Buchauszug Carsten K. Rath: „Für Herzlichkeit gib’s keine App“

Buchauszug Carsten K. Rath: „Für Herzlichkeit gib’s keine App“

 

Autor und Unternehmer Carsten K. Rath

 

Service ist immer persönlich – Warum Sie das Zielgruppendenken vergessen können
Service kann Sie zur Lieblingsmarke Ihrer Kunden machen. Allerdings nur, wenn Ihr Service so individuell ist, dass er dieses Ziel bei jedem einzelnen Kunden erreicht. Damit das gelingt, verabschieden wir uns ab sofort von einem weiteren Dogma: dass Service für eine anonyme Masse namens „Zielgruppe“ gemacht wird, die man über einen Kamm scheren könnte. Denn auch das hat sich durch die Digitalisierung geändert – die Kunden sind inzwischen personalisierten Service gewöhnt. Sie erwarten, dass wir uns für sie als Menschen interessieren und unsere Angebote auf sie zuschneiden. Dass wir ahnen, was dieser eine Kunde wünschen könnte, bevor er es selbst weiß.

 

Der Kunde war ein Durchlaufposten

Plötzlich ist Neugier eine Kernkompetenz – allen Bedenken hinsichtlich Datenschutz zum Trotz. In dieser Veränderung steckt eine weitere große Herausforderung für die Service-Philosophie Ihrer Marke: Von Standardmaßnahmen können wir uns getrost verabschieden – und vom Zielgruppendenken auch. Doch wie wird aus Service von der Stange Service-Excellence? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach und doch eine lange Geschichte. Also fangen wir von vorn an. In der Zeit, als „Service“ nur ein anderes Wort für „kellnern“ war und der Kunde ein Durchlaufposten.
Gästeverarbeitende Industrie oder: Die 100-Jährigen, die in den Bus stiegen und verschwanden

 

Selbstherrlich und arrogant

Vor vielen Jahren, hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen nahe Hinterzarten am Titisee, gab es einen Gasthof namens Hugenottenhof. Dort habe ich eine Ausbildung zum Kellner gemacht. Mein Ausbilder hieß Klaus-Dietrich. Klaus-Dietrich war der vielleicht beste schlechte Oberkellner der Welt. Ein SEMO vor dem Herrn: prozessverliebt, unflexibel und kundenfeindlich. Er war ungefähr so groß wie drei übereinander gestapelte Schwarzwälder Kirschtorten. Und Klaus-Dietrich hasste mich. Er hasste mich, und er ließ es mich spüren. Für mich war er die gastronomische Reinkarnation von Napoleon: genauso groß, genauso selbstherrlich und genauso arrogant.
Vor allem seinen zwei Erzfeinden gegenüber: mir und dem Gast. Service war für diesen Mann ein Fremdwort. Empathie lag ihm fern. Herzlichkeit kannte er höchstens aus der Serie „Die Schwarzwald-Klinik“, die damals ganz in der Nähe gedreht wurde.
Achtung, Spoiler: Meine Lehrzeit im Hugenottenhof war ein Horrortrip. Doch heute bin ich Klaus-Dietrich dankbar. Von ihm habe ich nämlich gelernt, wie Service nicht geht. Sein schlechtes Beispiel wurde mir zu einem Motto:

 

Professionalität ohne Herzlichkeit ist Arroganz.

Und Klaus-Dietrich war – hochprofessionell. Ihn als einen SEMO zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Klaus-Dietrich war der König der SEMOs. Und er setzt alles daran, uns nach seinem Vorbild zu erziehen: eine Armee von SEMOs, gezüchtet im Höllental, um den herzlosen Service-Standard, Klaus-Dietrich-Style, in die Welt zu tragen.
Der Hugenottenhof sah aus wie das überlebensgroße Modell einer Kuckucksuhr: Klischee pur. Die meisten seiner Gäste waren die sogenannten AARP-Gäste: American Association of Retired People. Und gegen die Art und Weise, wie sie im Hugenottenhof abgefertigt wurden, ist der Check-in nach Mallorca mit dem Billig-Ferienflieger ein Witz.

Der Hugenottenhof war eine Produktionsanlage der gästeverarbeitenden Industrie. Die Service-Routine dort gestaltete sich folgendermaßen: Mehrmals täglich fährt eine Busladung AARP oder Japaner oder auch Deutsche vor dem Hugenottenhof vor. Sie kommen immer in Bussen – großen, großen Bussen. Die meisten dieser Touristen sind jenseits der 70, die Amerikaner gern auch mal nahe an der 100. Und jedes Mal, wenn ein Bus ankommt, passiert Folgendes: Bustür auf, Touris raus – schnell, schnell. Bitte keine Grüppchen bilden, hier herrscht Versammlungsverbot! Notfalls geben wir den Herrschaften auch mal einen kleinen Schubs gegen den Rollator, damit es vorwärts geht.
Und schon folgt der erste wichtige Programmpunkt im Schwarzwaldgasthof-Standardprogramm: das obligatorische gegenseitige „Abschießen“ vor der riesigen Kuckucksuhr Hugenottenhof fürs Familienalbum, mangels Smartphones noch mit echten Kameras.

 

Großraumrestaurant und Fototapete

Der nächste Punkt auf der Liste ist besonders wichtig (nicht so sehr für die Gäste, wohl aber für den Umsatz des Hugenottenhofs): Ab in den Kuckucksuhrenshop. Dort wird die Plastik-Kuckucksuhr mit Plastikgeld bezahlt. Im Rest von Deutschland wird man heute noch oft schief angesehen, wenn man mit der Kreditkarte zahlen will. Der Hugenottenhof nimmt damals schon alles. Mastercard, Visa, sogar American Express – nur her damit! Hauptsache, es geht schnell, denn das nächste Highlight im gedrängten Zeitplan wartet schon. Also raus aus dem Shop und rein ins Großraumrestaurant, einmal gerade durch bis auf die riesige, wirklich riesige Terrasse. Die ist mit ihrem spektakulären Blick auf eine Glasbläserei und eine wildromantische Schlucht hinunter ins Höllental wunderschön – für die Gäste. Viele der Greise würden allerdings wohl auch nicht merken, wenn es sich um eine Fototapete handelte.
Für uns Kellner ist die Terrasse einfach nur ein Alptraum, denn im Sommer hat es dort gern mal 40 Grad im Schatten. Wir nennen sie die „Golanhöhen“. Ein Tag auf den Golanhöhen, in einer Polyester-Uniform samt Weste, die aussieht wie eine textilgewordene Blumenwiese, fühlt sich an wie ein Jahr. Und weil Klaus-Dietrich mich hasst, bin ich natürlich immer auf den Golanhöhen eingeteilt.

 

Mund auf, Flädlesuppe rein

Weiter im gästeverarbeitenden Fließbandprogramm: Setzen, zack, zack! Irgendwann ist auch der letzte Invalide auf einem Platz in der gleißenden Sonne geparkt. Jetzt kommt der große Service-Moment – na ja, eigentlich der größte, den der Hugenottenhof zu bieten hat. Die Türen der Kuckucksuhrenküche öffnen sich und heraus kommt eine Schar polyesterummantelter Service-Kuckucks. Einer davon bin ich. In einer militärisch durchgeplanten Choreografie verteilen wir uns auf die Golanhöhen. Wie oft ich dabei über eine Krücke oder einen Rollator stolpere, ich kann es nicht zählen. Jetzt heißt es Bestellungen aufnehmen im Akkord. Die Menüs sind vorgegeben. Wenn einer ein veganes Gericht verlangen würde: Klaus-Dietrich würde ihn mitsamt Rollator den Abhang hinter der Terrasse runterschicken. Ab ins Höllental, zur Schluchtengaudi. Die Gäste haben also keine andere Wahl: Mund auf, Flädlesuppe rein, Obstler hinterher, Herzpillen nicht vergessen! Bei Bedarf eine kurze Reanimation und schnell wieder raus aus dem Restaurant.

Wir nähern uns dem Ende des Showprogramms: Fix wieder runter auf den Parkplatz, rein in den Bus, Rollatoren ins Gepäckfach und Abfahrt. Auf Nimmerwiedersehen. Der nächste Bus wartet schon. Und dann der nächste und wieder der nächste.
So verliefen die Tage im Hugenottenhof – drei heiße Sommer meines jungen Lebens lang. Die emotionalen Höhepunkte in dieser Zeit erlebte ich, wenn mich mal wieder eine kurzsichtige Oma mit Sascha Hehn verwechselte – dem Darsteller des jungen Arztes aus der Schwarzwaldklinik, damals Schwarm aller Schwiegermütter. Drei endlose Jahre lang lernte ich, wie man nicht mit Gästen, mit Kunden umgeht. Und es sollte mir eine Lehre sein.
Der Höllenstandard lebt: Nicht Wiederkommen ist gewünscht, sondern schnell zu verschwinden

Im Hugenottenhof konnte man es sich leisten, so mit den Gästen umzugehen. Da ging es ja nicht darum, dass der Kunde wiederkommt. Sondern darum, dass er schnellstmöglich wieder geht. Im Hugenottenhof habe ich gelernt, wie Kundenbindung nicht funktioniert. Und deshalb reagiere ich noch heute allergisch darauf, wenn sich Service für mich als Kunde so anfühlt wie die unpersönliche Massenabfertigung, die ich dort während meiner Ausbildung praktizieren musste. Denn der Höllenstandard-Service von der Stange ist keineswegs Geschichte. Die gäste- oder kundenverarbeitende Industrie gibt es noch immer, und leider nicht nur im Schwarzwald. Als Kunde erlebe ich sie häufiger, als mir lieb ist.

 

Zum Ohren-zuhalten: „Hatten Sie eine schöne Anreise?“

Es gibt zum Beispiel eine Frage, die mir als Kunde immer wieder gestellt wird – und ich kann sie nicht mehr hören. Weil ich sie etwa 200 Mal im Jahr höre. Gefühlt jedes einzelne Mal, wenn ich eine Nacht in einem fremden Bett verbringe. Nein, nicht was Sie denken – in einem Hotel. Manchmal, wenn ich in einem solchen Hotel einchecke, würde ich mir am liebsten die Ohren zuhalten. Denn ich kann den Dialog schon vorausahnen, der sich entspinnt, wenn ich an die Rezeption trete:
„Hatten Sie eine schöne Anreise?“, schallt es mir mit einem schlecht gespielten Lächeln von der Rezeptionistin entgegen. Na super, denke ich: wieder in einem SEMO-Tempel gelandet.

