Auch Rösrath war bei der Hochwasser-Katastrophe im Juli abgesoffen, erzählt Guido Kleve über seine Wahlheimat in der Nähe von Köln. Die Sülz, die sonst nur 75 Zentimeter tief sei, war auf über vier Meter angestiegen. Die Situation war grauenvoll: Die Müllberge türmten sich 2,50 Meter hoch, Menschen standen weinend davor und wenn die Rettungsfahrzeuge kamen, verursachten die wieder hohe Wellen. Als früherer Rettungssanitäter im Zivildienst hatte er schon eine Menge gesehen, aber das ging ihm unter die Haut, erinnert sich Bundesliga-Schiedsrichter Kleve, im Hauptberuf Anwalt für Umwelt- und Bauplanungsrecht bei DLAP Piper aus Großbritannien.
Kleve und seine Familie waren gerade aus dem Urlaub zurück gekommen, als die Hochwasserkatastrophe passiert war. Ihr eigenes Haus auf dem Hügel hatte nichts abbekommen. Doch sein Freund, ein Unternehmer, brauchte dringend Hilfe. Dessen ganzes Lager stand unter Wasser und seine Waren wie Papier, Werkzeuge oder Etikettiermaschinen mussten schnell vor den Wassermassen gerettet werden. Also stellte Familie Kleve nur ihre Koffer ab und packte gleich mit an.

Guido Kleve (Foto: C. Tödtmann)
Hilfe-Leisten ist für Kleve selbstverständlich, schon in seinen Zivildienst war er Rettungssanitäter. Später verdiente er sich damit sein Jura-Studium. Da habe er Belastbarkeit gelernt und die brauche er auch heute als Bundesliga-Schiedsrichter, wenn er im Stadion 80.000 Zuschauer im Nacken hat, erzählt er mir beim Lunch vor der Düsseldorfer Kneipe „Beethoven“. Bestellt hat er sich Bolognese Rigatoni. Währenddessen schwärmt er von den Bratkartoffeln, die sein Vater ihm und seinen zwei Brüder früher immer brutzelte. Nahrhaft musste es sein, denn alle drei Jungs waren Fußballer. Für Kleve waren damals drei Spiele an einem Wochenende in seiner Heimat Nordhorn normal.
Profitabler Schülerjob
Wieso Guido Kleve Schiedsrichter wurde? Weil er sich immer schon über Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern aufgeregt hat. Er wollte es besser machen, sagt er. Aber auch, weil er nicht gut genug war, um selbst als Fußballer Karriere zu machen. Als er mit 15 Jahren einen Job suchte, weil er Geld brauchte, um sein Mofa gegen ein Moped einzutauschen, nahm er den angebotenen Schieri-Job an. Das war 1991. Zehn Mark bekam er für einen Nachmittag, als Schüler war das nicht schlecht, erinnert sich Kleve. Und dabei blieb er dann. Auch, als er Jura in Osnabrück studierte und sich sein Studium mit den Fußball-Einsätzen finanzierte. 2004 stieg er in den DFB in die zweite Liga auf.
Eigentlich ein Rätsel, wie er alles unter einen Hut brachte: Seinen Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Osnabrück am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, später als Referendar bei der Großkanzlei Freshfields, ein Forschungsauftrag in London und dann eine Stage bei Bundesverfassungsgericht. Spätestens da wurde ihm klar, dass eine Richterkarriere für ihn nicht infrage kam, sondern dass er lieber bei einer Law Firm durchstarten wollte.
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Kölner Karneval: Erst befremdet, jetzt mittendrin
„Früher, als ich Karneval im Rheinland auf dem TV-Bildschirm gesehen habe, konnte ich mir das Phänomen nicht erklären“, erinnert sich Kleve. Doch seine Haltung sollte sich ändern: „Jetzt bin ich mittendrin.“ Schon an einem seiner ersten Arbeitstage in der Referendarzeit trat ihm sein Ausbilder im Kostüm entgegen – in der gelb-grünen Uniform der Kölner EhrenGarde. Mit seiner Frau warf der Niedersachse dann am Rosenmontag eine Münze, ob sie lieber einen Wellness-Tag einlegen sollten, oder zum ersten Mal im Leben den Rosenmontagszug ansehen wollten – und der Straßenkarneval gewann. Seitdem feiert Kleve jeden Kölner Karneval begeistert mit, nur die Zeit für einen Karnevalsverein, die fehle ihm. Jedenfalls noch.
Lange blieb er nicht bei Freshfields, ein Jahr später, schon vor 13 Jahren wechselte er dann zu DLA Piper. Er war der erste männliche Teilzeit-Partner der britischen Kanzlei, erzählt Kleve stolz. Er sei der beste Beleg, dass es klappen kann. Partnerinnen in Teilzeit habe es schon mehrere vor ihm gegeben. Aber eben keinen Mann. Obendrein gelang Kleve der Aufstieg in die Bundesliga der Anwälte: zum Beispiel in den Rankings der „WirtschaftsWoche“-Topkanzleien wird er von seiner Peer-Group und einer Jury empfohlen als Top-Anwalt für Umwelt- und Bauplanungsrecht.

