Buchauszug Elly Oldenbourg: „Workshift. Warum wir heute anders arbeiten müssen, um unser Morgen zu retten“

Buchauszug Elly Oldenbourg: „Workshift. Warum wir heute anders arbeiten müssen, um unser Morgen zu retten“

 

Elly Oldenbourg (Foto: PR/Campus/Bettina Theuerkauf)

 

Was Unternehmen bremst: Busyness

Unternehmen denken mit dem Taschenrechner: Hier haben wir die Fixkosten pro Personenstunde, da haben wir die Produktivität je Team, wie lässt sich der Gewinn maximieren? Gewerkschaften denken umgekehrt, aber genauso mit dem Taschenrechner: Hier haben wir das Gehalt pro Personenstunde, da haben wir die geforderte Produktivität, wie lässt sich der Verdienst maximieren oder die Produktivitätsforderung drücken? »Es ist auf der tarifpolitischen Ebene die gleiche falsche Logik wie im Unternehmen selbst: quantitative Nutzenmaximierung«, schreibt Topmanagerin, Autorin und Vorstandsvorsitzende von »Charta der Vielfalt« Ana-Cristina Grohnert in ihrem Buch Das verborgene Kapital. »Dieser diametrale Gegensatz ist gar nicht auflösbar, deshalb ist er so schädlich.« Wer nur mit dem Taschenrechner denkt, der sieht Arbeit nur als Quantität – aber nicht ihre Qualität.

Und das führt zu absurden Auswüchsen.

 

Performance-Party kills Productivity

Viele Unternehmen sind überraschend unproduktiv. Der Grund dafür ist, dass trotz der hohen Erwerbstätigenquote Unternehmen oft nicht die richtigen oder nicht genügend Mitarbeitende finden, um die jetzt anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Zudem tun sie sich in der Allokation von Arbeitsaufträgen oft schwer, es wird irgendwie verteilt, auch wenn Qualifikationen, Kompetenzen und Erfahrungen nicht wirklich passen. So bleibt Arbeit liegen, die Produktivität pro Kopf sinkt. In der Sprache der Volkswirtschaftslehre heißt das: Die Wirtschaftsleistung bricht ein. Deutschland steckt in der Rezession.

 

Aus betriebswirtschaftlicher und aus psychologischer Sicht steckt noch ein anderer Grund hinter der schlechten Rentabilität von Unternehmen – nicht nur in Deutschland: Busyness. (Mit »y«. Gemeint ist busy sein im Sinne oft hirnloser Geschäftigkeit). In vielen Unternehmenskulturen ist etwas zur Gewohnheit geworden, dass man als permanente Performance-Party bezeichnen könnte. Menschen laufen hektisch herum, führen Unmengen von Gesprächen, schicken sich gegenseitig tonnenweise Daten, produzieren tausende von Charts, Listen und Präsentationen. Sie (und damit meine ich ganz selbstkritisch auch ganz oft mich) fühlen sich gut, weil sie busy sind – und halten das fü Produktivität. Ist es oft nicht. Trotzdem wird die Performance-Party zur Gewohnheit. Und zur Grundlage von Leistungsmessung, Honorierung und Beförderung: Wer zeigt, wie viel er zu tun hat und wie viel er tut, gilt als Superperformer. Doch die Fähigkeit, in einer Organisation zu performen, ist nicht das Gleiche wie fachliche Kreativität oder tragfähige Innovation.

Die Wirtschaftswissenschaftler Blake Ashforth und Yitzhak Fried haben schon 1988 in ihrer viel beachteten Studie »The Mindlessness of Organizational Behaviors« gezeigt, dass vieles, was in Unternehmen für Arbeit gehalten wird, vor allem »Skripte« sind. Routinen, die sich zunächst bewährt, dann aber durch Gewohnheit festgesetzt haben und sich auch dann noch erhalten, wenn sie nicht mehr sinnvoll sind, oder sogar zu falschen Entscheidungen führen. Das gilt bis heute, schreibt Prof.Adam Waytz von der Kellogg School of Management der Northwestern University: »Tatsächlich ist vieles von dem, was Manager für Wissen und Kultur des Unternehmens halten, eigentlich nur schlechte Gewohnheit.« Für Unternehmen ist das teuer. Nicht nur, weil Mindlessness die Produktivität drückt. Sondern auch, weil im Autopiloten rasende Mitarbeitende schneller ausbrennen. Ein Ausweg aus diesem Irrsinn ist ein anderer Blick auf den time/money-Komplex. Warum honorieren wir Busyness, wenn wir auch echte Ergebnisse honorieren könnten?

