Buchauszug Arno Luik: „Schaden in der Oberleitung“. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“
Das Desaster der Deutsche Bahn ist kein Versehen. Es gibt Täter. Sie sitzen in Berlin. In der Bundesregierung, im Bundestag. Und seit Jahren im Tower der Deutschen Bahn. Kritik an der Deutschen Bahn bleibt oft stehen bei lustigen Englischfehlern, falschen Wagenreihungen oder ausfallenden Klimaanlagen. Doch die Malaise liegt im System: Seit der Bahnreform im Jahr 1994, nach der die Bahn an die Börse sollte, handeln die Bahn-Verantwortlichen, als wollten sie die Menschen zum Autofahrer erziehen.
Arno Luik, einer der profiliertesten Bahn-Kritiker, öffnet mit seinem Buch die Augen. Konkret geht es um Lobbyismus, Stuttgart 21, um Hochgeschwindigkeitszüge, um falsche Weichenstellungen, kurz: um einen Staatskonzern, der außer Kontrolle geraten ist. Über zehn Milliarden jährlich pumpen wir Steuerzahler in die Deutsche Bahn – dafür ist sie dann in 140 Ländern der Welt im Big Business tätig.
Aber hierzulande ist die Bahn eine echte Zumutung: Die Züge fahren immer unpünktlicher, oft fahren sie gar nicht und manchmal sind sie ein Risiko für unser Leben.

(Foto: PR/Westende Verlag/Ulli Fetzer)
Von wegen Güter auf die Schiene
Die Bahnmanager mühen sich, keinen Erfolg zu haben – vor allem im Güterverkehr. Aber nicht nur da
Für Güterzüge in den Fernen Osten und aus dem Fernen Osten, die einen gigantischen Aufwand an Planung voraussetzen – und wenig bringen –, strengt die Bahn AG sich sehr an. »Um langfristig noch mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, stellt sich dieser Konzern mit der ›DB Cargo Eurasia‹ neu auf. Sie wird als Operateur für die Chinaverkehre alle Aktivitäten im Konzern neu bündeln. Dafür wurde im August 2018 ein eigenes Büro eröffnet.« Für einen jährlichen Warenaustausch, wie Bahnchef Grube 2014 herumgedruckst hatte, der sich im »nullkommairgendetwas« Prozentbereich bewegt.
Für 100 000 Container, eine vernachlässigbare Minimenge im Ost-West-Warenverkehr, gerade mal fünf Schiffsladungen, betreibt die Bahn AG einen logistischen Aufwand der Extraklasse.
Ob sie an diesem Geschäft wenigstens etwas verdient, wenigstens ein bisschen was, oder wie hoch die Verluste sind, will ich im Frühjahr 2019 von DB Cargo wissen.
Eine Pressesprecherin sagt mir am Telefon: Die Bahn äußere sich prinzipiell nicht dazu, ob einzelne Sparten Verluste machen, man könne sich die Zahlen ja im Jahresbilanzbericht anschauen. Ja, gibt sie zu, es sei überaus schwierig, das stimme, da konkret etwas über dieses spezielle Geschäft herauszulesen, aber das sei nun mal so, denn die Chinazahlen seien »wettbewerbsrelevant«.
Wie viel Bürgergeld die Bahnherren dabei verzocken: Staatsgeheimnis. Es ist absurd: Hierzulande plant DB Cargo, sich noch mehr vom Güterverkehr zu verabschieden. Sie möchte demnächst, so interne Planspiele, nicht mehr Güterzüge auch aus einzelnen Waggons zusammenstellen, sondern bloß noch komplette Containerzüge anbieten. Logische Folge: Nur noch ein paar Großkonzerne wie zum Beispiel BASF oder VW schicken dann Güter auf die Schiene, mittelständische Unternehmen werden dann – klimafeindlich – ihre Ware über die Straße transportieren (müssen): Die Standspur grüßt.
