Buchauszug Christoph Quarch: „Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen“

Buchauszug von Businessphilosoph Christoph Quarch: „Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen“

 

Christoph Quarch (Foto: PR)

 

4. Begeisterung im Unternehmen

 

„Wenn ein Mensch in einem großen Unternehmen Erfolg haben will, bedarf es der ganzen Kraft der Begeisterung.“ (Samuel Smiles)

Produkte

Nirgends wird der Geist eines Unternehmens greifbarer als in seinen Produkten. Jede noch so gut gemeinte Unternehmensphilosophie ist nichts wert, wenn sie sich nicht in den Produkten zeigt. Alle Werte, die ein Unternehmen für sich reklamiert, sind wertlos, wenn sie sich nicht in der Wertigkeit seiner Produkte spiegeln. Niemanden wird ein Unternehmen je begeistern, wenn seine Produkte nicht dessen Geist bezeugen. Oft aber, und das ist traurig festzustellen, bezeugen sie ausschließlich den Ungeist von Profitgier und rein wirtschaftlicher Rationalität, der für den aufmerksamen Blick selbst durch ein noch so aufwendiges und ausgeklügeltes Customer Experience Management, das immer neue delightul features ersinnt, kaum verborgen bleiben kann. 

 

Wie kommt der Geist in das Produkt? Wie können Produkte begeistern? Erinnern wir uns dafür kurz an die uns nunmehr geläufigen, archetypischen Spielarten der Begeisterung: die religiöse, die musische, die erotische Begeisterung. An ihnen können wir uns orientieren, um das Geheimnis der Begeisterungsfähigkeit von Produkten zu entschlüsseln. 

 

Religiöse Begeisterung entsteht, so sagten wir, sobald dem Menschen etwas begegnet, in dem sich die Sinnhaftigkeit des Seins so sehr verdichtet, dass er nicht umhin kann, ihm mit einem unbedingten „Ja“ zu antworten. Unbedingter Sinn erschien den Menschen der Vergangenheit verdichtet zu Gestalten, die sie als Götter oder gute Geister verehrten. Gestalthaft verdichteter Sinn, geronnener Geist – das ist auch die ursprüngliche Bedeutung dessen, was man Symbol nennt. Symbole sind mehr als nur Zeichen, die auf ein anderes verweisen, sondern sie sind verdichtete Darstellungen und Manifestationen des Sinns, der an ihnen sichtbar wird. Die grünen Zeichen, die auf einen Notausgang hinweisen, beschränken sich darauf zu zeigen, wo man im Notfall einen Raum verlassen kann. Der Verlobungsring am Finger einer jungen Frau vergegenwärtigt als Symbol den Geist ihrer Liebe. Der Ring ist prall gefüllt mit Sinn, vermutlich wird er seine Trägerin begeistern. Das Notausgangszeichen ist dagegen bloß nützlich oder zweckmäßig. Es beschränkt sich auf einen Purpose und wird niemanden begeistern.

 

Begeisterungsfähig sind Symbole. Das ist das Geheimnis begeisternder Produkte. Sie symbolisieren ein Geist bzw. einen Sinn, der über ihren Zweck hinausgeht. Sie haben etwas zu sagen, das weit mehr ist als ihre bloße Funktion. Sie künden von einem Sinn, der mehr ist als ein Purpose. Beispielhaft dafür sind Kunstwerke, denn jedes echtes Kunstwerk hat symbolische Kraft. Es birgt in sich ein unendliches, nicht erschöpfbares Reservat an möglichen Sinnerfahrungen. Und es kommt nur auf zweierlei an: darauf, dass es etwas zu sagen hat, das mehr ist als Belehrung, Information, Statement, Meinungsbekundung oder ein Ego-Trip des Künstlers; und darauf, dass es einen Menschen findet, der sich auf die Konversation mit ihm einlässt.

 

Genauso verhält es sich mit begeisterungsfähigen Produkten. Sie müssen nicht zwangsläufig Kunstwerke sein, aber sie sollten einen Geist symbolisieren, der aus ihnen zu den Kunden spricht – und zwar so eindringlich, dass er das Produkt nicht nur erwirbt, sondern von ihm begeistert ist. Ein mögliches Beispiel dafür wäre ein Motorrad von der Firma Harley Davidson. Wir sprachen schon davon, dass es tatsächlich Fans dieser Marke gibt, die sich nicht scheuen, sich das Firmenlogo auf die Oberarme tätowieren zu lassen. Jetzt wird verständlich warum. Nicht, weil die Maschinen so viele delightful features aufzuweisen hätten, sondern weil sie Symbole sind: Symbole für Freiheit und Ungebundenheit, Weite und manchmal auch Männlichkeit.

 

Das ist der Sinn, das Why, der Menschen dazu bringt, zum Fan von Harley Davidson zu werden und sich für die Maschinen dieses Unternehmens zu begeistern. Nicht anders verhält es sich – um ein zweites Beispiel aus dem gleichen Genre anzuführen – mit einer Vespa. Auch sie ist ein Symbol, das von etwas zutiefst Sinnvollem und Bejahenswertem kündet: vom italienischen Life Style, vom Dolce Vita, von gutem Wein und schönen Frauen, von einer ganzen Welt, die alle Vespa-Fahrer lieben und die eben deshalb eine Vespa fahren. Auch sie brauchen keine delightful features und erst recht keine Überraschungen. Kein Harley Davidson– oder Vespa-Fan möchte überrascht werden – im Gegenteil: Er will nur das Bekannte, und das immer wieder und in allen Farben. 

