CNN-Moderatorin Julia Chatterley über den Weltwirtschaftsgipfel (WEF) 2020 in Davos: Neue Prioritäten für die Selbsterhaltungsgesellschaft (Gastbeitrag)

CNN-Moderatorin Julia Chatterley (Foto: CNN International)
In einer berühmten Szene am Ende des Films „The Italian Job” fährt der Bus mit Michael Caine und seiner kunterbunten Bankräuberbande übermütig in eine scharfe Alpenkurve und rutscht von der Straße ab. Auf halber Höhe des Berges schwankt der Bus an einem Abgrund – an einem Ende gestohlene Goldbarren, am anderen Ende ängstliche Fahrgäste, die verzweifelt überlegen, wie sie ihre unrechtmäßig erworbene Beute behalten können, ohne den ultimativen Preis dafür zu zahlen.
Ein Balanceakt ohne einfache Lösung: Wohlstand sichern und existenzielles Unglück vermeiden
In der kommenden Woche ist in den Alpen eine ähnlich gut betuchte Gruppe mit einem ähnlichen Dilemma zu Gast: Wie kann der zukünftige Wohlstand gesichert und gleichzeitig ein existenzielles Unglück vermieden werden? Es ist ein Balanceakt ohne einfache Lösung. Die australischen Brände könnten kaum eine überzeugendere Kulisse für ein WEF bieten, das in diesem Jahr die Klimakrise in den Mittelpunkt gestellt hat.
Es ist verlockend, die Delegierten in Davos jedes Jahr als „das eine Prozent“ anzuprangern – eine Selbsterhaltungsgesellschaft, die ihren Anteil vom Kuchen erhalten und auch essen möchte. WEF-Gründer Klaus Schwab hat es selbst gesagt: „Die Menschen rebellieren gegen die wirtschaftlichen ‚Eliten‘, von denen sie meinen, sie hätten sie verraten; und unsere Bemühungen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, bleiben gefährlich hinter den Erwartungen zurück.“
Kommt nun alles anders? Blackrock will Taten über Worte stellen
Sicherlich schürt die Tatsache, dass im letzten Jahr bis zu 309 (An-)Reisen zum WEF mit Privatjets unternommen wurden, nur die zynische Wahrnehmung derjenigen, die sich mit großem Aufwand zur „Verbesserung des Zustands der Welt“ versammeln.
Dieses Mal, ich wage es kaum zu sagen, scheint es wahrscheinlicher, dass tatsächlich etwas passiert. Zunächst einmal hat Blackrock – mit einem verwalteten Vermögen von sieben Billionen US-Dollar ein Gigant unter den Vermögensverwaltern – seine Absicht erklärt, Kohleaktien im Wert von über einer halben Milliarde US-Dollar aus seinen aktiv verwalteten Portfolios abzustoßen. Es handelt sich insgesamt um eine relativ geringe Summe, aber die Botschaft war klar und dramatisch. Blackrock fügte einer Diskussion, in der verzweifelt versucht wird, Taten über Worte zu stellen, Substanz hinzu.
Die Dynamik hat sich seit dem vergangenem Jahr, als Unternehmen, die ein Drittel des weltweiten Bankensektors repräsentieren, eine UN-Verpflichtung zur Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens unterzeichneten, weiter verstärkt. Doch es ist die schiere Größe des Blackrock-Portfolios, die diesen Schritt zu einer so großen Schlagzeile verholfen hat. In einer Branche, in der selbst passives Fondsmanagement zunehmend an Einfluss gewinnt, gibt es nur wenige, die besser in der Lage sind, die Nadel zu bewegen als Blackrock.
Diese Schritte sind aber auch von Pragmatismus getrieben. Wie Blackrock-CEO Larry Fink gegenüber NPR erklärte, geht es etwa um die Frage, ob sich Städte die notwendige Infrastruktur leisten können, während das Klimarisiko den Markt für Kommunalanleihen neu gestaltet; und auch darum, wie Kreditgeber die Hypothekenrisiken im Kontext klimakritischer Bereiche wie Hochwasser- oder Feuerversicherung einschätzen. „Was geschieht mit der Inflation und im Gegenzug mit den Zinsen, wenn die Kosten für Lebensmittel durch Dürre und Überschwemmungen steigen?“ fragte er.
Ein anderer großer Fondsmanager, Vanguard, gab sich umsichtiger. „Wir müssen sicherstellen, dass wir mit den Unternehmen darüber sprechen, wie sie mit den Problemen umgehen und diese angehen, ohne die Grenze zu überschreiten und ihnen zu sagen, was sie zu tun haben,“ erklärt ihr CEO Tim Buckley der „Financial Times“.