Vielleicht ist die Bahn ja nur konsequent: Die Bahnchefs haben die Bahninfrastruktur in Deutschland zerstört, dermaßen zerstört, dass auf unabsehbare Zeit ein ordentlicher (Güter)-Zugverkehr unmöglich ist. Dagegen ist in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten, von 1994 bis 2018, das gesamte Straßennetz in Deutschland von 640 000 Kilometer auf rund 900 000 Kilometer angewachsen; Jahr für Jahr kommen 10 000 Kilometer neue Straßen hinzu, umgerechnet sind das 192 Kilometer je Woche.
Die vernünftige Alternative zu diesem überbordenden Autoverkehr aber, die Bahn, wurde im selben Zeitraum von den Verantwortlichen demontiert: Um über 20 Prozent wurde das Schienennetz zurückgebaut. Konkret: Am 1. Januar 1994 gab es in Deutschland exakt 40 457 Schienenkilometer. Heute sind es bloß noch 33 448 Kilometer. Außerdem: Gab es 1994 noch 131 968 Weichen und Kreuzungen, so sind es heute noch 70 031 Stück.
Der Raubbau an der Schiene zeigt sich noch an einer anderen Zahl: Gab es 1994 noch rund 11 742 Gleisanschlüsse für Industriebetriebe, so waren es 2018 bloß noch 2 357, Tendenz weiter sinkend.
Seit 1990 hat sich der Gütertransport auf der Straße mehr als verdoppelt, 2018 pusteten die LKWs 160 Millionen Tonnen Treibhausemissionen durch ihre Auspuffrohre. Sie sind für rund 25 Prozent der vom Verkehrssektor verursachten Klimagase verantwortlich, und diese Emissionen sinken nicht, sie steigen.
Weit über 70 Prozent der Gütertransporte werden von LKWs abgewickelt – und dieser Verkehr, so das zuständige Ministerium, wird bis 2030 noch drastisch zunehmen – dafür müsse man die Straßen zügig ausbauen. Die Idee, den Güterverkehr zu reduzieren, taucht in den Plänen der Verkehrspolitiker nicht auf.
So sprach einst, lange ist es her, Bahnchef Heinz Dürr: Es werde einen »Ausbau der Schiene« geben. Das ist nicht geschehen. Dürr versprach zudem, die Bahn werde »einen Beitrag zu einer ökologisch ausgerichteten Verkehrspolitik leisten«. Auch das ist nicht geschehen.
Er erklärte: »Erstes Ziel ist: mehr Verkehr auf die Schiene.«
Und was machte er, das Ex-Vorstandsmitglied des Daimler-Konzerns? 1997 schaffte er die Postzüge ab. Und die Deutsche Post AG schaffte sich als Ersatz für Züge dann 6000 LKWs an – zum großen Teil von Daimler.
Ein LKW stößt viermal so viel Treibhausgase pro Kilometer aus wie ein Güterzug, der aber die Transportkapazität von 40 LKWs hat.
Ein Tankwagen der Bahn ersetzt vier LKW
Es gibt dennoch viele Firmen, die, trotz des künstlich forcierten Schwunds von Industriegleisen, auf ihrem Gelände direkt Güter in die Bahn verladen möchten. Zum Beispiel der Chemikaliengroßhändler Häffner in Asperg bei Ludwigsburg. Seit 1920 benutzte seine Firma gemeinsam mit anderen Firmen ein Industriegleis, doch nach und nach verabschiedeten sich seine Nachbarn von den Schienen. Häffner füllte weiterhin bis zu sechs Kesselwagen täglich mit hochgefährlichen Chemikalien, der Firma waren die Güterwagen viel lieber und praktischer als LKWs.
Vor acht Jahren kam dann für die Firma Häffner das erzwungene Aus: Die Stadt und die Bahn verlangten von Häffner, für den Unterhalt der Schiene nun komplett selbst aufzukommen, erzählt Logistik-Leiter Ralf Nieß, »aber das war für uns als mittelständischer Betrieb zu teuer. Doch wir hätten sehr gerne unseren Zug behalten!« Die Gründe listet er auf: »Sicherheit. Große Transportmengen. Entlastung der Straße. Klare Planbarkeit. Keine unvorhergesehenen Staus auf den Straßen. Bessere Luft in der Umgebung und mehr Sicherheit auf dem Betriebsgelände.«
Arno Luik – Schaden in der Oberleitung – Ein Buch vom Westend Verlag, 296 Seiten, 20 Euro.
