Buchauszug Joachim Jahn / Micha Guttmann/ Jürgen Krais: „Krisenkommunikation bei Compliance-Verstößen“
Interview mit dem Investigativreporter Klaus Ott:
„Unser Platz ist zwischen allen Stühlen“
Herr Ott, haben Sie schon mal anonyme Post von einem Informanten in Ihrem Briefkasten gefunden?
Ja, immer wieder. Zum Teil auch noch in der analogen Form als Brief. Da muss man dann natürlich immer schauen: Könnte da was dran sein? Im Lauf der Zeit kriegt man einiges an Erfahrung und kann dann manchmal schon auf den ersten Blick erkennen: Das ist jetzt etwas, wo man prüfen muss, ob da tatsächlich etwas dran ist. Oder das man zur Seite legt, weil es wirklich sehr merkwürdig und unglaubwürdig klingt.
Sind auch viele geistig Verwirrte dabei?
Jedenfalls viele, die sich – auch mit vollem Namen – an uns wenden und die irgendwelche Probleme haben mit irgendwelchen Streitigkeiten, mit der Arbeit, mit Nachbarn oder irgendwelchen anderen Widersachern. Und die sich von uns erhoffen, dass wir mit einer Berichterstattung ihre Lebensprobleme lösen; die sich manchmal auch verrannt haben und gar nicht mehr sehen, dass sie in einer Sackgasse sind. Da sage ich dann bei uns im Kollegenkreis: Die bräuchten eigentlich nicht einen Journalisten, sondern einen Psychologen.
Teilweise gibt es bei manchen Leuten einen völlig falschen Eindruck von unserer Wirkungsmacht: Die glauben dann, eine Geschichte in der Süddeutschen Zeitung oder woanders löst alle Probleme und führt dazu, dass Behörden sagen: „Ja, Sie haben ja doch Recht – wir sehen das jetzt alles ganz anders!“ Leute, die vergeblich Petitionen eingereicht haben beim Landtag oder beim Bundestag oder beim Bundespräsidenten.
Oft verfolgen Informanten ja auch eigene Interessen. Wie gehen Sie damit um?
Ach, das ist eigentlich ganz einfach: Man muss sich anhören, was wer auch immer zu sagen hat. Und wenn das schlüssig erscheint, dann der Sache mal nachgehen – und natürlich immer die Interessenlage desjenigen, der uns Informationen gibt, berücksichtigen; mit herausfiltern, was er damit alles verbindet. Und wenn sich am Ende zeigt, dass das Interesse des Absenders der Information, etwas in die Zeitung zu bringen, größer ist als das Interesse der Öffentlichkeit, von bestimmten Dingen zu erfahren, dann berichten wir halt nicht, denn dann würden wir uns ja instrumentalisieren lassen.
Und wenn das Ergebnis wie bei meinen Kollegen bei dem Video mit dem österreichischen Politiker Heinz-Christian Strache in der „Ibiza-Affäre“ so ausfällt, dass das Interesse der Öffentlichkeit überwiegt, von bestimmten Vorgängen zu erfahren – in diesem Fall sogar weit überwiegt –, dann wird natürlich berichtet. Es ist oft eine Abwägungssache, aber wenn man dann im Zweifelsfall, wenn man sich selbst nicht ganz sicher ist, den Fall im Kollegenkreis diskutiert, kommt man auch immer zu einer vernünftigen Entscheidung.
Trifft denn auch manches über verschlüsselte Whistleblower-Postfächer ein, die viele Medien mittlerweile für Whistleblower anbieten?
Da kommt schon das eine oder andere. Wir müssen einfach alle Kanäle offenhalten: den alten Weg über die klassische Post, den neuen Weg über die elektronischen Medien, und wie gehabt das Telefon. Dass man das gesamte Instrumentarium anbietet und den Dingen nachgeht, bringt es glaube ich am Ende – sich nur auf einen Kanal zu versteifen, wäre sicherlich falsch. Die Summe macht’s.
Wie schützen Sie Ihre Informanten?
So gut wie möglich (lacht). Bisher ist weder bei mir noch bei der SZ irgend etwas schief gegangen. Man muss alles bedenken, wie jemand in Gefahr geraten oder auffliegen könnte. Das fängt ganz klassisch damit an, dass man einfach den Mund hält und auch im Kollegenkreis nicht erzählt, wo man war – es sei denn, man arbeitet gerade im Team. Wenn es eine ganz heikle Sache ist, muss man zumindest einen der Chefredakteure einweihen, damit man zusammen entscheidet, wie man die Sache einordnet und ob sie veröffentlicht wird. Aber dann bleibt es eben wirklich auch unter uns beiden, und es erfährt sonst niemand, wo die Informationen herkommen.
