Buchauszug Hermann Simon: „Hidden Champions – Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert“

Buchauszug Hermann Simon: „Hidden Champions – Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert“

 

Warum gibt es so viele Hidden Champions in Deutschland? Die Hidden Champions sind das Merkmal, in dem sich Deutschland und der deutschsprachige Raum am stärksten vom Rest der Welt unterscheiden.

 

Hermann Simon (Foto: Campus Verlag)

 

Der Vergleich mit anderen Ländern führt zu der Frage, warum es in Deutschland so viele Hidden Champions gibt. Eine monokausale Erklärung für dieses Phänomen habe ich nicht, gleichwohl eine Reihe von Ursachen, die zur Erklärung beitragen. Diese Ursachen dürften in ähnlicher Weise für Österreich und die Schweiz gelten.

 

Kein Nationalstaat

Anders als Frankreich oder Japan war Deutschland bis Ende des 19. Jahrhunderts kein Nationalstaat, sondern eine Ansammlung von Kleinstaaten.
Österreich und die Schweiz waren seit jeher und sind bis heute kleine, föderal organisierte Länder. Jeder Unternehmer, der unter solchen Umständen
wachsen wollte, musste schnell die engen Grenzen seines Kleinstaates überschreiten, das heißt internationalisieren. Der Drang zur Internationalisierung
steckt den deutschsprachigen Unternehmern im Blut und lebt bis heute fort.
Sie beginnen früher als Unternehmer in anderen Ländern mit der Internationalisierung.

 

Der Aufstieg der Hidden Champions

Dezentralität

In den meisten Ländern dieser Welt ist die Intelligenz an einem Ort, in der
Regel in der Hauptstadt, konzentriert. Wenige Länder sind so dezentral
strukturiert wie Deutschland. Auch das ist ein historisches Erbe. Überall im
Lande findet man Weltklasseunternehmen. Das gilt für Österreich und die
Schweiz in ähnlicher Weise. Die regionale Streuung von Intelligenz stellt meines Erachtens im Vergleich zur Zentralisierung einen enormen Vorteil dar.
Selbst in den neuen Bundesländern sind mittlerweile 54 Hidden Champions
entstanden, 1995 waren es erst drei.

 

Duale Berufsausbildung

Als eine Säule der deutschen Wettbewerbsstärke gilt die duale Berufsausbildung, ein in der Welt einmaliges System. Während andere Länder höhere
Quoten von Hochschulabsolventen aufweisen, zählen Absolventen, die das
duale System durchlaufen haben, zu den am besten qualifizierten Facharbeitern der Welt. Einige Länder versuchen, duale Berufsbildungssysteme aufzubauen. Das erweist sich jedoch als schwierig und langwierig.

 

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Produktionsbasis

Anders als Großbritannien und die USA hat Deutschland seine Produktionsbasis nicht aufgegeben. Nach wie vor stammt ein knappes Viertel der deutschen Wertschöpfung aus der produzierenden Industrie. In anderen Ländern liegt dieser Prozentsatz um die Hälfte niedriger. Die Korrelation zwischen Produktionsbasis und Handelsbilanzsaldo1
liegt nahe an 80 Prozent und ist damit extrem hoch. Deutschland wurde insbesondere vor der Finanzkrise häufig dafür kritisiert, den Übergang von der Industrie – in die Dienstleistungsgesellschaft nicht zu bewältigen. Seither hat sich diese Sicht gewandelt. Länder mit servicedominierten Volkswirtschaften wie die USA, Großbritannien oder
Frankreich unternehmen große Anstrengungen, ihre Produktionsbasis wieder
aufzubauen.

 

Deutschland mag in diesem Sinne zwar altmodisch erscheinen, ist aber nicht zuletzt deshalb erfolgreich. Im Zuge der Corona-Krise wurde die starke Exportabhängigkeit Deutschlands kritisiert. Dieses Argument halte ich für fehlgeleitet. Ich sehe es als Vorteil, wenn eine Volkswirtschaft ihre Absatzmärkte diversifiziert, statt einseitig von der Binnennachfrage abzuhängen. Vermutlich hätten die Umsätze betroffener Branchen durch Corona noch stärkere Einbrüche erlebt, wenn sie auf deutsche Kunden beschränkt gewesen wären.

 

 

Produktivität

Zum Thema Produktivität berichte ich beispielhaft Eindrücke einer Gruppe
von Professoren der Harvard Business School, die unter der Leitung ihres
Deans Nitin Nohria deutsche Hidden Champions besuchten. Die Professoren sagten mir einhellig, die Deutschen seien »von Produktivität besessen«.
Ständige Produktivitätssteigerungen erzeugen eine günstige Entwicklung der
Lohnstückkosten, von der die Hidden Champions, vor allem im Vergleich
mit unseren europäischen Nachbarn, profitierten. Eine weitere Beobachtung
der Harvard-Professoren war die folgende: »Die Hidden-Champions-Firmen
versuchen, jeden Tag etwas besser zu machen.« Michael Porter hat auf die
enge Beziehung zwischen scharfer interner Konkurrenz und dauerhafter internationaler Wettbewerbsfähigkeit hingewiesen.

 

Ein Drittel der Hidden

Champions sehen ihre schärfsten Wettbewerber in Deutschland, oft sogar in
regionaler Nähe. Diese harte interne Konkurrenz trägt zur Export- und Wettbewerbsstärke der Hidden Champions bei.

