Buchauszug Torsten Werner: „Führung mit Pfiff. Einfach. Klar. Konsequent.“

Buchauszug Torsten Werner: „Führung mit Pfiff. Einfach. Klar. Konsequent“

 

 

Torsten Werner

 

Das war schon immer so – über die Macht des Mindsets

Gewonnen wird im Kopf! Diese Erkenntnis hat sich längst breitflächig etabliert. Im Leistungssport ist der Mentalcoach bereits Standard. Auch wenn der Fußball im Vergleich zu vielen anderen Sportarten relativ spät dran war, gibt es aktuell in jedem Profiklub die konsequente Zusammenarbeit mit einem (oder oft auch mehreren) Experten für die weitere Entwicklung der mentalen Fähigkeiten der Spieler.

 

Im Berufsleben präsentiert sich die Situation noch sehr heterogen. Einige Unternehmen investieren bereits in die Weiterentwicklung der Fähigkeiten und Kompetenzen ihrer Mitarbeiter, bieten Seminare an, finanzieren Coachings oder leisten sich in manchen Fällen sogar einen eigenen Inhouse-Spezialisten. In anderen Unternehmen – diese sind immer noch deutlich in der Überzahl – ist davon nichts zu spüren. Die Kostenübernahme für einen Seminarbesuch eines Mitarbeiters ist schon die Krönung aller Bemühungen, das Personal weiterzuentwickeln. Dabei wissen wir aus dem Spitzensport doch längst, welche leistungsfördernde Wirkung ein gutes Mentaltraining besitzt. Aber ganz nach dem zähen Motto »Das war schon immer so« wird diesbezüglichen Entwicklungen weder Zeit noch Raum gegeben.

 

Völlig unabhängig von der Frage, wie etabliert entsprechende Angebote in den Unternehmen sind oder eben nicht sind, möchte ich in diesem Kapitel den Fokus auf das Mindset richten. Während es im ersten Kapitel um die geänderten Anforderungen im Führungsalltag geht, haben wir es hier mit einem absolut alten Hut zu tun! Das richtige, unterstützende, förderliche Mindset war auch vor hundert Jahren schon ein entscheidender Erfolgsfaktor. Nur haben wir das damals noch nicht so genau gewusst, und auch die Wissenschaft war nicht so weit fortgeschritten wie heute. Grund genug, unser Mindset in Bezug auf aktuelle Führungsanforderungen einmal unter die Lupe zu nehmen. Denn: Gewonnen wird noch immer zwischen den Ohren!

 

»Angst essen Seele auf« – warum wir lieber alles richtig machen

»Am meisten nervt mich an meinem Chef, dass er nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen!« Solche Aussagen höre ich viel zu häufig. Ich nenne Menschen, die zu geringe Entscheidungsfreude aufweisen, gerne liebevoll »entscheidungsreserviert«. Diese Entscheidungsreserviertheit ist einer der häufigsten Kritikpunkte an Führungskräften. Wer selbst schon einmal einen Vorgesetzten hatte, der gar nicht oder nur widerwillig und dann viel zu spät Entscheidungen getroffen hat, der weiß nur zu gut, worin die Problematik liegt. Wenn Entscheidungsreservisten am Werk sind, gibt es kein Weiterkommen, der gesamte Prozess verharrt in Lähmung und die Ressourcen einer Organisation liegen qualvoll brach. Selbst eine völlig falsche Entscheidung des Chefs wäre nicht in der Lage, das Ausmaß an Frustration, die bei Belegschaften in einem solchen Fall auftritt, zu erhöhen.

 

 

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Haben Sie diese Erfahrung in Ihrem Arbeitsumfeld schon einmal gemacht? Oder kennen Sie eine Person aus Ihrem engeren Umfeld, die von derartigen Stagnationen zu berichten weiß? Die Wahrscheinlichkeit dafür ist groß! Die Gründe für eine Entscheidungsreserviertheit zu eruieren, ist nicht besonders schwierig. Die Angst vor Fehlern, die Furcht vor den Konsequenzen einer Entscheidung lähmt erstaunlich oft und intensiv. Die Angst vor falschen Entschlüssen und dem darauf möglicherweise folgenden Scheitern belastet unsere Seele, frisst sie geradezu auf, wie es der Filmtitel »Angst essen Seele auf« (Fassbinder 1974) so treffend zum Ausdruck bringt. Wenn wir ehrlich sind, kennen wir dieses ängstliche Zögern bei gewissen, speziell wichtigen Entscheidungen auch von uns selbst. Völlig unabhängig von der Frage, wie leicht oder schwer wir uns normalerweise mit Entscheidungen tun.

 

 

Geschichte mit Pfiff: Wer will schon gerne Totengräber sein?

Bei einem Oberligaspiel bin ich als Beobachter eingesetzt. Von der Tribüne aus verfolge ich das Spiel und analysiere es im Anschluss mit dem Schiedsrichterteam. In der Mitte der ersten Halbzeit entscheidet der Schiedsrichter zu meiner größten Überraschung auf Strafstoß für das Heimteam. Aus meiner Position – weit weg vom Spielgeschehen – konnte ich beim besten Willen kein Foul erkennen. Zumeist lassen sich diese Szenen nur per Video auflösen. Gut verwertbares Videomaterial ist im Amateurbereich aber selten. Oftmals bleibt daher fairerweise nur die neutrale Bewertung der Szene, also keine Auf- oder Abwertung für den Schiedsrichter. In diesem Fall bin ich mir aber sicher: Der Schiedsrichter liegt falsch. Diese Fehlentscheidung muss als schwerwiegender Fehler mit einem deutlichen Punktabzug einfließen.

 

Es ist nicht der erste Abzug für den Schiedsrichter in dieser Saison, was meine Entscheidung nicht vereinfacht, da ihm der Abstieg aus der Oberliga droht. Einige Tage später bestätigt ein offizielles Video meine Einschätzung. Dennoch zögere ich, den Schiedsrichter mit Punktabzug zu belegen, obwohl es jetzt inhaltlich keine Zweifel mehr gibt. Warum ist das so? Mit solchen Entscheidungen tue ich mich doch sonst nicht so schwer. Dann die Erkenntnis: Ich möchte nicht die Rolle des Totengräbers dieser Schiedsrichterkarriere übernehmen. Mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengrube fertige ich den Beobachtungsbogen an und reiche ihn ein, was den Abstieg des Schiedsrichters besiegelt.

Kennen Sie solche Situationen aus Ihrem Führungsalltag? Im Kopf wissen Sie genau, wie eine Entscheidung aussehen muss, und trotzdem ist da dieses komische Gefühl, das Sie daran hindert, konsequent zu handeln. Natürlich vergebe ich als Beobachter am liebsten gute Noten. Wer sorgt mit seiner Bewertung schon gerne dafür, dass ein Schiedsrichter absteigt oder am Ende der Saison nicht aufsteigt? Sehen wir uns an, was passiert wäre, wenn ich die in der Geschichte beschriebene Szene neutral bewertet hätte. Wenn ich einfach behauptet hätte, die Szene nicht so ganz eindeutig wahrgenommen zu haben und mich deshalb lieber in Zurückhaltung üben wollte. Nun, für zwei Personen wäre diese Vorgehensweise deutlich von Vorteil gewesen: Für den Schiedsrichter des Spiels hätte es wohl den Klassenerhalt bedeutet.

 

Auch für mich hätten sich im ersten Moment positive Auswirkungen ergeben. Schließlich hätte ich nicht die Nachricht der schlechten Note formulieren müssen und damit den unvermeidbaren Abstieg eingeleitet. Allerdings stellt diese Sichtweise eine äußerst oberflächliche Betrachtung der Situation dar. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass die Bewertung nicht nur Auswirkungen auf diesen einen Schiedsrichter hatte. Denn wäre er vom Abstieg verschont geblieben, hätte stattdessen ein ebenfalls schwächelnder Kollege den Abstiegsplatz belegt. Wäre das also wirklich die bessere Lösung? Ich denke nicht. Es ist niemals – weder im Sport noch in der Wirtschaft – eine sinnvolle Option, eine Entscheidung aus Sorge vor den (möglichen) Konsequenzen nicht zu treffen. Denn jede Entscheidung hat sowieso immer Auswirkungen auf irgendjemand anderen, das bringt das Treffen von Entscheidungen nun einmal mit sich.

 

 

Alles richtig machen – eine Kunst, die niemand kann

Wenn wir also die Konsequenzen, die eine Entscheidung mit sich bringt, in unsere Bewertung einbeziehen, dann sollten wir alle Faktoren in Betracht ziehen. Jede Entscheidung, die wir treffen, hat schließlich Auswirkungen in unterschiedliche Richtungen. Das gilt übrigens auch für jene Entscheidungen, die wir nicht treffen! Nehmen wir an, Herrn Wohlleben, Ihrem Mitarbeiter, unterläuft ein schwerer Fehler, der seine angedachte Beförderung zur Führungskraft gefährdet. Mit Blick auf Herrn Wohlleben wäre der großzügige Umgang mit diesem Fehler natürlich ein Akt der Nächstenliebe. Herr Wohlleben wäre für den tollen und menschlichen Chef sicher zutiefst dankbar, und Sie dürften sich über die Anerkennung freuen, die Ihnen zumindest von diesem und ihm nahestehenden Menschen zuteilwürde.

 

Was aber denkt Kollegin Großbauer über diese Entscheidung, die die Beförderung ebenso verdient hätte, sich bislang aber keinen solchen Fehler geleistet hat? Hätte sie ebenfalls Verständnis für Ihre Großzügigkeit? Mit Sicherheit nicht. Hätten Sie selbst tatsächlich das Gefühl, Ihre Entscheidung sei wirklich besser oder menschlicher? Hätten Sie dann in dem Sinn alles richtig gemacht?

