Buchauszug Rainer Zitelmann: „Wenn Du nicht mehr brennst, starte neu“

 

Nicht bloß neidisch sein auf Reiche und sie missmutig belauern, sondern selbst reich werden, hat sich der Ex-„Welt“-Journalist Rainer Zitelmann gedacht – der damals schon ein Mehrfaches vom Normalo-Redakteur verdiente: 190 000 Mark plus sagenhaften 210.000 Mark Nebeneinnahmen. In der „Welt“ gab es nämlich damals keinen Interessenkonflikt, als er nebenher Kongresse und Seminare als Fortbildungsveranstaltungen im Immobilienbereich auf eigene Rechnung veranstaltete und moderierte.

„Ich verdiente prächtig an den wirren Gesetzesformulierungen, denn hier bestand hoher Aufklärungsbedarf“, schreibt Zitelmann. Weil er in der Redaktion täglich die Immobilienthemen beackerte, eignete er sich dabei viel Wissen an, gründete später eine Agentur mit der Zielgruppe Immobilienwirtschaft, verkauft sie und hat insgesamt 20 Bücher geschrieben. Nun sei er Multimillionär, sagt Zitelmann über sich und legt das Buch vor: „Wenn Du nicht mehr brennst, starte neu“.

Hier daraus ein Kapitel als Leseprobe: 

 

 

 

Rainer Zitelmann: „Wenn Du nicht mehr brennst, starte neu“  320 Seiten, 24,99 Euro, Finanzbuch Verlag https://www.amazon.de/Wenn-nicht-mehr-brennst-starte/dp/3959720319/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1492542438&sr=8-1&keywords=zitelmann+wenn+du+nicht+mehr+brennsthttps://www.amazon.de/Wenn-nicht-mehr-brennst-starte/dp/3959720319/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1492542438&sr=8-1&keywords=zitelmann+wenn+du+nicht+mehr+brennst

 

 

Was ich von 45 Superreichen lernte

Für erfolgreiche Menschen habe ich mich immer interessiert. Das war einerseits Ausdruck der Neugier eines Wissenschaftlers, der wissen, verstehen und erklären will. Andererseits wollte ich schlicht herausfinden, warum manche Menschen erfolgreicher sind als andere, weil ich ja selbst Erfolg haben wollte. 2011 schrieb ich das Buch „Setze dir größere Ziele!“, das in Deutschland in mehreren Auflagen erschien und in sieben Sprachen übersetzt wurde. Für dieses Buch analysierte ich die Lebenswege von 50 sehr erfolgreichen Persönlichkeiten – vor allem Unternehmer und Investoren, aber auch Schauspieler, Musiker und Sportler. Ich las Biografien über Steve Jobs, Bill Gates, Michael Bloomberg, Arnold Schwarzenegger, Warren Buffett, Coco Chanel, Larry Ellison, Garri Kasparow, Ray Kroc, Estée Lauder, Madonna, Mark Zuckerberg, Sam Walton, Ted Turner, David Ogilvy, Jack Welch, Michael Dell, Prinz Alwaleed, Richard Branson, Walt Disney und viele mehr.

 

Erfolgreiche Persönlichkeiten sind unabhängig im Denken, konfliktfähig, mutig

Ich versuchte zu verstehen, was den Erfolg dieser Persönlichkeiten ermöglicht hatte. Viele von ihnen hatten sich sehr hohe Ziele gesetzt; Ziele, die zu erreichen die meisten Menschen als „unmöglich“ erachten. Ich erkannte auch, dass Unabhängigkeit im Denken, Konfliktfähigkeit und der Mut, anders zu sein, viele dieser Erfolgsmenschen charakterisierten. Zudem wurde deutlich, welche Rolle Begeisterungsfähigkeit und Selbstdisziplin gespielt hatten und dass die meisten von ihnen erfolgreich waren, weil sie sich sehr stark fokussierten. Schließlich verfügten viele dieser Menschen über eine erstaunliche Fähigkeit zur Selbstvermarktung und Selbstinszenierung – das trifft in hohem Maße etwa auf Arnold Schwarzenegger, Richard Branson, Jack Welch und Madonna zu, aber auch auf Investoren wie Warren Buffett oder George Soros.

Vier Jahre nach „Setze dir größere Ziele!“ schrieb ich das Buch „Reich werden und bleiben“. Ich suchte nach wissenschaftlicher Literatur, die sich mit dem Thema Reichtumsbildung befasst. Wenn Soziologen sich mit Reichen beschäftigt hatten, dann jedoch bislang kaum unter der Fragestellung der individuellen Reichtumsgenese, sondern eher unter dem Aspekt der „Ungleichheit“.