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Logistikfirmen müssen die Straßen, über die ihre Lastwagen rollen, nicht selber finanzieren.
Ein einziger Kesselwagen der Bahn ersetzt drei bis bis vier LKWs. Nieß ärgert es, dass seine Firma statt mit dem Zug nun 1 500 Lastwagen, beladen mit Gefahrgut, durch Dörfer und Städte rollen lassen muss: »Für die Bahn und die Politik zahlt nur das Monetäre. Aber nicht das Gesamtgesellschaftliche: Sicherheit, Lärm, Umweltschutz.«
Eine Stadt kämpft gegen die Bahn für die Bahn
In Reutlingen, einer Stadt mit 115 000 Einwohnern, gab die Bahn ihren Containerbahnhof auf. Im März 2003 verkaufte sie Teile des frei gewordenen Geländes zu einem Preis von etwa 65 000 Euro an eine Immobiliengesellschaft.
Aber die Stadt hatte andere Pläne, sie wollte den Bahnhof wiederbeleben und beschloss deshalb, ihr Vorkaufsrecht auszuüben, um das Gelände für die Wiederbelebung des Güterverkehrs zu sichern. Aber die Bahn (der Staatskonzern!) klagte gegen dieses Vorhaben der Kommune.
Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen einer Stadt, die mehr Verkehr auf die Schienen bringen wollte, und dem staatlichen Bahnkonzern, der dieses Ansinnen unbedingt zu verhindern versuchte. Schließlich, 2009, siegte die Stadt vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und bekam von den Richtern die Befugnis zugesprochen, »eine eigene Verkehrspolitik zu betreiben«, um auf dem ehemaligen Gleisfeld eine »zukünftige (Wieder-)Inbetriebnahme einer Bahnanlage zu ermöglichen.
Warum zum Teufel wollte die Bahn das bloß verhindern? Sie will keine Konkurrenz? Ist es das?
Ein paar Zahlen zum Rückzug der Güterbahn:
Noch 1990 wurden allein in den alten Bundesländern 300,6 Millionen Tonnen Güter mit der Bundesbahn transportiert. 1999 waren es dann in Gesamtdeutschland bloß noch 287,3 Millionen Tonnen, im Jahr 2017 dann noch 271 Millionen Tonnen und ein Jahr später wieder ein Sturz nach unten, obwohl so viel Güter wie noch nie in Deutschland unterwegs waren, da waren es bloß noch 255,5 Millionen Tonnen. Der Umsatz lag bei 4,460 Milliarden Euro – und damit unter dem Niveau von 2008.
Hatte die Deutsche Bahn AG 2008 119 916 Güterwaggons im Einsatz, waren es zehn Jahre später bloß noch 82 895.
Zwar gibt es nun einen »Masterplan Schienengüterverkehr«, und auch ein paar Arbeitsgruppen denken wieder mal darüber nach, wie man mehr Güter auf die Schiene bringen kann – aber verbessern wird sich die Lage definitiv nicht. Eine wirkliche Verbesserung ist auf unabsehbare Zeit einfach unmöglich: Es fehlen zu viele Gleise, es fehlen zu viele Waggons, es fehlen zu viele Loks – und zu viele Mitarbeiter.
Es ist erstaunlich, wie die Bahn – trotz dieser von ihr verschuldeten Malaise – es immer wieder schafft, vollmundige Ankündigungen zu verbreiten, die mit der Realität nichts zu tun haben. Nun soll’s der Masterplan richten. Kann man das glauben?
Nein, nicht mit dieser Bahn. Sie kann ja nicht mal die eigenen Waren mit der Bahn transportieren: Ihr Stolz, der neue ICE 4, wird, bevor er auf die Schienen kommt, auf Straßen in Spezial-LKWs 2 000 Kilometer quer durch Europa hin- und hergekarrt, wo er an verschiedenen Produktionsorten nach und nach zusammengebaut wird.