 

Eine wichtige Erkenntnis aus meiner Zeit als Schiedsrichter lautet: Willst du die Qualität deiner Entscheidungen erhöhen, sollten die Konsequenzen einer Entscheidung allenfalls eine untergeordnete, bestenfalls gar keine Rolle spielen! Natürlich ist das theoretisch leichter gesagt als getan. An der Richtigkeit der Aussage ändert die Schwierigkeit der Umsetzung nämlich absolut gar nichts. Stellen Sie sich vor, als Schiedsrichter würde ich mir immer vor Augen führen, welche Konsequenzen der Elfmeterpfiff insbesondere in der Schlussphase eines Spiels mit sich bringen könnte. Das würde bedeuten, spätestens ab Mitte der zweiten Halbzeit in einem Spiel, das auf der Kippe steht, überhaupt keinen Strafstoß mehr zu pfeifen. Was würden Sie über einen solchen Schiedsrichter denken? Wie würden Sie eine Führungskraft einordnen, die immer genau dann kneift und sich vor einer Entscheidung drückt, wenn einiges auf dem Spiel steht und die zu treffende Entscheidung gravierende Konsequenzen hat?

 

Die verschiedenen – eventuell für gewisse Personen negativen – Konsequenzen einer auf jeden Fall prinzipiell guten und richtigen Entscheidung könnten eventuell noch mit etwas Bauchgrummeln ertragen werden. Aber das ändert sich meist schlagartig, wenn es um die Auswirkungen von wirklich fatal falschen Entscheidungen geht! Daher sitzt die Angst vor Fehlern so vielen Menschen wie ein Schreckgespenst im Nacken. Oder isst ihre Seele auf. Das belastet nicht nur die entscheidungszaudernden Führungskräfte, sondern lähmt ganze Organisationen. Woher aber kommt sie, diese Angst? Aus meiner Erfahrung steckt oft eine durchaus ehrbare Haltung dahinter. Wer möchte schon offiziell dafür verantwortlich zeichnen, die Karre vor die Wand gefahren zu haben? Auf den zweiten Blick bleibt allerdings die bittere Erkenntnis, dass das Nichtentscheiden aus Angst vor einem Fehler nicht zur Erhöhung der Entscheidungsqualität beiträgt. Was menschlich verständlich sein mag, ist im Sinne einer verantwortungsvollen Aufgabenerledigung definitiv nicht akzeptabel.

Fehlervermeidung als Wachstumskiller?

Dabei beobachte ich ein spannendes Phänomen. Wenn ich Führungskräften die Frage stelle, aus welchen Situationen sie am meisten in ihrem Berufsleben gelernt haben, scheinen die Antworten auf den ersten Blick sehr unterschiedlich auszufallen. Bei genauerer Betrachtung haben die vielen individuellen Beispiele aber alle eines gemeinsam: Sie beschreiben ausnahmslos eine Situation, in der eindeutig eine falsche Entscheidung getroffen wurde. Genau an diesem Punkt hake ich dann immer gerne nach.

Einfach (nach-)gefragt

Erinnern Sie sich an Situationen in Ihrem Berufsleben, aus denen Sie besonders intensiv und nachhaltig gelernt haben! Würden Sie in diesem Zusammenhang der folgenden Aussage zustimmen? »Ohne die Fehler, die ich im Laufe meines (Berufs-)Lebens gemacht habe, würde ich heute nicht dort stehen, wo ich bin!« Aber wenn es so ist, dass Sie aus Fehlern besonders gut und nachhaltig lernen und Sie ohne Ihre Fehler vermutlich nicht dort wären, wo Sie aktuell sind: Warum betreiben Sie weiterhin einen so hohen Aufwand, um Fehler zu vermeiden? Wollen Sie sich etwa nicht weiterentwickeln?

Ja, das ist eine sehr provokative und auch ein wenig gemeine Frage. Sehen Sie sie mir bitte nach. Dahinter steckt ein bedeutsames Problem unserer Arbeitswelt, das ich gerne aufzeigen will. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es in erstaunlich vielen Bereichen eine Null-Fehler-Toleranz gibt. Der Aufwand, den wir mit einer gewissen Angst-essen-Seele-auf-Stimmung zur Fehlervermeidung oder zumindest -reduzierung betreiben, ist zum Teil gigantisch. Aber ist das nicht unsinnig, wenn wir gleichzeitig aus unserer bisherigen Erfahrung wissen, dass uns Fehler in der Entwicklung unterstützen? Verstehen Sie mich bitte richtig: Natürlich fordere ich nicht dazu auf, unreflektiert möglichst viele Fehler zu machen, weil wir daraus am besten lernen. Einer der Gründe, weshalb wir aus Fehlern so gut lernen, liegt in der Rarität ihres Auftretens. Würden wir jeden Tag riesige Fehlermengen produzieren, wäre der Lerneffekt bald übersättigt. Ich rufe also nicht dazu auf, möglichst viele Fehler – und schon gar nicht vorsätzlich – zu begehen. Vielmehr ist es mir ein Anliegen, Ihnen Mut zu machen, Ihren künftigen Aufwand zur Fehlervermeidung auf ein gesundes Maß zu reduzieren.

 

Was geschieht, wenn in Ihrer Organisation eine Null-Fehler-Toleranz vorherrscht? Logisch, Ihre Mitarbeiter werden alles daransetzen, Fehler zu vermeiden. Das wiederum führt dazu, dass in besonders heiklen Situationen lieber der Sicherheitsweg gewählt wird! Statt ein Risiko einzugehen, um eine vielversprechende Lösung auszuprobieren, von der man nicht weiß, ob sie wirklich funktioniert, wird lieber die Variante gewählt, die geringeren Schaden verursacht. Wir versuchen also intensiv, Fehler zu vermeiden. Wie soll in einer solchen Atmosphäre Wachstum entstehen? Ist eine positive Entwicklung nicht vielmehr dort zu erwarten, wo auch etwas Risiko gefahren wird, weil die Mitarbeiter von einer bestimmten Lösung überzeugt sind, ohne zu wissen, ob sie am Ende auch funktioniert? Aber wenn sie funktioniert, dann ist das Ergebnis meist überwältigend!

 

 

Torsten Werner: „Führung mit Pfiff: Einfach. Klar. Konsequent.“ 240 Seiten,  26,95 Euro, Business Village Verlag https://www.businessvillage.de/fuehrung-mit-pfiff/eb-1121.html

 

 

Promotions- oder präventionsfokussiert, das ist die Frage

Dahinter steckt ein Prinzip, das Edward Tory Higgins (Professor für Psychologie an der Columbia University, New York) Regulationsfokustheorie nennt. Er unterscheidet zwischen promotions- und präventionsfokussierten Verhaltensweisen. Derjenige, der Fehler vermeiden möchte, der Präventionsfokussierte, ist dann besonders glücklich, wenn es ihm gelungen ist, Schaden zu vermeiden und er möglichst wenig bis gar keine Fehler produziert hat. Im Gegensatz dazu ist der promotionsfokussierte Typ erst dann zufrieden, wenn er ein möglichst gutes Ergebnis erzielt. Dabei ist es nicht so erheblich, wenn auf dem Weg dorthin auch das eine oder andere schiefgelaufen ist und Fehler geschehen sind. Wichtig ist bloß, dass am Ende ein möglichst gutes Ergebnis steht.

 

Zu welchem Typ Sie tendieren, hängt unter anderem von der Branche ab, in der Sie tätig sind. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich auf dem Operationstisch liegend auf jeden Fall einen präventionsfokussierten Arzt vorziehe. Das gilt für die meisten medizinischen Routineeingriffe. Aber wie verändert sich meine Haltung, wenn ich an einer – scheinbar – unheilbaren Krankheit leide, für die ein promotionsfokussierter Mediziner eine mögliche oder sehr wahrscheinliche Heilung in Aussicht stellt? Wäre ich dann risikofreudiger? Mit Sicherheit ja. Auch mein Automechaniker darf gerne ein präventionsfokussierter Mensch sein, der mein Auto bei der Inspektion auf Herz und Nieren prüft, Fehler findet und beseitigt. Das könnte sich anders gestalten, wenn ich im Rennsport tätig und daran interessiert bin, aus meinem Boliden noch die letzten paar Prozent Leistung herauszuholen. Dann befindet sich der experimentierfreudige Experte mit Sicherheit im Vorteil. Apropos: Fällt Ihnen beim Lesen wie mir beim Schreiben auf, dass die Wörter »experimentieren« und »Experte« erstaunlich ähnlich beginnen? Wer (zumindest gelegentlich) experimentiert, wird also irgendwann zum Experten, wer verwaltet, wird früher oder später nur noch das sein, nämlich Verwalter. Beide Vorgehensweisen haben ihren Platz im (Arbeits-)Leben. Tatsächliche und atemberaubende Spitzenleistungen, die Sie in die erste Reihe katapultieren, werden Sie jedoch nur mit der Option der risikobehafteten Promotionsfokussierung erreichen!

Fehlervermeidung aus Angst vor den Konsequenzen

Nach vielen Jahren im öffentlichen Dienst, der in weiten Teilen eher präventions- als promotionsfokussiert ist, habe ich ein zentrales Merkmal identifiziert. Im öffentlichen Dienst oder auch in zahlreichen sehr hierarchisch geführten anderen Organisationen sind viele Menschen vorrangig damit beschäftigt, nachzuweisen, dass sie an etwas nicht schuld sind. Ganz nach dem Motto: »Damit ist zwar noch keine Lösung für das Problem gefunden, aber es ist zumindest schon einmal geklärt, dass ich dafür nicht gehängt werde.« Eindeutige Fehlervermeidungsstrategie aus Angst vor den möglichen Konsequenzen! Bemerkenswert daran ist, dass die Konsequenzen im öffentlichen Dienst in der Regel viel geringer sind. Während in der Wirtschaft Ihr Job gefährdet sein könnte, wenn etwas richtig danebengeht, werden Sie im öffentlichen Dienst ziemlich sicher nicht rausgeworfen. Obwohl dort die Konsequenzen erheblich milder ausfallen, nimmt die Angst vor möglichen Folgen nicht ab. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, es ist umgekehrt. Dort, wo die stärksten Konsequenzen zu erwarten sind, entsteht oft die höchste Bereitschaft zum Experimentieren! Das liegt vermutlich daran, dass der Mensch nun einmal ein Gewohnheitstier ist und sich langfristig auch mit Gefahren vertraut macht. Wer beruflich ständig mit herausfordernden Situationen zu tun hat, entwickelt langfristig eine Art gelassener Souveränität.