Eine Ausnahme war ein Forschungsprojekt an der Universität Potsdam, auf das ich während der Recherchen für mein Buch stieß. Es nannte sich „Vermögen in Deutschland“. Die Wissenschaftler hatten 472 Reiche mit sozialwissenschaftlichen Methoden befragt. Daraus waren schon eine Doktorarbeit und eine Reihe interessanter Aufsätze und Sammelbände entstanden.

Die Reichen, mit denen sich die Potsdamer Wissenschaftler beschäftigt hatten, besaßen im Durchschnitt ein Vermögen von 2,3 Millionen Euro. Damit waren sie schon deutlich reicher als die sogenannten „Reichen“, mit denen sich bis dahin der sogenannte „Armuts- und Reichtumsberichts“ der Bundesregierung befasst hatte, denn das waren Menschen, die 200 Prozent des Durchschnittseinkommens verdienten – aus meiner Sicht nicht wirklich Reiche. Menschen, die ein zwei- bis dreistelliges Millionenvermögen besaßen, waren hingegen nicht Gegenstand der Potsdamer Untersuchung gewesen.

 

Nur Hochvermögende sind wirklich reich

Wie oft, wenn ich ein interessantes Buch gelesen hatte, nahm ich mit den Autoren Kontakt auf. Ich lernte den Leiter dieses Projektes kennen, Professor Wolfgang Lauterbach. Spontan entwickelte ich die Idee, die Lücke, die ich gesehen hatte, selbst zu füllen – mit einer wissenschaftlichen Studie über die Personen, die aus meinem Blickwinkel reich sind. Damit meine ich Menschen, die ein mindestens zwei- oder dreistelliges Millionenvermögen besitzen. Viele dieser Hochvermögenden kenne ich persönlich, und ich traute mir zu, im Laufe einer Untersuchung durch Empfehlungen weitere kennenzulernen. Lauterbach fand die Idee gut: „Da kann ich keinen Studenten dransetzen, denn die kennen diese Menschen nicht und bekommen auch keinen Zugang. Und selbst wenn, dann wäre es wohl schwer für einen Studenten, auf einer Augenhöhe mit diesen Menschen zu sprechen.“

Ich entwarf ein Programm, wie ich das Thema angehen sollte. Zuerst kaufte ich mir eine Menge Bücher über qualitative Sozialforschung, insbesondere über die Methoden, mit denen sozialwissenschaftliche Interviews geführt werden. Zwar hatte ich einige Jahre am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin gearbeitet und während meines Studiums einige Seminare in Soziologie besucht, aber das lag lange zurück. Zugute kam mir, dass ich als Journalist schon unzählige Interviews geführt hatte; allerdings gelten für sozialwissenschaftliche Interviews teilweise andere Regeln als für journalistische Interviews.

Auf einmal war ich wieder Wissenschaftler! Die Materie faszinierte mich zunehmend. Professor Gerd Habermann, der Zweitbetreuer der Arbeit, empfahl mir, vor Beginn der Interviews mit Dr. Thomas Petersen vom Allensbacher Institut für Demoskopie zu sprechen. Der kannte mich noch aus der Zeit, als ich mit Elisabeth Noelle-Neumann befreundet war. Mein nächster Schritt bestand darin, Forschungsfragen für die geplante Doktorarbeit zu entwickeln und daraus wiederum Leitfragen für die Interviews abzuleiten, die ich mit den Superreichen führen wollte.

 

Amerikanische Unternehmerforschung – hierzulande kaum beachtet

Dabei stieß ich auf die amerikanische Unternehmerforschung, die in Deutschland bislang viel zu wenig beachtet worden war. Das wunderte mich, denn – dies war eines der Ergebnisse des Potsdamer Forschungsprojektes – die meisten Reichen waren ja als Unternehmer reich geworden. Also, überlegte ich, musste man doch die Ergebnisse der Unternehmerforschung für die Reichtumsforschung fruchtbar machen. Daraus konnten sinnvolle Fragestellungen für die Doktorarbeit abgeleitet werden. Es galt einerseits, genügend interessante Fragen zu formulieren, sich andererseits aber zu beschränken, da ich damit rechnete, dass mir die Reichen wohl nicht länger als eine bis maximal zwei Stunden zur Verfügung stehen würden.