 

Das dreht den Fokus aller Beteiligten um: Statt möglichst sichtbar möglichst viele Arbeitsstunden lang zu »performen«, geht es darum, möglichst effizient – das heißt in der Praxis: zeitlich flexibel! – zu den gewünschten Arbeitsergebnissen zu kommen. Wie hängen Flexibilität und Produktivität zusammen? Es gibt mehrere Studien, die die Produktivitätssteigerung durch flexible Arbeitszeiten bestätigen. Laut einer Studie der IESE Business School ist ein Anstieg des Anteil der Teilzeitbeschäftigten um 10 Prozentpunkte mit einem Anstieg der Bruttowertschöpfung pro Arbeitsstunde um 2 Prozent verbunden – das ist mehr als das Doppelte des durchschnittlichen jährlichen Produktivitätsanstiegs von 0,9 Prozent, der nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in den letzten zehn Jahren in der EU zu verzeichnen war.

 

Flexible Arbeitszeiten ermöglichen es den Mitarbeitenden, ihre Arbeitsprozesse nicht an überholte »Skripte« anzupassen, sondern sich auf das zu konzentrieren, was am effizientesten zum gewünschten Ergebnis führt. Wenn das Ergebnis stimmt, sitzt niemand mehr in unproduktiven Meetings. Statt sinnlos Zeit totzuschlagen (Meine Autokorrektur machte daraus »totzuschlafen«. Passt.), wird aktiv nach Techniken gesucht, die eigene Produktivität zu steigern: sinnlose Meetings verlassen, mehr delegieren, überhaupt mehr (Teil-)Projekte loslassen oder andere damit betrauen, aktiv nach Synergien mit Kolleg:innen zu suchen, anstatt krampfhaft zu versuchen, aus Gründen der Busyness oder Sichtbarkeit alles selbst zu stemmen. Das, und eine erhöhte Zeitautonomie, führen zu mehr Zufriedenheit und zu mehr Möglichkeiten für Menschen mit privaten Care-Verpflichtungen, überhaupt zu arbeiten.

Das macht Unternehmen erfolgreicher. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche und des Beratungsunternehmens Roland Berger lassen sich die Renditen von familienfreundlichen Investitionen auf bis zu 40 Prozent erhöhen, etwa durch Teilzeitmodelle, Kinderbetreuung, Homeoffice, Pflegeunterstützung und Beratung. Diese Maßnahmen führen zu weniger Fehltagen und kürzeren familienbedingten Auszeiten vor allem bei Müttern – und damit erreichen Unternehmen Renditen von bis zu 25 Prozent. Das ist kein Wunder, wenn man den Arbeitsmarkt anschaut.

 

 

Elly Oldenbourg: „Workshift. Warum wir heute anders arbeiten müssen, um unser Morgen zu retten“ 239 Seiten, 30 Euro, Campus Verlag https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/business/management-unternehmensfuehrung/workshift-17945.html

 