Und bei den elektronischen Kanälen muss man natürlich alle Möglichkeiten nutzen, mit Verschlüsselungsprogrammen für die Nachrichten wie PGP oder einem sicheren Messengerdienst wie Signal – den empfiehlt Edward Snowden, und auch wir haben damit nur gute Erfahrungen gemacht.
Wenn man sich mit jemandem trifft, muss man natürlich immer aufpassen, wo man das tut, denn es gibt ja heutzutage Banken, die Detektive auf eigene Mitarbeiter ansetzen, die sie im Verdacht haben, Informationen an die Presse weiterzugeben. Einen solchen Fall gab es tatsächlich bei einem anderen Medium, dass ein solches Treffen mit einem Journalisten beobachtet wurde.
In allen Recherchekursen etwa an der Deutschen Journalistenschule oder bei unseren Volontären, die ich zusammen mit Kollegen gebe, weise ich immer darauf hin: Bedenkt selbst die unwahrscheinlichste Möglichkeit – seid lieber übertrieben vorsichtig, als dass irgend etwas schief geht! Immer agieren nach dem Motto: Doppelt genäht hält besser.
…sogar klandestine Treffen im Park mit Schlapphut, wie man es aus Spionagefilmen kennt – oder ist das bloß Krimiromantik?
Mit Schlapphut nicht (lacht). Aber natürlich, ohne dass ich da jetzt ins Detail gehen kann, kann man Treffen so arrangieren, dass mit größtmöglicher Sicherheit ausgeschlossen ist, dass man von wem auch immer beobachtet werden kann. Aber man muss sich das nicht gleich vorstellen wie bei James Bond.
Wenn Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdienste bei Ihnen anfragen – würden Sie dann in jedem Fall Auskünfte verweigern?
Natürlich. Wir sind nicht der verlängerte Arm von Staatsanwälten oder von anderen Behörden. Wir haben ja auch trotz entsprechender Bitten nicht die Panama-Papers herausgegeben; die hat sich das Bundeskriminalamt dann gegen Honorar auf anderem Wege besorgt.
Wir sind weder Verteidiger noch Ankläger oder Richter – unser Platz ist zwischen allen Stühlen; dort gehören wir hin. Wir sitzen bei niemandem auf dem Schoß. Wenn wir Informationen haben, die für Staatsanwälte interessant sind, sollen sie die Zeitung lesen und daraus ihre Schlussfolgerungen ziehen. Das kommt ja auch manchmal vor. Informationen gibt es für die Leser, und lesen können auch die Behörden.
Bei Internal Investigations in Unternehmen stellt sich ja oft auch für deren Anwaltskanzleien die Frage, wo sie Informationen am besten aufbewahren, damit sie nicht beschlagnahmt werden können. Wie halten Sie es: Heben Sie solches Material in Ihrem Schreibtisch auf oder auf ihrem PC, oder lagern Sie das aus und verstecken es?
Wir handhaben das so, dass selbst für den völlig unwahrscheinlichen Fall, dass es nach dem Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts doch noch mal eine Durchsuchung in einer Redaktion geben sollte, keine Informanten in Gefahr geraten würden. Das fängt damit an, dass man Unterlagen so aufbewahrt, dass kein Absender und keine Quelle ersichtlich ist. Bis dahin, dass man sie dort aufbewahrt, wo sie sicher sind. Aber die Details will ich natürlich nicht ausplaudern, weil das wiederum unter den Quellenschutz fällt.
Was sind typische Motive der echten Informanten – also abgesehen von geistig Verwirrten oder von Spin-Doktoren, die unter der Hand beispielsweise für einen Anzeigeerstatter oder ein Konkurrenzunternehmen arbeiten. Ist es Gerechtigkeitssinn, Rache, Wichtigtuerei, Eitelkeit…?
