Buchauszug Massimo Bognanni: „Unter den Augen des Staates. Der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik“

Buchauszug Massimo Bognanni: „Unter den Augen des Staates. Der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik“

 

Massiomo Bognanni (Foto PR/Linda Meiers)

 

Abgehört

Während Anne Brorhilker im Herbst 2014 die Razzia vorbereitet, rückt Steueranwalt Hanno Berger zunehmend in das Zentrum ihres Interesses. Ein Jahr dauern die Ermittlungen nun schon an. Die Staatsanwältin hat inzwischen erfahren, dass auch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main dem Mann auf der Spur ist, ebenfalls wegen eines Cum-Ex-Geschäfts, das Berger dem Immobilien-Milliardär Rafael Roth schmackhaft gemacht haben soll. Als die Frankfurter 2012 bei Berger eine Durchsuchung vornahmen, habe der Anwalt alles stehen und liegen lassen, sich in die Schweiz abgesetzt und sei nie wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Der Vorfall liegt nun inzwischen fast zwei Jahre zurück. Wer, fragen sich Brorhilker und ihr Fahndungsteam, kehrt seiner Heimat so plötzlich den Rücken, wenn er nichts zu verbergen hat?

 

Berger, Sohn eines Pfarrers, genoss eine humanistische Bildung, glänzte mit Latein- und Griechischkenntnissen. Nach dem Abitur studierte Berger Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Als Assistent arbeitete er für einen der führenden Forscher im Sachenrecht. Nach dem Zweiten Staatsexamen 1981 wechselte er in die hessische Finanzverwaltung. Im Jahr 1988 stieg er gar zum Sachgebietsleiter für Bankenprüfung auf. Und das in Frankfurt, dem wichtigsten Bankenstandort der Republik. Wie wurde ein Mann mit diesem Werdegang zu einem der gerissensten Steueranwälte des Landes? Einer, an dessen Lippen die Reichen und Mächtigen klebten, weil er ihnen nahezu steuerfreie Millioneneinkünfte versprach oder sie mit üppigen Renditen von zwölf Prozent lockte?

 

Berger war zwar über alle Berge – zumindest jenseits der Alpen – die E-Mail-Konten seiner Kanzlei Berger, Steck und Kollegen lagen jedoch nach wie vor auf Servern in der Bundesrepublik. Die Frankfurter beschlagnahmten die Mails. Im Rahmen einer sogenannten Anschlussbeschlagnahme fanden die Daten ihren Weg nach Köln.

 

Die drei Fahnder des LKA Düsseldorf, die inzwischen durch einen Steuerfahnder der Sondereinheit Ermittlungsgruppe Organisierte Kriminalität und Steuerhinterziehung (EOKS) unterstützt werden, durchforsten die E-Mail-Dateien – und stoßen auf eine mutmaßliche Erpressung. Unter dem Betreff »Kundenzuführungsvereinbarung« wechselten Hanno Berger, Vertreter der Schweizer Privatbank Sarasin sowie ein unter dem Pseudonym Jürgen A. Schmidt auftretender Anlageberater im Herbst 2010 bemerkenswerte Mails. Schmidt, vertreten durch einen Treuhänder, forderte eine Vermittlerprovision. Er habe einen millionenschweren Kunden für einen von Bergers Cum-Ex-Fonds gewonnen – und fühlte sich dafür nicht ausreichend entlohnt. Als Berger nicht zahlen wollte, drohte Schmidt 2010 damit, den Finanzbehörden die Geschäfte offenzulegen. Nun geschah Erstaunliches: Nach einigem Hin und Her schlossen die Privatbank und Schmidts Treuhänder eine Vertraulichkeits- und Gütevereinbarung über einen »einvernehmlichen Gütebetrag« in Höhe von 1,2 Millionen Euro. Tatsächlich floss eine Summe in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro an den Treuhänder.

 

Warum, fragen sich Brorhilker und die Fahnder in Nordrhein-Westfalen jetzt, zahlt jemand so viel Schweigegeld, wenn er ganz legale Geschäfte betreibt?

 

Die Kriminalpolizisten in Düsseldorf regen an, diesen Berger genauer ins Visier zu nehmen, ihn abhören zu lassen. Und zwar vor, während und nach der anstehenden Großrazzia. Angesichts ihres kleinen Teams muss Brorhilker abwägen. Denn einerseits zählen Telekommunikationsüberwachungen (TKÜs) zu den wichtigsten Werkzeugen der verdeckten Ermittlung, andererseits kosten sie auch viel Geld und noch mehr Zeit.

