Buchauszug Martina Lackner: „Raus aus dem Regiment der Rollenzuschreibungen. Von weiblicher Ohnmacht zu machtvollen Lösungen in Karriere, Partnerschaft und Familie“

Buchauszug Martina Lackner: „Raus aus dem Regiment der Rollenzuschreibungen. Von weiblicher Ohnmacht zu machtvollen Lösungen in Karriere, Partnerschaft und Familie“

 

 

Martina Lackner (Foto: Privat)

 

Frauen und ihre Nebenschauplätze: Freundin, Mutter, Schwiegermutter und Netzwerkpartnerinnen

„Ohne Familie und Freunde fehlen einem die Flügel im Leben.“ Dieses Zitat stammt aus dem Bürgerdialog der UNESCO aus dem Jahr 2015. Die meisten Menschen in Deutschland leben nicht als Single, sondern in einer Partnerschaft. Die Ehe ist immer noch das Modell, das die heutige Jugend als Lebensform anstrebt. Sie wird als Sicherheitsnetz gegen die „feindliche“ Außenwelt verstanden. Doch das ist sie nicht. Wir bewegen uns hier vielfach im Bereich von Träumen und Wunschvorstellungen. Die Realitäten hingegen skizzieren ein anderes Bild von Ehe und Familie: Jede vierte Frau ist von häuslicher Gewalt betroffen.

 

Die psychischen Auffälligkeiten von Kindern haben während der Corona-Pandemie zugenommen, waren aber auch zuvor schon zunehmend. In der Regel haben die Auffälligkeiten von Kindern ihren Ursprung in der Familie – es sei denn, es handelt sich um genetisch bedingte Entwicklungsstörungen oder andere Krankheitsbilder. Die heile Familie gibt es nicht, weder in Deutschland noch andernorts.

 

Das Phänomen der weichen Gewalt

Hinter Auffälligkeiten wird oft physische oder sexualisierte Gewalt vermutet. Doch es gibt eine Grauzone, deren Gewalt getarnt daherkommt. In den nachfolgenden Kapiteln gehe ich im Unternehmenskontext auf das Phänomen der weichen Gewalt ein. Sie hat ihren Ursprung in der Herkunftsfamilie und nimmt von Geburt an ihren Verlauf bis ins Berufs- leben hinein. Weich deshalb, weil niemand physischen Schaden erleidet, die Aggressionen nicht gleich als Aggressionen erkannt werden oder oft als Geschenk, nach dem Motto: „ich meine es doch nur gut mit dir“, verpackt werden. Die Geschichte vom Trojanischen Pferd wäre ein passen- des Bild an dieser Stelle.

 

Dass Frauen keine Kraft, Energie und Lust auf Karriere haben, liegt auch daran, dass sie aus ihrem Umfeld imaginäre Stoppschilder bekommen – meist nett verpackt, aber hinter den offiziellen Botschaften sind es unausgesprochene Signale, auch in Form von Mimik und Gesten, die bei den Frauen Schuldgefühle hervorrufen. Die Ursprungsfamilie, Schwiegereltern oder Freundinnen spielen hier eine nicht zu unter- schätzende Rolle. Frauen verstehen diese Botschaften oft nicht wirklich, weil sie sie als gut gemeint interpretieren und den eigentlichen Sinn dahinter nicht begreifen.

 

„Kind, ich will doch nur das Beste für dich, du überarbeitest dich noch, wenn du deine Stelle aufstockst. Wie willst du zwei Kinder und deinen Job schaffen?“ Ein scheinbar nett gemeinter Einwand, aber die Wahrheit hinter solchen Aussagen ist eine andere. Oft stehen eigene Bedürfnisse diametral den Wünschen der Tochter oder Freundin entgegen. Eines der größten Tabus ist die Konkurrenz zwischen Mutter und Tochter. Während die Tochter anfängt zu blühen, mit Traumfigur und falten- frei sowie allen akademischen Möglichkeiten und potenziellen Arbeitgebern, die um topausgebildete Männer und Frauen kämpfen, verblüht die Mutter. Mit Falten, im Klimakterium, geschieden oder unglücklich in einer Partnerschaft verhaftet, fällt es manchen Müttern schwer, ihre Töch- ter positiv zu unterstützen. Es könnte ja der Fall eintreten, dass es den Töchtern tatsächlich besser geht als ihnen selbst.

