„Anonyme Briefe per Post an den Vorstand wird es weiter geben“ – Sechs Fragen an Karin Holloch von Transparency International zu den neuen Whistleblower-Regeln

Mit dem Schutz der Hinweisgeber ließ sich der Gesetzgeber lange Zeit, überfällig war er bereits seit 17. Dezember 2021. Nachdem Deutschland aber mit Strafzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe rechnen musste und pro Tag der Nichtumsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie 61.600 Euro Strafe angedroht bekam, ging es dann doch ganz flott. Laut „FAZ“ sollten bis 27. April schon mehr als 30 Millionen Strafe an Brüssel fällig sein. Die nächste Stufe wäre ein tägliches Zwangsgeld von über 240.000 Euro gewesen. Doch plötzlich war von der riesigen Angst der Unternehmen vor Missbrauch des neuen Gesetzes und massenhaft anonymen Anzeigen – so ulkigerweise das skurrile Argument – keine Rede mehr.  Complianceanwältin Karin Holloch von Transparency International hat Erfahrung mit anonymen Anzeigen und was für Meldungen so eintrudeln bei Hotlines – und Vorstandsbüros.

 

Karin Holloch (Foto: C.Tödtmann)

 

 

Frau Holloch, was sieht das Hinweisgeberschutzgesetz dann ab Mitte Juni für anonyme Hinweise vor, die ja so umstritten waren?

Karin Holloch: Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, interne Meldestellen für anonyme Meldungen einzurichten – allerdings ermuntert der Gesetzgeber die Unternehmen und Organisationen dazu mit den Worten „Die interne Meldestelle sollte auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten.“ Dieser scheinbare Widerspruch ist das Ergebnis der langen politischen Auseinandersetzung darum, den Hinweisgeberschutz für Unternehmen möglichst unbürokratisch zu halten.

 

Also können Unternehmen ihre Systeme so aufsetzen, dass gar keine anonymen Hinweise möglich sind?

Nach dem Hinweisgeberschutzgesetz ja. Allerdings könnten sich daraus Haftungsrisiken für den Vorstand beziehungsweise Geschäftsführer ergeben. Compliance-Programme ohne anonyme Meldemöglichkeiten sind deutlich ineffektiver. Es gibt Studien, nach denen bis zu 60 Prozent der Erstmeldungen anonym abgegeben werden. Die auf dem Markt verfügbaren technischen Meldesysteme beinhalten alle anonyme Meldemöglichkeiten – ohne Extrakosten. Die Aufklärung dieser anonymen Hinweise verursachen zwar zunächst Mehraufwand, dafür sind Vorstand und Geschäftsführung vor Haftungsrisiken geschützt und das Unternehmen erfüllt seine Legalitätspflicht, also die Pflicht Straftaten und Gesetzesverstöße im Geschäftsbetrieb zu verhindern.

 

Warum haben die Unternehmen so eine große Abneigung dagegen?

Das ist wirklich schwer zu verstehen. Wovor könnten Unternehmen Angst haben? Bewusste Falschmeldungen kommen in der Praxis kaum vor. Es ist auch keine Flut von Meldungen zu erwarten. Allerdings kann man anonyme Hinweisgeber nicht einschüchtern, kündigen oder sonst bedrohen. Leider kam aber genau das bis zum Inkrafttreten des Hinweisschutzgesetzes in zu vielen Fällen vor.

 

Die Angst vor Missbrauch der Hotlines erscheint doch lächerlich…

Ja. Alle Experten sind sich einig – der Missbrauch von Hinweismeldestellen, also die bewusste Falschmeldung, liegt in einem sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich. Studien gehen von zwischen zwei bis vier Prozent aus.

 

Haben Sie schon öfter gezielte Verleumdungen via Whistleblower-Hotlines erlebt?

Nein. Mir ist in den letzten 20 Jahren kein einziger Fall von Verleumdung untergekommen. Ich habe Meldungen gesehen, für die sich keine Beweise finden ließen oder die aus Motiven wie Rache erfolgten – trotzdem waren diese nie bewusst falsch. Natürlich kann es in Einzelfällen auch gezielte Verleumdungen geben, aber ich bin sehr überzeugt, dass dies die absolute Ausnahme ist.

 

Aber dann kann immer noch jemand, der es ernst meint und vielleicht Gutes im Schilde führt, einen anonymen Brief direkt per Post an den Vorstand schicken …und den muss der Vorstand – rein rechtlich – sowieso ernst nehmen und den Sachverhalt aufklären?

Ja. Die anonymen Briefe an den Vorstand werden nicht so schnell aussterben. Vor allem deshalb, weil die Diskussionen um den Gesetzentwurf und die Verunglimpfung von Hinweisgebern im politischen Diskurs zu Verunsicherung geführt haben. Vor dem neuen Gesetz gab es in Deutschland keinen nennenswerten Hinweisgeberschutz – und auch jetzt scheint es noch Misstrauen gegenüber Hinweisgebern zu geben. Ich hoffe sehr, dass die Unternehmen schon bald merken, dass es ihnen hilft, wenn durch Hinweisgeber Straftaten und Gesetzesverstöße schnell und kostensparend aufgeklärt werden können.

 

 

 

 

 

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