Buchauszug Andreas Nölke: „Exportismus. Die deutsche Droge“

 

Buchauszug Andreas Nölke: „Exportismus. Die deutsche Droge“

Westend Verlag, 2021, https://www.westendverlag.de/buch/exportismus/

Andreas Noelke (Foto Westend Verlag/PR)

Warum die deutsche Exportabhängigkeit in Zukunft ein großes Risiko darstellt

Die ausgeprägte Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft hat zwar in den letzten 15 Jahren zu einem soliden Wirtschaftswachstum und einer geringen Arbeitslosigkeit geführt, weist aber auch deutliche Nachteile auf. Vor der wachsenden ökonomischen und sozialen Ineffizienz (Kapitel 3) stehen in diesem Kapitel zunächst die problematischen Wechselwirkungen mit anderen Ökonomien im Vordergrund.

Zum einen führt eine starke Exportorientierung leicht zu Konflikten mit anderen Wirtschaftsräumen. Zum anderen führt sie insbesondere auch zu einer starken Abhängigkeit von ökonomischen und politischen Entwicklungen in diesen Räumen. Andere Nationen können aufgrund der starken Rolle der Binnenwirtschaft über ihr eigenes Schicksal selbst bestimmen, Deutschland ist dagegen vollkommen von internationalen Entwicklungen abhängig.

Während die internationalen Rahmenbedingungen für das deutsche Exportmodell in den vergangenen beiden Dekaden – insbesondere wegen des Aufstiegs der großen Schwellenländer – sehr günstig waren, verkehren sie sich nun aber in ihr Gegenteil, insbesondere im Kontext des kommenden Systemkonflikts zwischen China und den USA.

 

Wann führen Überschüsse zu Konflikten?

In der letzten Dekade wurde Deutschland häufig beschuldigt, mit seinen Außenhandelsüberschüssen anderen Ökonomien zu schaden. Das war (zumindest außerhalb Deutschlands) ein großes Thema während der Eurokrise, wurde danach vor allem vom ehemaligen US-Präsidenten Trump angesprochen und zuletzt auch von den großen internationalen Wirtschaftsinstitutionen artikuliert.

Auf den ersten Blick klingen diese Vorwürfe vielleicht kontraintuitiv. Überschüsse sind im Volksmund – und in einer einzelwirtschaftlichen (unternehmerischen) Perspektive – ja positiv besetzt, Defizite negativ (Kapitel 5).

Zunächst müssen wir also klären, warum starke Exportorientierung überhaupt zu Konflikten mit anderen Wirtschaften führen kann. Nicht jeder Überschuss ist gleichermaßen ein Problem. Hier müssen wir zwischen Handels- und Leistungsbilanz unterscheiden.

Der Titel des »Exportweltmeisters« bezieht sich im Volksmund normalerweise auf die Handelsbilanz, also einen Überschuss beim Export von Waren über die Importe. Hier liegt derzeit China vorne, Deutschland ist »Vizeweltmeister« in Bezug auf das Volumen von Handelsbilanzüberschüssen.

Wesentlich relevanter ist allerdings die Leistungsbilanz, die als weitere wichtige Posten auch Dienstleistungen, Erwerbs- und Vermögenseinkommen (insbesondere aus Kapitalanlagen im Ausland) und Übertragungen (zum Beispiel Entwicklungshilfe oder Heimatüberweisungen ausländischer Arbeitnehmer) mit einbezieht. Hier liegt Deutschland seit etwa zehn Jahren global vorne und hat andere Ökonomien mit traditionell hohen Leistungsbilanzüberschüssen (China, Japan) deutlich hinter sich gelassen, wie Christian Grimme für den ifo Schnelldienst dokumentiert hat.

Sowohl (dauerhafte, große) Überschüsse in der Handelsbilanz als auch jene in der Leistungsbilanz stehen in der Kritik, allerdings aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlicher Intensität.

Länder mit einem dauerhaft hohen Exportüberschuss (insbesondere China) können in anderen Ländern zu einer Deindustrialisierung führen. Der Aufstieg Chinas zur »Werkbank der Welt« hat in vielen anderen Ländern zur Schließung von Fabriken geführt. Man spricht daher bei hohen Exportüberschüssen polemisch von einem »Export von Arbeitslosigkeit«.

Spiegelbildlich dazu können hohe Handelsbilanzüberschüsse auch kritisch als Verzicht auf Importe gesehen werden, was sich ebenfalls negativ auf die Wirtschaft anderer Länder auswirkt. Jan Behringer, Till van Treeck und Achim Truger haben jüngst im Wirtschaftsdienst gezeigt, dass die deutschen Überschüsse eher als Importdefizite zu verstehen sind – während sich die Exporte seit der Wiedervereinigung recht linear entwickelt haben, sind die Importe zeitweise stark eingebrochen und haben sich bis heute von diesem Einbruch nicht erholt.

Handelsbilanzüberschüsse sind keine moderne Erfindung. Bereits Adam Smith geißelte merkantilistische Strategien, die auf einen möglichst hohen Handelsbilanzüberschuss abzielten, als »Beggar-thy-neighbour«-Verhalten (deinen Nachbarn zum Bettler machen) und betonte deren internationale Konfliktträchtigkeit.

 

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(Noch) kritischer als hohe Handelsbilanzüberschüsse werden allerdings dauerhaft hohe Leistungsbilanzüberschüsse großer Länder (wie Deutschland) gesehen. Solche Länder bauen zunehmend finanzielle Forderungen gegenüber dem Ausland auf, sie treiben andere Länder damit de facto in die Verschuldung.

Überschüsse in einem Land bedeuten notwendig Defizite in anderen Ländern. Letztere können Importe nicht mit eigenen Exporten, Einkünften aus eigenen Kapitalanlagen im Ausland oder finanziellen Schenkungen aus reicheren Ländern kompensieren. Kurzfristig können Leistungsbilanzdefizite dann durch den Verkauf eigener Währungsreserven ausgeglichen werden, mittelfristig allerdings müssen Kredite im Ausland aufgenommen werden.

Wichtig ist auch die Differenzierung zwischen großen und kleinen »Exportmeistern« (genauer: »Überschussmeistern«). Bei kleinen Volkswirtschaften ist ein hoher Exportanteil an der Wirtschaftsleistung durchaus normal, bei großen allerdings nicht, hier spielt der Binnenmarkt im Regelfall eine deutlich wichtigere Rolle.

Ein Überschuss – genauer: eine starke Exportorientierung der Wirtschaft – ist in großen Ökonomien tendenziell kontraproduktiv, weil Unternehmen in großen Volkswirtschaften andere Absatzmöglichkeiten auf den Binnenmärkten haben als Unternehmen in kleinen Volkswirtschaften. Eine Krisensituation beispielsweise können große Länder vergleichsweise einfach durch Stimulierung der Binnennachfrage kompensieren. Kleine Länder können sich hingegen aus einer solchen Situation oft nur »herausexportieren«, da ein Großteil ihrer Stimulierungsmaßnahmen ins Ausland abfließen würde.

Zudem wird die Wirtschaft in großen Ökonomien durch eine gedämpfte Binnennachfrage stärker getroffen, als sie durch verbesserte Exporte gewinnt, wie Amit Bhaduri und Stephen Marglin zunächst in ihrer von Keynes und Kalecki inspirierten Theorie modelliert haben, bevor dieser Zusammenhang dann in einer Vielzahl empirischer Studien überprüft wurde, für Deutschland etwa durch Engelbert Stockhammer, Eckhard Hein und Lucas Grafl. Eine große Ökonomie mit einem hohen Leistungsbilanzüberschuss (in Relation zur Wirtschaftsleistung) stellt zudem eine deutlich größere Belastung für die Weltökonomie dar als eine kleine, weil von den großen Ökonomien eine stärkere Belastung für andere ausgeht. Dementsprechend stehen auch China und Deutschland besonders im Fokus entsprechender Vorwürfe, auch wenn es andere Ökonomien gibt, bei denen die Leistungsbilanzüberschüsse in Relation zur Wirtschaftsleistung noch viel höher sind (beispielsweise Singapur, die Schweiz und die Niederlande, von Ölexporteuren wie Brunei oder Kuweit ganz zu schweigen).

Noch wichtiger ist aber die Dauerhaftigkeit der Leistungsbilanzüberschüsse. Gelegentliche Überschüsse – und Defizite auf der anderen Seite – sind kein Problem, solange der Status von Überschuss- und Defizitländern immer wieder wechselt. Dauerhaft hohe Überschüsse bei denselben Ländern wie im Falle Deutschlands allerdings zwingen andere Länder im Aggregat schon rein logisch (»saldenmechanisch«) zu ebenso dauerhaften Defiziten – solange wir nicht auf den Mars oder Mond exportieren können. In den letzten Jahren werden daher außenwirtschaftliche Ungleichgewichte zunehmend kritisch gesehen, beispielsweise von der KfW.