 

Regionale Ökosysteme

In vielen deutschen Regionen gibt es jahrhundertealte Kompetenzen, die ihr
Licht bis in die Gegenwart werfen. Heute spricht man von industriellen Ökosystemen. So wurden im Schwarzwald seit jeher Uhren gefertigt, was feinmechanische Fähigkeiten erfordert. Schließlich gilt die Uhrmacherei als »Schlüsseltechnologie des Industriezeitalters«. Aus dieser Tradition sind in der Schwarzwaldregion mehr als 500 medizintechnische Firmen entstanden.

Oder nehmen wir Göttingen. Wieso findet man dort 39 Hersteller von Messtechnik? Die Erklärung liegt in der mathematischen Fakultät der Universität Göttingen, die über Jahrhunderte weltweit führend war. Einige dieser Firmen gehen auf Prinzipien zurück, die Carl Friedrich Gauss entdeckte. Der frühere Siemens-Vorstand Edward Krubasik bemerkte: »Deutschland nutzt die Technologiebasis, die bis ins Mittelalter zurückgeht, um im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein.«

 

Zentrale Lage

Selbst in einer globalisierten Welt behalten Distanzen und Zeitzonen ihre Bedeutung. Der deutschsprachige Raum hat in dieser Hinsicht eine einzigartige
Mittellage. Von hier kann man innerhalb normaler Bürozeiten mit Japan und
Kalifornien kommunizieren. Zwischen Amerika und Asien ist das mühsamer, da die Zeitunterschiede zehn bis zwölf Stunden betragen. Auch die Reisezeiten in die wichtigsten Geschäftszentren der Welt sind kürzer als diejenigen, die Asiaten oder Amerikaner auf sich nehmen müssen. Innerhalb Europas liegt der deutschsprachige Raum ebenfalls zentral. Das sind in einer globalisierten Welt enorme Vorteile.

 

 

 

 

Buchauszug Hermann Simon: „Hidden Champions – Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert“ , Campus Verlag, 280 Seiten, 39,95 Euro. https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/business/management-unternehmensfuehrung/hidden_champions_die_neuen_spielregeln_im_chinesischen_jahrhundert-16827.html

 

 

Mentale Internationalisierung

Stets erforderte internationales Geschäft eine kulturelle Horizonterweiterung. »Die beste Sprache ist die Sprache des Kunden«, sagte schon Anton Fugger. Im English Proficiency Index, der 100 Länder erfasst, 4 liegen die Niederlande an erster Stelle, gefolgt von anderen kleinen Ländern wie Schweden oder Singapur. Unter den Ländern mit mehr als 50 Millionen Einwohnern rangiert Deutschland mit Platz 10 weit vor Frankreich (Platz 31), Spanien (35), Italien (36), Russland (48) und Japan (53).

 

Der von DHL ermittelte »Global Connectedness Index« bestätigt dieses Bild. Die Niederlande, Singapur und die Schweiz belegen die ersten drei Plätze. Unter den großen Ländern liegt nur Großbritannien mit Platz 9 vor Deutschland mit Platz 10.
Frankreich (15), Spanien (21) und Italien (26) fallen deutlich zurück.

Hidden Champions sind »mental global«. Rational, Weltmarktführer für Großküchenautomaten, präsentiert seine Informationen in 59 Sprachen.

 

Made in Germany

Aus dem 1887 von den Engländern als Zeichen für minderwertige Qualität
aufgezwungenen »Made in Germany« ist ein Gütesiegel erster Klasse geworden, das den deutschen Hidden Champions in der Globalisierung massiv geholfen hat. Für schweizerische Hidden Champions und »Made in Switzerland« beziehungsweise »Swiss Made« gilt dies ebenso.

 

Im internationalen Made-in-Ranking liegt »Made in Germany« mit 100 Punkten vorne, dicht gefolgt von »Made in Switzerland« mit 99 Punkten. »Made in Austria« hat
mit 72 Punkten demgegenüber Aufholpotenzial.

Die große Zahl von Hidden Champions im deutschsprachigen Raum resultiert aus einem komplexen Bündel interagierender Ursachen und geht nicht auf eine einzelne Wurzel zurück. Viele dieser Ursachen lassen sich nur schwer imitieren, da sie tief in Traditionen und Wertesystemen verankert sind.

 

 

Deutsche »Weltmarktanteile« in verschiedenen Bereichen

Die Abbildung illustriert diese einzigartige Rolle des deutschen Mittelstandes
im Vergleich zu Kennzahlen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen. Der
deutsche »Weltmarktanteil« ist auf keinem anderen der betrachteten Gebiete
so hoch wie bei den Hidden Champions.

 

Bereich

 

Kriterium

 

Deutscher »Marktanteil« in der Welt in Prozent

 

Mittelstand

 

Zahl der Hidden Champions

 

46,2 %

 

Künstler

 

Ruhmesbarometer der Top 100/Manager Magazin

 

29,0 %

 

Formel 1

 

Weltmeister

 

16,1 %

 

Fußball

 

Weltmeister

 

15,8 %

 

Wissenschaft

 

Nobelpreise

 

12,5 %

 

Universitäten

 

Times Higher Education University Ranking 2018 (Top 100)

 

10,0 %

 

Sport

 

Olympische Goldmedaillen 1896–2016

 

9,3 %

 

Großunternehmen

 

Zahl der Fortune-Global-500-Unternehmen 2019

 

5,4 %

 

Tennis

 

Weltrangliste Männer

 

5,5 %

 

Wikipedia

 

Einträge (2,5 Mio. von 53,9 Mio.)

 

4,6 %

 

Gesellschaft

 

Time Magazine: 100 einflussreichste Persönlichkeiten 2009–2011

 

3,3 %

 

Bevölkerung

 

Einwohnerzahl

 

1,2 %

 

Landfläche

 

Quadratkilometer

 

0,2 %

Quelle: Professor Hermann Simon 2021

 

 

 

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