Ein Teller Thunfisch mit Compliance-Anwältin Mirjam Boche, die beim Gericht ihr blaues Wunder erlebte, als sie mal selbst betroffen war

Mirjam Boches Role Model, wie Vorbilder auf neudeutsch heißen, war ihr Onkel. Ausgerechnet. Der war damals Lobbyist bei Thyssen und so ein Manager wollte sie auch immer werden, erzählt sie. So wie er, der immer in einem Wagen mit Chauffeur ins Auswärtige Amt gefahren wurde. Das imponierte ihr.

 

Mirjam Boche (Foto: C.Tödtmann)

 

So ganz ging ihr Plan nicht auf. Stattdessen wurde sie Wirtschaftsanwältin bei Arqis in der Düsseldorfer City und berät Unternehmen bei Unternehmenskäufen, im  Gesellschaftsrecht und bei dem hochsensiblen Thema Haftung von Managern. Gerade die wüssten oft gar nicht, welche neuen Gesetze auf sie zukommen und vor allem, wofür sie alles haften, erzählt Boche.

 

Da erlebe sie sogar Vorstände oder Geschäftsführer, denen ihre Arbeitgeber, große Unternehmen, Managementfehler vorwerfen und plötzlich 20 oder 30 Millionen Euro Schadenersatz von ihnen fordern. Bei einem Jahresgehalt von zwei Millionen Euro. Das sind die Situationen, in denen die einen erstaunlich cool bleiben und die anderen zusammenbrechen. Das ist der Moment, in dem gestandene Manager in Tränen ausbrechen können, einen Herzinfarkt oder Krebs bekommen.

 

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Bei einem Topmanager lautete der Vorwurf: Bilanzmanipulation. Ein großes Wort, wenn es denn gestimmt hätte. Die Aktenlage bewies das Gegenteil, erinnert sich Boche. Tatsächlich hatte der Manager zwei Mitarbeitern zu viel Vertrauen entgegen gebracht, ihnen lange Leine gelassen, kein Mikromanagement betrieben. Was die Führungsliteratur ja auch rauf und runter empfiehlt. Die ganze Familie des Mannes litt mit ihm, die Tochter bekam sogar Depressionen, musste die Schule verlassen.

 

In der Zeitung oder dem Fernsehen landen diese Fälle nie, auch wenn sie immer häufiger vorkommen. Denn weder das Unternehmen noch die betroffenen Manager wollen, dass diese Angelegenheit herauskommen. Die Firma fürchtet um ihr Image, ihren guten Ruf und will nicht als Arbeitgeber, der die eigenen Leute verklagt, öffentlich werden. Die Manager hingegen müssen sich Sorgen machen um ihre Karriere, vor allem aber auch ihr Privatvermögen und ihre Alterssicherung. Immerhin macht die Sparte der D&O-Versicherer seit Jahren in Deutschland Verluste, so viel wird ganz offenbar über Manager-Fehler gestritten und die wenigsten werden sichtbar wie die beim Dieselskandal von VW.

 

 

Bestellt hat sich die Rheinländerin hier im „Casa Luigi“ in der Altstadt Thunfischsteak mit Sesamkruste.  Aufgewachsen ist Boche im Ruhrpott, in Gelsenkirchen und schwärmt begeistert von ihren Ausflügen in die Welt der Industrie. Zum Beispiel wie sie bei Blohm & Voss in Gummistiefeln über die Werft stapfte. Das sei für sie oft wie die „Sendung mit der Maus“, wenn sie die Unternehmen von innen kennenlerne und sehe, wie sie funktionierten.

 

Thunfisch mit Sesamkruste im Casa Luigi (Foto: C.Tödtmann)

 

In Boches Liga spielen nicht so viele Frauen mit. Vielleicht hat das auch mit ihrer Erziehung zu tun, denn als typisches Mädchen sei sie nie erzogen worden und ihre Mutter war auch keine Hausfrau. „Mein Vater war meine Mutter,“ erzählt sie. Beide Eltern waren Lehrer. Als ihr Vater noch Religion und Philosophie studierte, war ihre Mutter schon im Job, verdiente den Familienunterhalt und blieb auch immer berufstätig.

 

Auch an der Uni wurde ihr Gleichberechtigung vermittelt: Als Boche in Münster Jura studierte, genderte ihre Strafrechtsprofessorin, Ursula Nelles schon in den 90-er Jahren. Damals, als das Verb ´gendern´ noch gar nicht gebräuchlich war: Bei Nelles´ Strafrechtsfällen gab es auch viele Täterinnen – und männliche Opfer.

 

So richtig bitter war dann dagegen die Erfahrung mit Juristen, die Mirjam Boche bei ihrer eigenen Scheidung im Gericht machte. Kaum, dass sie als Scheidungskandidatin und nicht in ihrer üblichen Rolle als versierte Wirtschaftsanwältin vor dem Kadi stand. Es war der Kampf um die Kinder, das Sorgerecht für ihre beiden Söhne Paul (7) und Carl (5), die zwei großen Dinosauerierexperten, wie sie sie nennt. Dabei erlebte sie ihr blaues Wunder: Der Rechtsanwalt ihres Ex-Mannes warf Boche ihren beruflichen Erfolg vor und münzte ihn um als Malus ihrer Rolle als Mutter. Zum Beweis zog er zu ihrer Überraschung einen Artikel der juristischen Fachzeitschrift „Azur“ aus dem Jahr 2019 aus seiner Aktentasche und präsentierte ihn dem Richter. Das Fachblatt hatte die 38-Jährige im Ranking „40 unter 40“ als Top-Juristin gerankt. An sich ein Riesenerfolg bei über 160.000 Anwälten hierzulande. Doch statt ihre Leistung anzuerkennen, drehte der Anwalt des Ex-Mannes überraschenderweise den Spieß um: Eben weil Boche so eine Erfolgsfrau sei, könne sie sich gar nicht genug um ihre Kinder kümmern, behauptete er.

 

„Azur“-Ranking 2019: „40 unter 40“ (Foto: Privat)

 

Soweit so übel. Doch dann kam es noch doller: Der Richter sprang auf denselben Zug auf und schloss sich ruckzuck der vorgestrigen Macho-Meinung des gegnerischen Anwalts an. Das macht Boche noch immer fassungslos – und mich auch. Eine verzweifelte Lage, wie es kurz schien. Doch die Rettung brachte die Frau vom Jugendamt, die ihr zu Hilfe kam und sich gegen die Männerfront der beiden Machos durchsetzte.

 

 

 

 

 

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