 

Aus dem Sport weiß ich nur zu gut, was passiert, wenn Menschen Angst vor Fehlern haben: Sie verkrampfen! Eine verkrampfte Muskulatur ist beim Sport ebenso hinderlich wie das sprichwörtliche Verkrampfen im Arbeitsleben. Wer dem Fußball zugetan ist, kennt das von der Lieblingsmannschaft: Eine Truppe, die eigentlich ganz gut kicken kann, bekommt plötzlich keinen ordentlichen Pass über fünf Meter zustande. Auch wenn ich den Finger nur sehr ungern in diese (Fußball-)Wunde lege – 2018 bei der Weltmeisterschaft in Russland war die Angst im letzten Vorrundenspiel der deutschen Mannschaft gegen Südkorea sehr deutlich zu erkennen. War die Mannschaft in den beiden Spielen zuvor gegen Mexiko und Schweden einfach nur schlecht (was passieren kann), hatte ein erheblicher Teil der Mannschaft im letzten Spiel einfach massive Angst vor dem Versagen und der im Raum stehenden Schmach des Ausscheidens nach der Vorrunde. Das Ergebnis ist selbst nicht so fußballaffinen Menschen noch in Erinnerung: Deutschland verlor das Spiel (mit 0:2) und schied erstmalig in der Geschichte der Weltmeisterschaften nach der Vorrunde aus! Für mich nicht verwunderlich, die Mannschaft hatte null Risikobereitschaft gezeigt, war vor allem darauf bedacht gewesen, nur ja keine Fehler zu machen. Mit einer solchen Haltung lässt sich weder im Sport noch im herausfordernden Berufsalltag ein Blumentopf gewinnen!

Einfach (nach-)gefragt

Wie ist es um die Fehlerkultur in Ihrer Organisation bestellt? Dürfen Ihre Mitarbeiter Fehler machen? Was passiert mit Mitarbeitern, die bereit waren, etwas zu riskieren, und deren Versuch schiefläuft? Was geschieht, wenn ein Risikoversuch sich als erfolgreich erweist? In welchem Ausmaß erfolgt Anerkennung?

Versetzen Sie sich gedanklich in die Rolle von einem Ihrer Mitarbeiter. Hätten Sie aus dieser Perspektive den Mut, Ihnen, dem Chef gegenüber, offen Kritik zu formulieren? Würden Sie ein hohes Risiko eingehen, um möglichst großen Erfolg zu erzielen? Oder tun Sie lieber alles dafür, Fehler möglichst zu vermeiden, um nicht negativ aufzufallen, da dies der herrschenden Unternehmenskultur entspricht?

Haben Sie ein annähernd realistisches Bild davon, was Sie in welcher Form zu der Fehlerkultur in Ihrer Organisation beitragen? Wenn Sie sich dazu vollkommen selbstkritisch beleuchten wollen, dann bitten Sie doch die Menschen in Ihrem engsten Umfeld um ihre Einschätzung zu den oben aufgeführten Fragen. Wie werden Sie von Ihrem Partner, Verwandten und Freunden als Chef eingeschätzt? Es ist wichtig, dass Führungskräfte sich mit der Art der Fehlerkultur, die in einer Organisation vorherrscht, intensiv beschäftigen. Denn sie steht in engem Zusammenhang mit der Qualität der Entscheidungen, die innerhalb dieser Organisation getroffen werden. Diesen Aspekt werde ich noch näher beleuchten und Ihnen konkrete Vorschläge zur Behandlung von Fehlerallergien und das Pimpen von Leistungen der Menschen in Ihrer Organisation machen. An dieser Stelle ist es erst einmal wichtig, zu verinnerlichen, warum wir so oft Angst vor unserer eigenen Courage oder unseren eigenen Fehlern haben, und dass es vielleicht – je nach Fall und Umfeld – doch nicht ganz so wichtig ist, immer alles richtig zu machen.

Konsequent inkonsequent – von Wissensriesen und Umsetzungszwergen

Wir leben in einer Zeit, in der wir nahezu alles wissen. Die Welt ist vernetzter denn je, eine riesige Menge an Daten steht uns immer und überall zur Verfügung. Was wir nicht wissen, das googeln wir einfach. Hätten die Protagonisten der Aufklärung, Rousseau, Descartes, Locke und Kant, geahnt, in welch einfacher Form Wissensbeschaffung einmal möglich sein würde, sie hätten sich wohl glühend gewünscht, diese Ära miterleben zu dürfen. Wissen steht heute jedem, der mehr davon anhäufen möchte, quasi unendlich zur Verfügung. In der Theorie sind wir also von Wissensriesen nahezu umzingelt! In meinen Seminaren und Vorträgen bekomme ich das oft sehr direkt zu spüren, wenn Teilnehmer während meiner Ausführungen animiert googeln und versuchen, meine Aussagen zu widerlegen. Eine Situation, die mir Spaß bereitet und immer zu regen Diskussionen führt! In der heutigen Zeit ist die omnipräsente Verfügbarkeit von Wissen nun einmal kein Problem mehr. Das war noch vor hundert Jahren anders, erst recht aber vor dem Zeitalter der Aufklärung, also vor ungefähr dreihundert Jahren. Damals wusste man so viele Dinge einfach noch nicht. Das Problem der Gegenwart hingegen ist an völlig anderer Stelle zu finden. Denn trotz unseres erstaunlichen und jederzeit abrufbaren Wissensumfanges tun wir uns wahnsinnig schwer damit, dieses Wissen auch umzusetzen. Anders formuliert: Wir sind Wissensriesen und Umsetzungszwerge!

 

Wissen, aber nicht tun

Inzwischen ist wohl allen bewusst, wie wichtig globale Klimamaßnahmen sind. Wenn wir alle zusammen nicht sofort besser auf die Natur und ihre Artenvielfalt achten, werden wir radikal veränderte Lebensbedingungen für spätere Generationen hinterlassen. Wir wissen ja genau, was wir – jeder von uns – individuell tun können, um das Klima zu schützen. Das beginnt bei der Verbrennung fossiler Energien (zum Beispiel Erdöl, Steinkohle, Braunkohle et cetera), setzt sich über reduzierten Fleischkonsum fort und inkludiert Themen wie Energieverbrauch, Heizverhalten oder Mobilität. Aber was unternehmen wir konkret? Was tut jeder Einzelne von uns, um die Situation zu verbessern? Wir weisen viel lieber darauf hin, dass andere noch viel weniger umweltbewusst leben und schieben das Thema zur Seite.

 

Viele Menschen beklagen außerdem die Art des Umgangs in unserer Gesellschaft. Sie kritisieren vor allem den Umgangston in den sozialen Medien, wo im scheinbaren Schutz der Anonymität oft übelste Beleidigungen und Verunglimpfungen stattfinden. Unsere Polizisten, Feuerwehrleute und Mitarbeiter der Rettungsdienste müssen intensive Anfeindungen und sogar körperliche Aggressionen über sich ergehen lassen. Aber was passiert? Wenig – und die Straftaten im Netz und das aggressive Verhalten gegenüber den Helfern im Alltag setzen sich fort. Die Täter verspüren offenbar nicht die geringste Motivation, ihr de-struktives Verhalten einzustellen. Warum auch? Wenn die Taten überhaupt je verfolgt werden, setzt es eher harmlose Strafen, ganz abgesehen von jenen Mitbürgern, die derartige Aktivitäten auch noch abfeiern.

 

Oder betrachten wir ein besonders eingängiges Beispiel: Zu Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 wurden europaweit alle Pflegekräfte emotional von den Balkonen beklatscht! Plötzlich war es vielen Menschen bewusst, was für einen wichtigen und anerkennenswerten Job diese Frauen und Männer machen. Es wurde vollmundig diskutiert und auch zugesagt, dass es höchste Zeit wäre, die Löhne speziell dieser Branche auf den Prüfstand zu stellen. Was ist seitdem passiert? Nach dem Applaus nur noch Graus! Bis heute ist nicht ersichtlich, dass eine spürbare Gehaltserhöhung in den Pflegeberufen erfolgen wird. Natürlich ist es gerade in solchen Situationen besonders schwierig, in verantwortlicher Position die richtigen Entscheidungen zu treffen. Was Wunder, dass kaum noch jemand Politiker werden will und auch viele Unternehmen zunehmend Probleme verzeichnen, wirklich geeignete und leidenschaftlich begeisterte Führungskräfte zu finden, die bereit sind, vollumfänglich Verantwortung zu übernehmen.

 

Was passiert da genau in der Praxis? Jeder weiß es theoretisch besser, aber praktisch geschieht wenig bis nichts. Wir haben es gefühlt also mit dreiundachtzig Millionen Bundeskanzlern zu tun, die es alle besser hinkriegen als Angela Merkel. Gesundheitspolitisch hätten ähnlich viele Menschen den Job von Gesundheitsminister Jens Spahn natürlich so viel besser gemacht. Wir verfügen auch über mindestens vierzig Millionen Bundestrainer, die, anders als Jogi Löw, genau wissen, wie der deutsche Fußball in die Erfolgsspur zurückfinden kann. Im Stadion sitzen ein paar Tausend Oberschiedsrichter, und in den Unternehmen tummelt sich ein großer Pool von Entscheidungsspezialisten, die den amtierenden Führungskräften an Wissen und Erfahrung selbstverständlich weit voraus sind. In Gedanken sind wir alle so großartig und gigantisch. Echte Wissensriesen! Aber dann kommt der Praxisschock, und dort schrumpfen die meisten von uns zu verwirrten Umsetzungszwergen. Damit schließt sich der Kreis zu meiner These, dass wir zwar wissen, aber nicht ausreichend tun!