 

 

Buchauszug Christoph Quarch: „Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen“ – Schäffer Poeschel Verlag, 180 Seiten. 24,95 Euro

 

Eine Vespa ist dabei sogar nicht bloß ein sprechendes Symbol, sondern ein Mythos. Das ist wohl die größte Auszeichnung, die man einem Produkt machen kann. Nicht umsonst – um bei der Vespa zu bleiben – sagt die Italienerin zu ihrem Liebste Sei un mito („Du bist ein Mythos“), wenn sie zum Ausdruck bringen will, dass sie ihn liebt. Was zeichnet einen Mythos aus? Dass er von dem, was er symbolisiert, eine Geschichte zu erzählen hat: dass er geschichtsträchtig ist. Bei der Vespa ist das so. Jeder Roller trägt eine Geschichte in sich: nicht nur die Geschichte der Marke, sondern die Geschichte von Sonne und Wind, von Wärme und Meer, von Eis am Strand und Vino in der Enoteca. Das ist der narrative Stoff, aus dem die Begeisterung für ein Produkt gewebt ist – musische Begeisterung, geküsst (in diesem Fall) von einer zehnten Muse namens Vespa.

Und es ist der Grund dafür, dass es Menschen gibt, die ihren letzten Heller dafür aufwenden würden, Oldtimer, Antiquitäten oder andere Retro-Produkte zu erwerben. Nicht das Produkt selbst ist, was ihre Leidenschaft entflammt und ihre Seele in Begeisterung versetzt, sondern die Patina – die geronnene Geschichte, die von ihrem Geist erzählt. Kein aufwendiges Design, keine avancierte Technik, kein delightful feature oder Überraschungseffekt kann eine gute Geschichte ersetzen. Die begeisterndsten Produkte sind nicht nur Symbole, sondern auch gute Storyteller. Sie erzählen sinnvolle und geistreiche Geschichten. Und das authentisch, ungekünstelt und vor allem nicht manipulativ. 

 

Verbinden sich Symbolkraft und Geschichts- bzw. Geschichtenträchtigkeit zuletzt auch noch mit Schönheit, dann werden aus Kunden nicht nur Fans, sondern auch Liebhaber: Dann geht von dem Produkt eine erotische Begeisterung aus, die alles andere überstrahlt. Die Rockband Queen sang einst „I’m in love with my car” und ließ damit erahnen, dass es möglich ist, nicht nur zur Harley oder einer Vespa ein erotisches Verhältnis aufzubauen, sondern auch zu einem Kraftfahrzeug; aber wohl nur, wenn es dem Menschen mehr zu sagen hat als nur: „Ich bin ein Auto und ich funktioniere“; wenn es auch mehr zu bieten hat als neueste Technik oder irgendeinen schicken Schnickschnack.

 

Nein, es muss schön sein – was es aber nur dann ist, wenn seine Gestalt nicht vor allem dem Diktat von Effizienz, Funktionalität und Profitabilität folgt, sondern den Imperativen der Schönheit. Bei den Fahrzeugdesignern der vordigitalen Ära war das noch so. Auch das erklärt, warum sich so viele Menschen zwar für Oldtimer begeistern, nicht aber für die neueste Produktreihe von Nissan (einfach nur als Beispiel). Solange Karossen noch nicht am Computer entworfen wurden, konnten die Gestalter das in sie hineinlegen, was sie begeisterte: die geschwungenen Linien eines Frauenkörpers etwa – was dann einen Citroen DS hervorbrachte, der nicht zufällig bis heute eine große Kultgemeinde um sich schart, die der déesse – der Göttin – huldigt. 

 

Symbolkraft, Erzählkraft, Schönheit – das sind die Faktoren der authentischen Begeisterungsfähigkeit von Produkten. In ihnen werden Sinn und Geist einer Marke oder eines Unternehmens erlebbar – jenseits aller Nützlichkeit und Brauchbarkeit. Noch ein vierter Faktor, den wir eingangs kurz erwähnten, kommt hinzu: die Wertigkeit. Denn wo der Geist waltet, definiert er auch, was gut und wertvoll ist. Ein Produkt, das ihm genügt, wird deshalb immer wertig sein und nicht ein Krust, dem man auf Aufhieb ansieht, dass er ausschließlich um des schnellen Geldes willen gefertigt wurden. Minderwertige Produkte künden stets vom Ungeist ihrer Produzenten. Wertige Produkte hingegen verraten, dass ein guter Geist sie schuf. Ihnen eignet immer etwas Geistreiches und Schönes, das sich nicht in Brauchbarkeit und Nützlichkeit erschöpft – etwas Nutzloses und Spielerisches. Womit die Brücke zum nächsten Kapitel gebaut wäre…

 

 

 

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