Alles, da gibt es die ganze Bandbreite, die man sich vorstellen kann. Viele, die ehrlich empört sind und sagen: „Das kann doch nicht wahr sein, was hier an Missständen vorhanden ist; das muss aufgedeckt und aufgeklärt werden.“ Es kann sein, dass Informanten finanzielle Interessen haben; das hat sich ja bei den CD-Käufen der deutschen Steuerbehörden gezeigt. Wobei wir nie zahlen: Wenn jemand zu uns kommt und sagt, er gibt uns Informationen – „aber die kosten soundso viel“, dann sagen wir: „Nein danke, wir zahlen aus Prinzip nicht.“
Außerdem gibt es natürlich das Motiv der Rache: Bei Steuerfahndern hieß es früher oft, betrogene Ehefrauen seien die besten Informanten. Und es gibt Informanten, die selber bei irgendwelchen Verfahren oder Vorgängen unter Druck geraten und von sich ablenken wollen. Oder die berechtigerweise aus Notwehr sagen: „Ich war nur ein Rädchen im System, die eigentlich Verantwortlichen sitzen ganz oben.“ Man muss als Journalist also immer die jeweiligen Interessen herausfiltern und zu einer vernünftigen Abwägung kommen.
Was ist Ihre Hauptquelle: Insider? Karrieresüchtige Staatsanwälte, wie Strafverteidiger es oft darstellen? Polizisten etwa bei den Landeskriminalämtern, die auf ihre Ermittlungserfolge stolz sind? Oder sind es nicht in Wirklichkeit oft Anwälte, die ihre Mandanten in ein gutes Licht rücken möchten oder die – vielleicht später als Dank des Journalisten in einem ganz anderen Artikel – ihren eigenen Namen als vermeintlicher Starverteidiger in der Zeitung lesen wollen?
Es ist ganz einfach: Man muss mit allen Seiten reden und dann wie beim Puzzlespiel die Teile zusammentragen. Mal gibt es hier Informationen, mal dort. Es wäre fahrlässig, sich auf eine oder wenige Gruppen zu beschränken nach dem Motto: Da bekommen wir mit Sicherheit Informationen. Die beste Methode ist immer, mit allen wichtigen Akteuren zu reden und auf diese Weise die Informationen sauber zusammen zu fügen.
Und eines ist auch immer ganz wichtig: Wer uns Informationen gibt, der bekommt keinen Bonus nach dem Motto, wenn´s bei ihm selbst mal kritisch wird, schauen wir weg. Ich hatte mal den Fall, dass mir jemand aktenweise Material über Missstände in einer Branche gegeben hat, und Jahre später selbst zum Gegenstand der Berichterstattung wurde. Weil er in einer de jure unabhängingen Behörde über die Parteischiene Karriere machen wollte. Auf Kosten eines Konkurrenten, der sachlich gute Arbeit machte, der aber nach einem Regierungswechsel abgesägt werden sollte, weil er der neuen Mehrheit nicht passte. Darüber habe ich dann umfangreich und intensiv berichtet. Mit dem Ergebnis, dass die Karriere auf der Parteischiene nicht klappte.
Da gab es eben kein Wegschauen, weil derjenige mir Jahre vorher spannende Akten gegeben hatte. Und es gibt umgekehrt auch kein Schön-Schreiben, weil uns jemand Akten gibt und dafür sein Fall oder seine Person oder die Firma in einem günstigen Licht dargestellt wird. Es kommt alles Für und Wider ins Blatt und auf die Homepage. Und bei großen, komplizierten Fällen wie der Abgasaffäre oder Cum-Ex kommen alle wichtige Sachverhalte und Sichtweisen zur Geltung.
Natürlich geht das nicht in einem Beitrag, weil der sonst so lang wäre wie ein Buch. Aber in der Summe der Beiträge eben. Selbst wenn das wie bei Cum-Ex Akteure sind, die ernsthaft erklären wollen, dass es in Ordnung ist, in die Staatskasse zu greifen und Steuergelder, moralisch betrachtet, weil die juristische Aufarbeitung noch aussteht, zu stehlen. Auch diese Akteure und ihre Anwälte müssen zu Wort kommen, damit sich die Leser ein eigenes Bild machen können. Wie wir das dann kommentieren, ist eine andere Sache.
Nebenbei angemerkt: Auch das wird in heutigen Zeiten immer wichtiger: Dass wir Information und Kommentar sauber trennen. Und uns auch auf diese Weis bestmöglich abheben von manchem Unsinn, der im Netz verbreitet wird. Und unseren Stellenwert, der immer größer wird, deutlich machen.
