Marketing: „Unternehmen, die nur grün tun, werden enttarnt werden“ – Gastbeitrag

Eine große Sinn-Revolution bescheinigen Zukunftsforscher Andreas Steinle vom Zukunftsinstitut Workshop und Chefstratege Oliver Heyden von der Kommunikationsagentur Pressrelations der Generation Z. Das sind die 12- bis 27-Jährigen, die in einer tiefen Identitäts- und Sinnkrise stecken, meinen die Gastautoren.

Das sei der Motor für einen positiven, kulturellen Umbruch, wie ihn zuletzt die 68-er Generation ausgelöst habe. Ihre Prognose: Die Generation Z wird zu einer Erneuerung von Gesellschaft und Wirtschaft führen. Unternehmen, die auf diese Entwicklung nicht schnell genug reagieren, würden zu den Verlierern gehören. Sie würden riskieren, dass ihnen die nicht nur die Mitarbeiter weglaufen, sondern die Kunden gleich noch mit. Dies ist das Ergebnis ihrer Medienanalyse von Pressrelations zusammen mit dem Zukunftsinstitut Workshop und Human Unlimited von Frank Dopheide im ersten Halbjahr 2022. Hier der Gastbeitrag:

 

Andreas Steinle (Foto: Privat)

Oliver Heyden (Foto: Privat)

 

Neues Zukunftsparadigma: Unternehmen, die nur grün tun, werden enttarnt

Die Generation Z verweigert sich Produkten, die nichts als Status- oder kurzfristigen Lustgewinn bieten.

Versuche von Unternehmen, über Werbekampagnen Umweltbewusstsein oder Toleranz zu vermitteln und die Welle zu reiten, enttarnt diese Generation sofort als Green- oder Pinkwashing. Im letzteren Fall, solidarisieren sich Unternehmen aus reinen Marketinggründen mit der LGBTQ-Bewegung (lesbisch, schwul, bisexuell und transgender).

Die Generation Z verlangt nach Veränderung, und zwar nach Taten statt nur Worten. Nach  Entwicklung statt Wachstum, kurz: um besser statt mehr, um echten zivilisatorischen Fortschritt. Der erfordert wiederum nichts Geringeres als die komplette Erneuerung sämtlicher bestehender Konzepte und Visionen hin zu mehr Ganzheitlichkeit. Die Generation Z ist im Begriff, vielen gängigen Wertvorstellungen den Rücken zu kehren und ein neues, ganzheitlich und nachhaltig orientiertes Zukunftsparadigma zu etablieren.

 

Generation Krise: Überproduktion für die Müllhalde

Was ist der Auslöser für diese Entwicklung? Die Generation Z ist durch die Erfahrung mit Krisen geprägt. Aktuell die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg. Wer die Medien verfolgt, fragt sich, ob er im Winter sein Billy-Regal verfeuern muss. Europa droht eine veritable Wirtschaftskrise.

Doch nüchtern betrachtet war die Welt schon vor Corona ziemlich kaputt. Die Bank of America hat für die Dekade der 2020er den treffenden Begriff des „Age of Peak“ geprägt. Der Peak, der Gipfel ist erreicht. Höher geht es nicht mehr. Das klingt abstrakt, wird jedoch schnell konkret. Ein Beispiel: Die globale Textilindustrie produziert jährlich 100 Milliarden Kleidungsstücke – für acht Milliarden Menschen auf dem Planeten. Wer zum Teufel soll das ganze Zeug tragen? Drei Viertel der produzierten Waren landet in kürzester Zeit auf Deponien oder wird verbrannt. Ist es angesichts dieser Zahlen sinnvoll, den Menschen einzureden, sie sollten noch mehr Klamotten kaufen?

 

Eindimensionale Wachstumslogik unter Druck: Lieber Besser statt Mehr

Egal in welche Industrie man guckt: Überall hat die Steigerungslogik des Immer Mehr zu bizarren Absurditäten geführt: Weltweit werden 17 Prozent der Lebensmittelproduktion weggeworfen. In Deutschland sogar fast ein Drittel. Die Autos werden größer und schneller, stehen aber zunehmend im Stau. Auch bei der Ausbeutung der fossilen Ressourcen ist der Gipfel erreicht. Noch mehr Kohle, Öl und Gas ist nicht nur geopolitisch gefährlich, sondern zerstört die Lebensgrundlagen auf dem Planeten. Wundern wir uns wirklich, wenn die jungen Leute zunehmend die Sinnfrage stellen? Ob es nun Purpose oder Sinn oder sonst wie heißt: Dahinter steht der  Wunsch, den Scherbenhaufen wieder zusammenzusetzen. Das erfordert in den meisten Industrien einen radikalen Kurswechsel: Vom Mehr zum Besser. Vom Wachstum zur Entwicklung.