 

Zwölf Themen für die Analyse

Schließlich hatte ich nach einigen Monaten, in denen ich Hunderte Aufsätze und Bücher gelesen hatte, zwölf Themenkomplexe identifiziert, denen ich näher nachgehen wollte:

  1. Besonderheiten in der Jugend (Schulzeit, Studium, informelle Lernerfahrungen im Sport und bei früher unternehmerischer Tätigkeit).
  2. Motive für die Selbstständigkeit.
  3. Die Rolle, die die bewusste Zielsetzung spielte.
  4. Die Bedeutung, die „Geld“ für die Interviewpartner hat.
  5. Die Bedeutung, die verkäuferische Fähigkeiten für den finanziellen Erfolg hatten.
  6. Die Rolle von Optimismus und Selbstwirksamkeit.
  7. Die Risikoorientierung.
  8. Das Verhältnis von analytischen und intuitiven („Bauch“-)Entscheidungen.
  9. Die Persönlichkeitsmerkmale der Big-Five-Theorie: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit.
  10. Die Ausprägung von Konfliktbereitschaft.
  11. Der Nonkonformismus bzw. die Bereitschaft, gegen den Strom zu schwimmen.
  12. Der Umgang mit Krisen und Rückschlägen.

 

Anfangs hatten mein Doktorvater und ich vereinbart, dass ich etwa 25 Interviews führen sollte. Ich war optimistisch – wenn auch nicht ganz sicher –, dass ich so viele finden würde. Mir nutzte mein verkäuferisches Talent: Fast alle, die ich persönlich um ein Interview bat, sagten zu. Und dies, obwohl der Interviewpartner selbst ja wenig davon hat, da die Interviews anonym geführt wurden und ich zusicherte, die Namen nicht zu veröffentlichen. Schließlich erhielt ich sogar Zusagen für 45 Interviews. Als 1740 Seiten mit Interviewtexten gefüllt waren, sprach ich keine weiteren Persönlichkeiten mehr an, sondern begann mit der Auswertung. Es sollte mir nicht wieder so ergehen wie bei meiner geplanten Habilitation, wo ich am Ende im Material fast erstickt war.

Bei den Interviews leitete mich zuerst die wissenschaftliche Neugier, mehr über diese Menschen zu erfahren. Ich hatte von vornherein festgelegt, dass ich nur mit Selfmade-Millionären sprechen würde oder ausnahmsweise auch mit einigen Menschen, die zwar etwas geerbt, aber dieses Erbe ganz erheblich vermehrt hatten. Denn von Menschen, die ihren Reichtum allein einer Erbschaft verdanken, kann man nicht lernen, wie man aus eigener Kraft reich wird. Sie kommen daher in meiner Doktorarbeit nicht vor.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse sind in meiner Doktorarbeit dargestellt, die im Februar 2017 als Buch unter dem Titel „Psychologie der Superreichen. Das verborgene Wissen der Vermögenselite“ erschienen ist. Im Wintersemester 2016/2017 wurde sie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Potsdam mit „magna cum laude“ als Promotion angenommen. Ich habe mich über diese Note gefreut, denn es war nicht ganz einfach, nach 25 Jahren, die ich nicht mehr wissenschaftlich gearbeitet hatte, den Weg zurück in die Wissenschaft zu finden. Von der ersten Idee für die Doktorarbeit bis zur Fertigstellung dauerte es genau zwölf Monate – im Durchschnitt sind es in den Sozialwissenschaften 56 Monate.

Und ich hatte die Arbeit ja neben meiner Tätigkeit als Geschäftsführer meines Unternehmens und als Veranstalter der „Berliner Immobilienrunde“ bewältigt. Ich freue mich über den zweiten Doktortitel, aber das war nicht der Ausschlag gebende Grund für mein Dissertationsvorhaben. Neben der wissenschaftlichen Neugier und dem Bedürfnis, mir selbst zu beweisen, dass ich drei Jahrzehnte nach meiner ersten Promotion immer noch ein guter Wissenschaftler bin – und dies auch in einem anderen Fach als ich ursprünglich studiert hatte – interessierte mich das Thema der Arbeit ganz persönlich: Was kann ich von diesen Reichen lernen? Was haben sie genauso gemacht wie ich, was haben sie anders gemacht? Wo sollte ich noch dazulernen? Welche Verhaltensweisen sollte ich beibehalten, welche ändern?

Das war zwar kein Thema für die Doktorarbeit, aber diese Fragen beschäftigten mich ganz persönlich. Gibt es ein Geheimnis, ein „gemeinsames Drittes“, das alle diese finanziell überaus erfolgreichen Menschen verband? Gibt es gemeinsame Persönlichkeitseigenschaften?

