Ein Teller Hähnchenbrust mit dem britischen Generalkonsul Nick Russell, der im Rheinland Spaghettieis entdeckte und ein Vorbild für deutsche Unternehmen ist

Manchmal stockt einem bei einem Recherchetermin der Atem. Die Presse-Einladung zu einem Austausch mit Nick Russell, dem neuen Britischen Generalkonsul des Vereinigten Königreichs und Nordirland im Düsseldorfer Industrieclub war es so. Er stellte sich nicht nur mit den Worten vor, dass er seit 2013 für die britische Regierung an Digitalthemen arbeitete. Sondern dass er behindert ist und seit dem 19. Lebensjahr eine neurologische Erkrankung hat, eine sehr seltene Form Multipler Sklerose. Zeitweise Koordinationsstörungen sind die Folge. Und dass er sich so fühlt wie jemand mit drei Bier intus und auf einem kleinen Boot auf unruhiger See. Immer. Wenn auch nicht immer gleich konstant, mal sei es schlechter, mal besser. Manchmal hat er deshalb einen Stock dabei. Aber er würde gerne alle Fragen zu seiner Behinderung beantworten. Die sei für ihn eine Herausforderung.

 

 

Nick Russel (Foto: C.Tödtmann)

 

Nur Wolfgang Schäuble ist als behinderter Politiker visibel – Manager nicht

Ich kann mich an keine vergleichbare Situation in meinem Job erinnern. Mir fällt vor allem kein einziger Name eines Vorstands oder angestellten Managers eines Unternehmens mit einer erkennbaren Behinderung ein. Einer der vielen Dax-Vorstände? Ich wüsste keinen. In der Politik ist es zumindest Wolfgang Schäuble, der seit seiner Verletzung im Rollstuhl sitzt und weiter arbeitet. In Nachrichtensendungen fällt lediglich ab und zu eine Behinderte auf: die blinde Sprecherin eines Verbands (VDK) auf, die von ihrem Arbeitgeber an die Front geschickt wird: Verena Bentele. Aber mehr? Fehlanzeige.

Hut ab vor der britischen Regierung, so sehr zu ihrem gehandicapten Diplomaten zu stehen – und ihn vom Schreibtisch in London raus in die Welt als Repräsentanten des Landes zu schicken. Auch Hut ab vor Nick Russells Haltung, seinem Mut und seinen täglichen Anstrengungen.

Und DeutschIand? Ich fürchte, über all die Frauenförderungsbestrebungen sind Behinderte, als förderungsbedürftige Gruppe völlig untergegangen. Im Gegenteil: Im Unternehmensalltag passieren ihnen die schrägsten Dinge und sie erleben die seltsamsten Berührungsängste. Beispiel gefällig? Auch die eigenen Vorgesetzten tun so, als gebe es die Handicaps gar nicht. Viel zu peinlich. Rücksichtnahme? Fehlanzeige. Den Betroffenen einfach mal ansprechen, wie es ihm so geht? Bloß nicht.

Wenn Behinderte wahrgenommen werden, dann wird es drollig: Kaum muss der Schwerbehindertenausweis verlängert werden, der eine Ausweis ist abgelaufen und der neue Ausweis ist noch nicht von der Behörde erstellt, diskutiert die ganze Personalabteilung: Dass doch von den fünf zusätzlichen Urlaubstagen für Behinderte nun ein Abzug für diese Lücke erfolgen müsste. So, als ob der Behinderte in genau den Wochen nicht mehr gehandicapt und fit wie ein Gesunder wäre. Obwohl er nichts kann für das Tempo der Behörde. So, als wenn er in dieser Zwischenzeit spontan geheilt wäre. Kein Witz, deutsche Bürokratie, die mal nicht von den Behörden ausgeht, sondern aus dem Arbeitgeberlager kommt.

Zumal eins feststeht: die meisten Behinderten werden ja nicht mal so geboren, sondern werden erst im Laufe ihres Berufslebens zu Behinderten.

Doch zurück zu Nick Russell, der in Düsseldorf mit Frau und zwei Töchtern angelandet ist. Als habe er nicht genug Herausforderungen, so hat sich der Brite vorgenommen, NRW zu Fuß zu durchqueren. In 60 Tagen will er im nächsten Jahr die Strecke von der niederländischen Grenze bis zur hessischen Landesgrenze bewältigen. Um NRW und die Menschen kennen zu lernen. Und er sagt, dass er sich über Mitwanderer freut – auch tageweise. Journalisten sind da ebenso willkommen wie Landespolitiker, Kollegen oder Geschäftsführer von Unternehmen, die ihm schon zugesagt hätten. Um sich vorzubereiten, hat er schon ml einen Crosstrainer gekauft, „zum Üben“.

Die NRW-Tour sei im übrigen viel kürzer als seine große Wanderung vor zwölf Jahren durch die USA, als er mit seiner Frau zu Fuß bis San Diego in Kalifornien lief. 5.000 Kilometer waren es damals. Die dauerten sechs Monate, sein Arbeitgeber gewährte im dafür ein Sabbatical.

 

 

 

Altbier und Spaghetti-Eis

Ob er sich denn als Brite im Rheinland eingelebt habe? Oh ja, findet Russell die Rheinländer doch den Briten recht ähnlich. Zum Beispiel bei ihren trockenen Witzen, „die nicht sofort klar sind“. Er mag das Altbier – mehr als Kölsch – und hat für sich in Düsseldorf etwas entdeckt, was es in Großbritannien nicht gibt: Spaghetti-Eis.

Daran, dass hierzulande die Geschäft Sonntags nicht geöffnet sind, daran muss er sich noch gewöhnen, sagt Russell. Aber selbst dem gewinnt er etwas Positives ab: Es gehe dann viel ruhiger zu.

Der beste Teil seines Jobs sei sowieso: Die Menschen vor Ort zu verstehen. Und dazu hat Russell in Düsseldorf vier Jahre Zeit. Karneval zum Beispiel ist für ihn noch ein Mysterium. Sein Vorgänger gelang die Akklimatisierung im Rheinland gut: Rafe Courage wurde nicht nur Mitglied im Karnevalsverein, sondern postete seine Kostüme auf Twitter.

Nick Russell auf Twitter: @NickRussellUK

 

 

 

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