Warum flexibles Arbeiten Unternehmen produktiver macht

Der Arbeitsmarkt ist leer. Laut dem IW Köln gab es im Jahresdurchschnitt 2022 rund 1 339 000 offene Stellen, aber nur 968 000 Menschen auf Jobsuche. Differenz: 371 000. Fragt man genauer nach der gewünschten Qualifikation – eine IT-Expertin ist keine Bauingenieurin –, ließen sich 630 000 Stellen nicht besetzen, weil es die Kompetenzen, die Unternehmen suchen, auf dem Arbeitsmarkt leider nicht gab. In Summe fehlten so viele qualifizierte Menschen, wie in ganz Stuttgart wohnen.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Aus der »stillen Reserve« – was nach Reservisten klingt, wie beim Militär. Als solche gelten vor allem Frauen, die aus volkswirtschaftlicher Sicht dringend »mobilisiert« werden müssten. Das Beratungsunternehmen Prognos hat in einer Szenario-Rechnung ermittelt, dass das Potenzial dieser Gruppe etwa 840 000 (!) Personen umfasst. Außerdem: 2,5 Millionen erwerbstätige Mütter, die noch ein Kind unter 18 Jahren haben, arbeiten weniger als 28 Stunden pro Woche. Wenn alle ihre Wochenarbeitszeit um eine Stunde erhöhten, entspräche das rein rechnerisch 71 000 Vollzeitstellen à 36 Stunden. Hier eine weitere Rechnung: Laut einer KfW-Analyse ist die Erwerbsquote von Frauen von 1991 bis 2019 von 62 auf 74 Prozent gestiegen. Die Erwerbsquote der Männer stagnierte gleichzeitig bei etwa 83 Prozent. Heißt in Summe: Die durchschnittliche Arbeitszeit ist gesunken. Was folgt daraus? Dass zu viel Teilzeitarbeit schuld an der schnarchigen Produktivität in Deutschland ist?

Ich sehe es haargenau umgekehrt: Könnte nicht mehr Teilzeit auf qualifizierten Positionen dazu führen, dass weniger Frauen und Männer in der »stillen Reserve« versacken, weil sie keine adäquaten Jobs finden, für die sie genug Zeit haben? Könnte nicht mehr Teilzeit dazu führen, dass mehr Frauen und mehr Männer produktiver arbeiten? Zahlreiche Studien belegen, dass Teilzeitarbeit zu hohen Produktivitätssteigerungen führt. Und auch Prognos empfiehlt: »Unternehmen sollten den politischen Rahmen zielführend nutzen und die Vereinbarkeit im betrieblichen Alltag ermöglichen.« Das ist vor allem in Deutschland dringend notwendig.

 

Wer sich hierzulande die Zustände in den Kinderkrippen, Kitas und Ganztagsschulen anschaut, sieht sehr schnell ein: Deutschland hat ein derartig gravierendes Care-Problem, dass die Flexibilisierung der Arbeitszeiten wichtige, vielleicht sogar die wichtigsten Hebel sind, mehr Fach- und Führungskräften den persönlichen Spielraum zurückzugeben, um mehr oder überhaupt wieder zu arbeiten. Das Care-Problem dieses Landes wird regelmäßig haargenau vermessen: Es heißt Gender-Care-Gap. Gemeint ist die Differenz zwischen den Stunden, die Frauen im Unterschied zu Männern jeden Tag für unbezahlte Sorgearbeit aufbringen. In Deutschland liegt der Gender-Care-Gap bei 52,4 Prozent. Das heißt zum Beispiel: Die Frau kümmert sich drei Stunden täglich um Kinder, Haushalt, Garten, Nachbarn, Ehrenamt – der Mann nur zwei. (Mehr zu diesem und zu weiteren Gender-Gaps im Kapitel »Wirkungsfeld: Vielfalt«.)

Ob ein Paar das für sich als ungerecht definiert oder nicht, hängt zusammen mit dessen Vorstellung von Gerechtigkeit: Geben beide die genau gleiche Zeit? Oder geben beide das, was sie geben können oder möchten? Oder erledigt der eine die Sorge- und Hausarbeit derartig geräuschlos, dass die andere von ihrer Existenz gar nichts ahnt, und das ist okay für beide? Man könnte darauf antworten: »Pech! Partnerschaft, Kind, Hund und Co. sind individuelle Entscheidungen. Jede Magie hat ihren Preis!«

Nur: Das wäre zu kurz gedacht. Denn: Die zu allermeist entscheidenden Momente in Karrieren und die Familiengründung finden gleichzeitig statt. Und wer in dieser Zeit jede Menge zusätzliche Stunden unbezahlt zu Hause arbeitet, über mehrere Jahre, ist entweder im Burnout, weil er alles gleichzeitig versucht hat (deshalb gehen so viele Frauen in Teilzeit!), oder für den ist der Karrierezug abgefahren. Der Gender-Care-Gap ist nicht nur unfair innerhalb der Familien. Es ist auch teuer für die Firmen – es ist der Grund dafür, dass im Laufe der Jahre sehr viele, sehr talentierte Frauen einfach verschwinden. Ein Phänomen, das Scientific American einmal sehr passend als »Genius Drain« bezeichnet hat.