USA und Schweiz zeigen, wie es geht
Die Deutsche Bahn, so muss man konstatieren, zieht sich aus dem Güterverkehr zurück bzw. hat sich schon längst, was den Gütertransport vor allem über kurze und mittlere Distanzen anbelangt, praktisch komplett abgemeldet. Ihr Anteil an der Güterbeförderung in Deutschland liegt bei gerade mal 16,4 Prozent – und ist ein Minusgeschäft im dreistelligen Bereich. Allein im ersten Quartal 2019 produzierte die Güterbahn einen Verlust von 79 Millionen Euro. Obwohl die Wirtschaft brummt. Das ist peinlich. Vor allem dann, wenn man ins Ausland schaut.
In den USA werden rund 40 Prozent der Güter mit der Bahn befördert. Die Zahlen aus den USA verblüffen: Die dortigen Güterzüge haben an der weltweiten Transportleistung auf der Schiene einen Anteil von rund 30 Prozent, obwohl die US-Bürger gerade mal vier Prozent der Erdbevölkerung ausmachen. Pro Kopf transportieren die US-Güterzüge zehnmal so viel wie im Rest der Welt.
Das hat Gründe: Die Transportkosten in den USA sind auf der Schiene deutlich günstiger als auf der Straße. In den USA gibt es für die Züge, auch wenn sie die Rocky Mountains überfahren, kaum Tunnel, die die Kosten in die Höhe schießen lassen. Auch sind die Güterzüge dort viel länger: bis zu 3 660 Meter. In Europa sind sie nur im Ausnahmefall länger als 700 Meter, und auch die zulässige Achslast ist in den USA um 60 Prozent höher als in Europa. Folge: Ein US-Güterzug schleppt die Last von sieben europäischen Güterzügen. Und noch etwas: In den USA transportieren die Züge häufig Container doppelstöckig – also zehnmal so viele Container wie auf den einstöckigen Zügen in Europa.
Die US-Verhältnisse lassen sich nicht nach Europa übertragen. Aber so kümmerlich wie es um den Güterzugverkehr in Deutschland steht, das muss nicht sein. Das ist ein geplantes Desaster der Politik: Der Kotau vor der Autoindustrie.
Auf Schweizer Autobahnen sieht man kaum LKWs, die mit Containern beladen sind, man sieht dort überhaupt wenig LKWs. Wer wissen möchte, wie man mit Gebühren eine ökologischere Verkehrspolitik erwirkt, muss nach Lörrach an der Schweizer Grenze. Dort wird die LKW-Fracht auf Züge umgeladen. Die Spediteure haben keine Lust, die Straßenmaut, die in der Schweiz dreimal so hoch ist wie in Deutschland, zu bezahlen. Und so kommt es, dass in der Schweiz über 35 Prozent des Güterverkehrs Zug fährt – mehr als doppelt so viel wie in Deutschland.
Trotz aller staatlicher Behinderung und der überhöhten Trassenpreise, die DB Netz von den Benutzern verlangt: Es gibt einige Privatfirmen in Deutschland, die gute Geschäfte im Schienengüterverkehr machen, alles in allem transportieren sie heute mehr Güter als die staatliche Bahn.
Das eklatante Versagen der hochsubventionierten Bahn AG im Güterverkehr ist vor allem ein Managementfehler, den die Politik hinnimmt. Dabei wusste die Bahn mehr als ein Jahrhundert lang, wie man Güter auf den Schienen erfolgreich transportiert.
Giraffen gucken aus dem Zug
Nur die Älteren erinnern sich noch, wie viele Güter selbst in den 50ern, 60ern, sogar bis in die 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf den Schienen transportiert wurden. Und man bekam da einiges zu sehen: Man stand am Bahnübergang und sah plötzlich eine Giraffe vorbeifahren, die oben aus einem Wagen hinausschaute.