 

Ich bemühe mich um ein Lächeln – statt nein zu sagen

Und um die Frage zu beantworten: nein, hatte ich nicht. Denke ich – sagen würde ich es nicht, denn man muss den schlechten Service ja nicht noch durch schlechte Manieren befördern. Stattdessen bemühe ich mich auch um ein Lächeln. Leider wird es jedoch nicht erwidert, an diesem Tag, an dieser Rezeption. Stattdessen kann ich beobachten, wie die Rezeptionistin ihre Gastwahrnehmung auf Stand-by schaltet, während sie sich ihrem Bildschirm widmet. Da stellt sie mir diese Frage – was schon nervig genug ist – und dann hört sie mir noch nicht mal zu, wenn ich antworte! Also beschließe ich, mir einen Spaß daraus zu machen. Ich entgegne der SEMO-Rezeptionistin, die ihre Ohren längst auf Durchzug geschaltet hat: „Ach, Sie ahnen es ja nicht. Beim Rausfahren aus der Einfahrt zu Hause habe ich die schwarze Katze vom Nachbarn überfahren. Ich glaube, das bringt wirklich Unglück. Beim Einparken in Ihrer Tiefgarage gerade habe ich nämlich einen 7er BMW gerammt. Sie wissen nicht zufällig, wem der gehört?“

Bei der Frage ist dann bisher noch jeder SEMO wieder wach geworden. Und aus Erfahrung kann ich berichten: Wenn Sie an dieser Stelle nicht sofort zu erkennen geben, dass Sie sich nur einen Scherz erlaubt haben, wird er sofort losrennen, um seinen Chef zu fragen, was er jetzt tun soll. Ganz besonders, wenn sein Chef zufällig einen 7er BMW fährt.

 

„Für Herzlichkeit gibt’s keine App“, Carsten K. Rath: Gabal Verlag, 250 Seiten, 24,90 Euro

https://www.gabal-verlag.de/buch/fuer_herzlichkeit_gibt_s_keine_app/9783869368252

 

 

 

Nie aufhören nachzudenken – und zu Ende zu denken

Die Frage ohne Sinn

Spaß beiseite: Warum regt mich die Frage nach der Anreise so auf? Ganz einfach: Kein Mensch hat eine schöne Anreise! Früher, als wir mit dem Auto in den Familienurlaub nach Rimini fuhren, war das noch etwas anderes. Da war die Anreise noch ein Teil des Reiseerlebnisses. Da ging das Abenteuer tatsächlich schon vor der Haustür los – denn damals war Reisen noch ein Luxus. Sogar mit der alten Familienkutsche ohne Klimaanlage. Auf diesen endlos langen Autobahnfahrten genoss man noch jeden Kilometer in vollen Zügen. Diese Roadtrips gehören zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen – vielleicht ist es bei Ihnen ähnlich. Damals ergab diese Frage noch Sinn: Hatten Sie eine schöne Anreise?

 

Reisende oder Ankommende?

Aber heute? Ich bitte Sie! Das Reisen ist doch nur noch ein Routinevorgang. Wenn Sie auf eine Reise gehen, was wollen Sie denn wirklich? Sie wollen ankommen. Das ist ein großer Unterschied: reisen und ankommen. Wirklich gereist wird heute nur noch, wenn wir uns extra dafür eine richtige Auszeit nehmen, mit einem Mietwagen die Route 66 (oder die Eifel) entlangfahren und kein Ziel vor Augen haben, sondern einfach nur unterwegs sind. Aber wie oft machen wir das? Wenn wir routinemäßig in einem Hotel einchecken, sei es im Urlaub oder als Geschäftsreisende leicht identifizierbar im Business-Dress mit passendem Bord-Trolley, dann sind wir nicht Reisende, sondern Ankommende. Und als solche wollen wir beim Ankommen auf keinen Fall an die Anreise erinnert werden. An den Taxifahrer – im Zweifel schlecht gelaunt. An den Check-in am Flughafen – im Zweifel mit Übergepäck. An den Abflug oder die Abfahrt des ICE – im Zweifel mit Verspätung.

 

Wie der Service im Hugenottenhof

Hatten Sie eine schöne Anreise? Diese Frage zeigt mir, dass in diesem Hotel seit 1975 nicht mehr darüber nachgedacht wurde, wie man den Gast auf persönliche Art und Weise empfangen könnte. Sie ist wie der Service im Hugenottenhof: total unpersönlich. Doch SEMO checkt das nicht. SEMO bemerkt nicht meinen konsternierten Gesichtsausdruck, sieht nicht den Business-Trolley in meiner Hand und die Stressfalten auf meiner Stirn. SEMO macht einfach seinen Standardjob und stellt die Standardfrage, denn für SEMO bin ich als Gast nur ein Durchlaufposten. Eine Nummer.
Blindleistungen: Guten Morgen, Zimmer 783!

 

Als Gast nur eine Nummer

Wenn ich bei meiner Ankunft in einem Hotel mit dieser Frage begrüßt werde, weiß ich auch gleich, was am nächsten Morgen passieren wird. Da werde ich nämlich mit der Nase darauf gestoßen, dass ich als Gast nur eine Nummer bin. Denn mit welcher Frage werde ich begrüßt, wenn ich den von einem SEMO bewachten Frühstücksraum betreten möchte? Genau: „Zimmernummer?!“ Mit etwas Glück sagt SEMO vorher noch „Guten Morgen“. Wenn er sich überwinden kann, lange genug von seiner Liste aufzublicken.
Das ist eine Service-Bankrotterklärung. Mehr noch: Die Identifikation über die Zimmernummer ist eine Kriegserklärung an den Gast! Ich nenne solche Maßnahmen in Dienstleistungsunternehmen „Blindleistung“. Weil der ausführende SEMO im doppelten Sinne den Gast nicht sieht: Er nimmt ihn nicht als Persönlichkeit mit eigenen Bedürfnissen wahr. Und wenn er ihn keines Blickes würdigt, sieht er ihn womöglich tatsächlich auch physisch nicht.

 

Muss man Nummern ziehen, wird man Durchlaufposten

Fehlt nur noch, dass ich als Gast vor dem Frühstücksraum eine Nummer ziehen darf und warten muss, bis ich aufgerufen werde: „Nummer 783 bitte an Tisch 12!“
Wenn Sie als Gast auf eine Nummer reduziert werden – wie fühlen Sie sich dann? Ich fühle mich dabei vernachlässigt. Da kann das Frühstück noch so gut sein – als Gast habe ich unwiderruflich das Gefühl, dass ich ein Durchlaufposten bin und sonst gar nichts. Ganz sicher fühle ich mich nicht willkommen. Und wieder ist eine Chance zur Kundenbegeisterung geplatzt – ein Moment der Wahrheit – verschenkt.

 

Viel zu viele Unternehmen verschenken viel zu viele Momente der Wahrheit.

Oft wäre es so leicht, die Blindleistung in eine Begeisterungsmaßnahme zu verwandeln. So auch in diesem Fall. Natürlich gibt es einen Grund für die blöde Frage: Über die Zimmernummer will der SEMO vom Dienst klären, ob ich Frühstück inklusive habe oder exklusive. Das Muster der Blindleistung ist: Das Was wird zulasten des Wie in den Vordergrund gestellt. Hauptsache, der Prozess funktioniert; ob er den Gast glücklich macht, ist egal. Wenn der Gast brav die Zimmernummer preisgibt, kann SEMO die Lizenz zum Frühstücken überprüfen und ein Häkchen auf seiner Liste machen. Und dann kann es weitergehen, der Nächste bitte! Läuft bei SEMO. Aber das, worauf es ankommt, was alles entscheidet, das läuft ganz und gar nicht: das Wie. Nicht das Was, nicht die verdammte Frühstückslizenz, sondern das Wie entscheidet.

 

Das Wie entscheidet über die Kundenbegeisterung: Nummer statt Name

Solche Blindleistungen als Folge einer Fixierung auf das Was sind nicht nur ärgerlich für den Gast, sie sind in den meisten Fällen auch vollkommen überflüssig. Es macht überhaupt keinen Sinn, nach der Zimmernummer zu fragen. Warum fragt man Sie stattdessen nicht nach Ihrem Namen, wenn Sie den Frühstücksraum betreten? Den hören Sie doch viel lieber. Mit der Nummer können Sie doch gar nichts anfangen; die ist so relevant für Sie wie die Schuhgröße des Hoteldirektors.
Stellen Sie sich mal vor, die Kellner im Frühstücksraum oder abends beim All-inclusive-Dinner würden das auch noch durchziehen: „4, Kaffee oder Tee? 512, das Steak durch oder medium? 982, danke, dass Sie da waren!“

 

Den Kunden immer mit Namen ansprechen

Ihr Name dagegen, der fühlt sich vertraut an. Und im Gegensatz zu Ihrer Zimmernummer können sich die meisten ihren Namen auch merken. Sicher kommt es darauf an, um welche Uhrzeit Sie frühstücken, aber die meisten können den eigenen Namen spätestens ab 8 Uhr morgens fehlerfrei artikulieren. Und darauf könnte SEMO Rücksicht nehmen, wenn ihm an persönlichem Service gelegen wäre. Es wäre so einfach, die Frühstücksliste alphabetisch statt numerisch sortiert auszudrucken. Das ist wirklich die einfachste aller Service-Regeln, so banal, dass ich Sie kaum ausformulieren mag: Den Kunden immer mit Namen ansprechen. Immer!

Solche Blindleistungen wie die Nummer mit der Nummer sind die Spezialität von SEMO. Der Eingang zum Frühstücksraum ist sein Lieblingsposten. Die Liste durchgehen und ein Häkchen machen – das gefällt ihm. Dafür muss er sich nicht den Kopf zerbrechen, nicht in den Gast hineinversetzen, nicht mit Sonderwünschen auseinandersetzen. Nummern sind gut. Listen sind gut.

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Das Ende des Zielgruppendenkens

Die Nummernmethode entspringt einem Denken, das in den meisten Unternehmen seit Jahrzehnten jede Überlegung dominiert: das Zielgruppendenken. Lange Zeit hat das auch ganz gut funktioniert. Doch dann kam die Digitalisierung – und hat auch in dieser Hinsicht alles verändert. Sie hat dem Zielgruppendenken den Garaus gemacht.
Dabei hätte das alles so schön werden können: Die zahlenverliebten SEMOs rieben sich schon die Hände, als die Digitalisierung in die Verwaltung der Kundendaten und die Marktforschung Einzug hielt. Der standardisierte Kunde war der feuchte Traum vieler SEMO-Dienstleister und -Kundendienstverantwortlichen. All die Zielgruppen- und Kundendaten würden ihnen endlich erlauben, ihre Gäste effektiv über einen Kamm zu scheren.

 

Doch es kam anders. Den idealen Kunden auf dem Reißbrett aufmalen und all seine Bedürfnisse voraussehen können – das mag eine schöne Fantasie in der frühen Euphorie um die Digitalisierung gewesen sein. Inzwischen wissen wir: Der „digitale Kunde“ ist kein gebenchmarkter Märchenprinz zum Selberbauen je nach Geschäftsmodell. Die Datenflut hat „den Kunden“, das unbekannte Wesen, keineswegs zu einem berechenbaren Maßstab gemacht. Ganz im Gegenteil: Je mehr Daten wir über unsere Kunden haben, desto anspruchsvoller wird der Service. Denn die digital verwöhnten Gäste – genau wie die digitalen Kunden in anderen Branchen – sind Individualität gewöhnt. In der Ansprache, in der Vorbereitung, im Service am Gast, im Beschwerdemanagement. In jedem Detail.
Was heißt das für den operativen Service?