 

Zahlungsbilanzkrisen und erzwungene Abwertungen

Mit den dauerhaften und großen Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands sind also in anderen Ökonomien notwendig Defizite verbunden, auch über längere Zeiträume. Warum und unter welchen Umständen ist das ein Problem? Warum führt es zu Konflikten?

Kurzfristig ist ein Leistungsbilanzdefizit für die entsprechende Ökonomie angenehm. Dadurch stehen dem Land mehr Ressourcen – für Konsum und Investitionen – zur Verfügung als bei einer ausgeglichenen Leistungsbilanz. Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen hingegen leben »unter ihren Möglichkeiten«, sie verzichten auf Konsum und Investitionen zugunsten des Auslands.

Zudem gibt es Konstellationen, in denen auch längerfristige Leistungsbilanzdefizite durchaus erwünscht sind. Das gilt vor allem für dynamische Entwicklungs- und Schwellenländer, die sich in einem industriellen Aufholprozess befinden. Ein Leistungsbilanzdefizit bedeutet – die Neutralität der Zentralbank vorausgesetzt – automatisch einen Kapitalimport, der für diesen Aufholprozess eingesetzt werden kann.

Kapitalimporte können sehr nützlich sein, wenn sie für produktive Investitionen eingesetzt werden. Aus den Erlösen dieser Investitionen (Exporte oder Verringerung von Importen durch einheimische Produktion) kann dann schließlich das Leistungsbilanzdefizit geschlossen werden. Ein Beispiel potenziell produktiver Kapitalimporte sind ausländische Direktinvestitionen in Form des Aufbaus neuer Produktionsstätten (»greenfield investment«), die aufgrund des damit verbundenen Technologietransfers und der Schaffung von Arbeitsplätzen in der Regel ohnehin sehr willkommen sind.

Allerdings gilt auch für diese Länder, dass sich das Defizit irgendwann wieder in einen Überschuss verwandeln muss, was häufig nicht der Fall ist oder erst in einer turbulenten Krise erfolgt. Sehr häufig werden die Kapitalimporte nicht durchgehend für hochproduktive Investitionen eingesetzt, sondern zumindest teilweise für Konsum oder für Immobilienkredite. Es kann dann leicht zu dauerhaften und umfangreichen Leistungsbilanzdefiziten kommen.

Wenn nun beispielsweise in einer Wirtschaftskrise die ausländischen Kapitalgeber nicht mehr bereit sind, das längerfristige Leistungsbilanzdefizit durch weitere Kapitalzuflüsse zu kompensieren, kommt es zu einer Zahlungsbilanzkrise. Diese Krisen sind häufig sehr dramatisch, da die ausländischen Investoren die nicht langfristig gebundenen Teile ihrer Finanzmittel oftmals panikartig sehr kurzfristig abziehen (»Sudden Stop«), ein in Schwellenländern nicht seltenes Phänomen. Bei flexiblen Wechselkursen führt das zu einem Absturz der Währung und – über verteuerte Importe – auch zu hoher Inflation.

In einer Zahlungsbilanzkrise besteht zudem die Gefahr, dass die Defizitökonomien ihren laufenden Konsum nicht mehr bezahlen und die akkumulierten Schulden nicht mehr bedienen können. Kurzfristig haben sie dann nur noch die Möglichkeit, über den Verkauf ihrer Devisenreserven oder (gegen schmerzhafte Auflagen) durch einen Hilfskredit beim IWF ihr Zahlungsbilanzdefizit auszugleichen.

Zahlungsbilanzkrisen sind nicht nur Probleme der davon direkt betroffenen Länder, sie berühren auch die Interessen der Überschussländer. Letztere müssen in einer solchen Krise nicht nur mit verringerten Exporten rechnen, sondern auch mit der Abschreibung ihrer finanziellen Forderungen.

Mittel- bis langfristig können solche Probleme nur durch eine Reduktion des Leistungsbilanzdefizits gelöst werden. Notwendig ist eine Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft. Langfristig erfolgt das im Idealfall durch produktive Investitionen, mittelfristig im Regelfall allerdings durch eine Abwertung. Das kann entweder durch eine Abwertung der Währung (»externe Abwertung«) oder eine generelle Senkung des Lohn- und Preisniveaus (»interne Abwertung«) erfolgen.

Sowohl die externe als auch die interne Abwertung ist für große Teile der Bevölkerung schmerzhaft, letztere aber im Regelfall noch viel mehr, wie Stefanie Walter in einer Studie erläutert. Bei einer externen Abwertung verliert beispielsweise die Bevölkerung des abwertenden Staates generell an Kaufkraft in Bezug auf Importgüter. Diese Auswirkung verteilt sich aber auf viele Schultern, sie wird von den Verbrauchern auch nicht unbedingt deutlich gespürt.

Bei einer internen Abwertung sind gravierende Eingriffe in eine Vielzahl individueller Arbeits- und Lebensverhältnisse nötig, durch Austerität im öffentlichen Sektor (zum Beispiel die Schließung von Krankenhäusern), Steuererhöhungen, Lohnkürzungen und Entlassungen. Dadurch wird auch die Binnennachfrage empfindlich getroffen, in konsumgetriebenen Wachstumsmodellen mit sehr negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum.

Die mit Deutschland besonders eng verflochtenen Ökonomien der Eurozone mussten die Nachteile dauerhafter Zahlungsbilanzdefizite in der Eurokrise schon schmerzhaft realisieren. Der Schmerz fiel sogar noch schlimmer aus als in vielen anderen Ländern, weil mit dem Binnenmarkt und der gemeinsamen Währung weder Protektionismus noch externe Abwertung möglich waren und stattdessen in der Eurokrise die noch schmerzhaftere einschneidendere Strategie der inneren Abwertung eingeschlagen wurde.

 

 

Andreas Nölke: „Exportismus. Die deutsche Droge“ – 176 Seiten, 22 Euro, Westend Verlag https://www.westendverlag.de/buch/exportismus/

 

 

Die Rolle der deutschen Exportorientierung bei der Entstehung der Eurokrise

In jüngerer Vergangenheit haben wir die Nachteile großer dauerhafter Leistungsbilanzungleichgewichte im Fall der Eurokrise gesehen – einer Krise, die selbst vor der Corona-Krise nach wie vor andauerte, auch wenn sie in der deutschen Öffentlichkeit inzwischen weitgehend verdrängt wurde. Ende 2019 lag die Arbeitslosigkeit (nach Eurostat-Angaben) in Italien bei 10, Spanien 14 und Griechenland 17 Prozent, in Kontrast zu 3 Prozent in Deutschland. Bei der Jugendarbeitslosigkeit war die katastrophale Lage in Südeuropa sogar noch viel stärker ausgeprägt, mit 28 Prozent in Italien und jeweils 32 Prozent in Spanien und Griechenland, im Vergleich zu 6 Prozent in Deutschland.

Die Eurokrise wurde in der deutschen Öffentlichkeit vor allem als Schuldenkrise bezeichnet, gemeint waren damit Staatsschulden. Das ist aber eine sehr irreführende Bezeichnung, mit Ausnahme des griechischen Falls. Die Staatsschulden in den anderen Krisenländern waren vor Beginn der Eurokrise nicht sonderlich hoch, in Spanien und Irland lagen sie sogar deutlich unter jenen Deutschlands, in Portugal etwa auf gleicher Höhe.

Auffällig hingegen war die rasche Herausbildung von Leistungsbilanzdefiziten in allen Krisenländern. Während Irland und Italien vor Einführung der gemeinsamen Währung noch Leistungsbilanzüberschüsse hatten und Spanien eine relativ ausgeglichene Leistungsbilanz, verschlechterte sich in allen Ländern die Bilanz bis zum Ausbruch der globalen Finanzkrise 2007/08 erheblich.

In demselben Zeitraum glich Deutschland nicht nur sein geringes Defizit aus, sondern türmte ab 2001 immer höhere Überschüsse auf. Im Jahr 2007 betrug der deutsche Leistungsbilanzüberschuss nach Eurostat-Angaben 6,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, während Italien ein Defizit von 1,4 Prozent auswies, Irland 6,5 Prozent, Spanien 9,4 Prozent, Portugal 10,3 Prozent und Griechenland 15,2 Prozent.

