Buchauszug David Scholz (Hrsg.): „Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld: Ein Praxisbuch für Unternehmen und den öffentlichen Dienst“ 

Buchauszug David Scholz (Hrsg.): „Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld: Ein Praxisbuch für Unternehmen und den öffentlichen Dienst“ 

 

David Scholz (Foto: PR/Springer Gabler)

 

Wie gute Praxis in Unternehmen und Behörden aussehen kann

Geschlecht ist relevant, für alle Menschen, ganz allgemein und insbesondere im Arbeitsumfeld, gerade wenn ein Geschlechtsrollenwechsel beziehungsweise die Geschlechtsangleichung einer Person im Wirkungskreis des Arbeitgebers oder des Dienstgebers stattfindet. Die grundsätzliche Antwort auf diese Frage lautet: überall.

 

Aus den persönlichen Erfahrungen und den Praxisberichten wird deutlich: für einen rücksichtsvollen, rechtskonformen und wertschätzenden Umgang mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten in der Arbeitswelt (und nicht nur dort) sind einige Wissens- und Handlungsgrundsätze empfehlenswert:

 

Um Konflikte bis hin zu (arbeits-) rechtlichen Auseinandersetzungen aufgrund von „echtem“ Unverständnis oder „unabsichtlicher“ Diskriminierung trotz Verstehens der individuellen Situation und der Rechte geschlechtsvarianter Personen zu vermeiden oder das Konfliktpotenzial zu minimieren, empfehlen wir unternehmens- beziehungsweise behördeninterne Grundlagenarbeit. Zunächst eine

 

Checkliste: Wie geschlechter-inklusiv ist Ihr Unternehmen/Ihre Behörde?

· Wie viel geschlechtszuordnende Sprache kommt in der Unternehmens-/Behördenkommunikation vor? Lässt sich dieser Anteil reduzieren?

· Sind Personalbeschaffungsprozesse und Personaladministration darauf eingestellt, mit Geschlechtervarianz umzugehen?

· Gibt es geschlechtsneutrale Toiletten, Umkleide- oder Waschräume? Können einzelne Räumlichkeiten „umgewidmet“ werden, um Konflikte zu vermeiden?

· Gibt es ein LSBTI- und/oder Unterstützer:innennetzwerk?

· Gibt es sichtbare LSBTI-„Rollenvorbilder“?

· Gibt es sichtbare Personen aus dem LSBTI-Spektrum in der Führungsebene?

· Werden spezifische Erinnerungstage in der internen und/oder externen Unternehmenskommunikation berücksichtigt? – zum Beispiel der „International Transgender Day of Visibility“ (31. März) oder der „International Day Against Homophobia, Biphobia And Transphobia“ (IDAHOBIT, 17. Mai)?

· Gibt es LSBTI-relevante Social-Media-Aktivitäten?

· Gibt es eine interne Richtlinie für LSBTI-Inklusion?

· Gibt es einen Leitfaden für geschlechtliche Transition?

· Wie sicht- und hörbar ist das Top-Management beziehungsweise die Behördenleitung im Zusammenhang mit LSBTI?

 

Dies sind nur Hinweise und Anregungen. Eine Organisation kann auch ohne alle „ticks in the box“ der obigen Liste inklusiv sein. Aus den Erfahrungsberichten wird deutlich, dass durchaus auch ohne Formalitäten beziehungsweise spezielle Inklusionsprogramme ein gleichberechtigter und wertschätzender Umgang im Arbeitskontext möglich ist. Eine Organisation „muss“ keinen Leitfaden verabschiedet haben, aber es kann natürlich helfen, wenn ein solches Dokument intern oder auch extern veröffentlicht wurde, damit manche Fragen möglicherweise gar nicht erst auftreten und intern rechtlich oder politisch erörtert werden müssen. Daher folgt hier ein

 

Vorschlag für Eckpunkte eines Richtliniendokuments und Transitions-Leitfadens

· Grundsätzliche Leitlinie Geben Sie dem Leitdokument von vornherein eine Richtung und eine beziehungsweise die Tonalität, die dem (bisherigen) Stil Ihrer Organisation entspricht oder in die Sie Ihre (bisherige) Organisationskommunikation richten wollen.