 

Wenn der Kunde sich nicht standardisieren lässt, lässt sich auch der Service nicht standardisieren.

Was nicht heißt, dass wir keine Standards mehr brauchen – im Sinne von Qualitätsstandards zum Beispiel. Doch es heißt, dass wir die individuelle Anpassung von Service-Leistungen, die mit einer Interaktion einhergehen, nicht automatisieren, also einem digitalen Hirn überlassen können. Und auch keinem SEMO.
Es gibt klare Handlungsfelder, wo digitale Unterstützung und sogar Automatisierung den Service effektiv unterstützen können. Doch den Kunden als standardisiertes Einheitsmodell ausrechnen können wir auch mit digitalen Mitteln nicht. Das Zielgruppendenken war schon immer eine Krücke, um sich dem unbekannten Wesen „Kunde“ wenigstens anzunähern. Heute, da wir so viel über den einzelnen Kunden wissen, ist es – zumindest im Service – weitestgehend hinfällig. Service lässt sich nicht einheitlich für die Masse der Kunden vorausplanen.
Unternehmen aller Branchen können aus den Erfahrungen im Dienstleistungssektor lernen: Die digitalen Kunden setzen einerseits die persönliche Ansprache und individuell zugeschnittene Angebote voraus, die sie inzwischen von jedem Newsletter eines Online-Shops gewöhnt sind. Die Einbindung digitaler Werkzeuge ist also unumgänglich. Doch gleichzeitig bleibt die persönliche Interaktion als ultimative persönliche Service-Erfahrung unersetzbar.

 

Online gerne, aber trotzdem am liebsten individuell

Zum Beispiel reservieren Millionen Gäste ihren Tisch im Restaurant inzwischen online, etwa über entsprechende Apps. Zudem wünschen sich laut einer Umfrage der Michelin Plattform bookatable.de 53 Prozent eine bessere Integration moderner Technologie beim Restaurantbesuch, etwa beim notwendigen Übel des Bezahlungsvorgangs. Doch 86 Prozent der Restaurantbesucher sind derselben Umfrage zufolge auch heute noch der Meinung, dass beim Erlebnis Restaurantbesuch unverändert der persönliche Service zählt. In dieser Dualität von digitaler Selbstverständlichkeit und individueller Anspruchshaltung steckt eine Herausforderung der digitalen Welt, auf die es keine schematische Antwort gibt. Service wird durch die Digitalisierung nicht etwa einfacher, ganz im Gegenteil: Die digitale Erwartungshaltung kommt auf die Erwartung an die persönliche Interaktion noch obendrauf. Auch die analoge Interaktion, vom Beratungsgespräch bis zur Restaurantbedienung, machen wir heute nach digitalen Maßstäben, also: hochgradig bunt.

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Der hybride Kunde

Zur digital-individuellen Erwartungshaltung kommt noch ein weiterer komplizierender Faktor hinzu: der hybride Kunde. Damit sind nicht etwa die leidenschaftlichen Prius-Fahrer gemeint, sondern eine neue Art von Kunde, dessen Ansprüche nicht konstant sind. Ein hybrider Kunde vereint sozusagen die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen in einer Person. Seine Bedürfnisse können je nach Anlass drastisch schwanken: Heute will er das eine, morgen das andere, und zwischendurch noch einmal etwas ganz anderes. Seine Anspruchshaltung ist also hochgradig situativ. Dementsprechend kann sie auch nur genauso situativ, also: vollkommen individuell bedient werden.
Der hybride Kunde stellt die Standardisierung auf der Prozessebene, die besonders in großen Unternehmen unverzichtbar ist, auf eine harte Probe: Für ihn müssen wir ständig flexibel bleiben. Das bedeutet, dass unsere Prozesse sehr anpassungsfähig gestaltet sein müssen. Gleichzeitig müssen sie auch noch unsichtbar sein. Prozesse sollten immer so diskret im Hintergrund bleiben, dass der Kunden nichts von der Anpassungsleistung bemerkt. Denn ihn interessiert die Mechanik hinter der Service-Leistung kein Stück.

 

Kundenzufriedenheit kennt keine Hindernisse, sondern nur Ergebnisse

Den Kunden interessiert nur das Ergebnis, das sein Bedürfnis erfüllt oder eben nicht. Und diese Bedürfnisse verändern sich heute schneller und radikaler als jemals zuvor – und individueller, als irgendein Service-Trend sie jemals umfänglich erfassen und abdecken könnte. Eigentlich haben wir es also gleich mit zwei herausfordernden Typen zu tun: Der hybride Kunde ist nicht mehr ausrechenbar und der digitale Kunde hat keine Geduld mehr.
Um den oft schwankenden Bedürfnissen der hybriden Kunden und den komplexen Bedürfnissen der digitalen Kunden Rechnung zu tragen, brauchen wir einerseits Kreativität und den Mut, Neues zu wagen – insbesondere auf der technologischen Ebene. Und gleichzeitig brauchen wir das Einfühlungsvermögen und die Neugier der Mitarbeiter, die an den Touchpoints auf Tuchfühlung mit dem Kunden sind.
Deshalb haben wir ein riesiges Problem, wenn an diesen Touchpoints eben keine neugierigen, empathischen Kundenbegeisterer sitzen, sondern SEMOs. Dann scheitert die Mission „Service“ nämlich bereits an der individuellen und situativen Bedarfsermittlung, die uns digitale Helferlein in vielen Fällen eben nicht effektiv abnehmen können.

 

Persönlicher Service ist situativ und individuell

Ein Beispiel verdeutlicht, wie dramatisch sich die verschiedenen Einflussfaktoren auf die Service-Strategie eines Unternehmens auswirken. Wenn etwa ein Business-Hotel sich auf den Manager ausrichtet, wer ist dann gemeint? Der COMO mit den grauen Schläfen im Maßanzug, der zum Lachen in den Keller geht und vor dem Schlafengehen seine Unterhosen symmetrisch in den Koffer faltet? Oder der junge Entrepreneur, der in Jogginghose beim Check-in aufschlägt und auf ein veganes Frühstück besteht, aber bitte nicht vor zehn Uhr?
Und jetzt kommt zusätzlich der hybride Kunde ins Spiel: Wieder ein anderer Geschäftsmann bucht für Geschäftsreisen vielleicht grundsätzlich das Budget-Hotel, während es beim Liebeswochenende mit der Verlobten in Paris nicht luxuriös genug sein kann.
Kein Wunder, dass SEMO nicht mehr klarkommt: Bei dieser Vielfalt ist jeder Versuch, den Kunden in eine Schublade zu stecken, zum Scheitern verurteilt.
Service von Menschen für Menschen

Bleibt die Frage: Wie können wir dann überhaupt noch auf unsere Kunden eingehen? Wie holen wir sie situativ und individuell ab? Wie ist Kundenbegeisterung in dieser komplexen Ausgangslage überhaupt möglich? Es gibt darauf nur eine Antwort: indem wir unseren Kunden Persönlichkeiten gegenüberstellen, die genauso bunt sind wie die Kunden selbst. Also keine SEMOs.

Unser wichtigster Hebel, um der komplexen „Crowd“ von Kunden gerecht zu werden, sind also nicht die Prozesse. Das zentrale Handlungsfeld für besseren Service ist das Personalmanagement. Service wird von Menschen für Menschen gemacht – also sind die Menschen im Unternehmen unser wichtigstes Asset, um in Zukunft unsere Kunden zu begeistern.

Die Kundenerfahrung – die Geschichte, die Kunden mit ihrer Lieblingsmarke erleben – beginnt nicht erst bei der Definition von Prozessen und Qualitätsstandards, sondern viel früher.

 

Die Kundenerfahrung beginnt beim TeamBuilding

Diese Erkenntnis wirft weitere Fragen auf: Was bedeutet das für die Auswahl und Ausbildung von Mitarbeitern im Service? Wenn das, was früher unsere (vermeintlich) mehr oder weniger homogene Zielgruppe war, nun eine heterogene Mischung von lauter bunten Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Erwartungen ist, wie wirkt sich das auf unsere Teams aus? Wie reagieren wir im Personalmanagement auf die Diversifizierung der Kundenerwartung? Wenn die digitalen Kunden eine bunte „Crowd“ sind, kann das für die Talentauswahl nur eines heißen: Es gibt auch nicht den Mitarbeiter. Ein digitaler Nomade im T-Shirt will nicht von einem SEMO mit Stock im Hintern und Buchhaltermentalität bedient werden, der sich zwar mit Zahlen auskennt, aber nicht mit Menschen. Wo Unternehmen früher mit Gütesiegeln und TÜV-Plaketten punkten konnten, sind heute vor allem die individuellen Qualitäten des einzelnen Mitarbeiters gefragt. Die sind es letztlich auch, die auf Online-Bewertungsportalen wie Yelp bewertet werden.

 

Welche Unternehmen sind bei den digitalen Kunden besonders erfolgreich? Es sind jene, die

• das bunte Leben abbilden,
• die Individualität ihrer Kunden aufgreifen und
• ihr Leben aktiv bunter machen.

 

Apple, Netflix oder Motel One beherrschen Vielfalt

Die erfolgreichsten Unternehmen, von Apple über Netflix bis hin zu Motel One, beherrschen Vielfalt. Sie sind flexibel genug, um attraktiv für ganz verschiedene Kundentypen zu sein und gleichzeitig ein individuell anpassbares Erlebnis zu ermöglichen. Deshalb sind sie erfolgreicher als die Unternehmen, die sich krampfhaft an einer „Zielgruppe“ festhalten, die in Auflösung begriffen ist. Dazu gehören manche Rentner-Kaufhäuser mit ihrem Schema-F-Sortiment genauso wie die veränderungsresistenten unter den Grand-Hotels, in denen der junge Entrepreneur in Shorts sich fühlt wie ein Aussätziger. Sich auf einen Typ Kunde zu beschränken, funktioniert schon heute in kaum einer Branche mehr.

 

Wer seine Haltung nicht wechselt, wird ausgewechselt

SEMOs digitale Fantasien wurden also enttäuscht: Durch die Digitalisierung und die neuen Kunden ist sein Leben nicht leichter geworden. Vielmehr geht es ihm nun richtig an den Kragen. Denn an ihm liegt es, ob sein Unternehmen in Zukunft erfolgreich sein wird. Entweder findet er den Draht zum Kunden – dabei können wir ihm helfen – oder der Kunde geht dahin, wo man ihn versteht. Unsere Teams sind unser größtes Pfund im Kampf um die digitalen und hybriden Kunden. Und aus dem gleichen Grund ist SEMO unser größtes Risiko.