Die globale Finanzkrise 2007/08 führte zu einer Neubetrachtung der ökonomischen Situation der südeuropäischen Staaten. Hinzu kamen die Verluste (insbesondere auch deutscher Banken) bei der Anlage in amerikanischen »Subprime«-Hypotheken. Die Bankenaufsicht verlangte daraufhin eine Stärkung des Eigenkapitals durch den Abbau von Forderungen – was deutsche Banken insbesondere durch Abzug von Krediten an südeuropäische Banken realisierten. Das private Kapital begann daher schlagartig diese Ökonomien zu verlassen (ein klassischer »Sudden Stop«), so der Brüsseler Thinktank Bruegel), beginnend in Griechenland, mit den bekannten Auswirkungen auf die Risikoaufschläge (»spreads«) südeuropäischer Staatsanleihen.

Um in Zukunft ähnlich negative Entwicklungen zu vermeiden, war nach Ausbruch der Eurokrise eine Reduktion der erheblichen Leistungsbilanzungleichgewichte notwendig. Die – im nächsten Abschnitt beschriebene – weitere Entwicklung im Rahmen der Eurozonenrettung zeigt allerdings, dass diese Anpassung einseitig von Südeuropa getragen werden musste, de facto durch eine Reduktion von Importen im Rahmen einer schmerzhaften internen Abwertung. Die Anpassung ist auch bei Weitem noch nicht komplett, Jan Priewe bezeichnete die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse auch 2017 noch als »Zeitbombe« für den Euro.

Die Entscheidung für diese Anpassung war ja auch nicht freiwillig, sondern sie wurde letztendlich durch deutschen Druck erzwungen. Deutschland – und die anderen nördlichen Euromitglieder – waren in einer starken Verhandlungsposition, da sie – im Gegensatz zu den südlichen Krisenländern – in der Krise nicht auf Unterstützung durch andere Länder angewiesen waren. Es ist daher nicht überraschend, dass das deutsche Exportmodell in diesen Ländern seitdem erhebliche Aversionen hervorruft, besonders deutlich artikuliert in Italien.

 

Die erzwungene Generalisierung des deutschen Exportmodells nach der Eurokrise

Die globale Finanzkrise 2007/08 löste eine Neubewertung der wirtschaftlichen Situation der südeuropäischen Länder sowie Irlands aus. Hohe Leistungsbilanzdefizite, die bisher problemlos toleriert wurden, sahen plötzlich gefährlich aus.

Gleichzeitig erzwang die Finanzmarktkrise staatliche Bankenrettungspakete. Um die Rezession zu mildern, wurden zudem umfangreiche Konjunkturprogramme aufgelegt. Die zuvor – mit Ausnahme Griechenlands – unproblematische Staatsverschuldung stieg deutlich an und wurde nun auch sehr skeptisch gesehen. Die Investoren verlangten deutlich höhere Risikoaufschläge auf südeuropäische Staatsanleihen.

Ab 2010 etablierten die Staaten der Eurozone sukzessive ein Regime zur Eurorettung, beginnend mit den ersten bilateralen Krediten für Griechenland im April 2010. Seit 2012 ist der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) der wichtigste Unterstützungsfonds für die südeuropäischen Ökonomien. Einige Länder haben inzwischen ESM-Kredite erhalten, gegen ökonomische Bedingungen.

Entscheidend ist, dass diese Konditionen nach dem deutschen exportorientierten Modell modelliert wurden, mit einem Fokus auf Austerität in öffentlichen Haushalten und Lohnmäßigung im Privatsektor. Es ist keine Übertreibung, wenn man das Eurozonenregime als ein Versuch versteht, die südeuropäischen Ökonomien nach dem deutschen Modell einer exportgetriebenen Ökonomie zu restrukturieren, mit Hilfskrediten als Zwangsinstrument.

Deutschland hatte bereits einige zentrale Ideen seiner exportorientierten Vorstellungen im Rahmen des Maastricht-Vertrags zur Einführung der gemeinsamen Währung einbringen können. Dazu gehörte zunächst die Etablierung einer hochgradig unabhängigen Zentralbank, die nur dem Inflationsziel verpflichtet ist – und nicht auch der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, wie beispielsweise die US-Fed. Der 1997 beschlossene Stabilitäts- und Wachstumspakt legt zudem ein maximales jährliches Haushaltsdefizit von 3 Prozent und ein Gesamtvolumen von öffentlichen Defiziten von maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fest.

Diese Regeln wurden allerdings zunächst nicht strikt umgesetzt. Sie wurden anfangs auch nicht von anderen Kernelementen der deutschen Exportorientierung begleitet. Das hat sich nach 2010 geändert. Nun wurden umfassende Regeln für eine wirtschaftspolitische Überwachung der Euroländer durch die Europäische Kommission beschlossen, im Rahmen der sogenannten Sixpack- und Twopack-Regulierungen 2011. Das war möglich, weil Deutschland in dieser Situation über Finanzmittel verfügte, die einige der südlichen Ökonomien dringend benötigten.

Auch wenn die neuen Regeln natürlich für die gesamte Eurozone gelten, laufen sie in der Praxis auf eine Restrukturierung der südeuropäischen Ökonomien in Richtung der deutschen Exportorientierung hinaus, insbesondere durch eine Dämpfung der Lohnentwicklung und der Staatsausgaben. Charakteristisch für die Dominanz deutscher Vorstellungen bei der Einrichtung dieser Institutionen ist beispielsweise, dass die sogenannte »Macroeconomic Imbalance Procedure« Leistungsbilanzüberschüsse anders behandelt als -defizite und bei ersteren einen viel höheren Grenzwert einräumt als bei Letzteren – was ökonomisch nicht begründbar ist.

Weiterhin ist es Deutschland 2011 gelungen, die meisten EU-Mitgliedsstaaten zur Implementierung einer – nur für ein exportorientiertes Modell sinnvollen – Schuldenbremse in ihren Verfassungen zu bringen (Europäischer Fiskalpakt), im Gegenzug zur potenziellen Bereitstellung von Mitteln über den Europäischen Stabilitätsmechanismus.

Auf dieser Basis war die EZB schließlich bereit, zugunsten der Krisenländer massiv auf den Märkten für Staatsanleihen zu intervenieren (Mario Draghis »whatever it takes«), sodass 2012 die dramatische Zuspitzung der Eurokrise mit ihren hohen Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen überwunden wurde.

In den Folgejahren war der Versuch einer Restrukturierung der südeuropäischen Ökonomien mit dem Ziel, Leistungsbilanzdefizite auszugleichen, sogar erfolgreich. Allerdings wurden diese Erfolge mit einem hohen Preis bezahlt. Die Stabilisierung der Eurozone ist nicht dadurch erfolgt, dass sie intern ausbalanciert wurde (mit geringeren südeuropäischen und stärkeren deutschen Importen), sondern vor allem durch eine einseitige strukturelle Konvergenz (»forced structural convergence«, Fritz Scharpf) Südeuropas auf das deutsche Modell.

Der Preis für diese Restrukturierung wurde vor allem von der Bevölkerung der südeuropäischen Länder getragen, die nun unter geringeren Sozialleistungen, geringeren Löhnen und schlechteren Anstellungsverhältnissen leiden. Zudem erfolgt sie auch zu Ungunsten von anderen globalen Wirtschaftsregionen, die nun die Leistungsbilanzüberschüsse der Eurozone durch entsprechende Defizite kompensieren müssen.

Auch fast zehn Jahre nach Ausbruch der Eurokrise sind die davon betroffenen südeuropäischen Ökonomien weiter sehr fragil. Sie hatten zwar in den letzten Jahren – bis zum Ausbruch der Corona-Krise – wieder etwas höhere Wachstumsraten aufzuweisen, sind aber noch immer weit entfernt von dem, was sie vor der Eurokrise ausgezeichnet hat. Insbesondere leiden sie immer noch unter einer hohen Arbeitslosigkeit, speziell der jungen Erwachsenen.

Große Teile der Jungen und Qualifizierten suchen inzwischen in der Emigration ihre Chance. Während diese Entwicklung in Portugal, Spanien, Griechenland und Zypern relativ resigniert zur Kenntnis genommen wird, lehnt sich Italien inzwischen sehr deutlich gegen diese Situation auf.

Offener Konflikt: Italien und das deutsche Wirtschaftsmodell

Im Unterschied zu den anderen südeuropäischen Staaten ist Italien ein Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft. Es verfügt daher über ein ganz anderes europapolitisches Selbstbewusstsein als jene Gesellschaften, die später zum Wirtschaftsverbund gestoßen sind.

Insbesondere in Portugal, Spanien und Griechenland ist die Mitgliedschaft in der Europäischen Union als Erlösung nach den dunklen Jahren der Diktaturen gesellschaftlich extrem positiv besetzt. In diesen Ländern können große Teile der Bevölkerung es sich daher nicht vorstellen, sich grundlegend gegen Europa zu stellen, selbst wenn sie unter dem Euro und dem Eurorettungsregime leiden. Das ist in Italien anders, zumal Norditalien traditionell über eine ausdifferenzierte Exportökonomie verfügt, die bis vor wenigen Jahrzehnten der deutschen Industrie mühelos Paroli bieten konnte (und das in Teilen immer noch kann).