· Umfang und Zielrichtung des Leitdokuments Sagen Sie klar und deutlich, worum es genau geht. Ein allgemeines Statement zur übergreifenden Inklusion von LSBTI kann helfen, ist aber im Hinblick auf Transidentitäten und drittes Geschlecht eventuell nicht genau genug. Seien Sie genau, schließen Sie Geschlechtsidentität in Ihr Statement ein.

· Gleichbehandlungsgrundsätze/rechtlicher Rahmen Legen Sie Ihrer Organisation den regulatorischen Hintergrund für Ihren Trans-Leitfaden dar. Das muss nicht in aller buchstäblichen Ausführlichkeit geschehen, aber machen Sie deutlich, auf welche rechtlichen und Compliance-relevanten Bestimmungen Sie sich beziehen. Machen Sie nach Möglichkeit deutlich, inwiefern Sie den rechtlichen Rahmen für trans-inkludierende Leitlinien Ihrer Organisation als „Leitplanken“ für die Ausgestaltung der Handlungsempfehlungen geben und wo Sie über verpflichtende rechtliche Bestimmungen hinaus gehen.

· Begriffsklärungen Denken Sie daran, dass ein Leitdokument sich nicht allein an „Wissende“ richtet. Es bietet sich an, in einer allgemeinen organisationsinternen Kommunikation zum Umgang mit Geschlechtsidentitäten ein zumindest grundlegendes Glossar zugänglich zu machen, wo mindestens Fragen behandelt werden wie zum Beispiel

– Was bedeuten Transidentität, drittes Geschlecht, nichtbinär, Intersexualität/Intergeschlechtlichkeit, LSBTI? Was ist der Unterschied zwischen Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierungen? etc.

– Was ist geschlechtliche Transition/Geschlechtsangleichung? Wie funktioniert eine Geschlechtsangleichung auf sozialer, rechtlicher und medizinischer Ebene?

· Leitlinien für den Umgang mit Transidentität und drittem Geschlecht Machen Sie deutlich, wie transitionierende Mitarbeitende in der Organisation unterstützt werden, gerade im Prozess des Rollenwechsels, vor der amtlichen Vornamens- und Personenstandsänderung und bei der Umsetzung einer amtlichen Änderung. Stellen Sie auch heraus, welche Verhaltensweisen ausdrücklich unterstützt werden und welches Verhalten unerwünscht ist und sogar sanktioniert wird.

· Wohin können sich Mitarbeitende wenden? Stellen Sie sicher, dass alle Adressaten des Richtliniendokuments und eines Transitions-Leitfadens wissen, wo und bei wem sie Unterstützung finden können. Egal, ob es in Ihrer Organisation ein Gleichstellungsbüro, ein Diversity-Management, einen informierten Betriebsrat, informierte und geschulte Personalverantwortliche oder alle diese Instanzen gibt – schulen Sie die Ansprechpersonen regelmäßig, insbesondere dann, wenn sich rechtliche Rahmenbedingungen verändern.

· Eckpunkte eines Aktionsplans für geschlechtliche Transitionen innerhalb der Organisation

– Machen Sie deutlich, wie in der Organisation mit der rechtlichen Transition auch vor amtlichen Änderungen umgegangen wird.

– Stellen Sie nach Möglichkeit klar, dass transitionierende Mitarbeitende diejenigen sanitären Einrichtungen, Umkleideräume etc. nutzen können, die (am ehesten) ihrem nach außen gelebten Geschlecht entsprechen (mit Augenmerk auf eine mögliche Mitbestimmungspflicht bei Betriebsvereinbarungen).

– Verringern Sie das Risiko für Konfliktfälle, indem Sie von vornherein Lösungsansätze für potenziell konfliktbehaftete Situationen vorhalten.

– Beziehen Sie klar Stellung dazu, welche Dokumente beziehungsweise Systemeinträge vor einer amtlichen Vornamens- und Personenstandsänderung geändert werden können. Machen Sie die Prozesse transparent.

