Buchauszug Michael Käfer: „Der geliehene Freund. Mein Leben als Gastgeber“

Buchauszug Michael Käfer: „Der geliehene Freund. Mein Leben als Gastgeber“

 

 

Krisenstimmung bei Gunter Sachs

Er (Gerd Käfer, Anm.der Red.) war ein durch und durch fleißiger Mann. Immer am Arbeiten. Immer am Überlegen, womit er den Geschmack seiner Kunden treffen konnte.

Die Stimmung in Deutschland veränderte sich langsam. Das Bedürfnis nach mehr Lebensfreude und Genuss wuchs, vor allem bei denjenigen, die Deutschland wieder mit aufgebaut hatten – und Tag und Nacht für ihre Firmen und deren Aufstieg schufteten.

Deutschland wurde, in diesen Jahren, stimmungstechnisch gesehen bunter. Die Farbe kehrte zurück. Das Leben wurde leichter. Und die Macher wollten sich dafür auch feiern. Zeit und Lust, diese Partys und Events zu organisieren, hatte allerdings niemand.

Mein Vater verstand es, wie er mit »Dienen« oder Dienstleistung Geld verdienen konnte. Und er brachte den Deutschen das Feiern bei.

Seine Feste waren nicht bloße Partys. Es waren kleine oder große Inszenierungen. Geplant wie Opern, inklusive Ouvertüre, Zwischenspiel, Arie und dem letzten Akt.

Für den 60. Geburtstag von Friedrich Karl Flick, einer der schillerndsten Figuren der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte, engagierte mein Vater achtzig Wiener Geiger und – 100 – zusätzlich noch weitere fünf Bands, weil Flick Abwechslung gefordert hatte. Für Max Grundig organisierte er ein kleines Oktoberfest. Bei einer Jubiläumsfeier für den Münchner Automobilhandel MAHAG ließ er die männlichen Gäste in Overalls erscheinen, statt Blumenarrangements lagen Hämmer, Schrauben, Zangen und Ersatzteile von VW und Porsche auf den Tischen. Für einen Flugzeughersteller ließ er eine Bar in einem Heißluftballon aufbauen und kreierte als Tischdekoration Miniatur-Landebahnen samt Schokoladenflugzeugen.

Jedes Event war maßgeschneidert, jedes Fest eine Traumwelt, wie man es zu dieser Zeit noch nicht erlebt hatte.

Mein Vater organisierte nicht nur, er zelebrierte geradezu – ein Künstler, der immer wieder etwas Einzigartiges schuf.

Für Events, für die zusätzliche Toiletten benötigt wurden, ließ er einen Luxus-WC-Wagen bauen. Mit Messingklinken und Deckeln aus Teakholz, so wie er es mal in London bei einem englischen Lord gesehen hatte. Direkt nach dem Geschäft bekam man von einem Toilettendiener, der mit Smoking und weißen Handschuhen ausgestattet war, ein Glas eisgekühlten Champagner serviert.

Im Sinne der Inszenierung hat er einmal sogar seine Auftraggeber Gunter Sachs und dessen Bruder Ernst Wilhelm sowie alle 300 geladenen Gäste reingelegt. Den Sachs-Brüdern war das Event in einer Scheune neben ihrem Anwesen bei Oberaudorf extrem wichtig. Sie wollten wie immer ein perfektes Fest. Doch als sie kurz vor Veranstaltungsbeginn die Location betraten, war nichts hergerichtet. Nur ein paar Mitglieder der örtlichen Blaskapelle standen planlos herum und wussten nicht, wo sie sich und ihre Instrumente in der leeren Scheune platzieren sollten.

Plötzlich tauchte mein Vater hinter ihnen auf, scheinbar verstimmt und mit gespielt schlechtem Gewissen, und nuschelte etwas von einem kleinen Problem und einem Riesenstau. »Der Lkw-Fahrer hat mich angerufen. Er steckt in einer Blechlawine fest. Da geht gar nichts mehr. Ich weiß im Moment gar nicht, was wir tun können.«

Bestimmt zwanzig große Feiern hatten die Brüder Sachs bereits von meinem Vater ausrichten lassen. Sie bezahlten gutes Geld für hohe Qualität und Zuverlässigkeit. Dass er sie nun so hängen ließ und auch noch so ratlos auftrat, war für sie nicht zu akzeptieren.