 

Service-Persönlichkeiten brauchen Charakter

Ein großartiges Team ist keine einförmige Masse von Anzugträgern mehr, deren herausstechende Eigenschaft die Ähnlichkeit mit ihrem vorgesetzten SEMO ist. Ein erfolgreiches Team ist heute eine Truppe von bunten Hunden. Der größte Wert von Service-Persönlichkeiten liegt nicht in den Ähnlichkeiten, sondern in den Unterschieden bei Lebensweg, Kompetenzen, Qualifikation, Eigenschaften und Charakter. Natürlich braucht es nach wie vor den qualitativen Rahmen um die Freiräume einer radikal kundenorientierten Führung (siehe Kapitel 5). Doch füllen können ihn nur Menschen, die den Kunden in ihrer ganzen Vielfalt auf Augenhöhe begegnen können. Weil sie genauso frei im Denken und Handeln sind wie die Kunden. Denn die haben immer die Wahl.
Also suchen wir nicht nach Mitarbeitern, die alten Standards ähneln – oder ihrem Chef. Das ist eine schlechte Angewohnheit des Monkey Business, wo Erfolg noch aus Anpassung entsteht. Machen wir Schluss mit dem Mythos vom „idealen Mitarbeiter“. Den „idealien Dienstleister“ gibt es genauso wenig wie den „idealen Kunden“.

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Mitarbeiter standardisieren – tragische Folgen

Nun denken Sie vielleicht: Individualisierung schön und gut, Personalisierung okay, Flexibilität von mir aus auch. Aber das kann man doch alles nicht standardisieren! Wie soll ich denn dafür sorgen, dass meine Mitarbeiter, vor allem die mit Kundenkontakt, das verinnerlichen? Und wie bringe ich das alles auch meinen SEMOs bei?
Meine Antwort in Kurzform: Standardisieren allein nützt nichts – setzt aber den richtigen Rahmen. Oft standardisieren wir einfach an der falschen Stelle und auf die falsche Art und Weise.
In COMO-geführten Unternehmen werden die Mitarbeiter regelrecht zu SEMOs geformt – durch Standardisierungsmaßnahmen auf der operativen Ebene, die genau das Gegenteil von Kundenbegeisterung bewirken. Die Folgen sind tragisch – zum Beispiel für den leidgeplagten Handel, der durch die digitale Konkurrenz besonders in Bedrängnis ist. Wie eine Untersuchung ergeben hat, nutzen 77 Prozent aller Konsumenten während des Einkaufens mobile Endgeräte, um Produktinformationen zu recherchieren. Nicht etwa beim Online-Shopping, sondern im physischen Fachgeschäft! Nur 35 Prozent dagegen richten ihre Fragen zum Produkt an das Personal im Laden Und hier geht es wohlgemerkt um fachliche Produktinformationen, nicht um den Preisvergleich mit Online-Händlern.
Wie kommt es dazu, dass die Kunden so wenig Vertrauen zu einem Unternehmen fassen? Was machen wir falsch, dass sie lieber ihre Smartphones konsultieren und Produktinformationen im Internet oder gar anonymen Bewertungen von Unbekannten eher vertrauen als dem Experten direkt vor ihrer Nase?

Ein zentraler Grund sind natürlich schlechte Erfahrungen. Sie kommen durch Standardisierungsmaßnahmen zustande, die einer persönlichen Beziehung zum Kunden im Weg stehen und das Vertrauen untergraben.

Ein Beispiel, das bei mir immer wieder Kopfschütteln auslöst, sind die Namensschilder von Auszubildenden, auf denen steht: „Ich lerne noch.“ Denn was liest der Kunde eigentlich, wenn er das sieht? Er liest etwas ganz anderes, nämlich: „Ich bin doof. Ich bin sogar so doof, dass nicht mal mein Chef mir vertraut und dich, lieber Kunde, sicherheitshalber vor mir warnt.“ Kein Stück besser ist die virtuelle Fortsetzung dieser Unsitte: Email-Signaturen, die eine Mitarbeiterin zum Beispiel als „Schülerin im zweiten Lehrjahr“ kennzeichnen. Leider ist es selbst bei Premium-Marken nicht unüblich, den ersten Eindruck des Kunden auf diese Weise zu schmälern.

 

Zeitarbeiter bei Ikea soll man nichts Schwieriges fragen

Den Vogel hat bei diesem erstaunlich hartnäckigen Trend jedoch ausgerechnet IKEA abgeschossen, das sonst eher mit genialen Kampagnen und Service-Ideen auf sich aufmerksam macht. Nämlich mit einem T-Shirt, auf dem steht: „Temporary IKEA Co-worker. Please don’t ask me hard questions.“
Was wollen IKEA und all die anderen Unternehmen damit erreichen? Wollen sie den Mitarbeitern das Leben leichter machen? Oder doch eher Kundenbeschwerden vorbeugen? Wollen sie Service-Mängel abfangen, die durch schlechtes Training oder unterbezahlte Leiharbeit entstehen, indem sie die Kunden um Nachsicht für schlechte Führung bitten? Wer so denkt, schätzt nicht nur seine Mitarbeiter gering, sondern auch seine Kunden.Da könnte IKEA den Mitarbeitern auch gleich ein T-Shirt anziehen, auf dem steht: „Ich bin ein SEMO – bitte nicht ansprechen!“

 

 

Den Kunden auf den Arm genommen

Stellen wir uns einmal vor, ein deutscher Premium-Autobauer würde das machen. Sie holen Ihren nagelneuen, teuren Wagen ab, und auf der Motorhaube prangt ein großes Schild: „Gebaut von Azubis.“ Würden Sie mit einem guten Gefühl vom Hof des Händlers fahren? Eher nicht. In der produzierenden Industrie käme kein Mensch auf die Idee, das Produkt auf diese Weise abzuwerten. Warum? Weil es den Kunden nicht interessiert, wie das Ergebnis zustande gekommen ist. Er will ein perfektes Produkt. Er will die Marke lieben. Und ganz bestimmt nichts hören, das sein Kundenerlebnis schmälert. Wenn er ein großartiges Auto bekommt, ist es ihm völlig egal, wer am Fließband stand – warum sollten wir es ihm also unter die Nase reiben?
Ein weiteres Beispiel: Nehmen wir an, ein Arzt in Ausbildung operiert Ihren Blinddarm – oder blind Ihren Darm, je nach Sichtweise – und Sie wachen auf, haben Schmerzen, etwas ist schiefgegangen. Doch der Oberarzt beschwichtigt Sie lächelnd: „Ihr Operateur lernt noch, das kann schon mal passieren – nehmen Sie es uns nicht übel!“ Finden Sie Ihre Schmerzen jetzt weniger schlimm? Natürlich nicht. Die Beschwichtigung nützt Ihnen als Patient, als Kunde, rein gar nichts, denn sie ändert nichts am Ergebnis.
Warum sollte das im Service anders sein?
Die Arbeit mit Menschen für Menschen hat viel mit Erfahrung zu tun. Niemand wird das bestreiten. Die meisten Kompetenzen, die exzellenten Service ausmachen, lassen sich erlernen und fortlaufend schulen. Je mehr sie trainiert und je länger sie praktiziert werden, desto besser wird der Service – solange dabei gleichzeitig auch die Neugier und die Bereitschaft zur Veränderung erhalten bleibt, sich also keine stumpfe Routine einstellt. Keine Frage: Übung macht den Meister, auch im Service. Doch im Service gilt genauso wie für jedes Produkt:

 

Es gibt keine Schonfrist für das Ergebnis

Jedenfalls nicht aus Sicht des Kunden und vor allem nicht für den ersten Kontakt. Wenn der nicht begeistert, wird es keinen zweiten geben. Ein Kunde ändert seine Erwartungshaltung an das Unternehmen nicht, nur weil er einen unerfahrenen Mitarbeiter vor sich hat. Ihn interessiert nur das Ergebnis: Er will exzellenten Service.

Oder haben Sie einen Kunden schon mal einen der folgenden Sätze sagen hören?
„Sie lernen noch? Dann sehe ich natürlich darüber hinweg, dass Sie mir als Allergiker gerade ein Gericht mit Nüssen serviert haben.“
„Sie sind noch in Ausbildung? Dann schneiden Sie mir die Haare ruhig krumm und schief, die wachsen ja nach.“
„Ach so, Sie machen das noch nicht lange? Dann lassen Sie sich mal ruhig Zeit, ich habe ja sonst nichts vor.“

 

Es ist Blödsinn zu glauben, dass Kunden zufriedener wären, wenn sie auf mangelnde Erfahrung oder Kompetenz aufmerksam gemacht werden. Nicht beim Autokauf, schon gar nicht nach der Blinddarm-OP und ganz besonders nicht bei einer so persönlichen Interaktion wie Service. Wer auch immer zuerst auf die Idee mit den brandmarkenden Namensschildern vom Schlag „Ich bin doof!“ gekommen ist, hat vergessen, die Perspektive des Kunden einzunehmen.

 

Namensschilder mit „Ich lerne noch“ sind wie ein Maulkorb für Mitarbeiter

Noch schlimmer ist die Wirkung eines solchen Namensschildes auf den Mitarbeiter. Machen Anfänger eher Fehler als erfahrene Mitarbeiter? Klar. Doch für den Kunden spielt es keine Rolle, wer einen Fehler macht. Es spielt dagegen sehr wohl eine Rolle, wer sich um ihn kümmert.
Die wichtigste Ebene beim Service ist die Beziehungsebene. Sie ist die Grundlage für persönlichen Service. Und wenn sie von vornherein torpediert wird, kann der Service noch so gut sein: Der Kunde wird trotzdem glauben, dass er einen Service zweiter Klasse erlebt hat. Entsprechend wird er dem Mitarbeiter auch begegnen.
Der wird also aus beiden Richtung abgewertet: von seiner Führung und vom Kunden. Ein Mitarbeiter, zumal ein junger Mensch, der so herabgewürdigt wird, wird sich auch nichts trauen. Im Kontakt mit dem Kunden ist er ja von vornherein in einer schlechten Position.
Die Konsequenz: Der Kunde wird ebenso auf den Azubi herabblicken wie die Führung und ebenso Fehler erwarten. Und selbst wenn der Mitarbeiter eine tolle Idee hat, um den Kunden zu überraschen – er wird sie lieber für sich behalten, um nur ja seine Kompetenzen nicht zu überschreiten. Das Namensschild wirkt wie ein Maulkorb. Kunde unzufrieden, Mitarbeiter gedemütigt, Chance zur Kundenbegeisterung vertan – niemand profitiert von Beschwichtigungsmaßnahmen im Service. Bis auf einen: SEMO. Der findet so ein Namensschild klasse – weil es ihm die Verantwortung von den Schultern nimmt. Der Kunde hält mich sowieso für blöd, also muss ich auch nicht abliefern. Hurra!