Hinzu kommt, dass die Ökonomien Griechenlands, Portugals und Spaniens zumindest zu Beginn der Einführung des Euros von der gemeinsamen Währung noch profitiert haben. Italien hingegen ist nach einer Studie des Freiburger Zentrums für europäische Politik (CEP) der größte Verlierer der ersten zwei Jahrzehnte des Euros – während Deutschland der mit Abstand größte Gewinner ist. Inzwischen nehmen im politischen System Italiens Parteien einen großen Raum ein, die realisiert haben, dass das aktuelle Elend der italienischen Wirtschaft in hohem Maße mit der deutschen Niedriglohnpolitik zusammenhängt sowie der durch den Euro weggefallenen Option einer externen Abwertung. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass die Auflehnung gegen das von Deutschland dominierte Eurosystem für diese Parteien zu einer realen Option geworden ist.

Insbesondere die Regierung von Movimento 5 Stelle und Lega Nord drohte 2018/19 offen mit einem italienischen Ausstieg aus dem Euro. Angesichts der Größe der italienischen Ökonomie und dem Volumen der italienischen Staatsanleihen dürfte die Realisierung dieser Option zu einer noch viel gravierenderen Krise führen als bei der ersten Eurokrise. Der Ausgang einer solchen Konfrontation wäre schwer abzusehen, zumal die europäischen Institutionen in der Konfrontation nur eine geringe Bereitschaft zeigten, Italien entgegenzukommen, beispielsweise durch eine Lockerung der Verschuldungsregeln.

Derzeit ist der Konflikt weitgehend auf Eis gelegt, einerseits wegen des Ausscheidens der Lega aus der Koalition, andererseits aufgrund der Corona-Krise, dem nach der Krise beschlossenen Wiederaufbauprogramm und dem Aussetzen der restriktiven europäischen Fiskalregeln. Er kann aber jederzeit wieder aufflammen.

Die latenten Spannungen gegenüber Deutschland und seinem – nicht nur aus italienischer Perspektive – egoistischen Wirtschaftsmodell wurden jedenfalls beim Ausbruch der Corona-Pandemie mehr als deutlich, mit scharfen Vorwürfen an die Bundesregierung wegen mangelnder Solidarität gegenüber dem gebeutelten Italien.

 

Handelspolitische Spannungen zwischen der Eurozone und dem Rest der Welt

In den letzten Jahren hat sich der Fokus der vom deutschen Exportmodell ausgelösten Konflikte etwas verschoben. Diese Konflikte finden nicht mehr nur innerhalb der Eurozone statt, sondern nun auch zwischen jener und dem Rest der Welt. Im Fokus stehen die seit 2012 stark wachsenden Leistungsbilanzüberschüsse der Eurozone als Ganzes. Inzwischen erzielen nicht nur Deutschland, sondern auch die südlichen Krisenländer solche Überschüsse.

Langfristige und zunehmend umfangreiche Leistungsbilanzüberschüsse des größten Wirtschaftsblocks sind für die globale Ökonomie eine erhebliche Belastung. Andere Ökonomien müssen diese Überschüsse absorbieren, mit ungünstigen Konsequenzen für ihre eigenen Arbeitsmärkte.

Das deutsche Modell allein konnte von den Handelspartnern noch zähneknirschend toleriert werden, zumal die Eurozone bis vor zehn Jahren kaum Überschüsse produzierte. Durch die Generalisierung des deutschen Modells nun auch in Südeuropa allerdings wird die Situation unerträglich, zumal die expansive Geldpolitik der EZB zusätzlich dazu beiträgt, dass der Eurowechselkurs sehr niedrig liegt.

Trump hat in den letzten Jahren der EU mehrfach Währungsmanipulation vorgeworfen und mit Sanktionen gedroht. Er hat gleichzeitig erheblichen Druck auf die US-Fed ausgeübt, die Leitzinsen zu senken – einerseits in Bezug auf eine Stimulierung des schwachen Wirtschaftswachstums, andererseits auch mit dem willkommenen Nebeneffekt einer Schwächung des US-Dollars im Außenverhältnis.

Nicht nur die Reaktion von Trump verweist darauf, dass die Bereitschaft unserer Handelspartner, diese Praxis weiter zu tolerieren, begrenzt ist. Da Trump in der Kritik der wachsenden EU-Leistungsbilanzüberschüsse ein legitimes Motiv hat, wird dieses Thema auch bei seinem Nachfolger Joe Biden nicht verschwinden, zumal jener seinen Wahlkampf unter der Rubrik »Buy American« geführt hat.

Früher oder später wird Deutschland mit dem Thema der Überschüsse wieder konfrontiert werden. Während die unter einer hohen staatlichen Verschuldung und einer wirtschaftlichen Krise leidenden südeuropäischen Ökonomien sich allerdings gegen das deutsche Exportmodell nicht wehren konnten, sieht das beim Rest der Welt – insbesondere den USA – anders aus.

Trump hat die Drohung mit Zöllen gegen die Europäische Union zunächst zurückgestellt, insbesondere im Kontext des eskalierenden Handelskonflikts zwischen den USA und China. Das kann sich aber nach der Präsidentschaftswahl rasch ändern, insbesondere bei einem nachhaltigen Einbruch der amerikanischen Wirtschaft aufgrund der Corona-Krise. Der von Exporten abhängigen deutschen Wirtschaft drohen hier erhebliche Gefahren.

 

Deutschland auf der Anklagebank internationaler Organisationen

Es hängt wahrscheinlich mit der besonderen Persönlichkeit Trumps zusammen, dass die berechtigten amerikanischen Forderungen nach einer Modifikation des deutschen Wirtschaftsmodells bisher kaum ernst genommen werden. Zudem hat sich Trump mit einem Fokus auf die umfangreichen deutschen Exporte – statt auf die zu geringen Importe – die »denkbar schlechteste Argumentationslinie ausgesucht«, wie Mario Huzel und Philipp Stachelsky schreiben. Man sollte sich aber nicht zu früh freuen. Nach der akuten Phase der Corona-Krise werden diese Forderungen bald wieder auf dem Tisch liegen.

Deutschland sitzt seit einigen Jahren auf der Anklagebank aller internationalen Organisationen, die sich mit dem Zustand der Weltwirtschaft beschäftigen. Der IWF, die OECD und die Europäische Kommission kritisieren deutlich die Höhe der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse.

Sie ergänzen diese Forderungen zunehmend durch konkrete Vorschläge, wie diese Überschüsse reduziert werden sollen. Im Vordergrund steht dabei nicht der Verzicht auf den Export deutscher Produkte, sondern die Forderung nach höheren Löhnen und höheren öffentlichen Ausgaben in Deutschland. Die Deutlichkeit, mit der diese Forderungen unisono artikuliert werden, ist verblüffend, da solche internationalen Organisationen eher nicht als besonders sozialdemokratisch oder gar »links« bekannt sind, sondern den liberalen Mainstream der globalen Ökonomie repräsentieren.

Aus der Sicht des IWF beschränkt sich das Problem nicht nur auf diese ökonomischen Zusammenhänge. Die zunehmende Konzentration von Leistungsbilanzdefiziten in einigen wenigen Ökonomien erhöht aus seiner Sicht auch die Wahrscheinlichkeit einer disruptiven Handelspolitik. Von einer solchen Handelspolitik wäre Deutschland mit seiner Exportorientierung in ganz besonderem Maße betroffen.

Die deutsche Exportabhängigkeit ist in der Vergangenheit zwar mit recht soliden Wachstumsraten einhergegangen, verspricht für die Zukunft allerdings nichts Gutes. In der Corona-Krise wird bereits deutlich, dass in Zukunft eher mit einer Verringerung globaler wirtschaftlicher Verflechtungen zu rechnen ist als mit deren Intensivierung.

 

Der strukturelle Rückgang der Globalisierung als Bedrohung der deutschen Exportindustrie

Selbst wenn sich die Weltwirtschaft mit einem soliden Wachstum weiterentwickeln würde, ist noch lange nicht ausgemacht, dass diese Entwicklung wie in der Vergangenheit in besonderem Maße dem bisherigen Exportchampion Deutschland zugutekommen würde. Der Hintergrund ist eine strukturelle Verschiebung weg vom globalen Güterhandel.