 

Im Fernsehen sehen solche Abhöraktionen meist spektakulär aus: umgebaute Lieferwagen, die Scheiben verdunkelt, rollen vor, im Inneren sitzen die Ermittler vor dampfenden Kaffeebechern, lauschen mit dicken Kopfhörern mit, was auf Handys und Telefonen gesprochen wird – und schlagen sofort zu, wenn sich die Täter am Telefon verplappern.

 

Für Fahnder im realen Polizeileben gestaltet sich eine TKÜ meist weniger abenteuerlich. Statt direkt vor Ort auf der Lauer zu liegen, sind die TKÜ-Maßnahmen für die Kriminalbeamten ein belastender Schreibtischjob im Schichtdienst. Wird ein Verdächtiger abgehört, kommen schnell Hunderte Überstunden zusammen. Selten werden Gespräche live mitgehört, die Gesprächsmitschnitte kommen oftmals nachträglich per Datei vom Telekom-Anbieter. Ob »live« oder per Aufzeichnung: Von ihrem Arbeitsplatz aus hören die Ermittler die Gespräche ab über eine spezielle Software.

 

Anders als es Drehbuchautoren in Fernsehkrimis ersinnen, sprechen die Beschuldigten im echten Leben auch nur selten, manchmal gar nicht am Telefon offen über ihre Taten. Für die Ermittler bedeutet das, Tausende, manchmal Zehntausende Gespräche mitzuhören, bei denen sie Belangloses, Privates, teils Intimes erfahren. Da sich wichtige Informationen auch in Nebensätzen verbergen können, müssen sie auf jedes Wort achten, die Daten eines jeden Gesprächs erfassen. Dann heißt es filtern: Alles, was für die Ermittlung relevant sein könnte, muss protokolliert und an den Leiter der Ermittlungskommission gemeldet werden. Alle unwichtigen Privatgespräche hingegen sind zu löschen. So will es die Strafprozessordnung.

 

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Anne Brorhilker fürchtet im Fall Berger eine sogenannte konspirative Tatbegehung – und beantragt beim Ermittlungsrichter eine TKÜ-Maßnahme, für deren Genehmigung es generell hohe rechtliche Hürden gibt. Schließlich ist das geheime Abhören des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte. Es muss eine »Katalogtat« vorliegen, eine besonders schwere Straftat. Dazu zählen unter anderem Mord und Totschlag, Kinderpornografie, Erpressung. Steuerhinterziehung ist im Herbst 2014 noch nicht Teil des Katalogs.

Brorhilker findet dennoch einen Weg und beantragt die Maßnahme deshalb wegen des Verdachts auf Anlegerbetrug. Schließlich scheint sich die Angabe des Anwalts von Drogeriemarktmilliardär Erwin Müller zunehmend zu bestätigen, dass Müller und andere Investoren in das Cum-Ex-Geschäft gelockt worden seien, ohne dass ihnen die Bank Sarasin oder der Berater Berger offengelegt hätten, dass die üppigen Gewinne aus einem Griff in die Staatskasse resultierten. Das Amtsgericht Köln bewilligt die TKÜ.

 

Kurz vor der Großrazzia schalten sich die Fahnder auf. Da Berger in der Schweiz weilt, kommt nur eine »Auslandskopfüberwachung« infrage, will heißen, sobald Berger von der Schweiz aus nach Deutschland anruft, wird er abgehört. Gespräche innerhalb der Schweiz mitzuschneiden ist dagegen tabu. Doch Berger hat viel mit seinen Geschäftspartnern in Deutschland zu besprechen. Die Fahnder hören einen Steueranwalt, der von der Schweiz aus umtriebig die Strippen zieht.

 

Hanno Berger ahnt offenbar noch nichts von der bevorstehenden Razzia. Er zerbricht sich vielmehr den Kopf über ein wegweisendes Urteil des Bundesfinanzhofes, das zu dieser Zeit veröffentlicht worden ist. Das höchste Finanzgericht hat nämlich einen Cum-Ex-Fall einer Hamburger Gesellschaft geprüft und festgestellt: Es könne neben dem echten Besitzer der Aktie keinen weiteren »wirtschaftlichen« Eigentümer geben, der berechtigterweise eine Steuererstattung fordern darf. Dieses Urteil widerspricht einer essenziellen Grundannahme der profitorientierten Cum-Ex-Branche.