Der aktuelle Mangel an qualifizierten Mitarbeiterinnen bezieht sich auch auf die Führungsebenen – und auch hier ist er ein Stück weit hausgemacht. Denn die meisten Teilzeitkräfte machen keine Karriere. Sie steigen nicht auf, nicht als Fachkraft, auch nicht als Führungskraft. Sie steigen sogar ab. »Teilzeit passt aus Sicht vieler Unternehmen nicht zu höherwertigen, spezialisierten oder verantwortungsvollen Tätigkeiten«, stellt Eric Thode, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung, fest. »Es gibt Anzeichen dafür, dass Führungspositionen sowie Spezialistentätigkeiten seltener in Teilzeit ausgeschrieben werden.« Je größer Deutschlands Unternehmen sind, desto häufiger arbeiten sie oben ohne – also fast oder ganz ohne weibliche Führungskräfte.

Im Jahr 2020 lag der Anteil von Frauen an der Spitze privatwirtschaftlicher Unternehmen bei mageren 27 Prozent. Das war im Vergleich zu 2018 ein Zuwachs von der nicht sehr beeindruckenden Prozentzahl: 1.71 Immerhin liegt der Anteil der Frauen auf der zweiten Führungsebene mittlerweile bei 40 Prozent. Leider stagniert er dort seit 2016. Weil der Anteil der weiblichen Führungskräfte im öffentlichen Dienst höher ist, kommt die Destatis-Arbeitskräfteerhebung für 2021 auf eine etwas höhere Zahl: 29,2 Prozent. Immerhin. Nur zur Erinnerung, ich argumentiere hier nicht ethisch, nicht aktivistisch, nicht feministisch. Sondern rein unternehmerisch: Auf einem leer gefegten Fachkräftemarkt mit geringer Produktivität, auf dem mehr »Bock auf Arbeit« gefordert wird, gelten als lowest hanging fruit: Frauen. Irrtum!

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Weil Frauen stärker mit Sorgearbeit belastet sind, und weil sie heute im Mittel gut (oft sogar besser) ausgebildet sind als ihre männlichen Kollegen, suchen sie sich die Früchte, die sie pflücken, sehr genau aus – und lehnen bei nicht zu stemmenden Rahmenbedingungen eben ab. Oder, wie es Robert Franken, der Organisationsberater und Botschafter von HeforShe Deutschland, einmal in einem Vortrag auf den Punkt gebracht hat: Unternehmen beschweren sich, dass sie ja jeder Menge Frauen tolle Jobs auf dem Silbertablett anbieten würden, und sie reihenweise Absagen bekämen. Auf die Idee, sich das Silbertablett anzusehen, kommt aber keiner. Täten sie dies, so würden sie schnell erkennen, dass die angebotenen Jobs zumeist nicht einmal annähernd das Thema Vereinbarkeit adressieren.

Dass Frauen auf der Karriereleiter irgendwo in der Mitte hängen bleiben, dass sie in Auswahlverfahren ungesehen aussortiert werden und keinen Zugang zu karriererelevanten Netzwerken finden, ist hierzulande seit vielen Jahren festbetonierte Realität. Dafür ist nicht nur der Gender-Care-Gap verantwortlich. Der Leaderhip-Gap – die Tatsache, dass Frauen eben kaum oder gar nicht auf dem Chefsesseln sitzen – zielt direkt auf den Faktor »Frau«. Wäre es nicht so, säßen überall kinderlose Frauen auf Führungsposten. Doch da sitzen sie nicht. Und sie sitzen da auch trotz des Fachkräftemangel-Gejammers der Unternehmen nicht.

Wie groß muss der Mangel an Fach- und Führungskräften eigentlich noch werden, bis Deutschland Care-Systeme aufgebaut hat, die diesen Namen verdienen? Bis die lange bekannten Fehlanreize in Steuer- und Versicherungs- und Minijobsystemen ausgemerzt sind? Doch das sind politische Forderungen. Was können Unternehmen tun?

 

 

 

 

 

 

 

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