Wir sehen bereits seit einigen Jahren eine Stagnation des Globalisierungsprozesses, der noch vor kurzem als unaufhaltsam beschrieben wurde. Insbesondere im für Deutschland überproportional bedeutsamen Güterhandel gibt es sogar seit der globalen Finanzkrise einen Rückgang in Relation zur Wirtschaftsleistung, so eine jüngst erschienene Studie von Prognos-Institut und BayernLB. Und innerhalb des Güterhandels behaupten sich vor allem die Konsumgüter – nicht die für Deutschlands Maschinenbau besonders wichtigen Investitionsgüter.

Nur im Dienstleistungshandel und bei Datenströmen – beides quantitativ bisher für Deutschland eher zu vernachlässigen – vertieft sich die Globalisierung noch weiter. Prognos-Institut und BayernLB haben schon allein daraus geschlossen, dass die viel zu stark exportorientierte deutsche Wirtschaft nun ein neues »Geschäftsmodell« benötige.

Aus der Sicht von Véronique Riches-Flores kommt noch die ungünstige demographische Entwicklung in den kaufkräftigen Ländern hinzu. Eine alternde Bevölkerung neigt nicht nur zu einer eher skeptischen Haltung zur Globalisierung, sondern bringt auch weniger Nachfrage nach den Produkten der deutschen Industrie mit sich.

Die Corona-Krise wird den Rückgang der Globalisierung im Warenhandel aller Voraussicht nach noch weiter verstärken, einerseits durch Tendenzen zur Verlagerung der Produktion in die Nähe der Absatzmärkte (»Nearshoring«), andererseits durch zunehmende protektionistische Tendenzen in vielen Weltregionen. Das liegt auch an der Schwäche der Welthandelsorganisation (WHO).

Das Welthandelsregime stagniert schon länger, inzwischen seit einem Vierteljahrhundert. Vorher haben die beteiligten Regierungen in regelmäßigen Handelsrunden Maßnahmen zur Handelsliberalisierung ausgehandelt, im Rahmen des GATT (»General Agreement on Trades and Tariffs«). Die letzte erfolgreiche Runde hat 1995 auch zur Gründung der WHO geführt. Seitdem allerdings konnte kein weiteres Abkommen erfolgreich abgeschlossen werden, obwohl es in vielen Bereichen Regelungsbedarf gibt, etwa bei Subventionen oder dem E-Commerce.

Jüngst wurde nun auch noch das zweite Standbein der WHO als Schiedsgericht bei globalen Handelsstreitigkeiten lahmgelegt. Der sogenannte »Appellate Body« ist auf absehbare Zeit entscheidungsunfähig, weil die US-Regierung die Ersatzwahl eines Richters blockiert.

In Abwesenheit globaler Schritte zur Handelsliberalisierung ist es in den letzten zwei Jahrzehnten zwar zur Aushandlung einer Vielzahl von bilateralen und regionalen Handelsabkommen gekommen, damit droht aber zunehmend die Herausbildung von antagonistischen Handelsblöcken, auch keine gute Perspektive für einen globalen Exporteur wie Deutschland – zumal sich die dann umso wichtigeren Absatzmärkte in Europa in absehbarer Zeit aus den oben genannten Gründen nicht sehr dynamisch entwickeln werden.

 

Die USA und China: vom Handelsscharmützel zum globalen Systemkonflikt

Während sich die Tendenzen zur Erosion der Globalisierung zunächst eher schleichend entwickelt haben, droht im Kontext des Konflikts zwischen den USA und China mittlerweile die Eskalation eines gelegentlichen Handelskonflikts zu einem vollen Handelskrieg. Inzwischen befinden wir uns nämlich auf einer Eskalationsspirale, bei der beide Seiten die Maßnahmen der jeweils anderen Seite durch neue protektionistische Schritte beantworten.

Diese Spirale wurde Ende 2019 nur vorübergehend unterbrochen, weil Trump mit China einen Deal abgeschlossen hat, um seine Wähler in den Agrarstaaten bei Laune zu halten. Die USA haben auf weitere Strafzölle verzichtet, da China im Gegenzug hohe Importe von Soja und Schweinefleisch versprochen hat.

Der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt behindert nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung in den beiden Ländern, sondern auch die globale Konjunktur. Gravierend ist dabei insbesondere die Unsicherheit, ob der Konflikt in absehbarer Zeit beigelegt werden kann oder ob er die involvierten Unternehmen zu einer völligen Reorganisation der globalen Lieferketten zwingt.

Deutschland sitzt in diesem Handelskonflikt zwischen den Stühlen, beide Seiten hätten es gerne auf ihrer Seite. Die exportlastige deutsche Wirtschaft kann es sich aber nicht erlauben, es sich mit einem der beiden Handelspartner zu verscherzen. Die USA sind der wichtigste Absatzmarkt der deutschen Exporte, China – nach Frankreich – die Nummer drei, so das Bundeswirtschaftsministerium.

Manche Beobachter hoffen, dass sich der chinesisch-amerikanische Konflikt nach der Abwahl von Trump entschärfen wird. Wir sollten aber nicht vergessen, dass diese konfrontative Haltung gegenüber China keine wirre Laune eines Präsidenten ist, sondern inzwischen breit im sicherheitspolitischen Establishment der USA verankert ist.

Auch wenn es im Handelskonflikt zwischen China und den USA zwischenzeitlich zu einer Entspannung kommen sollte, spricht vieles für einen dauerhaften Konflikt zwischen den beiden Großmächten. In den letzten Jahren hat sich auf der Seite der USA nämlich ein fundamentaler Wandel in Bezug auf die Einschätzung Chinas ergeben. Seitdem wird China im außenpolitischen Establishment der USA – und zwar sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten – nicht mehr als Partner, sondern als systemischer Wettbewerber um die Vormachtstellung in der Geopolitik angesehen, wie eine Studie zu den amerikanischen China-Experten herausgestellt hat.

Selbst die Wirtschaft, einschließlich der Wall Street, setzt sich inzwischen nicht mehr durchgehend für ein kooperatives Verhältnis zu China ein. Neben dem ewigen Ärger in Bezug auf die Verletzung intellektueller Eigentumsrechte ist inzwischen der Eindruck entstanden, dass chinesische Konzerne aufgrund ihrer dynamischen Entwicklung bei Zukunftstechnologien wie 5G und Künstlicher Intelligenz in absehbarer Zeit zu gefährlichen Konkurrenten ihrer amerikanischen Ebenbilder heranwachsen könnten.

Auch nach einer Trump-Präsidentschaft ist daher keine grundsätzliche Entspannung im Verhältnis zwischen den beiden Großmächten zu erwarten. An die Stelle des »War on Terror« ist nun der geopolitische Wettbewerb mit China als zentrales Motiv der US-Außenpolitik getreten, zunehmend unterstützt durch geoökonomische Rivalitäten.

Aus der Sicht der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik kann sich aus diesem »amerikanisch-chinesischen Weltkonflikt« ganz leicht eine De-Globalisierung zugunsten zweier getrennter Sphären ergeben, eine unter chinesischer und eine unter amerikanischer Dominanz. Dritte Länder werden sich entscheiden müssen, für die eine oder andere Seite. Für die deutsche Exportindustrie sind das miserable Perspektiven.

 

Neue Risiken in den chinesischen Absatzmärkten

In den vergangenen zehn Jahren, insbesondere seit dem großen Konjunkturprogramm nach der Finanzkrise hat die deutsche Exportwirtschaft ganz besonders von der Nachfrage aus China profitiert. Der chinesische Appetit nach deutschen Luxusautomobilen und Maschinen war scheinbar grenzenlos.

Auch unabhängig vom amerikanisch-chinesischen Konflikt droht den deutschen Exporteuren auf den chinesischen Märkten nun allerdings Unheil. Um das Wirtschaftswachstum auf einem politisch gewünschten hohen Niveau zu halten, hat die chinesische Führung den Banken in den letzten Jahren eine vergleichsweise liberale Politik in Bezug auf die Kreditvergabe vorgeschrieben. Mit der stark gestiegenen Verschuldung Chinas – die Verschuldung von Unternehmen außerhalb des Finanzsektors liegt mit über 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts doppelt so hoch wie in den USA (circa 75 Prozent) und fast dreimal so hoch wie in Deutschland (etwa 55 Prozent) – geht ein Risiko größerer Kreditausfälle einher, so eine aktuelle Bestandsaufnahme von Matthias Janson. Eine Studie des Berliner MERICS-Instituts geht davon aus, dass sich diese Unternehmensverschuldung noch weiter steigern wird.

Das deutlich gestiegene Risiko des Ausfalls von Unternehmenskrediten trifft in China auf eine Situation, in der die Banken noch unter den Kreditausfällen der letzten wirtschaftlichen Stimulationsphase nach der globalen Wirtschaftskrise 2008 leiden, wie ich in meinen Studien zum chinesischen Wirtschaftssystem gezeigt habe. Eigentlich wären in dieser Situation eine eingeschränkte Kreditvergabe und ein langsamer Abbau der durch »faule« Kredite entstandenen Risiken angebracht, eine Anforderung, die auf absehbare Zeit jedoch nicht erfüllt werden kann, weil das hohe Kreditniveau zur Stabilisierung der Wirtschaft in der Corona-Krise benötigt wird.