 

Nun melden sich also bei Bergers Geschäftspartnern besorgte Investoren, die um ihr Geld fürchten. Berger spricht von seinem Schweizer Exil aus mit einer Vertrauten. Er nennt die Namen von Universitätsprofessoren und sogar eines ehemaligen Regierungsdirektors in der Finanzverwaltung, die er an die Sache setzen wolle. Sie alle sollten Aufsätze schreiben. Wer das alles bezahlen solle, fragt Berger rhetorisch. Natürlich: Er, Berger, müsse für die ganzen Aufsätze aufkommen.

 

Berger scheint jedoch bereits klar zu sein, dass er vor einem größeren Problem in Deutschland steht. Er müsse seiner Heimat fernbleiben, sagt er einer Vertrauten am Telefon. Dauerhaft. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt für diese Entscheidung.

 

Den mithörenden Fahndern dämmert langsam, warum derart viele Rechtsgutachten und Aufsätze namhafter Experten in der Welt sind, die Cum-Ex-Geschäfte als legal darstellen. Und Brorhilker treibt die Frage um, ob sie nicht nur auf ein einzelnes krummes Geschäft gestoßen ist, sondern vielmehr auf eine ganze, mutmaßlich kriminelle Bande. Wenn Berger schon wissenschaftliche Fachaufsätze in Auftrag gibt, die über Medien die öffentliche Meinung beeinflussen, wie weit reicht sein Einfluss noch? Sind Verwaltung und Politik in die Geschäfte auch verwickelt? Sind das die ersten Beweise für ein mafiöses Netzwerk, professionell und international aufgesetzt, getrieben von grenzenloser Gier?

 

In diesem Kontext geht Brorhilker auch dieser Erpressungsfall nicht aus dem Kopf. Speziell dieses Pseudonym, das der mutmaßliche Erpresser, den die Bank Sarasin womöglich ausgezahlt hat, verwendete: Jürgen A. Schmidt. Unter dem gleichen Namen hatte sich 2010, ein paar Monate vor dem Erpressungsfall, ein Whistleblower an das Bundesfinanzministerium gewandt. Brorhilker kennt den Vorgang aus den Akten.

 

Demnach meldete sich am Montag, den 15. November 2010, im Berliner Ministerium der Hinweisgeber Jürgen A. Schmidt. Er warnte vor einem möglichen Steuerbetrug. Es bestehe »Zeitdruck, wegen der aktuellen Dividendensaison und wegen … CUM/EX trades über neue Strukturen« – die Rede war von »irischen Fondsgesellschaften sowie US-Pensionsfonds«, es bestehe »massiver Handlungsbedarf«. Der Whistleblower wies auf Absprachen hin und darauf, dass es sich um »abgestimmtes Handeln mehrerer Beteiligter zur gezielten Durchführung von deutschen CUM/EX handele. Bei den Beteiligten, über die vielzählige Einzeldetails vorliegen, handelt es sich um ein mafiaähnlich organisiertes Netzwerk, nicht um zufällige Einzelbeteiligte.« Hinweisgeber Schmidt bot eine Stichprobe von konkreten Falldaten an – gegen Geld würden dann umfassende Informationen fließen.

 

Der Whistleblower schickte damals seine Informationen auch an hessische Finanzbehörden – hier allerdings mit einem Zusatz: »Die Vorabinformationen sollten keinesfalls – im Detail dem [Bundesfinanzministerium] – Referat Gierlich zugänglich gemacht werden, da die Initiatoren über einen direkten, sehr guten Kontakt zu einem Mitarbeiter des Referats verfügen.« In einer späteren Mail zeigte er sich hochgradig irritiert: Details aus seiner Nachricht »sind inzwischen fragwürdiger Weise zu Teilen der Cum/Ex-Beteiligten durchgedrungen«.

 

Am Ende verzichteten die Finanzbehörden lieber darauf, sich eine Stichprobe anzuschauen und den Hinweisen nachzugehen. Die Verhandlungen brachen ab, der Hinweis versandete.

 

Brorhilker fragt sich nun, ob es sich bei den beiden Jürgen A. Schmidts womöglich um ein und dieselbe Person handelt? Kann es sein, dass aus einem potenziellen Whistleblower ein Erpresser geworden ist? Wie kam es dazu? Und: Gab es tatsächlich ein Leck im Bundesfinanzministerium, in dem benannten Referat Gierlich?

 

 

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