Konsequent inkonsequent

Viele Menschen wünschen sich tatsächlich Veränderungen – solange sie nicht bei ihnen selbst stattfinden. Sollen sich doch die anderen verändern, die brauchen das sowieso in viel höherem Ausmaß, so der weitverbreitete Ansatz. Mehr konsequent inkonsequent geht nicht! Ich nutze gerne folgendes Bild: Wir wissen so viel, dass wir das Gefühl haben, mit mindestens 1.000 PS unter der Motorhaube unterwegs zu sein. Aber was helfen uns aufregende 1.000 PS, wenn wir vergessen haben, die Räder zu montieren? Der Motor heult zwar laut auf, wenn wir Gas geben, aber sonst passiert gar nichts. Während wir am Straßenrand auf den Pannenservice warten, der die fehlenden Reifen montieren soll, werden wir lässig von der Schnecke überholt. Warum ist das so? Ich bin mir sicher, die für Entscheidungen und das Voranschreiten notwendige Klarheit, zum Beispiel in Form von Wissen, ist ausreichend vorhanden. Was jedoch fehlt, ist die Konsequenz der Umsetzung, die dazu führen würde, das vorhandene Wissen auch in tatsächliche Handlungen zu überführen. Das beweist ein weiteres Mal: Konsequent sind wir nur in unserer Inkonsequenz!

Einfach (nach-)gefragt

Gehören Sie auch zu den Menschen, die regelmäßig gute Vorsätze fassen? Was war Ihr letzter Vorsatz und was davon haben Sie bereits umgesetzt beziehungsweise zumindest begonnen? Falls es beim Vorsatz geblieben ist und eine Umsetzung bisher nicht erfolgt ist: Was sind die Gründe dafür? Liegt es an der mangelnden Klarheit des Auftrags oder der zu wenig vorhandenen Umsetzungskonsequenz?

Bequemlichkeit versus Konsequenz

Einer der Hauptgründe für die fehlende Bereitschaft zur Konsequenz liegt in der uns innewohnenden Bequemlichkeit. Es ist uns zwar klar, dass ein bisschen mehr Sport gut für Fitness, Figur und Gesundheit wäre, der Besuch im Fitnessstudio ist allerdings zeit- und energieaufwendig. Zudem strengt Sport sowieso an, die körperliche Beanspruchung macht uns müde und verursacht gelegentlich sogar Schmerzen. Plötzlich verliert die Idee, mehr Sport zu treiben, rapide an Attraktivität, unsere inkonsequente Bequemlichkeit hat wieder einmal gesiegt. Mit der Familie mehr Zeit zu verbringen ist zwar verlockend, erfordert aber auch die Bereitschaft – oder den Mut –, Nein zu sagen. Nein zum Chef, der wieder einmal eine Sonderaufgabe unterbringen oder eine ungeliebte Aufgabe loswerden möchte. Da ist es doch einfacher – wenn auch inkonsequenter –, in den sauren Apfel zu beißen und die Aufgabe innerlich murrend zu erledigen. Aber auch der Chef ist bequem: Er weiß zwar, wie wichtig es wäre, möglichst frühzeitig auf eine aktuelle Entwicklung aufzuspringen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Gleichzeitig ist er sich aber auch bewusst, dass es zusätzliche Arbeit bedeuten würde, und diese will er nun mal gerne vermeiden. Der viel zitierte innere Schweinehund ist nämlich ein ausgesprochen widerstandsfähiger Zeitgenosse! So lässt es sich erklären, dass äußerst attraktive Ziele zwar präzise formuliert werden, für die konsequente Umsetzung dieser Pläne aber nicht mehr ausreichend Energie zur Verfügung steht. So ein Ärger aber auch!

Die Angst, nicht geliebt zu werden

Ein weiterer bedeutsamer Grund für den Umsetzungskleinwuchs soll hier nicht unerwähnt bleiben. Wir Menschen wollen geliebt werden! Wem diese Formulierung zu weit geht, darf sie gerne entschärfen. An dem Fakt, dass wir es gut finden, möglichst beliebt und akzeptiert zu sein, kommt aber niemand vorbei. Die Menschen, denen die Wertschätzung anderer Personen (scheinbar) völlig gleichgültig ist, dürfen wir guten Gewissens als Exoten bezeichnen. Wer also zur überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung zählt und ein zumindest gesundes Harmoniebedürfnis verspürt, neigt mit Sicherheit dazu, Klarheit & Konsequenz zu vermeiden, um dem daraus resultierenden befürchteten Konflikt und der damit verbundenen möglichen Abwertung der eigenen Person aus dem Weg zu gehen. Aus Sorge, einen Mitarbeiter zu verärgern und in der Folge von diesem nicht mehr die beste Leistung zu bekommen, bleibt ein zwingend erforderlicher klarer Hinweis oder Tadel an diese Person leider oft aus. Andere Chefs wiederum mutieren gleich zu »Papa beziehungsweise Mama Gnädig«, weil sie sich davon mehr Respekt und Akzeptanz versprechen. Sie gehen davon aus, dass sie weniger Stress mit ihren Mitarbeitern bekommen, wenn sie ihren Taktstock nur mit Samthandschuhen und größtmöglicher Vorsicht schwingen. Aber ist es tatsächlich so, dass wir mehr respektiert werden, wenn wir speziell nett und freundlich, aber dadurch auch inkonsequent agieren?

Geschichte mit Pfiff: Eine unerwartete Wortmeldung

In meiner letzten Saison als aktiver Schiedsrichter traf ich in einem Spiel noch einmal auf Martin, den ich als kritischen Begleiter meiner Schiedsrichtertätigkeit erlebt hatte. Er gehörte zweifellos zu den besten Torhütern in seiner Spielklasse. Seine hohe Emotionalität führte jedoch immer wieder dazu, dass wir im Spiel – oder auch kurz danach – aneinandergerieten. Dabei blieben unsere Wortwechsel aber stets im Rahmen. Am Ende eines Hallenturniers war er einmal so stinksauer auf mich, dass er mit grimmiger Miene an mir vorbeiging und mir zuraunte: »Ich gehe lieber in die Kabine, bevor ich noch was sage, was ich nachher bereue!« Als wir vor einem Spiel wieder einmal aufeinandertrafen und uns kurz unterhielten, erwähnte ich, dass ich zum Ende der laufenden Saison aufhören würde. Martin starrte mich fassungslos an. »Das ist ein Scherz, das gibt es nicht. Gerade du kannst doch nicht aufhören!«, rief er entsetzt. Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Er wirkte tatsächlich tief betroffen, schüttelte immer wieder den Kopf und meinte dann: »Das finde ich extrem schade! Wir waren zwar nicht immer einer Meinung, aber das ist nun mal so im Fußball. Aber du warst stets korrekt, immer fair, und ich wusste ohne Zweifel, woran ich bei dir bin! Ich war immer beruhigt, wenn ich gesehen habe, dass du uns pfeifst.« Nach diesem Match, in dem wir nicht aneinandergerieten, weil das Spiel ruhig und fair verlief, kam Martin zu mir in die Mitte. Er blieb vor mir stehen, deutete eine Verbeugung an und umarmte mich. Sternstunde eines Schiedsrichters!

 

Die Geschichte zeigt, dass Respekt nur selten durch zu große Freundlichkeit entsteht! In meinen Begegnungen mit Martin hätten viele – und auch ich – vermutet, ihm käme mein Karriereende gerade recht. Das genaue Gegenteil war der Fall! Martins Reaktion hatte mir wieder einmal bewiesen, dass es nicht darum geht, andere Menschen zu schonen und in Watte zu packen. Vielmehr kommt es auf Wahrhaftigkeit der Kommunikation, Authentizität und einen respektvollen Umgang an. Das ist eine Beobachtung, die ich als Schiedsrichter häufig gemacht habe, die ich aber auch im Berufsleben bestätigt sehe. Meine Klienten sagen über mich aus, dass ich nicht zögere, den Finger in die Wunde zu legen. Dabei verliere ich aber niemals den Respekt vor der Person und auch nicht vor der Situation, in der sich mein Klient gerade befindet. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es genau das ist, was sich viele Menschen im Umgang mit anderen wünschen: wertschätzende, klare und konsequente Ehrlichkeit! Mit der aufgesetzten, scheinheiligen Freundlichkeit, mit der sich viele Menschen um die Wahrheit herum verbiegen, hat das nicht das Geringste zu tun!

Klar, konsequent, höflich und vor allem nicht zwergenhaft

Klar und konsequent zu agieren darf uns aber nicht daran hindern, die allseits üblichen Benimmregeln nicht nur zu kennen, sondern auch anzuwenden. Ich möchte meine Ausführungen in diesem Kapitel zwar nicht als Plädoyer für geschliffenes Benehmen verstanden wissen, aber es kommt nicht nur auf das Was, sondern immer auch auf das Wie an. Wenn klare Ehrlichkeit in Form von verletzender, beleidigender oder herabsetzender Kommunikation daherkommt, dann ist die Wirksamkeit dieser Worte deutlich herabgesetzt – und auf die Wirksamkeit kommt es an.