Nicht nur die Stabilität der Ökonomie macht den deutschen Exporteuren in Bezug auf ihre weiteren Geschäfte in China Sorgen, sondern auch die politischen Restriktionen, denen sie zunehmend ausgesetzt sind. Damit sind weniger die Spannungen rund um Honkong gemeint, deren Auswirkungen auf deutsche Exporte bisher gering blieben. Zu den neuesten Herausforderungen gehört die Ausweitung des umfassenden chinesischen Sozialkreditsystems auf Unternehmen. Ganz abgesehen von generellen Sorgen über die damit zur Verfügung zu stellenden Daten besteht das Risiko, dass deutsche Unternehmen, die sich in irgendeiner Form politisch unliebsam gemacht haben, als »stark vertrauensunwürdige Unternehmen« eingestuft und aus dem Land geworfen werden – eine für manche Unternehmen angesichts der Bedeutung der chinesischen Exportmärkte existentielle Bedrohung.

Risiken drohen der deutschen Exportindustrie in Zukunft schließlich auch von der Neuausrichtung der chinesischen Ökonomie. Diese wandelt sich nicht nur von der traditionellen Rolle als Produktionsökonomie zu einer modernen Dienstleistungsökonomie, sondern auch weg von arbeitsintensiven Billigexporten und hin zu High-Tech-Exporten. Diese Neuorientierung bremst nicht nur die Nachfrage nach deutschen Ausrüstungsgütern im Maschinenbau, sondern sorgt mittelfristig auch dafür, dass chinesische Unternehmen als Konkurrenten mit einem ähnlichen Produktportfolio wie die deutsche Industrie auftreten könnten.

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) sieht die deutsche chemische Industrie inzwischen von »Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten« deutlich herausgefordert. Seit etwa 2015 sieht sie einen klaren Wandel von der Kooperation zur Systemkonkurrenz und fordert ein Nachdenken über die Abkopplung von den zunehmend chinesisch geprägten Wertschöpfungsketten.

Weitere Spannungen ergeben sich durch Irritationen über chinesische Firmenkäufe in Deutschland. Gegenmaßnahmen der Bundesregierung können schnell zu Restriktionen für deutsche Exporteure führen. Ein China-Boom, wie ihn die deutsche Exportindustrie in den vergangenen drei Jahrzehnten erlebt hat, wird sich jedenfalls nicht wiederholen, auch wenn ordentliche Ausfuhren nach China nach der ersten Welle der Corona-Krise dafür gesorgt haben, dass der deutsche Exportsektor 2020 nicht völlig eingebrochen ist.

 

Der Brexit und die deutschen Exporte

Die potenzielle Relevanz politischer Konflikte – jenseits pur ökonomischer Risiken – ist den deutschen Exporteuren in jüngster Vergangenheit bereits im Rahmen des Brexits demonstriert worden. Immerhin ist Großbritannien außerhalb der Eurozone der wichtigste Exportmarkt in Europa und insgesamt Nummer fünf auf der Liste deutscher Exportdestinationen (nach den USA, Frankreich, China und den Niederlanden).

Die Unsicherheit über den Verlauf und die Folgen des Brexits hat bereits frühzeitig seine negativen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft gezeigt. Der Handel zwischen Deutschland und Großbritannien ist in den letzten Jahren bereits deutlich zurückgegangen – früher war das Land die drittwichtigste deutsche Exportadresse. Nach Berechnungen des DIW hat die Brexit-Entscheidung damit in den ersten drei Jahren nach der Abstimmung 0,8 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes gekostet, mit voraussichtlich noch einmal denselben Verlusten im Jahr 2020/21.

Besonders gravierend ist der Brexit für Unternehmen, die Produktionsstätten in Großbritannien haben, so wie BMW mit dem Mini und dem Motorenwerk Hams Hall. Störungen in den ausgefeilten grenzüberschreitenden Lieferketten können hier für erhebliche Turbulenzen sorgen.

Hinzu kommen regulatorische Probleme. Von letzteren wird vor allem die Chemieindustrie getroffen. Das gilt insbesondere für einen Brexit ohne umfassendes Handelsabkommen, denn in diesem Falle hätten alle Chemikalien, die in Großbritannien produziert werden, in der Europäischen Union keine Zulassung mehr. Gleiches gilt für die Pharmaindustrie, die zudem besonders eng mit Großbritannien verflochten ist.

Schließlich drohen der deutschen Exportindustrie auch jenseits der direkten Brexit-Folgen in Zukunft in Großbritannien empfindliche Einbußen. Die hohen britischen Leistungsbilanzdefizite wurden bereits erwähnt. Bisher wurden diese wegen der Bedeutung des britischen Finanzsektors für die europäische Wirtschaft toleriert. Nicht nur der Bedeutungsverlust der City nach dem Brexit, sondern auch die damit verbundene Erschöpfung des kreditgetriebenen Wirtschaftsmodells könnten in Zukunft dazu führen, dass die Rolle der britischen Ökonomie als Absatzmarkt deutscher Exporte weiter eingeschränkt wird.

 

Rechtspopulismus in Osteuropa und die Abhängigkeit von deutschen Exportunternehmen

Neben der Wahl von US-Präsident Trump und der Brexit-Entscheidung hat in den letzten Jahren der Aufstieg des Rechtspopulismus in Osteuropa die politischen Risiken für das deutsche Exportmodell besonders nachhaltig verdeutlicht.

Nach der Eurozone und Großbritannien sind die osteuropäischen Transformationsstaaten der wichtigste deutsche Exportmarkt in Europa. Wirtschaftlich sind die Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten bisher gut. Die Ökonomien der Region zeigen weiterhin ein robustes Wachstum, gestützt auf Investitionen deutscher Unternehmen.

Die Risiken stammen hier – wie auch im Fall des Brexits – aus dem politischen Bereich. Unterschiedliche Vorstellungen zum Thema Migration und zur Rechtstaatlichkeit des Regierens haben in den letzten Jahren zu erheblichen Spannungen geführt, bis hin zur Drohung mit der Entziehung von Stimmrechten oder Finanzzuweisungen in der EU.

Die politischen Spannungen mit den rechtspopulistischen Regierungen in Osteuropa können aber auch ökonomisch an Relevanz zunehmen. Das gilt insbesondere dann, wenn diese Regierungen im Falle weiterer Sanktionen dazu übergehen sollten, die Entscheidungsfindung in der EU generell zu blockieren.

In einer längerfristigen Perspektive droht der deutschen Exportwirtschaft noch aus anderer Richtung Unheil: In der Region wächst das Bewusstsein für die extreme Abhängigkeit von ausländischen (vor allem deutschen) multinationalen Unternehmen, die Arjan Vliegenthart und ich unter der Bezeichnung »Dependent Market Economies« zusammengefasst haben. Insbesondere der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki betont dieses Problem regelmäßig, speziell im Hinblick auf die damit einhergehende Schwächung der nationalen Industrie.

Diese Abhängigkeit ist mittelbar auch für den Aufstieg des Rechtspopulismus in Ländern wie Polen und Ungarn verantwortlich. Die Produktionsstandorte der ausländischen Direktinvestitionen sind räumlich sehr konzentriert. Metropolregionen haben von diesen Investitionen sehr profitiert, ländliche Regionen aber fast gar nicht – genau in diesen ländlichen Regionen liegen aber die Hochburgen der rechtspopulistischen Parteien, die in beiden Ländern an der Regierung sind.

Bisher wird die prominente Rolle deutscher Exportunternehmen in der Region noch toleriert, man benötigt ja den damit einhergehenden Technologietransfer. Zudem werden größere Konflikte mit Deutschland vermieden, um die finanziellen Transfers aus dem Agrarhaushalt und den Strukturfonds nicht zu gefährden. Langfristig allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass man die Rolle der deutschen Exportunternehmen in der osteuropäischen Wirtschaft deutlich zurückdrängen möchte, zugunsten der Firmen in eigener Hand.

 

Die Krise der deutschen Exportmärkte in den großen Schwellenländern

Mangelhafte nationale Kontrolle über die vor Ort tätigen Unternehmen ist in den meisten großen Schwellenländern im Gegensatz zu den osteuropäischen Transformationsökonomien kein großes Problem. In Ländern wie Russland, der Türkei, Südkorea, Mexiko und Indien achtet man traditionell (wie in China) darauf, dass es zu keinem »Ausverkauf« der eigenen Wirtschaft kommt.