Das Problem liegt darin, dass die Freiheit, weiterhin Verschmutzungen zu verursachen, wertvoll bleibt. Es ist schwierig, über den unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen eines Unternehmens zu sprechen, das seinen Handlungsspielraum freiwillig einschränkt, solange die Konkurrenten ökologisch fahrlässig handeln. Und während dieser Wettbewerbsnachteil dadurch aufgehoben werden kann, dass sich alle Unternehmen an die gleichen Regeln halten, können Regierungen – ganz zu schweigen von Wählern – und Aktionäre auf Veränderungen drängen.
Alternative Lösungen brauchen Zeit
Während Umweltrisiken die Debatte antreiben, ist die Folgeinvestition ein völlig anderes Thema. Dem jüngsten Carbon Majors Report zufolge sind nur 100 Unternehmen für 71 Prozent aller Emissionen seit dem Jahr 1988 verantwortlich. Viele dieser Unternehmen sind jedoch auch dafür verantwortlich, dass das Licht an bleibt, dass wir warm und bis zu einem gewissen Grad sicher und gesund bleiben. Es gibt Alternativen, aber sie sind nicht unbedingt praktisch oder erschwinglich, und werden sich daher nicht über Nacht durchsetzen.
Greta Thunbergs Forderung nach einem sofortigen Stopp der Investitionen in die Erkundung, Förderung und Subventionen fossiler Brennstoffe in Verbindung mit einem vollständigen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen wird, wie sie bereits betonte, schmerzhaft sein. Von der (Un)machbarkeit einmal abgesehen, würden vor allem die Ärmsten und Verwundbarsten der Welt die Schmerzen am stärksten spüren.
Entscheidend ist also, wohin die von fossilen Brennstoffen abgezogenen Investitionen geleitet werden. Hier kommen Wissenschaft und Technik ins Spiel. Diese Woche habe ich mit Gene Berdichevsky von Sila, einem Unternehmen an der vordersten Front der Akku-Innovation, gesprochen. Das Unternehmen hat die auf Graphit basierende Technologie, die den Lithium-Batterien seit drei Jahrzehnten zugrunde liegt, durch eine Zusammensetzung auf Siliziumbasis ersetzt. Dabei habe Sila laut dem ehemaligen Tesla-Mann die Batterielebensdauer um bis zu 40 Prozent erhöht.
Wenn Projektentwicklung acht Jahre dauert und mehr Tempo unrealistisch ist
So fantastisch das auch klingen mag – es hat stolze acht Jahre gedauert, dieses Produkt zu entwickeln. Fakt ist, dass Lösungen für große Probleme oft sehr schwer zu finden sind. Deutlich größere Investitionen werden helfen. Die Vorstellung jedoch, dass die Welt sofort neue Technologien einsetzen und schnell auf erneuerbare Energien umsteigen kann, ist unrealistisch. Die Preise müssen fallen, Skaleneffekte müssen sich bemerkbar machen, und dann werden die Marktkräfte eine Rolle spielen. Wie Berdichevsky mir diese Woche sagte: „Wenn es wirtschaftlicher ist […], dann geschieht der Übergang auf natürliche Weise; und – offen gesagt – er geschieht viel schneller, weil man nicht gegen die Strömungen des Marktes ankämpft“.
Die gute Nachricht ist, dass der Wandel nah ist – zumindest was Elektroautos betrifft. Tasha Keeney, Analystin bei Ark Invest, erklärte mir diese Woche, dass wir nur noch wenige Jahre von dem Zeitpunkt entfernt sind, an dem Elektrofahrzeuge billiger werden als ihre benzinbetriebenen Gegenstücke.
Hoffnungen in Davos
40 Jahre nachdem „The Italian Job“ in die Kinos kam, hat die Royal Chemistry Society einen Wettbewerb ausgeschrieben, um mögliche Lösungen für das Dilemma der Bande zu finden. John Goodwin aus England hat eine komplexe, aber praktikable Lösung gefunden. Ich überlasse es Ihnen, seine Antwort zu googeln (sie hat nichts mit Elektroautos zu tun!). Aber die Überschrift sagt bereits aus, dass Wissenschaft, Teamarbeit und Geduld – richtig angewandt – den Tag retten könnten. Die Davoser Delegierten hoffen derweil, dass die Lösung eines weitaus größeren Problems bald in greifbare Nähe rückt, denn Zeit und Geduld gehen zur Neige. Die 99 Prozent sind immer stärker darauf angewiesen.
Die gesamte CNN-Berichterstattung vom WEF aus Davos unter: www.cnn.com/davos

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