Warum immer mehr Männer #meetoo-Fälle melden und Unternehmen jetzt so sensibel mit dem Thema umgehen, erzählt Strafrechtlerin Simone Kämpfer von Freshfields im Interview

Strafrechtlerin Simone Kämpfer von Freshfields über das neue Interesse der Unternehmen an Aufklärung von #metoo-Fällen im eigenen Haus und ihre Sorge, dass sich Betroffene in ihrem Ärger auf Twitter Luft machen und damit zehntausende Menschen erreichen. Mal ganz abgesehen davon, dass obendrein das Hinweisgeberschutzgesetz bald die Zahlen von gemeldeten #meToo-Fällen hochtreiben wird.

 

Simone Kämpfer (Foto: Freshfields PR/ Jann Hoefer)

 

Frau Kämpfer, kommen Mandanten oder Unternehmen häufiger als noch vor einem Jahr wegen #metoo-Fällen zu Ihnen?

Kämpfer: Es ist definitiv ein steigendes Interesse an der Aufklärung und rechtlichen Beurteilung von #metoo-Fällen zu beobachten. Dieser Trend setzt sich in meiner Wahrnehmung unaufhaltsam fort.

 

Was sind typische Fallkonstellationen?

Ob es so etwas wie eine typische Fallkonstellation überhaupt gibt, würde ich kritisch sehen. Natürlich kommt es nicht selten vor, dass der – meist ältere – Chef insbesondere jüngere Mitarbeiterinnen belästigt. Die Sachverhalte sind aber sehr vielfältig und häufig deutlich komplexer: So kommt es auch vor, dass ein Kunde des betroffenen Unternehmens seine Machtposition genau kennt und etwa nach einem Geschäftsessen aufdringlich wird. Wer dies als Vorgesetzter der bedrängten Person wahrnimmt und nicht einschreitet, kann auch schnell selbst ein Problem haben.

Der Begriff #metoo ist ja nicht klar definiert. Sowohl das, was unter den Begriff fällt, als auch die Fallkonstellationen, mit denen Unternehmen zu uns kommen, unterliegen einem stetigen Wandel. So sind in letzter Zeit auch vermehrt Fälle aufgetaucht, in denen es um Mobbing oder Bossing – also Mobbing durch den Chef – geht. Wenn man diese Fälle dazuzählt, werden die Konstellationen natürlich auf einen Schlag deutlich vielfältiger.

 

Gehen Unternehmen mit Führungskräften oder Arbeitnehmern heute anders um als früher, wenn Anwürfe kommen?

Unternehmen reagieren deutlich sensibler auf Vorwürfe als noch vor zehn Jahren. Was früher teilweise weggelächelt oder marginalisiert wurde, führt heute häufiger zu einer Untersuchung. Konnte man früher gelegentlich noch beobachten, dass eine schützende Hand insbesondere über beschuldigte Führungskräfte gehalten wurde, ist es damit heute in den meisten Unternehmen vorbei.

Hintergrund sind auch die drohenden massiven Reputationsschäden, wenn ein Unternehmen auf entsprechende Vorwürfe nicht adäquat reagiert: Etwa, wenn ein Betroffener das Gefühl hat, sein Arbeitgeber verbrüdere sich mit der beschuldigten Person – dann kann es passieren, dass er seinem Ärger auf Twitter Luft macht und damit binnen weniger Stunden zehntausende Menschen erreicht.

 

Dann hat sich da offenbar Gravierendes geändert? Früher hieß es, Frauen meiden die Öffentlichkeit, erstatteten keine Strafanzeige – aus Scham und Angst vor Unterstellungen. Wie lauten heute die Anwürfe der Betroffenen? Wer erhebt sie typischerweise?

Auch hier gibt es eine enorme Bandbreite. Ich habe von Vorwürfen anzüglicher Bemerkungen über Verhalten wie Angrapschen oder dem Zeigen unangemessener Bilder bis hin zu Vorwürfen schwerer sexueller Gewalt alles gesehen. Die meisten Beschwerden kommen nach wie vor von betroffenen Frauen. Gerade in letzter Zeit beobachte ich allerdings zunehmend Meldungen von Männern. Interessanterweise geht es dann teilweise nicht um Fehlverhalten zum eigenen Nachteil, sondern um Fehlverhalten zum Nachteil anderer Personen, das sie beobachten.

 

Wie gehen die Fälle aus?

Die Fälle sind sehr vielseitig, und der Ausgang hängt von unzähligen Faktoren und Fragen ab: Was ist genau passiert? Was lässt sich überhaupt noch beweisen? Wie kooperativ verhalten sich die befragten Personen? Lässt sich ein – erhebliches – Fehlverhalten einer Person nachweisen, wird sich das Unternehmen im Regelfall von der Person trennen. In diesem Fall schließen sich häufig zivilrechtliche Streitigkeiten an – dabei kann es sowohl um Kündigungsschutz dieser Person als auch um Schadensersatz gehen.

 

… und was passiert firmenintern?

Auch wenn die Untersuchung zu keinem klaren Ergebnis kommt, gibt es nach meiner Erfahrung häufig personelle Umstrukturierungen. So eine Untersuchung hinterlässt fast immer Spuren im Unternehmen. Häufig ist es für einzelne Beteiligte dann besser, fortan getrennte Wege zu gehen.

 

Gibt es eine Häufung auch von umfangreicheren Complianceuntersuchungen wegen metoo-Fällen?

Definitiv. Immer häufiger geht es nur nicht nur um die Frage, ob dieses oder jenes Fehlverhalten stattgefunden hat. Unternehmen geht es heute fast noch mehr um die Erkenntnis, welche Strukturen derartige Vorfälle überhaupt möglich gemacht haben. In diesen Fällen untersuchen wir, ob es hinreichende Möglichkeiten zur Meldung von Fehlverhalten gab, ob es aus der Führungsebene positives oder negatives Vorbildverhalten gab, ob bei Fehlverhalten in der Vergangenheit weggeschaut wurde und ob interne Richtlinien angemessen umgesetzt wurden.

 

Was verändert sich? Welche  Auffälligkeiten sehen Sie?

Auffällig ist der Trend zur stärkeren unternehmensinternen Reglementierung von zwischenmenschlichem Verhalten. Immer mehr Unternehmen wollen Klarheit schaffen bei der Frage, was erlaubt ist und was nicht. Außerdem wünschen sich immer mehr Unternehmen Beratung bei der Frage, wie unternehmensintern mit Vorwürfen umgegangen werden sollte: Es geht dann etwa darum, wie Ansprechpartner für Betroffene zu schulen sind und worauf beim Erstkontakt mit Betroffenen zu achten ist.

 

Was erwarten Sie perspektivisch?

Interessant wird sein, wie sich das Hinweisgeberschutzgesetz  – es tritt voraussichtlich 2023 in Kraft – auf dieses Betätigungsfeld auswirken wird. Viele Unternehmen werden demnächst gesetzlich verpflichtet sein, Meldestellen für Hinweisgeber einzurichten und die Stichhaltigkeit von Vorwürfen zu prüfen. Ich erwarte, dass die Zahl von Meldungen – auch im #metoo-Kontext – dadurch noch einmal ansteigt. Das wird voraussichtlich auch zu mehr internen Untersuchungen in diesem Bereich führen.

 

 

 

 

 

 

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