 

Vertrauen ist der beste Standard

Die Namensschilder, Email-Signaturen und T-Shirts sind Paradebeispiele falsch verstandener Standardisierung. Sie verkaufen nämlich nicht nur den Mitarbeiter als blöd, sondern auch die Kunden für blöd. Denn die durchschauen natürlich, dass es sich dabei in Wahrheit um eine Beschwichtigungsmaßnahme handelt. Und das wirft ein ganz, ganz schlechtes Licht aufs Unternehmen – viel mehr als ein Azubi, der vielleicht tatsächlich mal nicht alles hundertprozentig richtig macht. Wenn Sie den richtigen Auszubildenden eingestellt haben, macht er einen Fehler nämlich mit seinen persönlichen Stärken wieder wett. Das meine ich, wenn ich sage: Mitarbeiter müssen die Freiheit haben, mit ihren Stärken zu glänzen. Ein Fehler kann jedem mal passieren, aber den kann ein Mitarbeiter mit Charme und Humor oder besonderen Talenten wieder ausbügeln und dabei sogar noch Sympathiepunkte sammeln. Wirklich gefährlich wird es beim Fehlverhalten. Und dagegen, etwa gegen unhöfliche Kommunikation oder Faulheit, hilft auch kein Namensschild.

 

Fehler beim Was verzeiht der Kunde – Fehlverhalten beim Wie aber nie.

Ein Mitarbeiter dagegen, der sich des Vertrauens seiner Vorgesetzten gewiss ist, strahlt Zuversicht in seine Fähigkeiten aus. Das Vertrauen stärkt seine Haltung. Wird der Kunde von einem haltungsstarken Mitarbeiter bedient, wirkt sich das direkt positiv aufs Image des Unternehmens aus. Denn in diesem Moment und bei jedem Kundenkontakt, ist der Mitarbeiter die Marke. Auch, wenn er erst seit gestern dabei ist.

 

Service braucht die Augenhöhe

Und das gilt zwischen Mitarbeiter und Kunde genauso wie zwischen Mitarbeiter und Führung.

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Beziehungsarbeit leisten

Standardisierung geht, wo sie sein muss, immer auch positiv – und sie kann den persönlichen Service sogar unterstützen. Denn Standardisierung und Personalisierung schließen sich keineswegs aus.
Selbst ein Namensschild – eigentlich eine Etikettierungsmaßnahme – muss keineswegs unpersönlich sein. Immerhin ist der Ursprungsgedanke dieser Maßnahme ja, dass der Kunde auf den ersten Blick sieht, mit wem er es zu tun hat. In den Kameha Grand Hotels wurde diese Stellschraube einen Dreh weitergedacht. Dort tragen alle Mitarbeiter eine ganz andere Art von Namensschildern: Küchenfee, Gold Digger, Lieblingsmann, Grand Gentleman, Pastalover, Grand Lady, …

Wie Sie sehen, steht auf diesen Schildern nichts, das auf den Platz dieses Angestellten in der Hierarchie schließen lassen würde. Das wäre für die Tätigkeit der meisten Mitarbeiter mit ständigem Kundenkontakt nämlich eher störend als hilfreich – führt es doch bei Kunden mit Redebedarf schnell zu Ansagen wie: „Ich möchte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen.“

 

Statt Rang lieber das Interesse aufs Namensschild

Dafür steht auf unseren Namensschildern etwas ganz anderes, das den Beziehungsaufbau nicht stört, sondern ihn ganz gezielt unterstützt. Statt „Azubi“, „Customer Relations Manager“ usw. steht auf den Schildern, welche besonderen Interessen oder Talente dieser Mitarbeiter hat. Das überrascht die Kunden, und schon kommt ein Gespräch in Gang. Eine Beziehung wird aufgebaut.
Der psychologische Mechanismus dahinter ist ganz simpel: Solange ich über einen Menschen nichts weiß als seine Position in der Hierarchie oder was ich standardmäßig von ihm erwarten kann (etwa, dass er mir ein Glas Wasser bringt), fließen auch keine anderen Aspekte in die Interaktion ein. Im Zweifel habe ich als Kunde also eine anonyme Uniform vor mir, deren einzige mir bekannte Kompetenz die Ausführung einer bestimmten Aufgabe ist: Aha, ein Kellner – der bringt mir Wasser! So gesehen sind Verkäufer oder Kellner aus Kundensicht oft nicht viel mehr als Roboter: Sie erfüllen eine bestimmte Funktion, von der ich als Kunde noch dazu eine bestimmte Vorstellung habe. Läuft es aus irgendwelchen Gründen mal anders, bin ich als Kunde schnell irritiert und im schlechteren Fall auch schnell unzufrieden.

 

So wird das natürlich nichts mit der persönlichen Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen. Solange wir nichts tun, was uns von Robotern unterscheidet, können wir auch durch welche ersetzt werden.
Ganz anders, wenn ich als Kunde spüre, dass ich einen „echten Menschen“ vor mir habe, der nicht auf das spritzerfreie Eingießen von Wasser reduziert ist. Sondern eine ganze Persönlichkeit, die als Botschafter des Unternehmens für die Marke steht. Die Persönlichkeit des Mitarbeiters macht die Marke nahbar, interessant und emotional. Eine Beziehung entsteht, auch wenn es nur für ein paar Minuten ist. Doch die gefühlte Beziehung zum Unternehmen wirkt nach und hält über die Transaktion hinaus an – wenn der Mitarbeiter mit seiner Persönlichkeit zum Unternehmen passt und einen positiven Eindruck hinterlässt.

 

Jeder Mitarbeiter repräsentiert die Marke

Im operativen Klein-Klein des Service-Alltags gerät das oft in Vergessenheit: Jeder Mitarbeiter ist ein „Markenbotschafter“. Dieser Begriff stammt aus der Markenkommunikation; gebräuchlicher, aber auch missverständlicher ist das geflügelte Wort vom „Mitunternehmer“. Im Kontext von Service finde ich einen dritten Begriff oft treffender: „Beziehungsverantwortlicher“ oder auch „Verantwortlicher Kundenbegeisterer“. Denn genau darum geht es doch: die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunde. Herzlichen Service können wir nur bieten, wenn wir eine Beziehung zum Kunden aufbauen. Und wirklich persönlich kann diese Beziehung erst werden, wenn wir dem Mitarbeiter auch erlauben und ihn sogar ermutigen, seine Persönlichkeit einzubringen. Dafür kann ein Namensschild natürlich nur ein Anstoß sein; die Kommunikationsarbeit liegt immer noch beim Mitarbeiter. Doch dieser Anstoß öffnet den Service für die persönliche Dimension, die entscheidend für die Kundenbindung ist. Jeder Standard kann so gestaltet werden, dass er die persönliche Dimension einer Serviceleistung unterstützt. Ein Standard an sich ist erst einmal unpersönlich, Standard geht jedoch immer auch persönlich.

 

Der Mitarbeiter als Mensch – und nicht nur als Uniformträger

Warum honoriert der Kunde Persönlichkeit im Service? Aus zwei Gründen. Indem ich ihm in Person des Mitarbeiters statt einer anonymen Uniform einen ganzen Menschen mit Stärken und Talenten gegenüberstelle,

• zeigt sich die Marke als Persönlichkeit, und der Kunde kann sich besser mit dem Unternehmen identifizieren,
• und der Kunde spürt, dass auch er sich als Persönlichkeit zeigen darf und als solche geschätzt wird, nicht nur als „zahlender Kunde“.

 

Das alles funktioniert natürlich nur, wenn Ihre Mitarbeiter

• mit ihrer Persönlichkeit zum Unternehmen passen
• und in den Standards so weit geschult sind, dass sie ihre Persönlichkeit entspannt und überzeugend einfließen lassen können.

Ein Vertriebsmitarbeiter, der die eigenen Produkte nicht in- und auswendig kennt, oder ein Kellner, der keinen passenden Wein empfehlen kann, wird auch von seiner einnehmenden Persönlichkeit nicht gerettet. (Er wird allerdings manchen kleinen Fehler oder Fauxpas wiedergutmachen können, wenn er seine Persönlichkeit einzusetzen weiß.) Das meine ich, wenn ich sage: Standards und Persönlichkeit schließen einander nicht aus. Idealerweise gehen sie immer miteinander einher.

 

SEMOs haben oft kaum Probleme bei den Standards – denn sie lieben sie ja. Dafür bereiten ihnen die persönlichen Aspekte von Service umso größere Schwierigkeiten. Entweder haben sie die falsche Haltung und können deshalb das Unternehmen nicht mit ihrer Persönlichkeit unterstützen. Oder aber sie sind gehemmt und wissen einfach nicht, wie – weil ihre Führung es ihnen nicht beigebracht hat. Mängel beim Standard sind immer leichter zu korrigieren. Die schwierigere, aber umso wichtigere Aufgabe der Führung ist Unterstützung bei der persönlichen Dimension von Service.
Exzellente Standards und exzellente Persönlichkeiten vereinen

Es gibt Unternehmen, die das Thema Standardisierung sehr überzeugend, weil sehr persönlich umsetzen – also ganz ohne SEMO-Faktor. Das ultimative Beispiel hierfür ist Singapore Airlines, die beste Airline der Welt. Das ist die Airline, deren Flugbegleiter selbst aus nächster Nähe aussehen, als wären sie in einer Kunstmanufaktur hergestellt worden: wie besonders luxuriöse Cyborgs mit programmiertem Lächeln. Nicht weil sie so mechanisch wirken, sondern weil sie in ihrer Professionalität einfach durch nichts zu erschüttern sind.

 

Singapore-Airlines-Mitarbeiter als leuchtende Beispiele

Ein offensichtlich schmerzfreier Passagier drückt der Flugbegleiterin beim Verteilen des Essens eine volle Windel in die Hand? Kein Thema – der Flugbegleiterin wächst sofort ein dritter Arm, und die Windel wird in einer fließenden Bewegung desinfiziert und hermetisch versiegelt entsorgt, bevor die übrigen Passagiere auch nur einen Hauch des Gestanks wahrnehmen. Ein Fluggast will unbedingt noch einen Whisky, obwohl er ganz offensichtlich schon drei oder dreizehn hatte? Macht nichts – nach der Ansage der Singapore-Flugbegleiterin wird er noch besser drauf sein und in süße Träume versinken, obwohl er eigentlich gerade eine Standpauke bekommen hat. Die Maschine muss notwassern und Sie müssen vor dem Sprung auf die Notrutsche Ihre sündhaft teuren High Heels ausziehen? Don’t worry – die freundliche Dame von Singapore Airlines wird Ihre Schuhe trocken an Land bringen, während sie mit der anderen Hand zwei Großmütter und zwölf Babys vor dem Ertrinken rettet.

 

Kein Wunder, dass wir diese Damen und Herren für Roboter halten. Doch ich kann Ihnen versichern: Die sind vielleicht aus einem anderen Holz geschnitzt als normale Menschen, aber sie sind ganz und gar aus Fleisch und Blut. Wer sie einmal persönlich erlebt hat, weiß: Diese Mitarbeiter sind ganz und gar keine Service-Roboter, sondern echte Service-Persönlichkeiten. Extrem professionell wirken sie deshalb, weil bei ihnen die Mischung stimmt: Sie haben die Kombination aus Herzlichkeit und Qualitätsprozessen einfach richtig gut drauf.