 

Klingen die eingangs zitierten Sätze gewaltvoll? Nein, nicht wirklich, eher fürsorglich. Doch sie sind es nicht. In Abhängigkeit von Situation, Anlass, Tonfall und Körper- sprache verstecken sich hinter diesem Satz vor allem Eifersucht und Neid. Und möglicherweise sogar noch die Angst davor, dass sich die Tochter weder um die Kinder noch um die Mutter kümmert. Zum Bild der Rabenmutter gesellt sich also noch die undankbare Tochter, die lieber Karriere macht, als Altenfürsorge zu betreiben. Dieses Vorgehen des Umfelds bereitet Frauen ungeheure Schuldgefühle. Als Folge dessen steuern sie in eine berufliche Sackgasse, nämlich dem Karrierestopp durch Teil- zeitstelle oder/und den Verzicht auf eine Führungsposition.

 

Martina Lackner: „Raus aus dem Regiment der Rollenzuschreibungen. Von weiblicher Ohnmacht zu machtvollen Lösungen in Karriere, Partnerschaft und Familie“ – Springer Verlag, 24,99 Euro, 209 Seiten

 

Wer übrigens glaubt, Frauen seien immer ehrlich zueinander und würden sich gegenseitig bei Problemen unterstützen, sich beraten oder sich in Frauennetzwerken Jobs vermitteln, kann sich täuschen. Eifersucht und Missgunst herrschen auch hier – mit dem Unterschied, dass sich manche Frauen in Netzwerken hinter Rollen, in denen sie sich inszenieren, verstecken. Ehrliche und offene Kommunikation mit dem Ziel, sich gegen- seitig zu stützen, gibt es nur selten.

„Ich erlebe, dass sich das ändert. Der Anteil derer, die sich für ehrliche Kommunikation öffnen, wächst – vermutlich mit dem Alter und den Erfahrungen (Enttäuschungen), auch und gerade im Topmanagement. Wenn man dann einen geschützten Raum bereits etabliert hat, ist es einfach, ihn zu nutzen. Insofern bleibe ich beim Plädoyer für Netzwerke!“

Daniela Mündler, Gründerin und Geschäftsführerin.

Daraus folgt, dass der Karrierefeind nicht nur in den Unternehmen oder innerhalb der Paarbeziehung, sondern auch im familiären oder privaten Umfeld zu finden ist. Warum ist das so? Es geht auch zwischen den Frauen um die Durchsetzung eigener Interessen, zum Beispiel indem die Tochter eben nicht wirklich unterstützt oder die Netzwerkpartnerin im Stich gelassen wird, wenn diese einen Job sucht. Neben Eifersucht und Neid sind weitere Gründe ein Verteilungskampf um immer noch wenige Führungspositionen für Frauen oder aber die Identifikation mit dem männlichen Wertesystem.

Das eingangs erwähnte Großfamiliensystem wird nur funktionieren, wenn Frauen entweder das Glück haben, Menschen in ihrem Umfeld zu haben, die sie aktiv und wohlwollend unterstützen, oder sie müssen aktiv nach solchen Menschen suchen.

Frauen als verlängerter Arm des Patriarchats machen Frauen den Karriereweg oft noch schwerer, als er sein müsste. Sie solidarisieren sich nicht wirklich, auch wenn sie so tun, als ob dies der Fall wäre. Sie organisieren sich in Frauennetzwerken, unterstützen sich hier aber nicht aus- reichend.

„Ich wünsche mir Frauen, die sich füreinander und miteinander stark machen, lustvoll Pläne für ihr Weiterkommen aushecken und Strategien entwickeln, um Angriffe – sei es privat oder am Arbeitsplatz – klug und gewitzt zu parieren. Ganz im Sinne von: Eine für alle und alle für eine!

Doris Manthei, systemische Familientherapeutin und Business-Coach.

Womit wir zur These zurückkehren, dass Frauen vielfach nicht um ihre Macht wissen, auch nicht um die Macht im Kollektiv. Und wenn sie es wissen, haben sie Angst davor, sie zu nutzen. Warum? Weil sie mit der weichen gewalttätigen Reaktion eines Systems rechnen müssen: Spräche sich eine Frau im Unternehmen zum Beispiel offen gegen die Besetzung eines Vorstandsposten mit einem Mann aus oder würde sie erlebtes Mobbing durch Vorgesetzte offen brandmarken, wird sie unbequem – man würde mit weicher Gewalt versuchen, sie loszuwerden.