Alles Mögliche wurde auf den Schienen transportiert – und für alles Mögliche wurden extra Waggons gebaut. Richtig kreativ waren die alten Bahner. Für den Zirkus Krone etwa gab es 1925 einen »Elefanten-Transport-Spezialwagen«, der besonders lang war und eine tiefer gelegte Ladefläche sowie große Schiebetüren hatte. Diese Wagen konnten zwei Elefanten transportieren – und ein Elefantenwagen war bis 1999 im Einsatz für den Zirkus.
»Güter gehören auf die Bahn« war mal ein Werbespruch der Deutschen Bundesbahn. Und die Güter waren auf der Bahn: Fisch-Kühlwagen brachten von der Küste die Waren nach Süddeutschland; die bayerischen Bierbrauer schickten in Kessel-Kühlwagen ihren Stoff nach Norden; es gab Bananenwaggons, die erst mit Kohle, später mit Propangas beheizt wurden, damit die Früchte auf der Fahrt nachreifen konnten; es gab speziell ausstaffierte Gurkenwagen und die Köpfe des Stuttgarter Filderkrauts rollten in Krautwagen von den Produzenten zu den Konsumenten in ganz Deutschland.
Die Bahn transportierte einfach alles.
Diese untergegangene Geschichte des Warentransports auf Schienen konnte man 2019 in einer wunderbaren Aussttellung des DB Museums in Nürnberg bestaunen. »Bier, Bahn und Bananen« hieß sie, und dieser Blick zurück macht einen traurig und wütend: Denn diese Vergangenheit müsste Gegenwart sein, und ob sie jemals wieder realisiert wird, was auch aus Klimaschutzgründen notwendig wäre, ist fraglich.
Diese Ausstellung ließ einen auch ziemlich fassungslos zurück: Wie konnte die Politik diese Zerstörung von Volksvermögen nicht nur zulassen, warum bloß verlagerte sie den Schienengüterverkehr so widersinnig konsequent auf die Straße?
Und was besonders ärgerlich ist: Eine Hinwendung zur Vernunft ist nicht in Sicht. Es gibt zwar viele Absichtserklärungen, aber das Wichtigste fehlt: Geld.
Es fehlt an allem: Loks, Schienen, Menschen
Seit Jahren beklagen sich Großkunden über die miserable Qualität der DB Cargo: Es fehlen Züge, die Güterzüge sind unpünktlich, oft nicht dort, wo sie gebraucht werden und meist zu langsam, viele Loks und Wagen sind schlichtweg kaputt, es fehlen Ersatzteile, Aufträge gehen flöten, weil auch tagtäglich, klagt der Cargo-Betriebsratschef Jörg Hensel im Frühjahr 2018 auf einer Betriebsrätekonferenz in Fulda, rund 80 Güterzüge »in den Bahnhöfen herumstehen und nicht zu den Kunden gefahren werden können«. Überall Chaos, Frust und Unvermögen.
Auf eine Anfrage der FDP-Fraktion ließ die Bundesregierung im vergangenen Jahr wissen: Es fehlen 300 Lokführer, 450 Rangierer, 100 Wagenmeister.
Diese überall zu spürende Misere hat natürlich auch Auswirkungen auf das Personal: Viele DB-Cargo-Mitarbeiter sind verärgert, demotiviert, sie müssen wegstecken, dass viele Kollegen über die Jahre hinweg entlassen worden sind: Hatte die DB Cargo 1998 noch 44 500 Mitarbeiter, waren es 2017 nur noch 28 257.
Die Stimmung bei DB Cargo ist extrem mies, der Verschleiß an Führungspersonal exorbitant, sechs Cargo-Vorstände wurden in den vergangenen Jahren ausgetauscht, jeder neue brachte neue Ideen und neue Verwirrungen in die Belegschaft. Im Sommer 2018 befragte der Betriebsrat die Mitarbeiter: 90 Prozent klagten über eine zu hohe Arbeitsbelastung, die Zahl der geleisteten Überstunden habe sich um 14 Prozent erhöht – auf über 850 000 Stunden. 88 Prozent schätzten die Veränderungen im Vertrieb und der Produktion als »nicht erfolgreich« ein. Sehr viele Mitarbeiter haben sich in die innere Emigration verabschiedet: Fast jeder Zweite hat »mittlerweile nur noch wenig Motivation, für die DB Cargo AG zu arbeiten«.
