Buchauszug Oona Horx Strathen: „Kindness Economy. Das neue Wirtschaftswunder“

Buchauszug Oona Horx Strathen: „Kindness Economy. Das neue Wirtschaftswunder“

 

Oona Horx Strathern (Foto: PR/ Aria Sadr-Salek/www.strathern.eu, www.sadr-salek.at)

 

Schlechte Chefs

Trotz der Gesetze gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz und ungerechtfertigte Entlassung ist diese Art von Verhalten nach wie vor nichts Ungewöhnliches. Ich denke an meine eigene Erfahrung zurück, als ich mich für eine Stelle als Bildredakteurin beim Telegraph Magazine in London bewarb. Dort wurde mir gesagt, dass ich, obwohl perfekt für die Stelle qualifiziert,  nicht geeignet sei, da ich Ende 20 wäre, gerade geheiratet hätte (meinen ersten Mann) und daher wahrscheinlich in den nächsten Jahren Mutterschaftsurlaub nehmen wolle. Die Frau, die das Vorstellungsgespräch mit mir führte, hätte ganz sicher keine besonders nette Chefin abgegeben, und darum war ich in dem Fall froh, dass ich die Stelle nicht bekam. Obwohl ich, so unnett das auch klingen mag, die Genugtuung genossen hätte, ihr abzusagen, wenn sie mir die Stelle trotzdem angeboten hätte.

 

In einer bestimmten Generation und in manchen Arbeitsfeldern hält sich hartnäckig der Glaube, dass die sogenannten strong arm tactics – herumschreien und schikanieren, um zu bekommen, was man will – am besten funktionieren. Diese diktatorischen Methoden scheinen heute jedoch völlig fehl am Platz, und die Forschung hat wiederholt nachgewiesen, dass sie auch nicht zielführend sind. Im Gegenteil, sie sind kontraproduktiv: Die Menschen sind nicht produktiver, sondern um einiges weniger produktiv, wenn sie unter großen Druck gesetzt werden. Wie Musk netterweise demonstriert hat, geht diese Taktik im heutigen Arbeitsklima immer häufiger nach hinten los.

 

Laut einer Umfrage, die das IZA Institute of Labor Economics unter dem spannenden Titel »How Common are Bad Bosses?« [etwa: Wie verbreitet sind schlechte Chefs?] durchgeführt hat, fallen immer noch etwa 13 Prozent der Führungskräfte in Europa in diese Kategorie. In der Umfrage bewerteten Angestellte ihren unmittelbaren Vorgesetzten in Bereichen wie Feedback, Respekt, Lob und Anerkennung, Hilfe bei der Erledigung der Arbeit, Unterstützung der individuellen Entwicklung, erfolgreiche Teamarbeit sowie allgemeine Hilfe und Unterstützung.

 

Die Umfrage betraf damit nicht nur die meisten, wenn nicht gar alle Aspekte der beruflichen Tätigkeit, sie kann auch als Umfrage zur Kindness in Unternehmen gewertet werden. Interessanterweise ergab sich, dass schlechte Chefs am häufigsten im Verkehrssektor und in großen Organisationen anzutreffen sind. Dabei räumten die Forscher ein, dass sie überrascht waren, wie niedrig der durchschnittliche Prozentsatz ausfiel und dass ihnen nicht häufiger von Vorgesetzten à la Miranda Priestly (die fiese Chefin aus Der Teufel trägt Prada) berichtet wurde.

 

Ständig auf Abruf, ungerecht behandelt zu viel Arbeitslast und zu wenig selbst bestimmt

Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt hängt natürlich nicht allein von der Kindness der Chefs und Vorgesetzten ab. Unzufriedenheit am Arbeitsplatz ist kein neues Phänomen, aber es ist ein Trend, der sich aufgrund der Pandemie und der Wirtschaftskrise, die daraus resultierte, beschleunigt hat. 2019 waren, so der Gallup-Bericht der Bill & Melinda Gates Foundation,  weniger als die Hälfte der US-Beschäftigten mit ihrer Arbeit zufrieden.