Nehmen wir nun an, Frauen schickten ihre Männer an den Herd und übernähmen die Unternehmensleitungen, würde das für Frauen bedeuten, aus der Komfortzone heraus und selbst an die „Front“ zu müssen. Und das ist mit Ängsten verbunden. Neben Versagensängsten und der Sorge, die Anforderungen des Jobs nicht mit den Bedürfnissen der Familie vereinbaren zu können, ist es auch die Angst, eigene Werte opfern zu müssen. Denn Führungspositionen bringen mit sich, nicht mehr Everybodys Darling sein zu können und heiße Eisen anfassen zu müssen: Es gilt, Klartext zu sprechen, harte Verhandlungen zu führen und mit- unter Leute zu entlassen. Doch Frauen haben in der Regel ein Harmoniebedürfnis, das als Kompensation für ein subtil gewalttätiges System wirkt. Aber ein Unternehmen lässt sich nicht nur mit Harmonie führen.

 

Wer machtvolle Positionen einnimmt, muss sich dazu bekennen, diese Macht für die Unternehmensziele einzusetzen – auch wenn das bedeutet, sich gelegentlich die Hände schmutzig zu machen. Damit gerät das eigene Selbstbild der Frauen ins Wanken, weil ihre Werte tangiert werden. Das Regiment der Rollenzuschreibungen ad acta zu legen, heißt auch, sich mit dem eigenen Wertekompass und den Werten des Unternehmens sowie den Divergenzen zum Wertesystem patriarchalisch geprägter Struk- turen auseinanderzusetzen und nach tragfähigen Lösungen zu suchen.

Um Rechte bei Unternehmensleitungen oder im privaten Umfeld einzufordern, bedarf es mutiger Frauen, die keine Angst haben, den Job zu verlieren, und vor allem keine Angst vor aggressivem Gegenwind. Und das geht am besten in der Gemeinschaft, in der Solidarität mit anderen Frauen.

 

Wo geht’s raus aus dem Regiment der Rollenzuschreibungen?

Wie also können Frauen sich aus der Angstspirale eines gewalttätigen Systems oder auch Partners lösen, vor allem vor dem Hintergrund weicher Gewalt? Bedeutet das: Raus aus der Anpassung und rein in die Aktion? Raus also aus dem Regiment der Rollenzuschreibungen?

„Werdet mutiger!“, ist eine schwache Antwort, weil Mut etwas ist, das antrainiert werden muss, wenn er genetisch nicht determiniert ist oder nicht in der Sozialisation entwickelt werden konnte.

Ich habe darauf zwei Antworten: Rechte lassen sich besser im Kollektiv, in der Gemeinschaft, durchsetzen und für die Durchsetzung braucht es geeignete Tools – Strategien, die Frauen im Moment der Gegenreaktion anwenden können. Mit anderen Worten: Sie brauchen einen Hand- werkskoffer fürs Handling der Rollenzuschreibungen.

Bleiben wir zunächst beim Kollektiv, auf den Handwerkskoffer gehe ich später ein. In Deutschland gibt es zahlreiche Frauennetzwerke – in den Unternehmen, auf Vereinsbasis, auf politischer und privater Ebene. Diese Netzwerke dienen zunächst zum Austausch, zur gegenseitigen Unterstützung oder als Job- und Geschäftsanbahnungsplattform.

„Statt den Status quo und alle Ungerechtigkeiten zu beweinen, sollte die gesammelte Aufmerksamkeit stattdessen lieber auf der persönlichen Ent- wicklung liegen. Es braucht ein gutes Selbstverständnis für die Teilhabe am wirtschaftlichen Leben und eine gegenseitige Unterstützung jenseits des Mangeldenkens (‚es kann mehr als nur eine (Frau) geben‘) liegen. Dann werden sich auch viel schneller Ergebnisse zeigen. Denn Energie folgt der Aufmerksamkeit, und die sollte immer auf der Lösung, dem Ziel, statt auf dem Problem liegen.“

Dr. Ursula Koehler, systemische Coachin und Expertin für Self- Empowerment.