Monolog des Bahnunternehmers Armin Götz
»Ich verzweifle langsam an der Politik. Sie hat mit der Bahn AG ein System geschaffen, das nur auf Geldvernichtung aus ist. Das Grundfatale ist, dass 1994 der Staat dieser DB AG alles geschenkt hat, und sich dann gesagt hat: Kontrolliert wird jetzt nicht mehr! Und so wurde die DB ein Staat im Staat. In meinem nächsten Leben werde ich Betonunternehmer, da werde ich durch die Bahn wunderbar alimentiert, oder ich werde eine Tunnelbohrmaschine, die Bahn garantiert mir dann lebenslangen Profit! Für mich ist die Deutsche Bahn das größte Geldvernichtungsunternehmen, das wir in Deutschland haben.
Ich würde das auch dem Herrn Pofalla knallhart ins Gesicht sagen, aber er geht mir aus dem Weg. Einmal im Jahr macht die DB Netz AG immer so einen Kundentag, da verausgaben sich die wichtigen Herren in Selbstdarstellung und zeigen, was sie alles für tolle Hechte sind. Und dann erzählt der Pofalla knallhart vor uns Eisenbahnunternehmern, dass er mit ETCS alle Probleme löst. ›Entschuldigung, Herr Pofalla, wenn Sie das sagen, dann kennen Sie anscheinend die Bahn nicht‹, habe ich gesagt. ›Oder wollen Sie mir jetzt weismachen, dass die EU-Vorschriften oder die wirklichen Bahnprobleme durch ETCS von heute auf morgen alle aufgelöst sind? Auf einmal weg sind durch ETCS?‹ ›Natürlich‹, sagte er. Da hat der ganze Laden gelacht. Der Mann hat wirklich keine Ahnung. Der lässt sich irgendeinen Schmarrn von irgendjemanden aufbinden, hört nur halb zu, und dann erzählt er das auch noch weiter. Und die Politiker und viele Medien glauben ihm das dann.«
Zum Buch:
Das Desaster der Deutsche Bahn ist kein Versehen. Es gibt Täter. Sie sitzen in Berlin. In der Bundesregierung, im Bundestag. Und seit Jahren im Tower der Deutschen Bahn. Kritik an der Deutschen Bahn bleibt oft stehen bei lustigen Englischfehlern, falschen Wagenreihungen oder ausfallenden Klimaanlagen. Doch die Malaise liegt im System: Seit der Bahnreform im Jahr 1994, nach der die Bahn an die Börse sollte, handeln die Bahn-Verantwortlichen, als wollten sie die Menschen zum Autofahrer erziehen. Arno Luik, einer der profiliertesten Bahn-Kritiker, öffnet uns mit seinem Buch die Augen. Konkret geht es um Lobbyismus, Stuttgart 21, um Hochgeschwindigkeitszüge, um falsche Weichenstellungen, kurz: um einen Staatskonzern, der außer Kontrolle geraten ist. Über 10 Milliarden jährlich pumpen wir Steuerzahler in die Deutsche Bahn – dafür ist sie dann in 140 Ländern der Welt im Big Business tätig. Aber hierzulande ist die Bahn eine echte Zumutung: Die Züge fahren immer unpünktlicher, oft fahren sie gar nicht und manchmal sind sie ein Risiko für unser Leben.
Zum Autor: Arno Luik, geboren 1955, war Reporter für Geo und den Berliner Tagesspiegel, Chefredakteur der taz, Vizechef der Münchner Abendzeitung und langjähriger Autor der Zeitschrift Stern. Für seine Berichterstattung in Sachen Stuttgart 21 erhielt er 2010 den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ des Netzwerks Recherche. 2015, bei der Anhörung des Deutschen Bundestags zum Thema „Offene Fragen zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 aufklären“, war Luik als Sachverständiger geladen.
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