 

Lob des Standards

Für eine Fernsehreportage war ich einmal zu Gast bei Singapore Airlines und durfte dort einen Tag lang hinter die Kulissen blicken. Einer der Manager führte mich durch das Weltklasse-Ausbildungszentrum der Airline. Auch bei der Ausbildung der Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen, der berühmten Singapore Girls, durfte ich zuschauen – in der berüchtigten, härtesten Flugbegleiterschule der Welt.

 

Drei Millimeter lange Fingernägel

Eine Szene ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Zu Beginn des Ausbildungstages müssen sich die Flugbegleiterinnen in Ausbildung in einer Reihe aufstellen und ihr bestes Lächeln präsentieren. Und dann kommt Juat, die Ausbildungsleiterin. Sie überprüft nicht nur den Gesichtsausdruck („Freundlich und süß, bitte! Süßer! Noch süßer!“), sondern auch die Fingernägel. Denn deren Länge ist streng standardisiert: auf drei Millimeter. Mit einem Quäntchen Mitleid beobachte ich, wie Juat eine der jungen Frauen mit gefühlten minus drei Grad in der Stimme fragt: „Was genau ist missverständlich an drei Millimetern?“ Nicht weniger streng sind die Regeln für den akkuraten Dutt, aus dem kein einziges Haar unordentlich hervorstehen darf. Der misst im Durchmesser 6,57 Zentimeter. Nicht 6, nicht 6,5, nein: 6,57 Zentimeter. Und das überprüft die Beauty-Trainerin mit dem Lineal.
Natürlich sind das nur Randaspekte der Service-Ausbildung, doch sie zeigen: Auch und gerade die weltbeste Airline mit dem persönlichsten Service kennt bei den Standards kein Erbarmen. Obwohl es bei Gästen, die für einen einzigen Flug in der First Class Preise bis zum Gegenwert eines Gebrauchtwagens bezahlen, darauf viel weniger ankommt als auf die persönliche Kommunikation und Betreuung.

Das kann man natürlich pingelig finden. Man kann sogar sagen: Das ist doch das Gegenteil von individuell, menschlich und herzlich. Doch diese formalen Standards gibt es nicht, weil ein halber Millimeter Abweichung bei den Fingernägeln den Gast stören würde. Die Ausbilder achten auf die Standards, weil sie eine Frage der Haltung sind.

 

Die Standards schulen die Haltung

Pingelig genau auf die Standards zu pochen schärft bei den Mitarbeitern den Blick fürs Detail. Sie spüren schon in der Ausbildung, dass jede vermeintliche Kleinigkeit zählt. Durch die regelmäßigen Überprüfungen lernen sie, nie nachzulassen. Sie vertiefen die standardmäßigen Routinen so lange, bis sie ihnen in Fleisch und Blut übergegangen sind. Und das ist immer die Grundlage für exzellenten Service. Seine Persönlichkeit nutzen, am Gast flexibel sein und das Besondere leicht und entspannt aussehen lassen – das gelingt erst, wenn die Standards perfekt funktionieren. Zum Alleinstellungsmerkmal wird Service zwar erst jenseits der Standards. Doch genau deshalb ist es so wichtig, Letztere zu schulen. Wie gesagt: Exzellenter Service ist immer auch harte Arbeit. Ganz besonders dann, wenn er ganz leicht aussieht.

 

Den Schweiß des Meisters sieht man nicht

Und woher kommt bei den Singapore Girls die Persönlichkeit? Was macht die besondere Haltung aus, die ihren Service so außergewöhnlich macht? Die Antwort liegt in der Unternehmenskultur von Singapore Airlines als „National Carrier“, also nationale Airline, begründet: Ein Singapore Girl zu sein, ist keineswegs ein Job von der Stange, auch wenn die Outfits standardisiert sind. Jede einzelne der Damen wird von ihren Landsleuten als etwas Besonderes angesehen. Weil es wahnsinnig schwer ist, diesen Job überhaupt zu bekommen – und weil er als extrem repräsentativ betrachtet wird. Denn die Singapore Girls sind der Stolz ihres Landes – so ähnlich wie eine Nationalmannschaft. Sie sind der Inbegriff der singapurischen, höflich-eleganten Art.

 

Die Verantwortung dieser Mitarbeiter geht sogar noch deutlich über die für ihr Unternehmen hinaus. Wenn sie ihre Ausbildung abschließen, bekommen sie eine persönliche Message vom Premierminister, die besagt: „Du bist unsere Botschafterin. Du repräsentierst jetzt dein Land. You are Singapore!“ Das geht nicht ohne Persönlichkeit. Und es geht eben auch nicht ohne Standards.

 

Als ich vor einiger Zeit China besuchte, entdeckte ich dort sozusagen das männliche Pendant der Singapore Girls. Diese jungen Herren sind chinesische Soldaten aus einer besonderen Gardeeinheit, die öffentliche Gebäude von nationaler Bedeutung bewacht. Deshalb legen die Vorgesetzten bei ihnen – ähnlich wie bei den Flugbegleiterinnen des asiatischen Nachbarstaats – besonders großen Wert auf ein repräsentatives Äußeres. Deshalb geht es in dieser Einheit in puncto Outfit noch strenger zu als beim Militär ohnehin üblich.

 

Ich gebe zu, ich fand es durchaus amüsant dabei zuzusehen, wie die Kameraden einander die Uniform zurechtzupften – weil der Faltenwurf unterm Gürtel offenbar nicht optimal war. Doch ich war auch fasziniert. Denn der Blick fürs Detail ist eben keine lächerliche Nebensächlichkeit. Er ist Ausdruck einer Haltung, die den Wesenskern von Service beschreibt: Nur das Beste ist gut genug – immer und überall.

 

Wir wollen heute besser sein als gestern und morgen besser als heute

Am Ende meines Tages bei Singapore Airlines fragt mich der Service-Manager, der mich herumgeführt hat: „Carsten, wie findest du das alles hier? Können wir aus deiner Sicht irgendetwas verbessern?“ Allein die Frage ist bereits ein Zeichen echter Exzellenz: Egal wie gut wir sind – wir sind immer offen für Verbesserungen. Ich antworte ihm: „Einen eurer Standards finde ich tatsächlich ein wenig befremdlich. Eure Mädels gehen immer auf die Knie, wenn sie dem Gast ein Getränk servieren. Auf mich als Europäer wirkt das schon sehr devot.“ Seine Antwort beschert mir einen echten Aha-Moment: „Mit devot hat das gar nichts zu tun, Carsten. Auf diese Weise gehen die Singapore Girls auf Augenhöhe mit dem Gast!“

 

Persönlicher Service ist eben auch eine Frage der Betrachtungsweise – und immer eine Frage der Haltung. Persönlichkeit und Standards sind keine Gegensätze.

 

Wenn der richtige Standard auf die richtige Haltung trifft, entsteht etwas einzigartiges

Bei einem Flug mit Singapore Airlines einige Zeit später kann ich mich davon überzeugen, dass sogar das Konfliktmanagement an Bord dort einzigartig gehandhabt wird. Ich bin müde und möchte vor allem ein wenig Ruhe finden. Daher bin ich dankbar, als das Kabinenlicht gedimmt wird. Das Pärchen in der Reihe vor mir augenscheinlich auch – allerdings aus ganz anderen Gründen. Denn die beiden haben sich lieb. In diesem Moment haben sie sich sogar ganz besonders lieb. So richtig lieb. Sie wissen, was ich meine.

Und wie reagieren die Singapore Girls auf das unziemliche Verhalten der beiden Passagiere? Fragen wir uns doch vorab einmal: Was würde ein SEMO tun? Wie würde ein schlecht gelaunter deutscher Flugbegleiter wohl reagieren? Ich sehe es regelrecht vor mir: Vermutlich würde er sich für alle Passagiere sichtbar vor diesen beiden Gästen aufbauen und bellen: „Stellen Sie auf der Stelle den Geschlechtsverkehr ein!“ Nicht die Singapore Girls. Sie beobachten das bunte Treiben diskret aus der Entfernung. Dabei kichern sie untereinander wie schüchterne Schulmädchen – the Asian way – und entfernen sich dann unbemerkt. Doch kurz darauf wird es interessant. Plötzlich geht das Kabinenlicht an und der Kapitän meldet sich über den Bordfunk zu Wort: „Meine Damen und Herren, bitte schnallen Sie sich wieder an. Stellen Sie Ihren Sitz aufrecht und falten Sie Ihren Tisch zusammen. Und die Decken bitte auch. Wir erwarten heftige Turbulenzen!“ Ich blicke aus dem Fenster: Der Ozean liegt seelenruhig unter uns. Keine Turbulenzen, nirgends.

 

Es geht eben nicht in erster Linie um das Was – es geht immer vor allem um das Wie.

Beim Wie ist jede Menge Raum für Persönlichkeit.
Die Kunden überraschen: Mit Standards begeistern

Mitarbeiter, die Kunden mit ihrer Persönlichkeit begeistern, sind der wichtigste Hebel für Service-Excellence. Manche Unternehmen schaffen es zusätzlich, sogar den Standards selbst Persönlichkeit einzuhauchen. Das ist die ganz hohe Schule einer begeisternden Markenidentität. Viele Standards sind für den Kunden einfach nur nervig, denn sie gehen mit Prozessen einher. Die Sicherheitsvorkehrungen im Flugzeug sind dafür ein Paradebeispiel. Kein Mensch hört da richtig zu, oder? Die „Safety Procedures“ sind ein Störfaktor in der Service-Erfahrung, der keinen interessiert. Doch gleichzeitig sind sie unverzichtbar, denn Sicherheit ist an Bord jedes Flugzeugs das Wichtigste. Für die Airlines ist das ein handfestes Problem: Wir Passagiere sind von dem Standard genervt und hören deshalb nicht zu. Doch wenn dann wirklich mal etwas passiert, wissen wir nicht, was wir tun müssen – egal, wie oft wir geflogen sind. Und dann bricht das Chaos aus. Viele Videos von kritischen Flugsituationen, die in der Kabine aufgenommen wurden, zeigen das: Bei einem Zwischenfall schauen die Fluggäste sofort verzweifelt um sich, weil sie nicht wissen, was sie jetzt tun müssen. Dabei wurde es ihnen zigmal gezeigt. Statt unaufgeregt die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, werden bei den ersten ernstzunehmenden Turbulenzen noch die radikalsten Atheisten zu bekennenden Christen. Aber wie man die Sicherheitshaltung einnimmt, wissen sie trotzdem nicht.

