Die blanke Nachricht klingt haarsträubend und Neid erregt sie sowieso: 155.000 Euro Gehalt zahlt die US-Kanzlei Willkie Farr & Gallagher ihren Berufseinsteigern in Deutschland. Dennoch kommuniziert die Kanzlei diese Zahl nicht bloß in diskreten Gesprächsrunden mit Bewerbern, sondern geht offen damit um. Die Zahl dient nämlich als Marketinginstrument, soll ein ganz bestimmtes Image stärken und natürlich auch dafür sorgen, dass sich möglichst viele Top-Jura-Absolventen bei Willkie bewerben.
„Es immer dasselbe Szenario: Eine der sehr ertragreichen US-Kanzleien, die nur wenige Neueinstellungen im Jahr haben, prescht vor. Rasch ziehen die Kanzleien mit ähnlicher Größe und Kundenstruktur nach und irgendwann, mit gehörigen Abschlägen gegenüber der Marktspitze, die mittelständischen Kanzleien“, schildert Jörg Schneider-Brodtmann, Partner bei Menold Bezler, die zu den Top-30-Wirtschaftskanzleien gehört.

Jörg Schneider-Brodtmann (Foto: PR/Menold Bezler)
Dieses Mal ist es der US-Konkurrent Milbank, der Tage später nicht nur nachzog, sondern noch einen drauflegte. Die Kanzlei verspricht ihren Berufseinsteigern ebenso öffentlichkeitswirksam 200.000 Dollar – weltweit. In Deutschland entspricht das ungefähr 160.000 Euro Jahresgehalt. Die Aufmerksamkeit der ganzen Branche ist diesen PR-Offensiven sicher. So geht es immer wieder und das bereits seit über zehn Jahren. Ebenso lange schon rankt das Fachblatt „Azur“ in großen Tabellen die Spannen der Jahresgehälter für Berufseinsteiger von Großkanzleien wie Gleiss Lutz bis zu viel kleineren M&A-Boutiquen wie Glade Michel Wirtz.
US-Kanzleien zahlen 20 Prozent mehr
Angelsachsen zahlen am meisten – ihr Massstab sind die Honorare in London und New York
Warum gerade die Angelsachsen so hohe Einstiegsgehälter zahlen? Der Grund sind die hohen Honorare, die sie von ihren Mandanten selbst kassieren. Diese Kanzleien berechnen ihren Kunden – meist keine deutschen Mittelständler sondern internationale Konzerne – 1.000 oder 1.200 Euro Stundenhonorar und beraten nur in wenigen, hoch bezahlten Gebieten wie M&A. Die internationalen Konzerne haben die Bereitschaft, die teils doppelt so hohen Stundensätze für Wirtschaftsanwälte zu zahlen, weil sie an die hohen Rechnungen aus USA und Großbritannien gewöhnt sind. In London und New York sind die Honorare wie die Gehälter für Juristen deutlich höher als in Deutschland, selbst Unternehmensjuristen verdienen ein Mehrfaches. Dagegen nehmen sich durchschnittliche Stundensätze hierzulande von 600 Euro für Kartellrechtler oder für M&A-Experten preiswert aus.
Die hohen Einstiegsgehälter sind also wirtschaftlich ein lohnendes Geschäft und ein einfaches Rechenbeispiel: „Rechnet eine Topkanzlei für einen Anwalt im Schnitt eine Million Euro Umsatz im Jahr ab, bedeuten 160.000 Euro Jahresgehalt für diese perspektivisch immer noch ein sehr lohnendes Geschäft“, erklärt Jan Feigen, M&A-Anwalt bei EY Law.
Hohes Gehalt, hohe Erwartung
So hoch die Gehälter sind, so hoch ist auch die Erwartungshaltung an die Kandidaten: Die Berufseinsteiger bekommen klare Vorgaben, wie viele abrechenbare Stunden – Billable hours – sie leisten müssen, die dem Klienten unmittelbar in Rechnung gestellt werden können. Das können 1.500, aber auch 2.200 sein je nach Kanzlei. Compliance-Anwältin Karin Holloch, die selbst viele Jahre in mehreren angelsächsischen Kanzleien arbeitete, berichtet: „2.100 Billables – so der Fachjargon – sind im Jahr problemlos zu schaffen. Dann ist aber für gar nichts anderes mehr Zeit.“ Zumal rund 20 Prozent Bürostunden im Schnitt obendrauf kommen, die keinem Klienten im üblichen Sechs-Minuten-Takt überbordet werden können.

Karin Holloch (Foto: C.Tödtmann)
Der Düsseldorfer Sportrechtsanwalt Paul Lambertz spottete denn auch über die Milbank-Meldung mit dem 200.000-Dollar-Gehalt: „Praktisch ist auch, dass man sich eine eigene Wohnung spart, weil man eh immer in der Kanzlei ist. Das vergessen viele. Bleibt also noch mehr hängen!“ Denn was sich als Einstiegsgehalt so üppig anhört, verliert seinen Zauber bei näherem Hinsehen. Gängiger Anwälte-Scherz ist: Verlässt ein Anwalt die Kanzlei um 19 Uhr, wird er oft gefragt: „Sind Sie auf einen Halbtagsjob umgestiegen?“
Ihre 70 Wochenarbeitsstunden geben Junganwälte nur hinter vorgehaltener Hand zu, denn der Arbeitsschutz erlaubt diese Dauer-Exzesse eigentlich nicht. Aber die Behörden kontrollieren es kaum. Bekommt eine Kanzlei doch mal eine Buße aufgebrummt, weil sie verpfiffen wurde, zahlt sie, schweigt und heftet das Ganze nur ab – um genauso weiterzumachen. Die einfache Formel für diese Großkanzlei-Jobs lautet also: Doppeltes Gehalt für doppelte Schicht. Tägliche Arbeitszeiten bis 22 oder 23 Uhr sind normal, Samstagsarbeit gerne obendrauf und wenn es um einen aktuellen Deal geht, bleibt grade noch ein paar Stunden, um zu schlafen.
Nicht jeder Top-Kandidat will zur Großkanzlei

Michael Hendricks (Foto: PR/Freshfields)
Doch auch wenn die hohen Gehälter Benchmarks setzen, so wollen doch immer mehr junge Menschen nicht mehr auf ein Familienleben verzichten und nehmen dafür auch Gehaltsabstriche in Kauf. Jens Ortmanns, Partner bei McDermott spricht für viele, wenn er sagt: „Nachhaltiger ist es, den Nachwuchs durch exzellente Ausbildung, eigenverantwortliche Tätigkeiten, gute Teamkultur und eine ausgewogene Work-Life-Balance zu überzeugen“.
M&A-Banker verdienen noch besser
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