Nach einer Schätzung des Beratungsunternehmens McKinsey haben im Jahr 2022 – bezogen auf den US-Arbeitsmarkt insgesamt – bis zu 40 Prozent der Beschäftigten darüber nachgedacht, ihre Stelle zu kündigen. Als Begründung führten sie an, dass sie das Gefühl hätten, sie stünden ständig auf Abruf, würden ungerecht behandelt, ihre Arbeitslast sei viel zu hoch, sie dürften wenig selbst bestimmen und bekämen keine soziale Unterstützung. Der in der Umfrage ermittelte Prozentsatz entspricht in etwa dem von 2021, wobei sich die Menschen da vor allem flexiblere Verträge und Angebote etwa zur Unterstützung der psychischen Gesunderhaltung erhofften.

 

Leider können viele ihren Job nicht einfach kündigen, um einen »humaneren« Arbeitsplatz zu finden, der mehr Sinn und Erfüllung bietet. Wie ein schockierender Bericht im Guardian vom November 2022 zeigte, verzichten selbst schwerkranke Menschen auf eine Krankschreibung durch ihren Hausarzt, weil sie glauben, sich keinen Krankheitstag leisten zu können.

 

Dr. Kamila Hawthorne, die Vorsitzende des Royal College of GPs [eine Vereinigung der Hausärzte], berichtete, viele Patienten klagten über eine Verschlechterung ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit aufgrund von finanziellem Stress. Und Ärzte, so Hawthorne, litten unter »moralischer Verzweiflung«, weil sie nicht mehr tun könnten, um den schwächsten und verwundbarsten Mitgliedern der Gesellschaft zu helfen. Wenn sich die Wirtschaft in einer Rezession befindet oder große Unruhe am Arbeitsmarkt herrscht, fehlt es vielen Menschen an einer alternativen Beschäftigungsmöglichkeit und sie müssen in ihrem ausbeuterischen Arbeitsverhältnis ausharren, um ihre Familie zu ernähren und die Lebenshaltungskosten zu bestreiten.

 

Negativbeispiel France Télécom: 35 Mitarbeiter nahmen sich das Leben

Man sollte eigentlich meinen, dass Unternehmen motiviert sind, angesichts der zunehmend schlechteren Bedingungen am Arbeitsmarkt ihre Attraktivität zu steigern. Doch weit gefehlt: »Unfreundliche« Führungsansätze scheinen tatsächlich häufiger geworden zu sein. Laut einer Studie der Durham University liegt das daran, dass Vorgesetzte sich weniger Gedanken um die Mitarbeiterbindung machen. Das zieht schlimme Kreise. Als trauriges Beispiel nennt die Studie einen Vorfall, der sich zwischen 2008 und 2009 bei der France Télécom ereignet hat. »In dem Versuch, Kosten zu senken und das Unternehmen zu verschlanken, haben Führungskräfte des Unternehmens ihren Mitarbeitern systematisch psychische Gewalt angetan. Das führte dazu, dass sich 35 Mitarbeiter zwischen 2008 und 2009 das Leben nahmen.«

 

In der Studie heißt es aber auch weiter: »Als die Öffentlichkeit auf dieses Problem aufmerksam wurde, organisierte sie sich und unterstützte die Opfer, und die Verantwortlichen wurden wegen ›institutioneller Belästigung‹ und der Schaffung eines Arbeitsumfeldes, in dem Mobbing alltäglich war, zu Haft- und Geldstrafen verurteilt.« André Spicer, Professor für Organisationsverhalten an der Bayes Business School der City University of London, glaubt, dass wir den Gipfel der »schlechten Chefs« wahrscheinlich – und Gott sei Dank – erreicht haben. Er spricht vom Elon-Musk-Effekt und geht davon aus, dass die Tage des schlechten Chefs gezählt sind.

 

(Foto: PR/Gabal Verlag)

Oona Horx Strathen: „Kindness Economy. Das neue Wirtschaftswunder“ – 224 Seiten, 32,99 Euro, Gabal Verlag Kindness Economy – Oona Horx Strathern, E-Book (PDF) – GABAL Verlag (gabal-verlag.de)

 

 

 

 

 

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