Joachim Jahn/Micha Guttmann/ Jürgen Kraiss: „Krisenkommunikation bei Compliance-Verstößen“, 133 Seiten, 49 Euro, Verlag C.H.Beck https://www.beck-shop.de/jahn-guttmann-krais-krisenkommunikation-compliance-verstoessen/product/17280580
Ist die presserechtliche Gegenwehr der Betroffenen größer geworden?
Mit Sicherheit. Das sieht heutzutage ganz anders als zum Beispiel 2006, als die Schmiergeldaffäre bei Siemens begonnen hat. Nachdem die Staatsanwaltschaft München I dort ein weltweites System von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen enthüllt hatte, gab es in den ersten Wochen auf unsere Anfragen hin kaum Post von Anwälten. Danach hat es begonnen, dass Medienanwälte sich immer stärker eingeschaltet haben.
Mittlerweile ist es ja bei vielen Recherchen gang und gäbe, dass man mit ihnen zu tun hat. Da muss man sich natürlich drauf einstellen, aber vom Prinzip her ändert sich nichts: Wir müssen sauber recherchieren, alle von unserer Berichterstattung Betroffenen sauber befragen und die Unschuldsvermutung herausarbeiten.
Dabei kann es aber nicht getan sein mit dem Satz: „Im übrigen gilt die Unschuldsvermutung“, wie es in der österreichischen Presse lange pro forma als letzter Satz üblich war. Ich schreibe dann immer mal wieder bei uns, um auch den Stand der Dinge deutlich zu machen: „Ein Ermittlungsverfahren bedeutet nicht, dass es eine Anklage gibt; eine Anklage bedeutet noch nicht, dass es einen Prozess gibt; und ein Prozess bedeutet nicht, dass jemand verurteilt wird.“ Man muss deutlich machen, was für und was gegen den vorliegenden Verdacht spricht, damit es eine ergebnisoffene, faire Berichterstattung ist – da achten wir bei der SZ sehr darauf.
Was die Medienanwälte anbelangt: Da gibt es eine große Bandbreite. Mit vielen kann man ganz vernünftig reden, auch im Hintergrund. Und selbst das hilft ja immer, um die Lage vernünftig einzuordnen und nicht übers Ziel hinauszuschießen. Aber einige wenige Medienanwälte verhalten sich eher wie Zensoren, die genausogut für Erdogan oder Putin arbeiten könnten. Sie verschicken ellenlange Briefe des Inhalts, dass wir eigentlich gar nichts berichten dürften. Oder sie benehmen sich wie Abmahnanwälte und schicken ein Schreiben nach dem anderen raus nach dem Motto: hier 1.000 Euro Gebührenrechnung, dort 2.000 Euro. Mit dem Inhalt, dass sie und ihre Mandanten nicht Stellung nehmen.
Und die uns sogar noch mitteilen, dass wir nicht einmal das berichten dürften – die ihre Briefe also quasi als „Nicht-Schreiben“ betrachtet haben wollen. Was – frank und frei gesagt – alles einfach nur dämlich ist. Da sollten sich diese Anwälte mal an die eigene Nase fassen und fragen, ob so ein Umgang angemessen ist. Vielleicht sollten wir Journalisten solchen Medienanwälten einmal ein Seminar anbieten nach dem Motto: „Wie gehe ich vernünftig mit der Presse um?“ Manche haben da noch großen Lernbedarf.
Manche Unternehmen und Manager beklagen, Journalisten würden ihnen bei Anfragen mit viel zu kurzen Stellungnahmefristen die Pistole auf die Brust setzen. Wie machen Sie das konkret: Schicken Sie ein Fax, eine Mail, oder rufen sie an? Und wieviel Zeit haben die Betroffenen dann?
Die Faustregel bei uns ist ganz einfach: Je komplizierter ein Fall ist und je länger er zurück liegt, desto mehr Zeit müssen wir den Betroffenen einräumen, um hier vernünftig Stellung nehmen zu können. Wenn es bei VW eine ganz aktuelle Geschichte ansteht, bei der die Anwälte und das Unternehmen in den Akten drin sind und innerhalb von einer Stunde etwas sagen können, bitten wir um Stellungnahme innerhalb eines Tages.
Dagegen gab es bei Siemens Fälle, die etliche Jahre zurück lagen – beispielsweise einen Vorgänge beim früheren Vorstandschef Heinrich von Pierer, der in Vietnam gespielt hat –, da hat Herr Pierer das natürlich nicht auswendig parat gehabt. Da haben wir mehrere Tage Frist gewährt, damit er noch mal in den Akten nachschauen und seine Mitarbeiter befragen konnte. Damit er diesen Vorgang rekonstruieren konnte. Mit unserer Faustregel fahren wir immer sehr gut.