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Hätte er damals Full-Time gearbeitet, hätte er seinen Schiedsrichter-Job nicht international ausüben können. Immer wieder war er mal drei Tage am Stück für ein Europaspiel weg, für die Junioren-WM in Chile waren es gleich ganze sechs Wochen. Seit drei Jahren ist Kleve Vollzeitpartner, aber immer noch Schiedsrichter.
Jedes Jahr frage er sich aufs Neue, ob er das seiner Familie noch zumuten kann, sagt er. Wenn er so oft Freitagsnachmittags zu Spielen fährt und erst in der Nacht zum Sonntag zurück ist. Deshalb fährt er bei Inlandsspielen auch grundsätzlich jede Nacht zurück nach Hause.

Guido Kleve im Kölner Keller (Foto: Privat)
Beim Lockdown war´s wie bei Loriot
Nur in der Lockdown-Zeit dann, als er fünf Monate am Stück zuhause war und von dort aus arbeitete, fühlte er sich schon mal wie Herr Lohse in Loriots Film „Pappa ante Portas“, erinnert sich Kleve. Wenn er wieder alle nervte und zu Fahrradtouren bewegen wollte, aber der Rest der Family lieber chillte. Bis ihm seine Frau irgendwann sagte, dass die Bundesliga nun gerne wieder losgehen dürfe.
So ganz ohne ist sein Nebenjob nicht, auch wenn er nicht zu den gefährlichen Hobbys wie Drachenfliegen zählt: Öfter schon mussten Spiele im Ausland unter Schutz der Polizei oder gar der Armee stattfinden. Und er berichtet von einem Spiel in Tunesien, wo selbst die Spielertunnel aufs Spielfeld von Soldaten mit Maschinenpistolen abgeriegelt wurden. Aus Vorsichtsgründen, weil es bei den Zuschauern allzu emotional zugehe.
Polizeirettung in Ostfriesland
Selbst in Deutschland musste Kleve und die anderen Schiedsrichter schon vom Platz, vom Mittelfeld, direkt mit einem Bulli abgeholt werden. Damals, als die Kickers Emden den Platz stürmen wollten. Als die Stimmung bedrohlich wurde halfen sich die drei so: sie ließen eine Nachspielzeit spielen und pfiffen erst dann ab, als die Polizei zur Rettung da war.
Mehrmals im Jahr gibt Kleve deshalb auch in Seminaren für Manager nicht Rechtsrat, sondern Verhaltenstipps. Wie sie schnell und sicher Entscheidungen treffen. Dass keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist. Und wie sie cool bleiben, wenn´s brennt: Als Sportler ist er Druck und Stress gewohnt – zumal mit 80.000 Zuschauern im Nacken, die er schon mal allesamt gegen sich hat. Dabei ruhig zu bleiben, ist er gewohnt. Schiedsrichter müssen auch psychologisch etwas drauf haben, sagt er. In 90 Minuten Spielzeit verbänden sich die verschiedensten Emotionen – geballt. Täuschung, Enttäuschung, Gerechtigkeit, Ehrgeiz, Freude, alles sei dabei. Als Schiedsrichter müsse man mutig sein, Mut haben zu unpopulären Entscheidungen und die muss man auch durchsetzen. Ganz wie die Manager, die von ihm lernen wollen.

Rigatoni Bolognese im „Beethoven“ in Düsseldorf
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