– Regeln Sie, wie mit (planbaren) Fehlzeiten für rechtliche und medizinische Angleichungsmaßnahmen umgegangen wird. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet, dass Besuche bei Behandelnden im Rahmen einer medizinischen Transition wie alle anderen medizinisch notwendigen Termine gehandhabt werden (4.8).

 

 

David Scholz (Hrsg.): „Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld: Ein Praxisbuch für Unternehmen und den öffentlichen Dienst“,  195 Seiten, 34,99 Euro, Verlag SpringerGabler  https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-33864-0

 

· Leitlinien für die Personalbeschaffung

– Schulen Sie diejenigen, die mit Bewerbungen umgehen, wie nicht-namenskongruente Bewerbungsunterlagen gehandhabt werden sollen.

– Überprüfen Sie die Aussagen Ihres Personalmarketings auf Inklusion und Konsistenz von Aussagen über geschlechtsvariante Identitäten.

– Passen Sie Ihre Stellenausschreibungen an (zum Beispiel keine „Damen und Herren“, wenn Sie ausdrücklich „alle Geschlechter“ ansprechen, was Sie nach dem AGG tun müssen).

 

Vorschlag für eine Checkliste für die geschlechtliche Transition einer mitarbeitenden Person

– Wie lange möchte die transitionierende Person noch in der bisherigen Geschlechtsrolle auftreten beziehungsweise ab wann die nach außen gelebte Rolle wechseln? Sollte die Ausübung der Tätigkeit der Person (vorübergehend) geändert werden? Hier spielen auch Sicherheitsaspekte eine Rolle, zum Beispiel eine Alleintätigkeit, Nachtschichten etc.

– Wer sollte in welcher Reihenfolge und mit welchem Kommunikationsmittel über den bevorstehenden Geschlechtsrollenwechsel informiert werden? Welche Meetings sollten wann stattfinden? Wenn eine Kommunikation per E-Mail stattfindet, wer solleinbezogen werden? Wird die Unternehmens- beziehungsweise Behördenleitung diese Kommunikation unterstützen (zum Beispiel durch Berücksichtigung im cc, eine separate E-Mail an alle oder die Führungsebene).

– Wie wird der neue Name, der neue Jobtitel oder die Dienstbezeichnung der transitionierenden Person lauten, wie wird sich die Anrede verändern?

– Wie und in welcher Reihenfolge werden diese Änderungen in den IT- und Verwaltungssystemen umgesetzt?

– Muss eine neue Zugangskarte oder ein neuer Mitarbeiter:innen- beziehungsweise Dienstausweis ausgestellt werden?

– Wann und wie erfolgt die Kommunikation der Namens- und Rollenveränderung gegenüber externen Stakeholdern? Der Grundsatz lautet natürlich immer: intern vor extern!

– Sind medizinische Maßnahmen geplant, wie lassen sich Behandlungstermine optimal in den Betriebsablauf integrieren (falls eine Einflussnahme auf die Termingestaltung möglich ist)?

– Wird neue Dienstkleidung für den Geschlechtsrollenwechsel benötigt? Wenn ja und falls entsprechende Kleidung bestellt werden muss, ermöglichen Sie die Bestellung rechtzeitig zum geplanten „Umstellungstag“. Gleiches gilt für Namensschilder und einen Eintrag der transitionierenden Person in internen (und externen) Verzeichnissen.

– Ab wann wird die transitionierende Person sanitäre Einrichtungen oder Umkleideräume der „neuen“ Geschlechtsrolle benutzen? Klären Sie mögliche Konflikte nach Möglichkeit im Vorfeld.

– Benötigen Stakeholder der geschlechtlichen Transition Schulungen im Umgang mit Transidentität im Arbeitsumfeld oder in der Kommunikation mit externen Stakeholdern? Planen Sie diese Schulungen bei Bedarf rechtzeitig.

– Gibt es (internes) Schulungs- beziehungsweise Informationsmaterial, das Unsicherheiten vorweg abbauen und den Umgang mit der transitionierenden Person im Besonderen unterstützen kann? Wo wird dieses bereitgestellt? Wie wird sichergestellt, dass dieses Material aktuell bleibt?