»Du Idiot, du Blöder«, brach es aus ihnen heraus. »Wenn du es richtig organisiert hättest, wäre das Essen schon längst da. Das kommt davon, wenn man alles auf den letzten Drücker macht.« Sie wurden richtig laut.

»Wie stellst du dir das denn jetzt vor, Gerd? Wir stehen hier mit 300 Gästen in unserer leeren Scheune. Und außer einer hässlichen Girlande ist nichts da.«

Statt alles aufzulösen, trieb mein Vater sein Spiel weiter. Er könne schnell, schlug er vor, ins Dorf fahren und ein paar Gläser mit Essiggurken und etwas Knäckebrot und Käse kaufen. Dazu ein paar gekochte Eier.

Die Gleichgültigkeit, mit der Papa seine Pseudo-Rettungsvorschläge präsentierte, trieb bei Gunter und Ernst Wilhelm den Puls erst recht in die Höhe.

»Auf einer Party von Sachs gibt es doch keine Essiggurken. Was bildest du dir eigentlich ein? Bist du verrückt geworden? Du bekommst keine Mark von uns.«

Selbst jetzt, als ihnen die Zornesröte im Gesicht stand, blieb mein Vater in seiner Rolle.

»Ich brauch euer Geld nicht. Ich will ja nur, dass eure Gäste trotz der Panne nicht hungern müssen.«

Nie wieder werde mein Vater, so verkündete Gunter Sachs, einen Auftrag von ihm erhalten. »Mit dir sind wir fertig. Auf Lebzeiten.«

Sie sollten wenigstens die Musik spielen lassen, riet mein Vater noch. Dann käme gleich eine bessere Stimmung auf. Und in Richtung der Trachtenkapelle, die sich in der ganzen Aufregung unbemerkt bereit gemacht hatte, rief er: »Kommt’s, spuit’s auf, Buam.«

Die taten wie ihnen befohlen und legten richtig los, während Ernst Wilhelm schrie: »Jetzt spinnt der Gerd komplett. Lässt die Blaskapelle spielen, wenn es nichts zu essen gibt.« Der Streit spitzte sich weiter zu. Weil mein Vater jetzt auch anfing, zurück zu schreien. Selbst von einem Gunter Sachs lasse er sich nicht so behandeln, polterte mein Vater zurück. »Ich heiße immerhin Käfer.«

Doch kurz bevor die Situation komplett eskalierte, drückte mein Vater einen Knopf, der eine hydraulische Hebebühne in Gang setzte. Die »Decke« der Scheune begann leicht zu erzittern, dann senkte sie sich plötzlich langsam ab.

Heimlich hatte mein Vater eine Art Podest bauen lassen, auf dem nun Köche und hübsche Bedienungen samt vorbereitetem Essen herunterschwebten, um die Gäste kulinarisch zu versorgen. Sofort war der Streit der letzten Minuten vergessen und es wurde, ohne dass jemand nachtragend war, bis in die frühen Morgenstunden gefeiert.

Auftraggeber wie Max Grundig, Gunter Sachs oder Friedrich Karl Flick hatten es allesamt über Spitzenleistung und ungeheures Engagement zu etwas gebracht. Wenn sie mal nicht arbeiteten, sondern ausgingen oder einluden, war für sie der zweitbeste Fisch nicht gut genug. Sie wollten immer die Besten sein und das Beste bekommen – auch von meinem Vater.

Am Anfang organisierte er Feiern für allenfalls ein paar hundert Leute. Bis er die Anfrage bekam, den Welt-Juristenkongress in Schloss Schleißheim mit rund 2500 Gästen zu übernehmen. Es gab vor Ort keine dafür geeignete Küche. Das vorhandene Personal reichte ebenso wenig wie die Gläser, das Geschirr und Besteck, das sein Unternehmen zu dem Zeitpunkt besaß. Trotzdem nahm mein Vater den Auftrag an, meisterte ihn, sodass er damit in neue Größenordnungen aufstieg.

 

Michael Käfer: „Der geliehene Freund“, Edel Books, 288 Seiten, 24,95 Euro Der geliehene Freund 📚 (edelbooks.com)

 

 

 

 

 

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