Wir machen es natürlich schriftlich, damit es auch sauber dokumentierbar ist. Wir rufen, wenn wir die Mails losgeschickt haben, auch noch mal an und fragen: „Ist die Mail angekommen und bearbeitet?“, damit es nicht liegen bleibt – sonst haben wir am Ende etwas veröffentlicht, und die Betroffenen sagen: „Tut uns leid, wir bekommen 2.000 Mails am Tag, und diese haben wir noch gar nicht öffnen können, weil wir noch nicht so weit waren, alles abzuarbeiten.“
Da gehen wir immer auf Nummer sicher, dass es die Betroffenen erreicht und sie es auch lesen können, damit sie auch dazu Stellung nehmen können. Bei denen, mit denen wir immer wieder in Kontakt sind, machen wir es fairerweise auch so, dass wir sagen: „Passt auf, da kommt es jetzt gleich eine Anfrage – damit Ihr nicht überrascht seid.“ Ob das jetzt Anwälte sind oder Pressestellen oder wer auch immer: Wir wollen die Betroffenen nicht auf dem kalten Fuß erwischen. Ein vernünftiger Umgang, auch wenn man auf verschiedenen Seiten steht, erleichtert allen das Leben.
Man muss den Leuten eine faire Chance geben, schon aus presserechtlichen Gründen – aber Journalisten müssen ja auch immer Angst haben, dass ein Konkurrenzmedium schneller ist. Wie weit beeinflusst Sie das?
Da lehnen wir uns zurück und sagen: Es muss journalistisch sauber sein. Wir weichen nicht von den journalistischen Standards ab, damit wir dann die ersten sind. Etwas ganz anderes sind die sogenannten privilegierten Quellen, zum Beispiel die Staatsanwaltschaft München II mit ihrer Pressemitteilung, dass in der Dieselaffäre Anklage gegen den früheren Audi-Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler erhoben worden ist. Da ist natürlich ganz klar, dass wir sofort damit rausgehen; das ist eine offizielle Mitteilung der Staatsanwaltschaft.
Da gibt es eigentlich keinen Zweifel daran, dass die Tatsache der Anklageerhebung auch so zutrifft, und das wird sofort veröffentlicht. Zusätzlich wird der Anwalt von Herrn Stadler gefragt. Wobei wir dann natürlich aus unserer Kenntnis des Verfahrens heraus auch gleich schreiben, dass Herr Stadler seit langem alle Vorwürfe zurückweist, damit der Leser das auch gleich erfährt.
Allerdings haben wir einmal den Fall erlebt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig – das betraf den ehemaligen VW-Vorstandschef Martin Winterkorn – offiziell ein Ermittlungsverfahren mitgeteilt hat, das es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab. Das haben wir natürlich aufgegriffen mit einer Schlagzeile auf der Seite 1 und auch schnell versucht, Winterkorn beziehungsweise seinen Anwalt dazu zu befragen. Ein, zwei Tage später gab es aber ein sehr merkwürdiges TV-Interview, in dem die Staatsanwaltschaft ein wenig herumgedruckst hat.