 

Autor Rainer Zitelmann (Foto: Zitelmann)

 

Die wiederkehrenden Muster bei der Superreichen

Einerseits waren meine Interviewpartner sehr verschieden. Die Spanne reichte von einem extrem reichen Unternehmer, der nur einen Hauptschulabschluss hatte und zudem Legastheniker war, bis zum promovierten Selfmade-Multimilliardär. Neben vielen Unterschieden fand ich aber auch immer wiederkehrende Muster in der Biografie und in der Persönlichkeit dieser Menschen.

Bei vielen Interviewpartnern stieß ich zudem auf Gemeinsamkeiten mit meinem Lebenslauf. Die meisten von ihnen hatten schon unternehmerische Erfahrungen in ihrer Zeit als Schüler oder Studenten gesammelt oder Dinge verkauft. Ich habe im ersten Kapitel von meinen Zeitungsprojekten berichtet, bei denen ich Organisation, Verkauf und – in gewissem Grade – unternehmerisches Handeln schon sehr früh lernte.

 

Reichtum als Nebenprodukt oder als Ziel?

Neugierig war ich, welche Rolle die bewusste Zielsetzung für diese Menschen spielte. Und da fand ich große Unterschiede: Es gab jene Menschen, die sich – so wie ich – irgendwann in ihrem Leben vorgenommen hatten, reich zu werden. Sie hatten sich, wie in populären Reichtumsratgebern empfohlen, schriftlich Ziele gesetzt und diese visualisiert. Es gab jedoch auch viele Gesprächspartner, die das nicht getan hatten. Sie waren irgendwann in ihrem Leben Unternehmer geworden, und der Reichtum hatte sich sozusagen als Nebenprodukt dieser Tätigkeit ergeben, ohne dass er von vornherein Ziel gewesen wäre. Daraus lernte ich, dass mein eigener Weg zum Reichtum nicht verallgemeinert werden kann, und dass die Behauptung in populären Reichtumsratgebern, nur auf diesem Wege könne man reich werden, nicht stimmt.

 

Die entscheidenden Motive: Freiheit und Unabhängigkeit

Interessant war für mich, was die Menschen mit „Geld“ verbinden, was sie motivierte. Bei den Meisten standen – wie für mich – Freiheit und Unabhängigkeit an der Spitze der Motive. Aber dann gab es erhebliche Unterschiede: Einige Reiche hatten ein hohes Sicherheitsbedürfnis, auf andere traf das gar nicht zu. Es gab einige, die es schätzten, sich schöne Dinge im Leben leisten zu können, aber auch jenen Gesprächspartner, der mir erklärte, er sei nur einmal in seinem Leben in den Urlaub gefahren und habe sich nie ein Hemd gekauft, das teurer als 30 Euro war.

 

…viele sind Nonkonformisten

Viele der interviewten Personen waren Nonkonformisten, die gerne ihre eigenen Wege gehen und oft gegen den Strom schwimmen. In dieser Beziehung konnte ich mich in ihnen wiedererkennen und fand mich in meinem Lebensweg bestätigt. Auch die Art, wie die Menschen mit Krisen und Rückschlägen umgingen, war oft ähnlich und ähnelte meinem Umgang mit solchen Situationen. Sie machten nicht andere für Rückschläge verantwortlich, sondern sich selbst. Und sie versuchten stets, in Krisen auch Chancen zur Fortentwicklung zu erkennen und wahrzunehmen. Meine Annahme, dass all dies Voraussetzungen sind, um als Unternehmer und Investor erfolgreich zu sein, bestätigte sich.

 

…und Verkäufertalente

Auch stieß ich auf eine Gemeinsamkeit, die bislang in der Wissenschaft kaum beachtet worden war: Zwei Drittel der Interviewpartner erklärten, die Fähigkeit zu verkaufen, habe ganz entscheidend zu ihrem Erfolg beigetragen. Mehr als jeder Dritte maß sogar 70 bis 100 Prozent seines Erfolges seinen verkäuferischen Fähigkeiten zu. Das „Nein“, das einem im Verkaufsprozess zunächst oft entgegenschlägt, sahen die Interviewpartner keineswegs negativ. Viele berichteten, ihre größte Freude sei es gewesen, dieses „Nein“ in ein „Ja“ zu verwandeln. Das trifft auch uneingeschränkt für mich zu, da konnte ich mich – wie auch in den meisten anderen Bereichen – in meinen Gesprächspartnern wiedererkennen.

 

Autor Rainer Zitelmann (Foto: Zitelmann)

Autor Rainer Zitelmann (Foto:…)

Die drei Bereiche, die den Unterschied machen

Aber in drei Bereichen entdeckte ich ganz deutliche Unterschiede zwischen mir und den meisten Interviewpartnern. Das sind die Themen, über die ich in den nächsten Jahren wohl häufiger nachdenken werde. Gibt es hier für mich Lernmöglichkeiten? Gibt es Verhaltensmuster, die ich ändern sollte? Oder soll ich mein Anderssein annehmen und gerade als besondere Chance erkennen?