 

Was hindert Sie also noch daran, selbst zu einem wahren Umsetzungsriesen zu werden? Machen Sie sich immer bewusst, dass die Besten vor allem deshalb die Besten sind, weil sie besonders viel für ihren Erfolg tun. Topleistungen entstehen aus der Kombination von Talent und Charakter. Der Fußballtrainer Jürgen Klopp, der 2019 und 2020 zum besten Trainer der Welt gewählt wurde, hat es in einem bemerkenswerten Interview aus dem Jahr 2011 hervorragend beschrieben. Darin betonte er, dass Topspieler zwar großes Talent benötigen, das allein allerdings nicht ausreicht. Hinzukommen muss der Charakter des Spielers, aus diesem Talent auch wirklich etwas Besonderes zu machen. Er müsse bereit sein, sich stetig weiterzuentwickeln und sich auch von Niederlagen nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Das passt ziemlich gut zu meiner Vorstellung von einer guten, wirksamen Führungskraft. Talent und Wissen allein reichen auch dort nicht, Sie müssen ebenso imstande sein, das Ihnen gegebene Talent entsprechend einzusetzen und Ihr (Führungs-)Wissen stetig weiterzuentwickeln. Und dann natürlich auch ins Tun kommen! Wer dazu nicht bereit ist, verbleibt für immer im Status des Umsetzungszwerges. Solche Zwerge haben in einer Führungsposition eigentlich nichts zu suchen, oder?

Chef first – wenn das Ego eine eigene Postleitzahl braucht

»America first« lautete im Jahr 2016 der Slogan von Donald Trumps Präsidentschaftswahlkampf. Unabhängig von der Frage, wie man zu seiner Politik, seiner Umgangsweise mit Freund und Feind oder seiner (Selbst-)Inszenierung steht, eines müssen wir ihm zugestehen: Dieser Slogan war hochgradig authentisch! Noch konsequenter wäre es wohl gewesen, die Kampagne von vornherein »Trump first« zu nennen, aber damit hätten sich vermutlich nicht so viele Wählerstimmen erzielen lassen. Eines steht fest: Dieser Mann war und ist auf den Schwingen eines galoppierenden Egotrips unterwegs.

Ego mit Postleitzahl?

Das Phänomen kennzeichnet auch eine selten vorkommende, dafür aber meist tiefen Eindruck hinterlassende Spezies Mensch, die speziell in den Führungsetagen gerne anzutreffen ist. Diese Spezies existierte übrigens schon lange vor Donald Trump, und es wird sie auch noch weit nach ihm geben. Die Übereinstimmung zwischen den omnipräsenten Impulsen aus dem von Trump bis Januar 2021 geprägten Oval Office in Washington und den mir schon lange bekannten Verhaltensweisen vieler Führungskräfte regte mich zum Kapitelnamen »Chef first« an. Denn genau das ist es, was gewisse Vorgesetzte »auszeichnet«. Eine Führungskraft, die die eigenen Interessen in den eindeutigen Fokus ihres Tuns rückt und alles andere hintanstellt. Die Interessen der Kunden und der Mitarbeiter spielen nur insofern eine Rolle, als sie hilfreich sind, die eigenen Interessen zu stützen. Es trifft natürlich zu, dass eine Führungskraft im Vertrieb gar nicht anders kann, als die Bedürfnisse der Kunden zu beachten, ansonsten werden die Verkaufszahlen schnell zur Nemesis dieser Abteilung. Aber stehen für derart gepolte Führungskräfte die Bedürfnisse der Kunden tatsächlich im Zentrum ihrer Betrachtung – wie es eigentlich zu erwarten wäre – oder werden sie nur berücksichtigt, um nicht umgehend aus ihrer Position gejagt zu werden? Lassen Sie uns daher zunächst überlegen, warum manche Führungskräfte – nicht alle natürlich – diese »Chef first«-Attitüde mit Hingabe ausleben.

 

Welchen Herausforderungen fühlen sich Führungskräfte ausgesetzt, die einige von ihnen zu derart egoistischen Verhaltensweisen antreiben? Was wird von Führungskräften in der Regel erwartet? Chefs sollen immer einen glänzenden Job machen, sich nicht irren, als stetes Vorbild leuchten und natürlich auch begeisternde Impulsgeber sein! Außerdem sollen sie ihren Mitarbeitern Orientierung geben und sie zu immer besseren Leistungen motivieren. Auf den meisten Führungskräften lastet daher immenser Druck! Ist es unter diesen Umständen verwunderlich, wenn der eine oder andere Chef etwas zu viel Ego in die Waagschale wirft? Tatsächlich sollten wir im Einzelfall genau hinsehen, wie schädlich so ein bisschen zu viel Chef first tatsächlich ist. Denn auch hier macht die Dosis das Gift. Es gibt Chefs mit megagroßem Ego, die trotzdem äußerst erfolgreich sind und ihre Rolle als Chef perfekt ausfüllen. Aber dann gibt es noch jene aufgeblasenen Verantwortungsträger, deren Ego eine eigene Postleitzahl benötigt und die einer Organisation langfristig nicht guttun. Denn Egomanen auf dem Führungsthron können erheblichen Schaden anrichten!

Führungsegozentriker im Angebot

Sehen wir uns diese Egozentriker, die – unterschiedlich stark ausgeprägt – das eigene Wohl vor jenes der Gemeinschaft stellen, genauer an. Beginnen wir mit dem Marktschreier. So nenne ich den Typ Chef, der – wie auf dem Hamburger Fischmarkt – vor allem durch Lautstärke auf sich aufmerksam macht. Lange bevor Sie ihn sehen, haben Sie ihn schon gehört. Er hat immer etwas zu sagen und hält mit der eigenen Meinung nicht hinter dem Berg. Wer als Mitarbeiter darauf verzichten kann, dem Marktschreier den Kampf anzusagen, kann sich prima zurücklehnen und den Chef machen lassen. Allerdings drängt sich dieser Chef so sehr nach vorne, dass er vor lauter ichbezogener Hyperaktivität oft das Potenzial, das in seinen Leuten steckt, übersieht. Die Mitarbeiter sind von diesem Typ Chef in erster Linie genervt. Seine demonstrative Lautstärke wirkt selten überzeugend, denn sie knabbert langfristig an seiner Kompetenz. Kommt Ihnen dieser Typ bekannt vor? Ich möchte wetten, dass Sie ihn schon einmal in einem Unternehmen angetroffen haben.

 

Ein besonderes Prunkstück unserer Sammlung stellt der Star-Stutzer dar. Er zeichnet sich durch den Leitsatz »Immer schön klein bleiben!« aus. Dabei richtet er den Blick keineswegs in den Spiegel – sondern direkt daran vorbei auf die anderen. Er ist darauf bedacht, alle(s) in seinem Umfeld möglichst gut zu kontrollieren. Wird ihm ein Mitarbeiter zu groß und deutet Star-Potenzial an, zum Beispiel weil er sich weiterentwickeln möchte, besonders leistungsfähig und -willig ist oder einen Wechsel in höhere Gefilde anstrebt, stutzt er ihn sofort auf ein für ihn passendes Maß zurecht. Ein solches Prachtexemplar von Chef habe ich selbst in meiner Zeit als Beamter erlebt. Nach meinem erfolgreich abgeschlossenen Masterstudium der Erwachsenenbildung hatte ich mich intern auf eine höherwertige Führungsstelle beworben. Wäre mir diese Stelle übertragen worden, hätte ich meinen Chef auf der im öffentlichen Dienst sehr bedeutsamen Hierarchieleiter überholt! Auch wenn wir keinen unmittelbaren Bezug zueinander gehabt hätten, das gefiel ihm gar nicht. Formal erfüllte ich alle Kriterien, im Gegensatz zu einem Großteil der externen Bewerber. Als interner Bewerber war meine Beförderung für meinen Chef aber ein Ding der Unmöglichkeit. In einem persönlichen Gespräch bemühte er sich eindrücklich, mir meine Grenzen aufzuzeigen. »Man muss immer wissen, wo man herkommt!«, dozierte er damals mit erhobenem Zeigefinger. Zweifellos ist Herkunft ein entscheidender Aspekt der Identität. Was er aber wirklich meinte: Schuster, bleib bei deinem Leisten! Der Star-Stutzer auf dem Führungssessel übersieht dabei vollkommen, dass die Förderung und Entwicklung der Mitarbeiter eine zentrale Führungsaufgabe darstellt und er diesbezüglich kläglich versagt!

 

Der Luftverkäufer zeichnet sich dadurch aus, dass er Selbstverständlichkeiten als unfassbar wertvolle Raritäten verkauft. Tatsächlich aber ist es so, als würde jemand an Ihrer Haustür klingeln und Ihnen zehn Kubikmeter Luft zu einem Schnäppchenpreis verkaufen wollen. Mein Lieblingszitat des Luftverkäufers: »Meine Bürotür steht immer offen!« Oder auch: »Ich habe stets ein offenes Ohr für Kritik meiner Mitarbeiter!« Das geht meist schief. Es ist nämlich ziemlich schwierig, einen Termin bei jemandem zu bekommen, der laufend seine ständig offene Bürotür anpreist. Viel einfacher ist das bei einem Chef, der darauf nicht explizit hinweist. Er muss es nicht erwähnen, weil es für ihn selbstverständlich ist, für das Feedback seiner Mitarbeiter ein offenes Ohr zu haben. Wer jedoch weiß, dass er genau das nicht will, betont diese vermeintliche Offenheit im Außen immer wieder. Eigentlich logisch, oder? Die explizite Erwähnung erfüllt dabei zwei Zwecke. Die gebetsmühlenartige Wiederholung soll einerseits den Schein nach außen wahren und den Luftverkäufer andererseits sich selbst gegenüber in falscher Sicherheit und Souveränität gegenüber seinen Kollegen wiegen. Heiße Luft in der Chefetage …

 

Mein letztes Beispiel aus der Riege der ego-auffälligen Chefs ist der King Dingeling. In der (jugendlichen) Sprache der sozialen Medien würde dieser Typ wohl als »GOAT«, also als »Greatest of all Time« bezeichnet. Und genauso fühlt sich der King Dingeling auch. Es gibt einfach keinen besseren Chef als ihn, und das lässt er gerne bei jeder Gelegenheit heraushängen. Fragt ihn ein Mitarbeiter, aus welchen Gründen er eine Aufgabe erledigen soll, antwortet der King Dingeling von oben herab: »Weil ich es sage!« Er ist Kritik nicht gewöhnt und erwartet von seinen Mitarbeitern, dass seinen Anweisungen ohne zu hinterfragen Folge geleistet wird. Denn er ist nun einmal der Beste! Die King Dingelings dieser (Führungs-)Welt versuchen außerdem meist gar nicht einmal, ihre Arroganz zu verbergen.