Durch unsere Nachfrage hat sich herausgestellt: Es war ein Versehen, es gab noch gar kein Ermittlungsverfahren gegen Winterkorn selbst. Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft hat dies zunächst einmal den dortigen lokalen Medien gesagt und keine neue Pressemitteilung herausgegeben nach dem Motto: „Stopp – Irrtum – kein Ermittlungsverfahren gegen Winterkorn“. Wir mussten schon deutlich nachfragen, um das den Behörden in Niedersachsen aus der Nase zu ziehen. Das haben wir dann entsprechend aufgegriffen, weil es natürlich ein Unding ist, dass man ein Ermittlungsverfahren verkündet, das es noch gar nicht gibt. Ich hatte den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft sich gedacht hat: „Hoppla, da haben wir uns vergaloppiert, und jetzt versuchen wir, das möglichst geräuschlos wieder gerade biegen.“
Was natürlich nicht geht: Wenn man einen Fehler macht, muss man ihn auch zugeben und ihn korrigieren – so machen wir es ja auch. Dann entschuldigen wir uns bei den Betroffenen. Ich habe Ende 2014 mal fälschlicherweise geschrieben, dass bei einem Verfahren, das gegen die Deutsche Bank anstand, der Bußgeldrahmen bei bis zu 10 Millionen Euro lag. Es war aber nur eine Million, weil der Fall unter die alte Fassung des Ordnungswidrigkeitengesetzes fiel; inzwischen war die Obergrenze verzehnfacht worden. Da hätte ich mir auch sagen können: „Naja, die Deutsche Bank hat schon mehrere Milliarden Euro an Strafen und Bußgeldern bezahlt – das macht bei denen das Kraut auch nicht mehr fett.“
Aber das ist nicht meine Einstellung und nicht die der SZ. Ich habe mich dann bei der Deutschen Bank entschuldigt; wir haben das online wie auch in der Zeitung selbst korrigiert und das auf diese Weise wieder aus der Welt geschafft. Da kann es keine Sekunde lang die Überlegung geben, wie man das vielleicht kaschieren kann, sondern da muss man gerade heraus sagen: „Da haben wir Mist gebaut.“ Wir sind ja alle nur Menschen. Aber das passiert ja gottseidank sehr, sehr, sehr selten.
Wie reagieren die Betroffenen? Es gibt ja auch immer wieder Fälle, in denen es für diejenigen das erste Mal ist, dass ein Investigativreporter eine Stellungnahme haben will.
Das ist ganz unterschiedlich. Wenn es um Firmen, Personen, Organisationen geht, die im Umgang mit der Presse erfahren sind, werden die nicht gleich aus allen Wolken fallen. Wenn es aber jemand ist, der bislang noch überhaupt nichts mit den Medien zu tun hatte, dann kann es schon sein, dass jemand ein bisschen harsch reagiert nach dem Motto: „Das geht Sie einen feuchten Kehricht an!“ Auch da gibt es dann die ganze Bandbreite.
Aber für uns ist das einzig Richtige: In Anfragen erklären, worum es geht; und eine faire Chance zur Stellungnahme einräumen. Und wenn es wirklich jemand ist, der völlig unerfahren ist und bei dem man auch merkt, dass er vielleicht Fehler macht, die man gnadenlos ausnutzen könnte, dann muss man auch fair sein und Leute manchmal vielleicht vor sich selber schützen.
Wenn jemand plötzlich anfängt, wilde Anschuldigungen zu erheben und sagt: „Das können Sie alles drucken!“, aber ich weiß genau, dass sich da jemand um Kopf und Kragen redet – da gehört es fairerweise schon dazu, zu sagen: „Passen Sie auf – wenn Sie das zur Veröffentlichung freigeben, schießen Sie wohl über das Ziel hinaus und ruinieren sich im Extremfall Ihr Leben!“ Unerfahrene Menschen weise ich auf die Konsequenzen ihres Tuns hin.
Unternehmen oder Manager sind nach etwaigen Verstößen gegen Compliance, Recht oder Gesetz Ihre natürlichen Gegenspieler. Trotzdem: Haben Sie einen Rat für die? Was tut man am besten, wenn Herr Ott anklopft – tot stellen, unter den Schreibtisch kriechen…?
Einfach die Hosen herunter lassen (lacht). Alles sagen, was zu sagen ist. Es gibt einen schönen Spruch von der Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker, die mit anderen zusammen federführend ermittelt in Sachen Cum/Ex; die hatte einen Kronzeugen, der sich am Anfang schwer damit tat, die besagten Hosen herunter zu lassen. Und irgendwann hat sie ihm gesagt – und das weiß ich jetzt nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von anderen Verfahrensbeteiligten: „Sie haben die Hose bislang nur bis zu den Knien herunter gelassen – Sie müssen sie schon ganz herunter lassen bis zu den Knöcheln!“ Worauf der Kronzeuge gemerkt hat, dass er doch noch ein bisschen mehr liefern und sein Wissen wirklich weitgehend preis geben muss, damit es überzeugend ist.
Es nützt ja auf Dauer nichts, wenn man sich hinter irgendwelchen Floskeln verschanzt. Am besten ist es immer, alles auf den Tisch zu legen und vielleicht einmal auch durchs mediale „Fegefeuer“ zu gehen.