 

Lehrfilmchen mit Entertainment

Bei Virgin Airlines – der Fluggesellschaft von Superunternehmer und Vorzeigemilliardär Richard Branson – haben sich die Verantwortlichen gefragt: Was kann man da tun? Wie kann man diese blöde Demonstration kundenfreundlich gestalten? Das Ergebnis ist ein Safety-Video, das niemand verpassen möchte. Es zeigt eine stilisierte Flugzeugkabine in einem stilisierten Hangar, in der Virgin-Flugbegleiter den lahmen Standards – vom Anlegen des Gurts über die Verwendung der Schwimmweste bis zum Rauchverbot – Leben einhauchen. Singend, rappend und tanzend zu einem mitreißenden Soundtrack sorgen sie dabei mit einer unglaublichen künstlerischen Performance für eine Stimmung, die so richtig Lust auf den bevorstehenden Flug macht – und dabei auch noch die nervigsten Angewohnheiten von Fluggästen ironisch aufs Korn nimmt. Entertainment statt Langeweile:

 

Auch Standards können aufregend sein

In der Sache mag eine Regel eine Regel sein – doch in der Form können wir fast jeden Standard unter dem Aspekt der Kundenbegeisterung neu denken. Das Beispiel zeigt einen besonders effektiven Ansatz, um Service persönlich zu gestalten: Überraschen wir unsere Kunden! In der Beziehung zu unseren Kunden ist es nämlich nicht anders als in der Beziehung zum eigenen Partner: Jeder wird gern mal überrascht. Überraschungen schaffen begeisternde Momente, die die Beziehung vertiefen und die Loyalität stärken.

 

Überraschungen gehen direkt ins Kundenherz

Denn sie fühlen sich immer persönlich an. Auch wenn im Beispiel von Virgin Airlines alle Gäste gleichermaßen überrascht werden: Jeder einzelne Kunde an Bord spürt, dass sich jemand Gedanken über ihn gemacht hat, anstatt einfach den Standard abzuspulen. Das ist ein magischer Moment – und diese Momente machen den großen Unterschied.
Hier liegt ein ungeheures Potenzial für Kundenbegeisterung: Anstatt nervige Standards lieblos abzuspulen, trauen Sie sich auch an heilige Kühe wie feststehende Vorschriften oder brancheninterne Regeln heran! Nehmen Sie Standards insbesondere in der Form nicht als gegeben hin – sondern schaffen Sie lieber Ihren eigenen! Je nerviger der Prozess, desto größer das Begeisterungspotenzial, wenn Sie ihm eine persönliche Dimension abgewinnen.

Vielleicht irritieren Sie damit ein paar Wettbewerber. Falls ja, herzlichen Glückwunsch: Dann haben Sie offensichtlich ins Schwarze getroffen. Der Maßstab für Service-Excellence ist schließlich nicht die Konformität mit dem Regelbuch. Eine gute Idee bemisst sich nicht daran, wie etwas früher oder „schon immer“ gemacht wurde. Auch nicht daran, was die Konkurrenz davon hält. Und schon gar nicht daran, was Sie dürfen und was nicht. Sondern immer allein an der Frage „Was hat mein Kunde davon?“.

 

Schaffen Sie Ihren eigenen Standard. Denn Erfolg kommt nicht von Folgen
Die hohe Kunst der Personalisierung

Persönlich wird Ihr Service, wenn Sie Ihre Stärken und Talente in die Beziehung zum Kunden einbringen. Doch das ist erst die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte liegt eigentlich auf der Hand: Erst wenn Sie auch die Persönlichkeit Ihres Kunden einbeziehen, wird Ihr Service wirklich persönlich. Das ist ein weiterer heißer Tipp für persönlichen Service:

 

Service-Excellence heißt Personalisierung

Personalisierung bedeutet: Der Service ist maßgeschneidert – genau zugeschnitten auf den Kunden und seine Bedürfnisse. Nicht auf die Zielgruppe. Sondern auf diesen. Einen. Kunden. Ganz persönlich.
Das kann natürlich nur funktionieren, wenn wir die Persönlichkeit des Kunden, seine Vorlieben und Abneigungen und besonderen Interessen genau kennen. Das heißt: sich voll auf den Kunden einlassen. Nur wenn wir neugierig sind und uns ernsthaft mit ihm beschäftigen, können wir ihm genau das geben, was er sich sehnlichst wünscht. Und nur dann können wir ihn auch überraschen – indem wir ihm mehr geben, als er erwartet.

 

Kundenbindung heute: Service auf einem neuen Level

Mit personalisiertem Service heben Sie die Kundenerfahrung auf ein neues Level: Sie schreiben ihn – den Kunden – ganz persönlich als Held in eine Geschichte hinein, die sich allein um ihn dreht. Diese Geschichte wird er weitererzählen – doch in seiner Version werden Sie der Held sein! So funktioniert Kundenbindung heute.
Für den Kunden da sein

 

Ein wichtiger Schritt zu persönlichem Service ist die Bestimmung eines dezidierten Verantwortlichen für jeden konkreten Kunden. Damit wird der Grundstein für eine persönliche Beziehung zum Kunden gelegt. Wie viele der Kontakte, die Sie mit Ihren Kunden haben, sind logistischer Natur und entbehren jeglichen persönlichen Bezug? Der Kunde wird maschinell „verarbeitet“ und spürt das auch.

 

Jede rein formale Interaktion mit Kunden ist ein verpasster magischer Moment

Ähnlich destruktiv ist der Effekt, wenn der Kunde bei jedem Kontakt mit einem anderen Mitarbeiter konfrontiert wird. Genau das aber ist eher die Regel als die Ausnahme: Die meisten Kunden bekommen es im Laufe einer Transaktion mit verschiedenen Mitarbeitern zu tun, die in verschiedenen Abteilungen sitzen, verschiedene Aufgaben haben – und meist auch unterschiedliche Herangehensweisen an die Kundenbeziehung.

 

Vertrauen braucht Kontinuität

Logistisch ist es in vielen Branchen vielleicht nachvollziehbar, wenn es daran mangelt: Die klassischen Unternehmensstrukturen mit Abteilungen und Hierarchien führen oft automatisch zu komplexen Prozessen. Leider ist diese Komplexität jedoch überhaupt nicht kundenfreundlich. Sie erinnern sich: Den Kunden interessiert nur das Ergebnis. Der Prozess stört ihn, sobald er sichtbar wird. Ganz besonders stört es ihn, wenn Lücken erkennbar werden – denn dann fühlt er sich durchgereicht und instrumentalisiert. Die Beziehung mag zu diesem Zeitpunkt nur eine E-Mail umfasst haben, doch gefühlt verliert der Kunde seinen Partner. Bei jedem Wechsel des Ansprechpartners wird er davon ausgehen, dass wieder alles von vorn losgeht – weil die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Und oft hat er damit ja leider auch recht, oder?

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Verantwortliche Kundenbegeisterer

Das Ziel ist deshalb immer, die Zahl der Bezugspersonen für den einzelnen Kunden so gering wie möglich zu halten. Das gilt in jeder Branche und bei jeder Art von Transaktion gleichermaßen. Im Idealfall gibt es immer nur einen einheitlichen Ansprechpartner, der den Kunden von Anfang bis Ende begleitet und auch darüber hinaus für die weitere Beziehungspflege verantwortlich ist.

 

Ein fester Ansprechpartner mit offenen Ohren macht aus einer Transaktion eine Beziehung.

Nun höre ich den SEMO in uns sagen: Das ist doch unrealistisch! So sind wir nicht aufgestellt! Das geben unsere Prozesse nicht her! Wer soll das leisten?
Es stimmt: Je nach Ihrem Geschäftsmodell kann diese Veränderung einen gewissen Mehraufwand bedeuten. Kann, nicht muss. Wenn Sie Ihre Prozesse so organisieren, dass der Ansprechpartner abteilungsübergreifend immer im Bilde über alles ist, was „seinen“ Kunden betrifft, erfordert das unter Umständen zwar mehr Ressourcen bei diesem Mitarbeiter. Andere Abteilungen werden dadurch jedoch oft sogar entlastet, weil sie weniger Kommunikationsaufwand betreiben müssen.
Oft lohnt sich deshalb gerade in Unternehmen mit komplexen Prozessen und Transaktionsformen die Einführung dezidierter Verantwortlicher für den Kundenkontakt. Sie fungieren intern als eine Art „Anwalt des Kunden“. Sie können nicht nur eine einheitliche Kommunikation mit dem Kunden gewährleisten, sondern auch sicherstellen, dass jeder Schritt im Prozess möglichst kundenfreundlich gestaltet wird. In vielen großen Unternehmen ist eine separate Abteilung zur Kundenbetreuung zwar seit Langem Standard. Meist haben diese Mitarbeiter jedoch eher eine Mittlerrolle: Entweder sollen sie die Kunden von den anderen Abteilungen fernhalten (zum Beispiel durch Beschwichtigung), oder sie reichen Kundenanfragen nur an die zuständigen Abteilungen weiter. Vertrauensbildung beim Kunden: gleich null.

 

Auch die klassischen Key Account Manager sind oft auf sehr eng begrenzte Befugnisse beschränkt und genießen keine großen Gestaltungsfreiheiten. Selbst wenn sie die Kommunikation sehr ernst nehmen und die Bedürfnisse der Kunden kennen und verstehen, können sie oft nur sehr bedingt darauf reagieren. Mitarbeiter in solchen Positionen zu „Verantwortlichen Kundenbegeisterern“ mit maximalen Entscheidungsfreiheiten zu machen ist besonders in großen, schwerfälligen Unternehmensstrukturen ein wichtiger Schritt zu besserem Service.
Warum lohnt es sich für Sie, dezidierte Kundenverantwortliche zu etablieren? Lassen Sie mich mit einer Gegenfrage antworten: Warum gehen Millionen von Menschen immer wieder in dasselbe Restaurant, bringen ihr kaputtes Auto jedes Mal in dieselbe Werkstatt oder machen jahrzehntelang im selben Hotel Urlaub? Ganz einfach:

 

Kunden sind loyal, wenn wir ihr Vertrauen haben: Persönliche Beziehung zum Mitarbeiter

Weil sie eine persönliche Beziehung zu den Mitarbeitern haben. Weil sie nichts erklären müssen und sicher sein können, dass ihre persönlichen Bedürfnisse bekannt sind und berücksichtigt werden. Weil sie dort als Persönlichkeiten gesehen und geschätzt werden. Mit anderen Worten: Weil sie den Menschen an diesem Ort vertrauen und sich blind auf sie verlassen. Und das ist Kundenbindung. Das ist das Ziel.
Service ist, wenn wir Familie sind.

 

Hohe Kunst ganz leicht: Wie Sie Ihren Service personalisieren

Wenn Sie nun sagen: Alles schön und gut, aber wir vermieten keine Hotelzimmer, sondern verkaufen Lötkolben an Garagenbastler, dann darf ich Ihnen entgegnen: Auch Hotels begeistern heute keine Kunden mehr, indem sie Zimmer vermieten. Wir sitzen alle im selben Boot, werden alle von neuen Konkurrenten bedroht und stehen alle vor denselben Herausforderungen: Kunden ganz neu zu begeistern, indem wir sie persönlich erreichen. Das Geschäftsmodell ist dabei oft beinahe schon Nebensache.
Die gute Nachricht: Gelegenheiten für personalisierte Service-Maßnahmen gibt es immer, in jeder Branche und bei jeder Art von Interaktion. Nicht zuletzt die sozialen Netzwerke, aber auch persönliche Kundenbegegnungen bieten dafür unendliche Möglichkeiten.