Nach den Hauptexportregionen der deutschen Industrie (Europa, USA und China) sind diese Ökonomien inzwischen die wichtigsten Absatzmärkte. Erstere hat insbesondere vom Boom des »staatlich durchdrungenen Kapitalismus« in den Schwellenländern während der ersten Dekade nach dem Millennium profitiert.

Der Aufstieg dieser Länder war ungünstig für Unternehmen mit ähnlichen Produktportfolios wie beispielsweise der italienischen Textilindustrie, wie Ferdi De Ville und Mattias Vermeiren demonstriert haben. Für deutsche Unternehmen hingegen war dieser Boom uneingeschränkt positiv, da die deutschen Exporte bisher kaum mit jenen der Schwellenländer konkurrierten, gleichzeitig aber ausgesprochen komplementär für diesen Aufstieg waren. Deren Industrie benötigte beispielsweise den deutschen Maschinenbau zum Aufbau der Produktion und die Unternehmer orderten leidenschaftlich gerne deutsche Luxusautos.

In den letzten Jahren hat sich aber die wirtschaftliche Situation in den großen Schwellenländern deutlich schlechter entwickelt, bis hin zu schweren Wirtschaftskrisen. Ökonomien von großen Ressourcenexporteuren wie Russland oder Südafrika stagnierten, andere große Schwellenländer befinden sich sogar in tiefen Rezessionen, wie beispielsweise Brasilien und die Türkei – und all das noch vor der Corona-Krise. Auch die südkoreanische Ökonomie, einer der größten Gewinner der letzten Jahrzehnte, leidet bereits seit 2018 unter der weltwirtschaftlichen Eintrübung, dem geringeren Wirtschaftswachstum in China und den politischen Spannungen mit Japan. In Indien, dem Land mit dem größten Wachstumspotenzial unter den deutschen Exportmärkten, sorgt die konfrontative Politik der hindunationalistischen Regierungspartei schon seit Jahren für ein Wachstum unter diesem Potenzial, da sie regelmäßig zu sozialen und politischen Turbulenzen führt.

Im Gegensatz zu den letzten beiden Dekaden werden die eta­blierten Schwellenländer den Absatz der deutschen Exportwirtschaft daher in nächster Zeit nicht mehr retten können. Ein Ausweichen auf die weniger großen, aber in nächster Zeit voraussichtlich schneller wachsenden Schwellenländer der »zweiten Reihe« (so die Studie von BayernLB und Prognos), also beispielsweise den Irak, die Philippinen, Vietnam, Ägypten, Indonesien, Nigeria, Thailand, Pakistan oder den Iran, wird aber in vielen Fällen daran scheitern, dass die deutsche Industrie eher im technologischen Premiumbedarf spezialisiert ist und nicht in der in diesen Ländern besonders gefragten einfachen und robusten Technologie (wie sie beispielsweise von China bereitgestellt wird). Zudem fehlen hier die in anderen Schwellenländern über Jahrzehnte etablierten Vertriebskanäle der deutschen Industrie – während chinesische Unternehmen auch hier zuletzt sehr rührig waren. Diese ungünstige Perspektive gilt schließlich auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Involvierung solcher Schwellenländer in militärische Konflikte.

 

Die globale Zunahme militärischer Konflikte als Risiko für deutsche Exporte

In den letzten Jahren hat sich die Zahl aktiver militärischer Konflikte deutlich erhöht. Nach Angaben des norwegischen Friedensforschungsinstitut PRIO (im »Journal of Peace Research«) erreicht sie wieder die Dimension ihres bisherigen Gipfels Anfang der 1990er-Jahre. Damals wurde die Zahl dieser Konflikte allerdings durch eine Reihe von Friedensabkommen rasch reduziert – was heute nicht in Sicht liegt.

Die Anzahl der Konfliktherde mit Eskalationspotenzial ist inzwischen kaum noch zu übersehen. Akut und mit Waffengewalt wird nach wie vor der Syrien-Konflikt ausgefochten, in den neben der Assad-Regierung Russland, die Türkei, der Iran und – über die Kurden – die USA verwickelt sind. Insbesondere in Bezug auf den Status der Kurden im Nordirak gibt es kaum überbrückbare Divergenzen zwischen der Türkei, den USA und der syrischen Regierung. Immer stärker zu einem internationalen Konflikt entwickelt sich zudem der Konflikt in Libyen, bei zunehmender Involvierung Ägyptens, der Türkei, Frankreichs und Russlands.

Die USA sowie Großbritannien befinden sich seit der Aufkündigung des Atomabkommens durch die USA im Jahr 2019 und den späteren Störungen im Schiffsverkehr in der Straße von Hormus zunehmend in einer Eskalationsspirale mit dem Iran. Weiter angetrieben wurde die Eskalation durch Angriffe auf die saudische Ölindustrie im September 2019. Der amerikanische Angriff auf einen iranischen General führte sogar zum höchsten Ausschlag des »Geopolitical Risk Index« seit dem zweiten Golfkrieg, so eine Studie des DIW.

Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich diese Situation grundlegend entschärft. Die USA und der Iran verzichten derzeit insbesondere wegen der Corona-Krise auf eine weitere Eskalation, aber das muss nicht von Dauer sein. Die entsprechenden Spannungen sind langfristig eingebettet in der strategischen Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, die an verschiedenen Schauplätzen im Nahen Osten ausgespielt wird.

Weiterhin sehr angespannt ist das Verhältnis zwischen Israel und seinen Nachbarn. Insbesondere der politisch angeschlagene Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat die israelische Luftwaffe immer häufiger angewiesen, Ziele im Gazastreifen, Libanon, Syrien und dem Irak anzugreifen. Aber auch seine politischen Rivalen würden bei einer Regierungsübernahme nicht unbedingt für mehr Frieden sorgen, teilen sie doch Netanyahus Expansionspläne im Westjordanland.

Auch in weiteren Regionen sind latente Konflikte wieder virulent geworden. Dazu gehört insbesondere der Konflikt zwischen den Atommächten Indien und Pakistan, der 2019 mit einem Terroranschlag in Kaschmir begann und über Luftangriffe und die Aufhebung der Autonomie für die Region Kaschmir durch die indische Regierung eskaliert ist. Hinzugekommen ist im Sommer 2020 ein Wiederaufflackern des Grenzkonflikts zwischen China und Indien.

Weiterhin ungelöst sind auch der Ukraine-Konflikt und die entsprechenden Spannungen zwischen dem Westen und Russland, die durch die Aufkündigung des INF-Rüstungskontrollvertrags für Atomwaffen und jüngst durch das Attentat auf Alexej Nawalny noch weiter intensiviert wurden. Bereits die Sanktionen nach der Annexion der Krim – und die russischen Gegensanktionen im Bereich der Landwirtschaft – haben zu schmerzhaften Einbußen bei den deutschen Exporten geführt – und zu einer dauerhaften wirtschaftlichen Umorientierung auf der russischen Seite, berichten Svetlana Fedoseeva und Roland Herrmann.

Sollte auch nur einer dieser latenten Konflikte in eine größere militärische Konfrontation münden, dürfte das sehr negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Deutschland würde unter der entsprechenden Eintrübung der Weltwirtschaft stärker leiden als jede andere große Volkswirtschaft. Hinzu kommen schon jetzt Forderungen nach einem aufwendigen militärischen Schutz der deutschen Handelswege – etwa in der Straße von Hormus – wie sie 2019 bereits der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erhob.

 

Die politische Erpressbarkeit Deutschlands als Exportnation

Aber auch jenseits offen ausgetragener Konflikte stellt die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft ein großes politisches Risiko dar. Nicht zuletzt die aktuellen Spannungen in den transatlantischen Beziehungen machen auf einen weiteren Nachteil der besonderen Ausrichtung der deutschen Wirtschaft aufmerksam, die damit einhergehende politische Erpressbarkeit.

US-Präsident Trump hat inzwischen den deutschen Außenhandelsüberschuss mit dem deutschen Beitrag zur Finanzierung der NATO verknüpft. Er hat damit den Druck auf die Bundesregierung erhöht, gegen den Willen großer Teile des Bundestages eine deutliche Erhöhung des Militärbudgets vorzunehmen. Sollte er sich durchsetzen, müssen alle Steuerzahler für die Ausnahmestellung des Exportsektors bezahlen.

Diese Situation ist nicht gänzlich neu. Bereits in den 1960er-Jahren irritierte der Kontrast zwischen den (noch moderaten) deutschen Exportüberschüssen und den – damals sehr hohen – Kosten, die den USA durch die Stationierung amerikanischer Soldaten in Deutschland entstanden. Nach langen Verhandlungen brachte die amerikanische Regierung 1961 die Bundesregierung dazu, einen entsprechenden Ausgleich (»Offset«) zu bezahlen; insgesamt hat die Bundesrepublik im Rahmen des bis 1976 laufenden Abkommens über zehn Milliarden D-Mark als »Truppendollar« an die USA bezahlt, wie Hubert Zimmermann bei seiner Analyse hervorgehoben hat.

