zurückgriff und indem sie Routinen etablierte. Zum Beispiel machte sie es sich zur Regel, jeden Morgen die erste Stunde für sich zu reservieren und das erste Meeting nicht vor neun Uhr anzusetzen. Auch überlegte sie, an wen sie sich im Unternehmen wenden konnte, wenn sie in einer Situation oder bei einer Entscheidung unsicher war. Dabei unterschied sie zwischen emotionaler und fachlicher Unsicherheit. Für den ersten Fall hatte sie Vertraute, mit denen sie offen sprechen konnte, für den zweiten Fall verschiedene Fachexperten.

 

Auch das Vorgehen der Geschäftsführerin lasst sich in die drei Schritte einteilen, mit
Unsicherheit umzugehen: Als sie die Geschäftsführung übernahm, spürte sie Überfor-
derung und Unsicherheit (≫Wahrnehmen≪), nach einer Weile nahm sie die Situation
ernst und hielt bewusst inne (≫Ernstnehmen und Stoppen≪), dann dachte sie im Coaching über Lösungen nach, entschied sich für bestimmte Maßnahmen und setzte diese konsequent um (≫Reflektieren und Handeln≪).

 

Gudrun Happich: „Herausforderungen im Führungsalltag. 28 Führungsthemen für den Weg ins Topmanagement“, 39,99 Euro, 312 Seiten, Haufe Verlag

 

Der ungebetene Kommentar

Vermutlich haben Sie schon erlebt, wie irritierend und verunsichernd ein ungefragtes
Feedback sein kann. Ich selbst erinnere mich an ein Erlebnis, das mich mehrere
Tage beschäftigt hat. In einem Workshop als Teilnehmerin zu einem Thema, von dem ich wenig Ahnung hatte, stellte ich viele Fragen. Im Anschluss daran meinte ein Kollege: ≫Da hat man ja voll deine Selbstzweifel gesehen, das war wirklich unsouverän.≪ Und er fügte den Ratschlag hinzu: ≫Dich so bloßzustellen, solltest du dir abgewöhnen.≪

 

Wie mit der Situation umgehen? Ich habe wahrgenommen, dass der ungebetene Kommentar des Kollegen mich verletzt und verunsichert hat (Schritt 1). Wenn eine Situation bei mir etwas auslöst, das länger als einen Tag anhält, halte ich es für sinnvoll, der Sache Raum und Zeit zu geben – sie also ernst zu nehmen und in die Reflexion zu gehen (Schritt 2). Also zu überlegen: Warum kränkt mich das so? Was macht das mit mir? Ist es vielleicht die Angst, bloßgestellt zu werden?

 

Andererseits: Warum soll ich nicht offen einräumen, wenn ich von einem Thema keine Ahnung habe? Warum soll ich dann keine Fragen stellen? Wie anders als durch Selbstzweifel und Fragen soll man persönlich weiterkommen? Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass Selbstzweifel eher eine Stärke als ein Zeichen fehlender Souveränität sind. Ich betrachte sie als Chance, mich selbst weiterzuentwickeln – mir zu einem Thema eine eigene Meinung zu bilden und eine eigene Haltung einzunehmen.

 

Hinzu kommt: Niemand, auch kein Coach ist allwissend. Warum sollte es da eine
Schwäche sein, Unwissenheit zu zeigen? Es kann sogar ein Zeichen von Stärke sein:
Wer offen anspricht, wenn er etwas nicht weiß, schafft eine Situation auf Augenhöhe,
denn auch das Gegenüber ist nicht perfekt. In vielen Fällen wird es dann leichter, einen
Lernprozess einzuleiten und in die Umsetzung zu kommen, weil das Umfeld spürt:
Niemand ist perfekt, jeder ist auf seinem Weg – und so trauen andere sich eher, selbst
ins Tun zu kommen.

 

So kam ich zu dem Schluss, dass meine Verunsicherung durch den Kommentar keine
Grundlage hatte. Ich weiß jetzt, was ich in einer vergleichbaren Situation tun werde
(Schritt 3) – nämlich das Feedback des Kollegen als unbegründet zurückweisen, etwa
mit folgenden Worten: ≫Spannend, wie kommst du darauf, dass das nicht souverän
war? Einen solchen Kommentar von dir brauche ich nicht. ≪

 

Was aber in dem Augenblick tun, in dem ein Feedback irritiert und verunsichert? Mein
Tipp: Räumen Sie Ihre Unsicherheit offen ein, etwa so: ≫Sie merken, ich antworte nicht
sofort. Ihr Feedback ist bei mir angekommen, aber ich kann es noch nicht einordnen.
Ich muss erst darüber nachdenken, welche Meinung ich dazu habe. ≪ Wenn Ihnen
spontan keine Antwort einfällt, können Sie auch einfach sagen, was in Ihnen vorgeht:
≫Ich denke gerade darüber nach, was ich mit Ihrer Aussage anfange. Ich bin am Überlegen, wie Sie das gemeint haben. ≪ Auf diese Weise gelingt es, bereits in der Situation besser und souveräner mit der Unsicherheit umzugehen und wieder in den Dialog zu kommen.

 

Zusammenfassung

Unsicherheit gehört zum Führungsalltag. Wir hoffen dann auf einfache Lösungen –
etwa auf den Vorgesetzten, der die Entscheidung abnimmt, oder auf den Berater, der
uns Sicherheit gibt. Doch der ≫Ritter auf dem weißen Pferd≪, der plötzlich auftaucht
und den Weg weist, bleibt in den meisten Fallen eine Illusion. Die Lösung liegt weniger
in der Unterstützung von außen als vielmehr im eigenen persönlichen Umgang mit
den Situationen, die Unsicherheit auslösen.

Um als Führungskraft souverän mit Unsicherheit umzugehen, hat sich ein Vorgehen in
drei Schritten bewahrt:

• Schritt 1: Wahrnehmen. Nehmen Sie die Unsicherheit wahr. Achten Sie dabei auch
auf körperliche Reaktionen, die oft erste Anzeichen sind.

• Schritt 2: Ernst nehmen und stoppen. Akzeptieren Sie die Unsicherheit und halten
Sie inne. So vermeiden Sie es, impulsiv zu reagieren oder in eine Endlosschleife
des Grübelns zu geraten.

• Schritt 3: Reflektieren und Handeln. Hinterfragen Sie Ihre Situation und überlegen
Sie, welche Handlungsmöglichkeiten Sie haben. Entscheiden Sie sich dann für
eine Option – und ergreifen Sie die entsprechenden Maßnahmen.

 

 

 

 

 

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