Talentmanagement? Pustekuchen – Keiner erträgt mehr Individualität – Mainstreamleute sind gewollt. Den Unternehmen schadet´s

Statt nach Talenten der Menschen zu schauen und Individualität wertzuschätzen, will man sie  nur auf Linie zwingen – um vor Widerworten und Überraschungen sicher zu sein. Sehr schade.

 

Samstagsnachmittags in Düsseldorf, Stipp-Visite bei einer Charity-Veranstaltung beim Laden von Virgile Bourgueil, einem Maßschneider in Oberkassel, dem Sohn des berühmten Kochs. Nein, nicht zufällig, sondern weil der Maler Christophe Emmanuel Bouchet eingeladen hatte. Weil Bilder von ihm versteigert werden sollten und die Erlöse fürs Kinderhospiz bestimmt sind.

Bouchets Atelier ist im hippen Flingern in einem Hinterhof – und so ganz anders als das der schicke Mikrokosmos Oberkassel. Doch ausgerechnet wurde mir eine unerwartete Einsicht vermittelt – dazu unten mehr.

 

Emmanuel Bouchet beim Massschneider The Bespoker Store von Virgile Bourgueil

 

Weil Düsseldorf eben doch ein Dorf ist, lief ich meinem Ex-Kollegen Martin Roos in die Arme, der mich schnurstracks zum Gastgeber Virgile Bourgueil brachte – dem Gastgeber im schwarzen Samtjacket mit einem Tannenbaum am Revers aus Swarowski-Steinen, da bin ich mir recht sicher. Und der erzählte, wie wichtig ihm Individualität sei. Und dass er darauf auch in seinem Laden großen Wert legt und wies auf Details hin.

Und als er das erzählte, wurde mir gewahr, was ich wenige Minuten zuvor in der City gesehen – und was ein Störgefühl bei mir ausgelöst hatte: Das Schaufenster von Cartier sah genauso aus wie das, was ich kürzlich in Hamburg sah – schön, aber eine Dublette. Ich weiß, ich weiß, die Ketten erobern schon lange die Prachtstrassen der großen Städte und es sieht immer uniformer aus. Aber dass auch Luxuslabels so daher kommen, hatte ich nicht auf dem Radar bis dahin.

 

 

Umso netter bei Bourgueil, der hatte eine schwarz-weiß-Skizze eingerahmt, die das Haus mit seinem Geschäft zeigte mit einem bunten Fleck: dem Telekom-Verteilerkasten, ganz bunt angemalt von…..Bouchet.

 

Virgile Bourgueil (l.) und Emmanuel Christophe Bouchet (r.)

 

Das war gar nicht so einfach zu bewerkstelligen, aufwändige Behördenhindernisse – aber am Ende glückte es. Nicht jeder darf die hässlichen grauen Stromkästen nach eigenem Belieben bunt bemalen. Und aus dem unansehnlichen Stromkasten vor Bourgueils The Bespoker Store wurde ein Gemälde auf der Strasse. http://www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/stadtteile/oberkassel/bunte-bilder-fuer-graue-verteilerkaesten-aid-1.6239624

 

Büroarchitektur verdrängt Individualität

Welche Einsicht mir an dem Nachmittag vermittelt wurde? Dass Großraumbüros nicht nur gesundheitsschädlich sind und die Arbeit erschweren, sondern dass sie vor allem noch etwas anrichten: Sie zerstören Individualität. Der Mensch, der da einen Großteil seines Lebens verbringt, darf bitteschön sich selbst als Mensch nicht einbringen. Er wird grade so geduldet in der modernen vermeintlich schönen Büromöbelarchitektur. Eigene Pflanzen, eigene Bilder, eigene heimelige Umgebung – ach bitte nicht. Dass Menschen möglichst ungestört konzentriert arbeiten und gute Ergebnisse abliefern wollen, tritt immer mehr in den Hintergrund. Die Optik alleine zählt. Der Bürobewohner ordnet sich irgendwelchen Ideen bedeutungsloser Architekten unter, sein Lebensgefühl. Und was verloren geht, ist damit auch die Kreativität. Ordnen sich Maler in ihren Ateliers unter? Ordnet sich ein Schreiner unter? Was ist mit Freud´s Couch?

 

„Wir ertragen keine Individualität mehr“

Uwe Kohrs, der Chairman der DPRG – Gesellschaft der Kommunikationsagenturen in Deutschland -, erkärte es mir Montagabend bei einem Redaktionsbesuch so: „Wir sind immer weniger in der Lage, Individualität zu ertragen.“ Nur warum? Was ist daran so schlimm, dass man sie dringend eliminieren muss? Warum ist Uniformität wie beim Militär so viel besser? Kohrs liefert die Antwort: „individualistische Talente geben Widerworte, sie neigen dazu, schwierig zu sein. Und sie kommen mit Lösungen, die uns häufig überfordern.“ Weil wir das Planbare wollen. Mainstream ohne Überraschungen.

Uwe Kohrs, Chairman der GPRA und Chef der Agentur Impact

 

Man beschäftigt sich mit den Schwächen der Leute, um sie auf Linie zu zwingen und Talent wegzunivellieren – obwohl man mutige Individualisten braucht

Kohrs liefert ein Beispiel, einen Klassiker, wie er sagt: Wenn ein Kind mit einer fünf in Mathe nach Hause kommt, fallen Eltern meist nur eine Reaktion ein: Nachhilfe. Dann kommt das Kind auf eine vier – mühsam. Dabei: Sie scheren sich gar nicht darum, welches wirkliche Talent das Kind ansonsten hat . Und so läuft es auch im Unternehmensalltag: „Wir beschäftigen uns bevorzugt mit den Schwächen unserer Leute, um sie auf unseren Kurs zu zwingen, auf Linie. Und  produzieren so lauter Mainstreamleute – und ihr Talent wird wegnivelliert.“ Zum Schaden der Unternehmen ,denn „gerade in Zeiten umfassender Umwälzungen braucht es mutige Individualisten, die keine Angst davor haben auszuscheren und neue Wege zu gehen.“

 

 

Mehr zu Bouchets und Bourgueils Aktion:

 

 

http://www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/stadtteile/oberkassel/bunte-bilder-fuer-graue-verteilerkaesten-aid-1.6239624

 

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