Die politische Expressbarkeit einer exportfixierten Nation zeigt sich aber nicht nur gegenüber den USA. Zudem fällt die deutsche Bundesregierung auch seit Längerem mit einer sehr gemäßigten Rhetorik gegenüber chinesischen Menschenrechtsverstößen auf. Man kann von der Sinnhaftigkeit solcher Belehrungen halten, was man will, der Zusammenhang der Abhängigkeit der deutschen Industrie vom Export nach China ist jedenfalls unverkennbar.

Auch diese Situation ist durchaus fragil, eine Situation, bei der die deutsche Außenpolitik und die Interessen der Exportwirtschaft kollidieren, ist leicht vorstellbar. Und Sanktionen gegenüber China würden kaum möglich sein, wenn man bedenkt, dass jene gegenüber Russland – bei einem Viertel des Exportvolumens – für die deutsche Industrie schon sehr schmerzhaft sind.

 

Auswirkungen des Klimawandels auf deutsche Exportunternehmen

In Bezug auf die kommende Belastung der deutschen Exportwirtschaft durch den Klimawandel ist man weniger auf Spekulationen angewiesen. In einer längerfristigen Perspektive drohen der extrem exportorientierten deutschen Wirtschaft auch in Bezug auf den Klimawandel besondere Gefahren – mal ganz davon abgesehen, dass die deutschen Exporte durch die CO2-Emissionen von Flugzeugen und Containerschiffen auch selbst erheblich zum Klimawandel beitragen.

Im Vergleich zu anderen Weltregionen halten sich die direkten Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland bisher in engen Grenzen. Extremwetterereignisse wie Stürme, ausgeprägte Hitzeperioden oder Starkniederschläge sind bei uns – wenngleich zunehmend – im internationalen Vergleich noch relativ selten.

Wenn man aber neben der direkten Verletzbarkeit durch den Klimawandel auch die indirekte hinzuzieht, ändert sich die Situation, so jedenfalls eine Studie des Potsdam-Instituts im Auftrag des Bundesumweltamtes. Gerade den komplexen Wertschöpfungsketten der deutschen Industrie drohen durch klimabedingte Störungen besondere Risiken.

Risiken des Klimawandels auf der Beschaffungsseite – etwa in Bezug auf Lieferanten oder die Versorgung mit Wasser und Energie – treffen potenziell jede Industrie, ob für die Binnennachfrage oder den Export produzierend. Prozessrisiken – also etwa eine potenzielle Beeinträchtigung von Mitarbeitern oder Gebäuden – sind für die Exportindustrie schon problematischer, falls sie nahe an direkt vom Klimawandel stark betroffenen Märkten wie Bangladesch oder Indien produzieren. Besonders gravierend für die deutsche Exportindustrie sind aber indirekte Klimarisiken auf der Nachfrageseite, wenn also ihre Kunden – oder die zu diesen Kunden führende Verkehrsinfrastruktur – unter dem Klimawandel leiden.

Eine Differenzierung deutscher Industriebranchen in Bezug auf ihre Verletzbarkeit durch den Klimawandel zeigt, dass insbesondere die Automobilindustrie in Zukunft zu den besonders gefährdeten Branchen gehört. Sie ist nicht nur im Rahmen ihrer Just-in-time-Fertigung besonders von Importen aus Regionen abhängig, die stark vom Klimawandel betroffen sind, sondern produziert auch besonders stark in und für diese Regionen. Deutlich wurde das beispielsweise durch die Flutkatastrophe 2011 in Thailand, die zu gravierenden Produktions- und Nachfrageausfällen führte.

 

Neue Risiken aus der internationalen Steuerpolitik

Nicht nur durch den Klimawandel drohen der deutschen Exportwirtschaft in Zukunft größere Herausforderungen, sondern auch durch die Aushandlung internationaler Steuerabkommen. Es steht zu erwarten, dass die Steuerzahlungen deutscher Exportkonzerne an den deutschen Fiskus in Zukunft deutlich geringer ausfallen werden.

Den Hintergrund dieser Entwicklung bildet die Beobachtung, dass amerikanische Digitalkonzerne in Europa Milliarden verdienen, aber in nur sehr geringem Maße hier Steuern bezahlen. Das liegt daran, dass Steuerzahlungen in der Regel auf Gewinne an den Geschäftssitzen bezahlt werden, die Bindung an solche physischen Niederlassungen bei den modernen Digitalkonzernen aber kaum noch eine Rolle spielt. In der Folge deklarieren die Digitalkonzerne ihre Gewinne gezielt in Niedrigsteuerstandorten.

Um diese Situation zu ändern, haben Frankreich und einige andere Länder damit begonnen, neue Digitalsteuern einzuführen. Diese Initiative intensiviert nicht nur die handelspolitischen Spannungen mit den USA, sondern könnte für die deutschen Exportunternehmen noch zu gravierenden Belastungen führen.

In der internationalen Steuerpolitik gibt es schon lange den berechtigten Vorwurf vieler Entwicklungsländer, dass die Doppelbesteuerungsabkommen mit Industrieländern dazu führen, dass multinationale Unternehmen viel zu geringe Steuern im globalen Süden abführen, so eine Studie von Martin Hearson. Die Einführung der neuen Konzepte sollte nun in Bezug auf die Prinzipien der internationalen Steuerpolitik dazu führen, dass Unternehmen viel stärker in ihren Absatzmärkten besteuert werden sollen, am Ort der Wertschöpfung. Sollte sich diese Initiative durchsetzen, dürften deutsche Unternehmen zu den Hauptleidtragenden gehören, da sie besonders exportstark sind und einen nicht geringen Anteil ihres Absatzes in den großen Schwellenländern tätigen, so eine Expertise des Münchner ifo Instituts.

 

Der riskante Charakter der deutschen Exportabhängigkeit in unsicheren Zeiten

In der Zusammenschau wird mehr als deutlich, wie gefährlich die ausgeprägte Exportabhängigkeit der deutschen Industrie ist. Die damit verbundenen Leistungsbilanzüberschüsse führen zu Konflikten mit anderen Wirtschaftsräumen. Die deutsche Exportfixierung war mitverantwortlich für den Ausbruch der Eurokrise und führt durch ihre Generalisierung im Rahmen der Eurorettung zu erheblichen Konflikten in der Europäischen Union, insbesondere mit Italien. Inzwischen ist sie ein erhebliches Problem für die Weltwirtschaft.

In Zukunft drohen der deutschen Wirtschaft aufgrund ihrer Exportorientierung zudem erhebliche Risiken, da fast alle ihrer Kernabsatzmärkte mit starken ökonomischen und politischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Diese Risiken reichen vom strukturellen Rückgang der Globalisierung über den Brexit sowie den neuen Kalten Krieg zwischen China und den USA bis hin zu einer Zunahme militärischer Konflikte. Langfristig kommen noch indirekte Risiken durch den Klimawandel hinzu.

Selbst wenn nicht alle diese Risiken realisiert werden sollten, ist schon die wachsende Unsicherheit für die Exportunternehmen eine erhebliche Belastung – wer nimmt in einer solchen Situation schon langfristige Investitionen zur Erweiterung von Produktionskapazitäten vor?

Stark mit dem Ausland verflochtene Ökonomien reagieren auf einen geopolitischen Schock weit stärker als weniger verflochtene. Und solche Schocks sind in einer Ära der Erosion der westlich dominierten Weltwirtschaftsordnung nun einmal viel wahrscheinlicher als in den Jahrzehnten davor.

Die ausgeprägte Exportorientierung der deutschen Wirtschaft ist allerdings nicht nur in Zukunft wegen ihrer Abhängigkeit von internationalen Entwicklungen sehr riskant, sondern war auch in den letzten Jahren schon ziemlich ineffizient, trotz solider Wachstumsraten. Im nächsten Kapitel werden wir sehen, welche Gruppen unter dem extremen deutschen Exportmodell leiden – und welche davon profitieren.

Matthew C. Klein und Michael Pettis haben jüngst eine sehr prononcierte Analyse vorgelegt, die die Themen dieser beiden Kapitel miteinander verknüpft. Ihr Buch Trade Wars Are Class Wars verbindet die in diesem Kapitel dokumentierte Konflikthaftigkeit des deutschen Exportmodells mit seiner im folgenden Kapitel analysierten sozialen Ungleichheit.

(Fußnoten finden sich im Buch)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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