Da gibt es ein gutes Beispiel, nämlich die Amigo-Affäre des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl. Es ging um Fahrzeuge, die er für Testfahrten kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen hatte; ebenso wie sein späterer Nachfolger Edmund Stoiber. Der hat dann folgendes gemacht: Er hat zu einer Pressekonferenz eingeladen, alles auf den Tisch gelegt. Er hat eingeräumt, dass es ein Fehler war, den er einsieht – es seien vielleicht alte Gepflogenheiten gewesen, denen man heute nicht mehr nachgehen sollte.
Daraufhin gab es ein, zwei Tage eine breite Berichterstattung in den Medien, aber danach war Schluss, denn es war keine Fortsetzungsgeschichte mehr möglich nach dem Motto: „Er hat noch dieses verborgen und jenes vertuscht.“ Er hat sich entschuldigt, und das ist dann auch angenommen worden. Wenn er das nicht gemacht hätte, wenn er eine Salamitaktik gefahren hätte nach dem Motto: „Ich gebe immer nur das zu, was Journalisten herausfinden“, dann wäre er wahrscheinlich nicht Streibls Nachfolger als Ministerpräsident geworden. Das ist das beste Beispiel, wie man mit solchen Dingen umgehen sollte.
Wenn Sie ganz uneigennützig einen Rat erteilen sollten – würden Sie dann nicht auch sagen: Bevor man mit dem Herrn Ott redet, sollte man lieber noch mal mit einem Anwalt sprechen?
Würde ich jetzt nicht ausschließen wollen (lacht). Dass jemand sich erst einen Anwalt nimmt und gut beraten lässt, bietet sich im Leben immer an. Oder man redet mit seinem Ehemann oder seiner Ehefrau und schläft vielleicht eine Nacht darüber. Aber die Dinge auf den Tisch zu legen, schadet nie.
Was wäre wichtiger – ein Medienanwalt oder ein Strafverteidiger?
Der Strafverteidiger, weil der natürlich die strafrechtlichen Konsequenzen überblicken kann. Und nicht alle von ihnen sagen, man solle unbedingt den Mund halten. Es gibt zwar Anwälte, bei denen ist der Mandant immer unschuldig – egal was vorliegt. Da habe ich dann schon erlebt, dass Mandant am Schluss fünf Jahre ins Gefängnis geschickt wurde.
Es gibt aber auch sehr viele Anwälte, die sich das genau anschauen und ihrem Mandanten auch sagen: „Passen Sie auf – so und so ist die Sachlage. Wir können Konfliktverteidigung machen, aber Ihr Fall ist eigentlich nicht mehr zu verteidigen. Besser ist es, Sie bieten sich als Kronzeuge an.“ So war es ja jetzt auch in vielen Fällen beim Thema Cum/Ex, dass Anwälte zuerst gesagt hatten: „Wir ziehen das durch – was wollen die Behörden denn überhaupt – das war eine Gesetzeslücke.“ Und dann haben sie sich die Sache genau angeschaut.
Es gibt viele Strafverteidiger, die das sehr differenziert sehen und ihren Mandanten dazu verhelfen, dass sie halbwegs glimpflich – und mitunter ohne dass die Öffentlichkeit es überhaupt erfährt – davonkommen.
Wer in der Berichterstattung vorgekommen ist, meint oft, Dinge würden aufgebauscht; Journalisten Dinge zusammenfabulieren, die sie gar nicht genau wüssten. Eine unberechtigte Kritik?
Es gibt natürlich Boulevardmedien, allen voran die „Bild“-Zeitung, die gerne erst einmal mit dicken, fetten Schlagzeilen ausholen. Wie man ja auch an den wiederholten Rügen des Deutschen Presserats sieht, ist nicht immer alles haltbar. Da müssen Betroffene überlegen, mit wem sie sich einlassen, mit wem sie reden.
Wenn man mit den Abonnementszeitungen spricht oder mit Fernsehsendern, die vernünftig berichten, dann ist man auf der richtigen Seite. Wenn man sich dagegen mit der „Bild“-Zeitung einlässt, muss man wissen, wie Prominente es schon mal gesagt haben: Dass man mit ihr im Fahrstuhl nach oben, aber dann auch wieder nach unten fährt.
Zum Schluss zu Ihrer Person: Was ist Ihr Werdegang, was treibt Sie um, was macht Ihnen am meisten Spaß an Ihrer Arbeit – und sind Sie eigentlich schon mal bedroht worden?