 

Ein Versicherungsunternehmen, das den Kontakt zu seinen Kunden sucht, kann Veränderungen in deren Lebenssituation ergründen und den persönlichen Schutz auf die individuellen Bedürfnisse anpassen. Natürlich nur, wenn es nahe genug an seinen Kunden ist, um davon zu erfahren. Eine Bank kann Kunden persönlich unterstützen (und auf kurz oder lang selbst davon profitieren), indem sie im richtigen Moment maßgeschneiderte Konditionen für notwendige Investitionen anbietet. Allerdings muss sie dafür wissen, was bei ihren Kunden gerade so ansteht. Ein Arzt kann seine Patienten bei der individuellen Vorsorge unterstützen oder therapeutische Maßnahmen einleiten, bevor eine Erkrankung bedrohlich wird. Selbstredend nur, wenn der Kontakt zu seinen Patienten eng genug ist.

 

Und selbst als Lötkolbenproduzent können Sie mit Ihren bastelfreudigen Kunden über ganz andere Dinge ins Gespräch kommen, zum Beispiel darüber, was sie mit ihren Lötkolben eigentlich so machen. Und wie Ihr Unternehmen sie dabei sonst noch unterstützen könnte, außer mit großartigen Lötkolben. Im Zweifel docken Sie damit nicht nur persönlich bei Ihren Kunden an, sondern erschließen sich auch noch neue Geschäftsfelder. Und auch die brauchen wir alle – genauso wie wir begeisterte Kunden brauchen.

 

Die Vorgehensweise beim „Personalized Customer Service“ ist grundsätzlich bei jedem Kundenkontakt die gleiche

Schritte des „Personalized Customer Service“

• Den Kunden im Rahmen der üblichen (meist logistischen) Kommunikation oder auch anlasslos mit sinnvoller Regelmäßigkeit auf der persönlichen Ebene ansprechen – angemessen neugierig und aufrichtig interessiert. Natürlich können Sie diese Informationen auch auf digitalem Wege sammeln, etwa über soziale Netzwerke.
• Die resultierende Kommunikation analysieren und auch zwischen den Zeilen nach Erkenntnissen über konkrete Bedürfnisse, aber auch Vorlieben und persönliche Interessen des Kunden suchen.
• Die Erkenntnisse in konkrete Service-Maßnahmen übersetzen und deren Umsetzung einleiten – je nach Maßnahme entweder in Absprache mit dem Kunden oder um ihn im weiteren Verlauf der Transaktion oder Beziehung zu überraschen.

 

Ganz gleich, ob Sie die Informationen aus der Kommunikation nutzen, um den Kunden besonders zuvorkommend zu behandeln oder um ihn bei passender Gelegenheit mit einer persönlichen Aufmerksamkeit zu überraschen: Der überschaubare Zusatzaufwand gegenüber einem „Service nach Vorschrift“ wird dem Kunden das Gefühl einer Vorzugsbehandlung vermitteln. Auch dann noch, wenn eine solche Behandlung bei Ihnen zum neuen Standard wird. Und genau solche Maßnahmen machen den Unterschied zum Service von der Stange, den er anderswo bekommt.
Besonders begeisternd auf Kunden wirken überraschende Service-Maßnahmen. Nutzen Sie Informationen, die der Kunde „ganz nebenbei“ mit Ihnen teilt, um ihm mehr zu geben, als er erwartet.

 

Der beste Service ist oft der, um den niemand gebeten hat

Und was haben Sie davon? Eine Menge: Mit personalisiertem Service steigern Sie nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern beugen mit der persönlichen Betreuung auch Beschwerden vor und erhöhen die Loyalität. Die vielzitierte Wechselwirkung, dass begeisterte Mitarbeiter für begeisterte Kunden sorgen, gilt nämlich auch umgekehrt: Eine Steigerung der Kundenzufriedenheit verschafft auch den Mitarbeitern einen ungeheuren Motivationsschub. Je persönlicher die Beziehung ist, desto direkter die Auswirkung auf beide Seiten. Personalisierter Service ist sozusagen die Geheimwaffe unter den Service-Strategien.

 

Personalisierter Service macht Kunden zu Fans

Und echte Fans sind nicht nur treu – sie verzeihen auch mal einen Fehler. Deshalb können Sie mit personalisiertem Service sogar „eingeschlafene“ Kunden wieder aktivieren und ein stagnierendes oder bröckelndes Image aufpolieren. Wenn Kunden spüren, dass Sie alles in Ihrer Macht stehende tun, verzeihen sie so manches. Wenn Sie dagegen in der glücklichen Lage sind, dass Ihre Kunden Sie bereits lieben, werden Sie die Beziehung mit jeder einzelnen persönlichen Interaktion weiter vertiefen – und die Kunden werden darüber reden. Mit Freunden, Familie und Kollegen, aber auch auf digitalen Plattformen. Überall dort, wo Kunden heute und in Zukunft die Geschichten erzählen, die sie mit Ihrem Unternehmen erleben. Also überall dort, wo das Image einer Marke gemacht wird. Ihr Image! Die Menschen sprechen über Ihr Unternehmen. Sie bestimmen, wie.

 

Die beste Imagepflege: jede Maßnahme eine Story
Liebe ist das beste Marketing

Ich will es gar nicht leugnen: Wir können vielleicht nicht jedem Kunden die Welt zu Füßen legen. Aber wir können es versuchen.
Wenn ich Ihnen empfehle, zum Partner Ihrer Kunden zu werden, dann meine ich das genauso ernst, wie es hier steht. Denn die Beziehung zu seinen Kunden ist das wertvollste Asset, das ein Unternehmen hat. Und was in einer Beziehung geschieht, ist immer persönlich. Zwar kann man es mit der Zuwendung auch übertreiben – ganz besonders auf digitalem Wege, zum Beispiel mit einer Flut von Werbe-Mails. Aber lieben sollten wir unsere Kunden schon! Das ist besser als jede flüchtige Marketingstrategie. Die durchschaut der Kunde nämlich.

 

„Ich habe nie Marketing gemacht. Ich habe immer nur meine Kunden geliebt.“ (Zino Davidoff)

Beim Marketing geht es (bisher) meist darum, die Zielgruppe zu verzaubern. Oft ist dieser Effekt flüchtig. Denn die Kunden erkennen einen Casanova, wenn sie ihn sehen. Sie wollen persönlich hofiert werden, bevor sie sich auf etwas Langfristiges einlassen. Sie wollen sehen, ob wir es ernst meinen mit der Beziehung. Dafür braucht es mehr als einen kurzen Marketing-Flirt. Service-Excellence ist, wenn der Kunde verzaubert ist, nicht die Zielgruppe. Mit anderen Worten: Wenn der Kunde wiederkommt und nicht die Ware. Marketing hat zweifellos seine Berechtigung und wird in Zukunft immer noch wichtige Aufgaben erfüllen. Genauso wie der Service wird es dabei jedoch in Zukunft stärker auf das große Ganze zielen: auf die Persönlichkeit der Marke und die Persönlichkeit des Kunden. Ich glaube, dass der Service das wichtigste Aushängeschild eines Unternehmens ist – und dem Marketing nicht zuletzt auch seine Storys liefert. Denn hier sind die entscheidenden Touchpoints: im direkten Kontakt mit dem Kunden. Hier werden die Geschichten geschrieben, die zu erzählen sich lohnt. Die Liebesgeschichten zwischen Unternehmen und Kunden.
Schon Shakespeare wusste es: Liebe ist das beste Marketing.

Persönlicher Service: Der Weg zum eigenen Standard

Service ist keine Statistik und keine Liste und kein Prozess. Persönlich ist immer besser als Standard. Sobald der Kunde den Verdacht hat, dass er in die standardmäßige Massenabfertigung geraten ist, ist der Eindruck verdorben, und die Beziehung nimmt Schaden. Deshalb ist es immer eine gute Idee, vom Minimalstandard nach oben abzuweichen und einen eigenen zu setzen.
Setzen wir unsere eigenen Standards

Für die besten Service-Ideen müssen wir unsere Unternehmen oft nicht einmal umstrukturieren. Oft ist es auch nicht nötig, einen Prozess zu erfinden, damit der Service persönlich wird. Vielmehr ist persönlicher Service vor allem eine Frage der Haltung. In vielen Fällen ist alles, was es braucht, ein kleines bisschen Empathie und Herzlichkeit. Beides ist immer persönlich und nie 08/15.
Natürlich machen wir alle uns viele Gedanken über unsere Zielgruppe. Egal, in welchem Business wir sind: Das Zielgruppendenken haben wir alle verinnerlicht, denn es stand in der Fachliteratur und in der Fortbildung lange Zeit im Vordergrund. Aber wenn wir dem Kunden begegnen, sprechen wir nicht mit einer Zielgruppe. Wir sprechen mit einem Menschen. Und inzwischen haben wir viele neue Möglichkeiten, uns dem Kunden, dem unbekannten Wesen, ganz persönlich zu nähern und Informationen über ihn zu beziehen. Die Digitalisierung hat in dieser Hinsicht ganz klar eine Verbesserung bewirkt, denn sie hilft uns auch analog umzudenken und die persönliche Beziehung zum Kunden auf neue Weise wertzuschätzen – und zu nutzen.

Das digitale Zeitalter ist das Zeitalter des Individualdenkens im Service.
Nachfolgend gebe ich Ihnen noch einmal die wichtigsten drei Anhaltspunkte mit. Sie können Ihnen als Sprungbrett für die Umsetzung dienen, die nur höchst individuell sein kann – persönlich eben.

Drei Impulse für persönlichen Service

• Bauen Sie Vertrauen auf! Lassen Sie sich auf eine Beziehung zu Ihren Kunden ein! Exzellenter Service trägt immer den Namen des Kunden. Und zwar im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinne.
• Setzen Sie eigene Standards! Der Standard dient immer dem Kunden – nie umgekehrt. Und der Kunde liebt Überraschungen. Denn sie zeigen ihm, dass Sie sich mit ihm beschäftigt haben.
• Personalisieren Sie das Kundenerlebnis – einfach, indem Sie Ihren Kunden zuhören! Indem Sie aus Ihrem Büro rauskommen und echte Gespräche führen! Oder per Email, oder per Facebook …

Service ist für den Kunden immer persönlich. Leider auch der schlechte. Wie wir unseren Kunden begegnen, macht den Unterschied zwischen Kundenbegeisterung und Kundenbeschwerde. Die goldene Regel der Kundenbindung lautet:

Die persönliche Bindung zu Ihren Kunden ist Ihr Loyalitätsfaktor – Ihr wichtigster USP.

 

Fragebogen „Nahaufnahme“ mit Carsten K. Rath: „Ich habe die Aufmerksamkeitsspanne einer Fruchtfliege“

 

 

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