Vielfach rutschen diese Netzwerke aber in eine andere Ecke ab: in die der Kaffeeplauderstunde, der Selbstinszenierungsbühne oder gar in kleine Kriegsschauplätze, jede gegen jede. Von einem Kollektiv kann man hier nicht unbedingt sprechen. Es ist eher ein Zusammenschluss von Frauen, die die Hoffnung hegen, sich gegenseitig zu sichern und Wohlbefinden zu generieren – und von Frauen, die das Wohlbefinden stören, weil sie andere Absichten haben. Es gibt auch Frauen, die mehr Nutzen aus den Netzwerken ziehen wollen, als sie selbst bereit sind zu geben. Sie nehmen alles und geben nichts. Oder Frauen, die im Auftrag von Unternehmen Frauennetzwerke betreuen, um das Thema Diversity auf die Fahnen des Unternehmens schreiben zu können. So kommt es zu Spannungen und Konflikten. Frauennetzwerke befassen sich mehr mit persönlichen Be- findlichkeiten und handeln Projekte sehr oberflächlich ab als mit tatsäch- lichen Aktionen, die ein gemeinsames Ziel haben sollten: jedes einzelne Mitglied dieser Gruppe zu mehr Status, Einkommen, Macht, Job oder Auftrag zu verhelfen. Diese Netzwerke verlieren ihr Ziel aus den Augen oder haben nicht wirklich ein Ziel.

 

„In unserer Wirtschaftswelt sind Männernetzwerke natürlich entstanden und Teil der Arbeitskultur. Frauennetzwerke haben so gesehen allergrößten Nach- holbedarf und Frauen müssen sich aufgrund der männlichen Dominanz in der Arbeitswelt eigens organisieren, um Netzwerke aufzubauen. Vermutlich leisten Frauennetzwerke heute auch noch nicht, was sich Frauen erhoffen, nämlich eine gleichberechtigte Teilhabe zu unterstützen, weil sie isoliert be- trachtet keine ausreichende Kraft entfalten können. Ein Grund ist die Komplexität der eigentlich notwendigen Veränderungsprozesse, einschließ- lich der Führungskultur und Ausrichtung der Unternehmen. Das spüren die Frauen auch in ihren Netzwerken und sind vielleicht auch mehr in der Ohn- macht als ihnen lieb ist, fühlen sich aber durch das Netzwerk immerhin von anderen Frauen gesehen und unterstützt, was sie stärkt.“

Michaela Kay, Beraterin und Board Member.

Frauen haben bis heute nicht bemerkt, dass sie im Kollektiv Unternehmen aushebeln könnten.

Haben Sie schon mal überlegt, was geschähe, wenn Frauen den Einkauf diverser Produkte boykottieren würden, deren Hersteller keine Frauen im Vorstand haben? Vor allem Unternehmen, deren Käufer-Zielgruppe Frauen sind? Sie wären bald insolvent. Anderes Szenario: Eine Gruppe von Abteilungsleiterinnen und Teamleitungen schließt sich zusammen, um mehr Frauen auf Führungsebene zu fordern. Glauben Sie, man kann eine Forderung von 100 Frauen im Unternehmen einfach überhören?

Ein solches Aufbegehren ist in Deutschland nicht vorstellbar, auch die Protestbewegung #metoo wäre hier nicht machbar. Weil hierzulande – und damit kehren wir zur weichen Gewalt in den Unternehmen zurück – die Vereinzelung von Frauen dem System dient, es ist so gewollt. Und Frauen tun sich schwer, im Kollektiv zu agieren, weil sie damit Tabuzonen betreten: raus aus der Anpassung und rein in die Macht. Unvorstellbar. Sie bleiben also brav und gehorsam.

Und dann beginnt ihr Karriereweg, nach den Stationen Herkunftsfamilie, Pubertät, Partnerwahl, gebildet und ambitioniert, keine Kinder oder schon Mutter. Und hier wird das nächste Trojanische Pferd gesattelt. Weil junge Frauen denken, die Unternehmenswelt warte auf sie. Faktisch richtig in Zeiten von Fachkräftemangel – allerdings nur bis zum mittleren Management, dann ist Schluss. Mit Ausnahme jener Frauen, die man aufgrund der Quote braucht oder die sich in den Unternehmen „durch- geboxt“ haben.

 

 

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