Einfach (nach-)gefragt

Welche dieser Typen haben Sie in der Praxis schon einmal live erlebt? Oder kennen Sie andere Ausprägungen von Führungskräften, die durch ihr egoistisches Verhalten die Interessen der Mitarbeiter beziehungsweise des Unternehmens regelmäßig hintanstellen? Oder aber: Haben Sie selbst schon einmal Ihre Interessen so sehr in den Vordergrund gerückt, dass andere dadurch zu kurz kamen? Wenn ja: Wie haben Ihre Mitarbeiter und Kollegen reagiert? Und vor allem: Wie haben Sie sich dabei selbst gefühlt?

Gruppe schlägt Individuum

Was wir bei unseren Überlegungen aber nicht vergessen dürfen: Ein angemessen egoistisches Verhalten ist förderlich und wichtig! Schon Ruth Cohn hat in ihrem legendären Modell der themenzentrierten Interaktion (TZI) dargelegt, dass es zum Funktionieren in einer Gruppe einen Dreiklang aus »Ich«, »Wir« und dem »Thema« braucht. Jeder Gruppenteilnehmer muss sich ernst genug nehmen, um seine bestmögliche Leistung abzurufen (ich). Dazu bedarf es – will man nicht vollkommen unterbuttert werden – durchaus eines gesunden Blickes auf sich selbst zur Wahrung der eigenen Interessen. Ein Individuum darf sich aber niemals wichtiger nehmen als die Gruppe (wir)! Neben dem gesunden Egoismus braucht es also auch eine Portion Altruismus. Schon ein Kind lernt schnell, dass es ab und zu machen muss, was die anderen wollen, wenn es weiter mit anderen Kindern spielen will.

 

Diese Einsicht ist nur leider in vielen Chefetagen in Vergessenheit geraten und ausufernde Egotrips bahnen sich nur zu oft ihren dramatischen Weg. Mit Betonung auf ausufernd, denn Ego per se muss nicht schädlich sein, wenn es entsprechend kanalisiert wird und der Besitzer des Egos niemals vergisst, dass wir im beruflichen Kontext nicht im Selbstzweck agieren, sondern angetreten sind, um eine bestimmte Aufgabe erfolgreich zu erfüllen. Menschen, die ihr Ego so exponiert zur Schau stellen, dass die Interessen der anderen Personen oder die Aufgabe zu kurz kommen, bauen sich damit oft ein für sie notwendiges Schutzschild auf.

Geschichte mit Pfiff: Die Revanche der Karten

In meinen ersten Jahren als Schiedsrichter war ich ein sogenannter Kartenspieler. Das sind Schiedsrichter, die sich den Respekt auf dem Platz durch das inflationäre Zeigen von Gelben und Roten Karten erarbeiten. Ich war damals durchdrungen von dem Gefühl »Wir gegen die«! Hier die gute, die weiße Seite der Macht, verkörpert durch uns Schiedsrichter, die sich für den Einhalt der Regeln und den Fair-Play-Gedanken aufopfern. Dort die dunkle Seite der Menschheit – die Spieler, die ständig Regeln brechen und alles dafür tun, die Schiedsrichter hinters Licht zu führen.

So ließ ich mich in einem Spiel auf ein Verbalduell mit einem Spieler ein. Er war sauer über eine meiner Entscheidungen, da sie ihm zu eng am Wortlaut des Regeltextes war und nicht nah genug am Geist des Fußballs. Aus heutiger Sicht neige ich dazu, dem Spieler recht zu geben. Damals war ich empört über seine verbalen Angriffe. Ein Wort ergab das andere und irgendwann ging mir die Diskussion so sehr auf die Nerven, dass ich ihm die Gelbe Karte zeigte. Da es bereits die zweite in diesem Spiel war, verwies ich den Rebellen des Feldes. Damit hatte ich den Machtkampf gewonnen, mein Schutzschild hatte seine Funktion einmal mehr erfüllt. Plötzlich kam Michael, ein Teammitglied des rausgeworfenen Spielers, auf mich zu und sagte ruhig: »Warum machst du das? Das hast du doch gar nicht nötig! Du bist so ein guter Schiedsrichter!« Über diese Worte habe ich oft und lange nachgedacht und kam zu der Erkenntnis, dass er bei mir den Finger direkt in die Wunde gelegt hatte. Autsch!

Ich war eindeutig dem Phänomen »Chef first« erlegen, denn ich hatte mich selbst in den Mittelpunkt gestellt, mich angegriffen gefühlt durch einen rebellischen Spieler und dann auch noch durch die Aussage von Michael. An dem Tag hatte mein Ego eindeutig mitgepfiffen und mein Schutzschild war weiter hochgefahren.

Kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander

Im Herbst 2020, rund siebzehn Jahre nach meinem letzten Pfiff, stellte mir ein Kollege die Frage: »Was hat dich zu einem guten Schiedsrichter gemacht? Gab es ein Schlüsselerlebnis, von dem du erzählen könntest?« Ich musste in der Tat nicht lange überlegen und antwortete ihm, dass ich erst ein guter Schiedsrichter wurde, als ich begriffen hatte, dass es kein Gegeneinander gibt, sondern ein Miteinander von Spielern und Schiedsrichtern! Wir alle lieben dasselbe Spiel und investieren viel Zeit und Energie in dieses Hobby. Natürlich haben wir dabei unterschiedliche Blickwinkel und Ziele, was zwangsläufig zu Konflikten führt, die oft, aber nicht immer friedlich beigelegt werden können. Im Kern bleibt aber das verbindende Element der Freude am Spiel und unser aller Bemühen, mit einer guten Leistung zum Gelingen des Gesamtkonstrukts beizutragen!

 

Michaels klare Worte »Warum machst du das? Das hast du doch gar nicht nötig!« haben dazu beigetragen, dass sich dieser Wandel in mir langsam, aber sicher vollziehen konnte. Wer mich gegen Ende meiner aktiven Schiedsrichterzeit kennenlernte, hatte es deutlich schwerer, mit mir in Stress zu geraten. Karten zückte ich nur noch dann, wenn sie erforderlich waren. Gelbe Karten für Spieler, die sich mir gegenüber undiszipliniert zeigten, gehörten zur absoluten Ausnahme. In den meisten Situationen konnten wir den Konflikt im Gespräch lösen. Ich brauchte meinen Schutzschild nicht mehr, weil ich das Gefühl hatte, nicht mehr angegriffen zu werden. Falls es dann doch passierte, konnte ich mich immer noch zur Wehr setzen. Wir nennen das Selffulfilling  Prophecy: Wenn Sie davon ausgehen, dass Menschen gegen Sie eingestellt sind, dann werden Sie jede Menge Bestätigungen für Ihre Annahme finden, weil Sie vor allem auf genau diese Anzeichen achten. Die Signale für ein Miteinander, die ebenso vorhanden sind, werden dagegen ausgeblendet. Auf die Führungsfunktion übertragen bedeutet das: Wenn ein Chef in seinen Mitarbeitern tendenziell zur Faulheit neigende Menschen sieht, die er permanent zur Höchstleistung antreiben muss, weil sie sonst nur untätig im Büro abhängen, dann wird er vermutlich diese faulen Mitarbeiter vorfinden. Wer Unfähigkeit vermutet, wird Unfähigkeit bekommen, wer Respektlosigkeit sieht, erhält auch Respektlosigkeit. Auch hier kommt es wie immer auf das passende Mindset an!

Ohne Vertrauen keine Wirkung

Ego-Chefs hat wohl jeder von Ihnen schon einmal erlebt. Alles, was ihr eigenes Ego stärkt, wird genutzt! Diese Chefs schmücken sich schamlos mit fremden Federn, indem sie alle Erfolge generell für sich verbuchen. Anders gepolte Chefs loben die gute Arbeit der Mitarbeiter, schreiben ihnen den Erfolg zu und wissen genau, dass sie als Chef dieser Organisationseinheit ebenfalls gut dastehen. Von Ihnen als Chef wird nicht erwartet, dass Sie alle Aufgaben persönlich erledigen. Der Ego-Chef aber wird wichtige Projekte entweder selbst leiten oder nur solchen Mitarbeitern die Leitung übertragen, von denen er überzeugt ist, sie gut steuern zu können. Diese Projektleiter werden engmaschig kontrolliert, indem häufig Gespräche stattfinden. Wirksame Chefs hingegen delegieren solche Aufgaben und investieren damit in den Faktor Vertrauen. Der Stellenwert des Vertrauens in der Führung lässt sich in der Fachliteratur unter anderem in den großartigen Büchern »Führen. Leisten. Leben« von Fredmund Malik und »Vertrauen führt« von Reinhard K. Sprenger nachlesen. Nach vielen Jahren der intensiven Beschäftigung mit dem Thema Führung in der Theorie und vor allem in der Praxis kam ich zu dem klaren Ergebnis: Kein Vertrauen, keine Führung! Geht das Vertrauen zwischen Ihnen als Chef und Ihren Mitarbeitern verloren, führen Sie nicht mehr. Natürlich haben Sie noch die äußeren Erkennungsmerkmale der Führungskraft. Die Streifen am Ärmel oder die Sterne auf der Schulterklappe bleiben Ihnen erhalten, ebenso das Eckbüro mit Panoramablick – rein formal sind Sie also weiterhin die Führungskraft. Aber Sie erzielen keine Wirkung mehr und damit führen Sie auch nicht! Denn Führen bedeutet Wirkung erzielen. Ohne Vertrauen werden Sie keinerlei Wirkung mehr besitzen.