Bedroht worden nie. Das hängt natürlich auch mit der Materie zusammen: Bei Wirtschaftsverfahren in Deutschland und Mitteleuropa wird man in der Regel als Journalist von Anwälten oder von den Unternehmen nicht bedroht. Es sei denn, es melden sich Medienanwälte mit Briefen, die nicht nachvollziehbar sind – aber das ist für mich keine Bedrohung, sondern das ist halt das rechtliche Instrumentarium, das sie nutzen, auch wenn sie da über das Ziel hinaus schießen.
Wir leben gottseidank in einem Rechtsstaat, in dem man als Journalist deutlich machen kann, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Dieses Metier ist auch ein anderes, als wenn man im rechtsextremen Milieu recherchiert, wo es in den vergangenen Jahren wiederholt Übergriffe auf Journalisten gegeben hat. Hier müssen Staat und Gesellschaft die Pressefreiheit energisch verteidigen. Die Behörden müssen hier mit größtmöglicher Härte vorgehen; mit allem, was polizeilich und rechtlich möglich ist. Hier darf es nicht das geringste Pardon geben. Sonst gerät die Pressefreiheit in Gefahr. Und wo das dann endet, sehen wir ja leider in vielen Ländern.
Zum Werdegang: Ich habe schon während der Schulzeit gemerkt, dass mir das Schreiben Spaß macht; die letzten beiden Jahre vor dem Abi war ich zeitweise nicht in der Schule, sondern für die Lokalredaktion der „Main-Post“ in Ochsenfurt unterwegs. Der klassische Weg: Der Lokaljournalismus ist immer noch eine der besten Möglichkeiten, den Job zu lernen.
Dann bin ich in München freier Journalist gewesen, habe bald für die SZ geschrieben und mich dort immer mehr ausgebreitet, bis ich schließlich Redakteur war. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München war ich mal vier Semester eingeschrieben und hatte auch vor zu studieren; die Fächerkombination weiß ich jetzt gar nicht mehr (lacht). Aber vor lauter journalistischer Arbeit bin ich gar nicht dazu gekommen, weil mir das Recherchieren und Schreiben so viel Spaß gemacht hat. „Learning by doing“ ist meine Methode, mir Dinge anzueignen; die Theorie ist nicht so meins. Heute gebe ich viel von den Erfahrungen weiter bei Rechercheseminaren.
Mein Antrieb: Einfach neugierig sein; die Nase in Dinge reinstecken, von denen Betroffene meinen, das ginge niemanden etwas an, aber an denen ein öffentliches Interesse besteht. Mit der Beseitigung von Missständen – siehe Strache-Video! – ein ganz kleines bisschen beizutragen zur Transparenz hierzulande.
Und was momentan immer wichtiger wird: Verantwortungsvolle Medien können ja auch eine Art gesellschaftlicher Klammer sein und Bevölkerungsgruppen, die vielleicht nicht mehr so sehr miteinander reden, wieder miteinander ins Gespräch bringen. Um deutlich zu machen, wie wichtig verlässliche Informationen für eine freie und offene Gesellschaft sind. Damit man eine gemeinsame Basis hat, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist, und zu Kompromissen fähig ist.
Eine gespaltene Gesellschaft, wie das in der USA der Fall ist, mit einem Präsidenten, der Journalisten verleumdet, wäre für mich eine Horrorvorstellung. Davon sind wir in vielen Teilen unseres Landes, aber leider nicht in allen, Gott sei Dank weit entfernt.
Über Klaus Ott: Geboren 1959, aufgewachsen in Kitzingen und Ochsenfurt bei Würzburg. Bereits während der Schulzeit Mitarbeiter der Regionalzeitung „Main-Post“. Nach dem Zivildienst als freier Journalist mit Schwerpunkt Landespolitik Bayern und Medienberichterstattung für zahlreiche Redaktionen tätig. Darunter ARD-Radiosender, Medienfachdienste, „Vorwärts“, Gewerkschaftszeitungen, „Frankfurter Rundschau“, „Zeit“, später auch zeitweise für den „Spiegel“. Seit 1984 bei der „Süddeutschen Zeitung“, erst als freier Mitarbeiter, später als Redakteur. Schwerpunkt: alle Formen von Wirtschaftskriminalität, von der Abgasaffäre bis hin zu Banken- und Schmiergeldskandalen. Daneben als Dozent in Sachen Recherche an der Deutschen Journalistenschule und anderen Ausbildungsinstituten tätig. Wichtigster Grundsatz: Recherche sollte hart und fair zugleich sein.