– Wenn der Handlungsplan nicht mit der Führungskraft der transitionierenden Person gemeinsam abgestimmt wurde, stellen Sie sicher, dass die Führungskraft einbezogen wird und bei Konflikten vermittelnd zur Verfügung steht.

– Sollte es tatsächlich zu diskriminierendem oder belästigendem Verhalten kommen, wie wird damit umgegangen? Wie werden die persönliche Sicherheit und die Würde der transitionierenden Person gewahrt?

 

Die obige Liste ist nicht abschließend. Je nach Struktur des Unternehmens oder der Behörde mögen weniger, noch weitere oder andere Aspekte für einen erfolgreichen Geschlechtsrollenwechsel relevant sein. Setzen Sie sich am besten mit der betroffenen Person zusammen und überlegen Sie gemeinsam, was alles zu berücksichtigen und zu priorisieren ist. Manches mag pragmatisch und unbürokratisch lösbar sein. Für manche Herausforderungen müssen vielleicht bisher unerprobte Wege gefunden werden. Im Dialog werden Sie sicherlich eine für alle Beteiligten tragbare Lösung finden.

 

Abschließend noch einige Tipps für den persönlichen Umgang mit geschlechtsvarianten Personen im Arbeits- beziehungsweise Dienstumfeld. Die meisten davon sind hoffentlich selbsterklärend beziehungsweise die „Don’ts“ sollten sich idealerweise in einem wertschätzenden und respektvollen zwischenmenschlichen Umgang von ganz allein verbieten. Dennoch hier noch einmal einige

 

Tipps für den Umgang im Arbeitsumfeld

 

Don’ts…

· Machen Sie bitte keine Vorannahmen: weder zu Geschlecht, sexueller Orientierung oder medizinischen Transitionsmaßnahmen etc.

· Fragen Sie bitte nicht unaufgefordert nach Operationen oder gar dem Genitalstatus.

· Fragen Sie eine Person bitte nicht nach ihrem „richtigen Namen“, wenn Sie damit deren Geburtsnamen meinen. Der „richtige Name“ ist der, mit dem sich die Person vorstellt. Frühere Namen gehen grundsätzlich niemanden etwas an.

· Bitte verraten Sie nie den Geburtsnamen („Deadname“) einer transidenten oder nichtbinären Person, selbst wenn Sie denken, dass die Person mit der Nennung des Namens einverstanden sein könnte.

· Stellen Sie keine Fragen, die Sie nicht selbst gestellt bekommen möchten.

· „Sie sehen wie eine richtige Frau/wie ein richtiger Mann aus“ ist kein Kompliment.

· Bitte outen Sie niemals eine Person vor Dritten, weder in An- noch Abwesenheit der Person.

 

…und einige Dos

· Nehmen Sie respektvoll ersten Kontakt auf – fragen Sie zum Beispiel nach dem Namen und der Anrede einer Person, die Sie nicht sofort geschlechtlich einordnen können.

· Wenn Sie sich unsicher über Anrede oder Pronomen der Person sind, mit der Sie sprechen, stellen Sie sich zum Beispiel mit Ihrem eigenen Namen und Pronomen vor, um zu signalisieren, dass Sie aufgeschlossen sind. Zum Beispiel „ich bin David Scholz, ich benutze männliche Pronomen“.

· Gehen Sie grundsätzlich sensibel mit geschlechtszuordnender Sprache um.

· Stellen Sie gerne Fragen, aber respektieren Sie bitte die Privatsphäre Ihres Gegenübers.

· Seien Sie geschlechtsvarianten Personen gegenüber unterstützend – immer, nicht nur im Arbeitsumfeld.

· Sprechen Sie es aus und an, wenn Sie eine Situation wahrnehmen, in der eine Person unfair behandelt oder diskriminiert wird oder sich unwohl fühlen könnte – dies gilt natürlich nicht nur für den LSBTI-Kontext.

· Fragen Sie, hören Sie zu, lernen Sie Neues und erzählen Sie Gelerntes gerne weiter!

 

 

 

 

 

 

 

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