Tun Sie, was ich Ihnen sage

Sobald Ego-Chefs die beschriebenen Entwicklungen erkennen, greifen sie postwendend zum Instrument »Führen durch Macht«. Dabei werden alle formalen Aspekte in den Vordergrund gerückt. »Noch bin ich hier der Chef« oder »Wenn Sie in meiner Position sind, können Sie das ja anders machen! Bis dahin tun Sie, was ich Ihnen sage« sind typische Aussagen dieser Führungskräfte, wenn sie unter Druck geraten. Verzweifelt glauben sie, sich dadurch an eine Macht klammern zu können, die sie längst eingebüßt haben. Führungskräfte, deren Ego eine eigene Postleitzahl benötigt, sind zutiefst schädlich, da sie verbrannte Erde hinterlassen, die ihre Nachfolger erst wieder mühevoll befruchten müssen. Jeder egomanen Führungskraft darf ich an dieser Stelle die Frage mitgeben: Warum machen Sie das? Das haben Sie doch gar nicht nötig! Sie können auch auf ganz andere Art und Weise eine gute und konsequente Führungskraft sein!

Erwartungen und Erwartungserwartungen – warum wir manchmal zu viel wollen

In jedem Unternehmen gibt es Tabuthemen. Einige dieser Themen präsentieren sich unternehmensspezifisch, also abhängig von den Personen und Bedingungen vor Ort, andere sind universell und in nahezu jedem Unternehmen unkommunizierbar. Zu den Top-Tabuthemen gehören die Erwartungen! Über sie wird in den wenigsten Unternehmen konkret und offen gesprochen – mit entsprechend verheerenden Folgen! Aufgrund falscher oder unklarer Informationen wird viel Arbeit für den Papierkorb produziert und Ergebnisse müssen aufwendig nachbereitet werden, um den Erwartungen der Verantwortlichen zu entsprechen. In Belegschaften kommt es zu wechselseitigen Befindlichkeiten und Enttäuschungen, die die Zusammenarbeit immens belasten können. Woran liegt das?

 

Die Erwartungen, die Chefs an ihre Mitarbeiter haben, und die Erwartungen, die Mitarbeiter an ihre Chefs haben, werden in nur wenigen Ausnahmefällen klar und konsequent kommuniziert. Dort, wo ein Austausch über die gegenseitigen Erwartungen regelmäßig erfolgt, sind bessere Ergebnisse, weniger Ressourceneinsatz und mehr Zufriedenheit im Unternehmen zu verbuchen. Und es stellt sich mehr Erfolg ein! Doch obwohl die Vorteile einer Enttabuisierung der Erwartungen klar auf der Hand liegen, verweigern sich viel zu viele Chefs in Unternehmen immer noch klaren und klärenden Gesprächen rund um das Thema Erwartungen. Auch bei vielen Mitarbeitern stehen Erwartungen als Gesprächsthema nicht allzu hoch im Kurs

 

Einfach (nach-)gefragt

Sprechen Sie als Führungskraft regelmäßig mit Ihren Mitarbeitern über Ihre wechselseitigen Erwartungen? Formuliert Ihr oberster Chef seine Erwartungen klar an Sie? Haben Sie umgekehrt die Möglichkeit, Ihre Erwartungen an Ihren Chef zu kommunizieren? Falls Sie nicht regelmäßig über Erwartungen sprechen: Was sind die Folgen dieser ausbleibenden Kommunikation? Welchen Preis haben Sie dafür schon bezahlt?

Der Fluch des Wissens

Warum wird in Unternehmen das Thema Erwartungen so stiefmütterlich behandelt? Aus Sicht der Führungskraft ist es oft der »Fluch des Wissens«, wie es Steven Pinker, Professor für Psychologie an der Harvard University, so treffend nennt. Bei diesem Phänomen geht der Chef davon aus, dass alle Mitarbeiter seinen Wissensstand haben. Tatsächlich ist es schwierig, als wissender Mensch zu erahnen, wie sich das Nichtwissen anfühlt. Wir tendieren dazu, den Schwierigkeitsgrad von Herausforderungen zu unterschätzen, nachdem wir die Nuss geknackt haben. Mit der Lösung im Gepäck wirkt eine Aufgabe eindeutig weniger schwierig. Vergleichbar verhält es sich mit dem Wissen. Den gleichen Wissensstand bei anderen Menschen vorauszusetzen ist eine Fahrlässigkeit, die negative Folgen haben kann.

 

Lautet die Lösung für Sie als Führungskraft also, Ihr gesamtes Wissen über Ihre Mitarbeiter auszuschütten und sie in den Fluten des Wissens zu ertränken? Natürlich nicht! Denn ein Chef, der allen bestens vertrautes Wissen ausführlich erklärt, wird als überheblicher Oberlehrer wahrgenommen und verliert damit an Akzeptanz. Das Thema Wissensstand ist somit ein schmaler Grat, der allerdings relativ einfach beschritten werden kann. Es braucht dazu einen Chef, der aufmerksam ist, gut zuhört und beobachtet und so im Laufe der Zeit ein Gespür dafür entwickelt, über welches Wissen die Mitarbeiter verfügen und welches Wissen sich möglicherweise ziemlich exklusiv in seinem eigenen Kopf tummelt. Wenn Sie es sich angewöhnen, über das Wissen und die damit verbundenen Erwartungen offen zu kommunizieren, lässt sich die Falle einer Über- oder Unterschätzung aus der Sicht der Führungskraft einfach umgehen.

 

Mitarbeiter stecken oft in dem Dilemma, ihre Führungskraft nicht mit jeder Menge Nachfragen nerven zu wollen. Außerdem besteht die Aussicht auf Anerkennung durch den Chef, wenn Aufgaben eigenständig und ohne große Nachfragen erfolgreich bewältigt werden. Das ist aus der Sicht eines ehrgeizigen Mitarbeiters zweifellos verlockend, aber nur realisierbar, wenn die Erwartungen und Denkweisen des Chefs so gut bekannt und vertraut sind, dass sich Nachfragen tatsächlich erübrigen. Dieser paradiesische Zustand kann eventuell nach jahrelanger und vertrauter Zusammenarbeit eintreten, bleibt für die große Masse der Arbeitsverhältnisse aber unerreicht.

Keine Angst vor Fragen

Es gibt natürlich auch jene Chefs, die auf Fragen von Mitarbeitern äußerst unwirsch reagieren. Jede Nachfrage nervt und wird entsprechend harsch zurückgewiesen. Wer einen solchen Chef bereits einmal erlebt hat, überlegt sich lange, ob die Frage, die auf der Zunge liegt, auch tatsächlich die Lippen passieren sollte. Wenn Sie selbst ein Chef sind, der sich durch Nachfragen der Mitarbeiter genervt fühlt, werden Sie die Problematik gar nicht als solche erkennen. Sie werden sich vermutlich nur regelmäßig über die unzureichenden Ergebnisse einiger Mitarbeiter ärgern, Ihren Anteil an dieser unbefriedigenden Situation aber gekonnt ausblenden. Hier hilft nur klares Feedback von außen, das Sie auch selbst jederzeit einholen dürfen.

 

Wenn Sie nicht zu dieser Sorte Chef gehören, sich aber trotzdem wundern, weshalb Mitarbeiter ihre Fragen nicht formulieren und deshalb am Ende unbefriedigende Ergebnisse entstehen, kann ein Blick in die jüngere Historie einer Abteilung oder gesamten Organisation aufschlussreich sein. Welche Art von Chefs haben Ihre Mitarbeiter in der Vergangenheit erleben dürfen? Wie hat Ihr unmittelbarer Vorgänger seine Führung gestaltet und damit das heutige Klima – auch die Erwartungen betreffend – beeinflusst? Die Folgen dieses Ex-Chef-Verhaltens tragen einige Mitarbeiter noch jahrelang mit sich herum. Auch hier hilft ein klarer und direkter Dialog mit Ihren Teams.

 

Wenn Sie klar und konsequent führen wollen, sollten Sie in Ihrem Arbeitsumfeld eine Atmosphäre der offenen und ehrlichen Kommunikation etablieren. Wem etwas unklar ist, der muss sich frei fühlen, jederzeit nachzufragen, ohne sich wie ein Mensch mit unaufdringlicher Intelligenz zu fühlen. Das wäre nur zu befürchten, wenn jemand immer wieder die gleichen Fragen stellte und aus den Antworten nichts lernen würde. Fragen sind kein Anzeichen von Unwissenheit, sondern ein Indiz für Interesse und den aufrichtigen Willen, die Aufgaben möglichst zuverlässig zu erledigen. Führungskräfte mit Pfiff wissen das und leben danach! Schaffen Sie eine Diskussionskultur, in die sich jeder einbringt. Fragen sind nicht notwendiges Übel, sondern unvermeidbares Werkzeug, um besser zu werden und Abläufe zu hinterfragen. Verzichten Sie darauf, bleiben Sie auf Ewigkeit bei dem, was Sie schon können und erkennen die Gelegenheit zur Weiterentwicklung nicht einmal, wenn sie direkt vor Ihnen liegt. Ermuntern Sie Ihre Kollegen dazu, auch noch nicht zu Ende gedachte Ideen zu formulieren. Natürlich kommt es dann vor, dass eine Idee nicht wirklich zielführend ist. Wenn sich aber alle in der Organisation als Ideengeber verstehen und den Irrtum in der Sache gerne in Kauf nehmen, weil dafür die Wahrscheinlichkeit von wirklich guten und innovativen Ideen radikal steigt, dann ist der Irrtum kein Makel mehr, sondern notwendiger Zwischenschritt auf der Suche nach besseren Lösungen.