 

Das ist keine Luxusdebatte, sondern Notwendigkeit – zum Überleben. Es ist daher kein Wunder, wenn Unternehmen zunehmend nicht nur über Wachstum, sondern über Resilienz, die Anpassungsfähigkeit, nachdenken. Langfristige Resilienz wiederum entsteht nur durch Geschäftsmodelle, die nicht weiter die Umwelt zerstören, Ungleichheit und Benachteiligung verstärken und montone, schlecht bezahlte Arbeitsplätze schaffen in einer Unternehmensorganisation mit straffer Hierarchie und einer Kultur,  die Mitarbeitenden außer Geld und Status nichts bietet.

 

Arbeitskräftemangel als Macht der Generation Z: Die Brandbeschleuniger 

Eine große Mehrheit der Generation Z versucht  – das zeigen weltweit mehrere großangelegte Studien – , solchen Arbeitgebern und auch deren Produkten aus dem Weg zu gehen. Stattdessen suchen sie nach Unternehmen und Produkten, die ohne all diese negativen Faktoren arbeiten und zudem Orientierung geben, indem sie Sinnsuche und Identitätsbildung unterstützen.

Wir glauben: Unternehmen, die das nicht tun, wird es morgen nicht mehr geben. Ihr Geschäftsmodell wird zerbröseln – auch, weil bald Niemand mehr bei ihnen arbeiten will. Der Arbeitnehmermangel ist kein vorübergehendes Phänomen – darüber sind sich die Forscher einig. Sie ist für Unternehmen eine neue Bedrohung. Erstmals sind ihre Geschäftsmodelle nicht mehr nur von vorne gefährdet, weil ihre Produkte die Kunden nicht mehr erreichen oder es Wettbewerber besser können. Sie sind auch von hinten gefährdet, wenn sie keine Mitarbeiter mehr finden. Zumal, wenn der Konkurrent, der umgedacht hat, Marktanteile hinzugewinnt, weil er ausreichend Mitarbeiter begeistern und halten kann. Wogegen andere Unternehmen infolge des Fachkräftemangels ihre Aufträge nicht mehr abarbeiten können.

Weil das der aktivistisch und ganzheitlich denkenden und handelnden Generation Z in die Hände spielt, werden sie zum Treiber dieser Transformation – und bei den Unternehmen, die stehen bleiben, zu Brandbeschleunigern.

 

Die Macht der Internetkultur: Wissensvorsprung, und das blitzschnell

Entscheidender Unterschied in der Wirkmacht der Generation Z zu den früheren  Generationen wie Generation Golf und Millennials ist ihr Status als Digital Natives, die mit dem Internet und Sozialen Netzwerken schon aufgewachsen sind. Das liefert denen eine permanente und umfassende Verbindung mit der ganzen Welt. So erfährt und wissen die jungen Leute der Generation Z viel mehr und viel schneller – und ist zugleich näher dran. Das gestaltet das Welterleben dieser Generation umfassender, ganzheitlicher, greifbarer, intensiver, emotionaler, aber auch chaotischer und unruhiger als das aller vorherigen Generationen.

Und das macht es ihnen viel schwerer als vorherigen Generationen, Probleme der Welt für ihren unmittelbaren Lustgewinn und Konsum einfach auszublenden, meinen wir.

Das zeigt sich vor allem in einer ihrer Internetkultur aus zahllosen Memes und Kurzvideos, deren kultureller und gesellschaftlicher Einfluss kaum zu überschätzen ist. Es manifestiert sich ebenso in einer neuen Form von Netzaktivismus, ohne den Bewegungen wie #metoo, Fridays for Future oder Black Lives Matter gar nicht denkbar wären. Dass Themen wie Gleichberechtigung, Feminismus, LGBTQ, vegane Ernährung und Diversity (Vielfalt) so stark ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt sind, hat vor allem der Einfluss der von der Generation Z geprägten Internetkultur verursacht.

 

Neue Orientierungslosigkeit ohne die Maxime: Auto, Haus, Festanstellung

Für die Generation Z selbst hat diese Zeitenwende, das permanente Eingebettet-sein in den Veränderungsstrom der Welt, auch Nachteile. Die unüberschaubare Menge an Möglichkeiten, Informationen, Meinungen, Trends undsoweiter macht die individuelle Identitätsbildung sehr schwer. Diese Identitätsfindung junger Leute war früher einfach: Ein Auto, ein Haus und ein fester Job bedeuteten Erfolg. Heute kreieren zahllose digital beschleunigte Mikrotrends, Feedbackschleifen und Filterblasen ein Überangebot, das die Orientierung schwer macht. Die Generation Z weiß zwar, was sie nicht will – aber nicht, was sie will. Dennoch drückt sie längst der Gesellschaft einen neuen, unverwechselbaren Stempel auf.

 

 

 

 

 

 

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