Vorbildlich scheitern

Immer wieder erlebe ich Führungskräfte, denen es schwerfällt, eine offene Fragen-Kultur in ihrem Zuständigkeitsbereich zu etablieren. Falls es Ihnen auch so ergeht, kommt hier die mit Abstand wirkungsvollste Methode zur Implementierung einer konstruktiven Diskussionskultur! Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und werden Sie zum Vorbild für Ihre Mitarbeiter. Dazu gehört auch, Vorbild im Scheitern zu sein! Denn es kann immer passieren, dass Sie mit einer neuen Idee scheitern, da diese in der Praxis nicht funktioniert. Das ist in den allermeisten Arbeitsbereichen nicht so schlimm. Stellen die Mitarbeiter fest, dass sich auch der Chef mal irrt und überhaupt kein Problem damit hat, das zuzugeben, ist das Eis gebrochen. In einer solchen angstfreien Atmosphäre lassen sich gute und innovative Lösungen viel besser entwickeln. Das alles funktioniert dann besonders gut, wenn sich alle daran beteiligen.

 

Dort hinzukommen erfordert viel Geduld und Hartnäckigkeit von der Führungskraft. Aber der Aufwand lohnt sich. In der unternehmerischen Praxis habe ich diese Art des Zusammenarbeitens leider noch nicht allzu oft erlebt, aber diese Arbeitsumfelder gibt es durchaus. Aktuell erlebe ich es im ehrenamtlichen Umfeld. Die insgesamt sechs Mitglieder des Schiedsrichterausschusses, dem ich seit über zehn Jahren angehöre, arbeiten auf diese Weise miteinander. Da spielt es keine Rolle, wer als Aktiver wie erfolgreich war (oder ist), aus welcher Region jemand kommt oder welche Aufgabe wem übertragen wurde. Alle bringen sich ein, wenn sie das Gefühl haben, mit einem Beitrag helfen zu können, auch dann, wenn es den originären Zuständigkeitsbereich des anderen betrifft. Hier entstehen immer Ideen und Lösungen, die danach in der Praxis verfeinert werden.

 

Natürlich werden auch einmal Dinge vorgeschlagen, die noch nicht reif zur Umsetzung sind oder nicht funktionieren. Aber wir erwarten voneinander gar nicht erst, uns niemals zu irren. Auch Sie als Führungskraft dürfen sich irren, ohne damit Ihren Karriereweg zu beenden. So entsteht Kreativität und gleichzeitig strahlen Sie als Führungskraft auch noch etwas aus, das Ihren Mitarbeitern den Umgang mit Ihnen erleichtert. Haben Sie eine solche Kultur der Kooperation auch schon einmal erlebt oder zumindest aus der Nähe beobachtet? Ganz sicher kennen Sie aber auch das Gegenteil davon. Eine Atmosphäre, die geprägt ist von Neid und Macht durch Wissensvorsprung. Da wird um Gottes willen nichts verraten, weil es ein anderer für sich verwenden und am Ende besser dastehen könnte. Sie als Führungskraft können diese Denk- und Vorgehensweisen in Ihrem Umfeld ändern. Es ist schließlich die Aufgabe von Führungskräften, eine möglichst konstruktive Haltung zu entwickeln – bei sich selbst beginnend und daraus abfärbend auf die Mitarbeiter. Setzen Sie in puncto Erwartungen nie etwas voraus, sondern überprüfen Sie die Sachlagen stets situativ!

 

 

KonsequentGeschichte mit Pfiff: Verbal oder nonverbal – die Macht der Kommunikation

Ich leite ein Derby in der Landesliga. In diesem Spiel habe ich meinen angestammten Assistenten nicht dabei. Heute unterstützt mich seit Langem mal wieder Peter, der vermutlich noch mehr Spiele geleitet hat als ich. Weil Peter ein alter Hase ist, verzichte ich auf eine ausführliche Absprache – wir sind ja erfahrene Leute! Kurz und bündig, das muss reichen.

 

Routiniert haben wir die Abläufe im Griff, bis es in der 74. Minute beim Spielstand 1:1 zu einem Zweikampf kommt, bei dem der Angreifer zu Boden stürzt. Verdeckt durch zwei Spieler, kann ich den Vorgang nicht exakt beurteilen. Ist das ein Strafstoß? Oder liegt doch kein Foul vor? Ich bin unsicher. Mein Gefühl sagt mir: Das ist ein Foul. Ich blicke mehrfach auffordernd zu Peter. Doch von ihm kommt kein Zeichen. Warum reagiert er nicht, frage ich mich frenetisch. Hat er es selbst nicht gesehen? Ich bin mir unsicher und mit meiner Entscheidung allein und lasse das Spiel weiterlaufen, da ich nicht auf Verdacht pfeifen will. Heftiger Protest prasselt auf mich ein, Spieler und Publikum sind aufgebracht.

 

Nach dem Spiel frage ich Peter sofort: »Wo warst du bei der Elfer-Szene? Mir war die Sicht verdeckt, ich hätte deine Unterstützung so dringend gebraucht! War das ein Foul?« Peter schaut mich überrascht an: »Ja, das war für mich ein klares Foul! Ein klarer Strafstoß!« Ich frage ihn, warum er kein Zeichen gegeben hat. Er antwortet geknickt: »Oh Mann, das tut mir leid! Ich habe mich an das gehalten, was mir der Schiedsrichter, mit dem ich sonst regelmäßig unterwegs bin, immer einbläut! Der will in solchen Szenen nur dann eine Unterstützung, wenn er keine eigene Wahrnehmung hat. Dann greift er sich ans rechte Ohr als Zeichen für mich. Da kam nichts von dir und deswegen dachte ich mir, du hast schon deine Gründe, weshalb du das nicht pfeifst.«

 

Peng! Da standen wir nun. Aufgrund von gegenseitigen falschen Erwartungen, die nie besprochen wurden, war ein Spiel in den Sand gesetzt worden. Niemand von uns hatte in böser Absicht gehandelt oder gar geschlafen. Es war Pech, dass mir zwei Spieler in die Sichtlinie gelaufen waren. Peter hatte eine Regel befolgt, die er zutiefst verinnerlicht hatte. Mein Ärger auf Peter verflog schnell, denn Fehler passieren nun einmal. Vor allem war es mein Fehler, denn ich hatte entschieden, auf eine umfangreiche Besprechung vor dem Spiel zu verzichten. Hätte ich die Absprache so gestaltet, wie ich es immer mache, wenn ich »neue« Leute dabeihabe, hätte Peter mir das Foul korrekt angezeigt und das Spiel und unsere Reputation gerettet. Kommt Ihnen dieses Szenario aus Ihrem beruflichen Umfeld bekannt vor? Alle handeln in bester Absicht, aber haben es versäumt, an wichtiger Stelle über ihre gegenseitigen Erwartungen zu sprechen. Schon folgen Chaos und Desaster auf dem Fuß, vor allem, wenn auch noch Erwartungserwartungen ins Spiel kommen …

Stolperfalle Erwartungserwartungen

In einer positiven und konstruktiven Arbeitsatmosphäre wird offen über Erwartungen gesprochen. Wenn das geschieht, reduzieren Sie eine typische Stolperfalle in Ihrem Unternehmen radikal: die Erwartungserwartungen! Der Soziologe Niklas Luhmann hat diesen etwas sperrig klingenden Begriff geprägt, der in der Praxis zu so mancher Komplikation führt, aber eigentlich ziemlich simpel ist. Denn wir alle haben Erwartungserwartungen! Was ist damit gemeint? Das sind Ihre Erwartungen daran, was ein anderer Mensch von Ihnen erwartet. Also zum Beispiel Ihre Erwartungen, was Ihr Chef in dieser Situation wohl von Ihnen erwartet. Sie kennen das Phänomen sicher. Unsere Vorstellung davon, was der Chef von uns erwartet, stimmt ausgesprochen selten. Viel häufiger ist es so, dass unsere Erwartungserwartungen und die Erwartungen des Chefs stark divergieren.

 

Wie sieht in nahezu allen Fällen die Lösung aus? Richtig! Hätten Sie über Ihre wechselseitigen Erwartungen konkret gesprochen, wäre es sehr viel einfacher und oft auch sehr viel schneller gegangen. Direkte Kommunikation dazu ist leider nicht immer möglich, weil die Person, deren Erwartungen Sie eruieren wollen, nicht ansprechbar ist. So geht es mir gerade beim Schreiben dieses Buches. Für mich ist es wichtig, zu wissen, was Sie, liebe Leser, von diesem Buch erwarten. Weil ich noch nicht genau weiß, wer mein Buch kaufen wird, ist es ziemlich schwierig, diese Frage im Vorfeld zu klären. Also bin ich auf meine Erwartungserwartungen angewiesen. Das bedeutet aber keineswegs, eine Ohnmacht in Bezug auf diese wichtige Frage zu erleben. Ich kann mich zum Beispiel mit Führungskräften, die ich näher kenne, darüber unterhalten und nachfragen, was sie sich von diesem Buch erwarten. Ich kann aber auch meine Erfahrungen aus unzähligen Seminaren, Coachings und Diskussionen im Anschluss an meine Vorträge in die Beantwortung dieser Frage einfließen lassen. Es gibt immer eine Lösung, um der Stolperfalle Erwartungserwartungen zu entkommen und proaktiv zu agieren!

 

 

Klarheit & Kompetenz Facts

•             Entscheiden Sie! Lieber falsch als gar nicht entscheiden.

•             Akzeptieren Sie Fehler – sie gehören dazu und fördern Ihre Entwicklung.

•             Wissensriese zu sein ist schön, reicht aber nicht aus – werden Sie zum Umsetzungsriesen.

•             Legen Sie Ihr Ego an die Leine – das große Ganze ist wichtiger als das Individuum.

•             Arbeiten Sie konsequent am Vertrauen – ohne Vertrauen gibt es keine wirksame Führung.

•             Schaffen Sie eine konstruktive Diskussionskultur und sprechen Sie über gegenseitige Erwartungen!

 

 

 

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