 

Erstens: Die meisten Reichen, mit denen ich sprach, sind zwar hochintelligent, aber, anders als ich, nicht intellektuell. In Wikipedia heißt es, als Intellektueller werde ein Mensch bezeichnet, der wissenschaftlich, künstlerisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätig ist, dort ausgewiesene Kompetenzen erworben hat und in öffentlichen Auseinandersetzungen kritisch oder affirmativ Position bezieht. Für mich selbst sehe ich das Verbindende zwischen dem Intellektuellen, dem Unternehmer und dem Investor darin, dass alle den Mut haben sollten, gegen den Strom zu schwimmen und bestehende Meinungen und Traditionen infrage zu stellen, und zwar, wenn geboten, durchaus radikal infrage zu stellen.

 

Die wenigsten Reichen sind sehr intellektuell – aber sie sind hochintelligent

Aber die wenigsten Intellektuellen sind sehr reich, und die wenigsten Reichen sind sehr intellektuell. Insofern bin ich eine Ausnahme – ein in dieser Hinsicht atypischer Intellektueller und ein atypischer Reicher. Intellektuelle sehen wegen ihrer hohen Bildung manchmal auf Reiche mit einer gewissen Überheblichkeit herab. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Ferdinand Lundberg hat dies in seinem Buch über „Die Reichen und die Superreichen“ verächtlich auf den Punkt gebracht, die meisten „Kapitalisten“ seien wenig belesene „geistige Schulschwänzer mit Lebenskultur“. Umgekehrt gibt es eine anti-intellektuelle Attitüde bei manchen Reichen, die ihr Bild vom lebensfremden intellektuellen „Elfenbeinturmbewohner“ pflegen.

Wenn ich sage, die meisten Reichen, mit denen ich für meine zweite Doktorarbeit sprach, seien nicht intellektuell, dann heißt dies keineswegs, dass sie nicht hochintelligent sind. Man darf eben nicht den Fehler machen (was viele Intellektuelle tun), Intelligenz mit Intellektualität und Bildung zu verwechseln. Jeder der 45 Gesprächspartner ist hochintelligent, aber die meisten sind nicht intellektuell.

Zudem ergaben sich keine Hinweise dafür, dass mit der Höhe der Bildungsqualifikation der Reichtum steigt. Das wurde deutlich, wenn man die reichsten Interviewpartner (über 300 Mio. Euro) mit der unteren Gruppe vergleicht (zwischen zehn und 30 Mio. Euro). In der unteren Gruppe waren immerhin drei Promovierte, sieben verfügten über ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Nur einer hatte lediglich Abitur, ohne studiert zu haben. Von den Superreichen mit einem Nettovermögen von 300 Mio. Euro oder mehr war eine Person promoviert, fünf verfügten über ein abgeschlossenes Studium. Drei hatten zwar Abitur gemacht, danach jedoch nicht studiert bzw. das Studium abgebrochen. Und zwei hatten kein Abitur, sondern lediglich einen Haupt- bzw. Realschulabschluss.

 

Schul- und Uni-Leistungen sind irrelevant

Die Leistungen in der Schule und der Universität waren bei den meisten Reichen keineswegs überragend. Die meisten berichteten, sie hätten in der Schule nur mittelmäßige Leistungen vollbracht. Nur neun Interviewpartner sagten, dass sie im Abitur oder im Studium zu den Besten gehörten. Von diesen neun Personen gehörten sechs zur untersten Vermögenskategorie (10 bis 30 Mio. Euro), zwei zur Vermögenskategorie darüber (30 bis 100 Mio. Euro), und nur einer gehörte zur Gruppe derjenigen mit Vermögen über 300 Mio. Euro. Besonders zwei fielen durch hervorragende Leistungen auf – einer hatte das Abitur mit 1,0 abgeschlossen und war im Studium Jahrgangsbester. Der andere hatte mit 0,7 das beste Diplom der letzten zehn Jahre gemacht. Beide gehörten zur untersten Vermögenskategorie.

 

Unternehmerforscher sagen: Die meisten Reichen entscheiden aus dem Bauch

In meiner Arbeit bestätigte sich etwas, das schon Unternehmerforscher in den USA herausgefunden hatten: Viele Unternehmer und Investoren entscheiden überwiegend mit dem Bauch. Von den 45 befragten Reichen erklärten 24, die Bauchentscheidung überwiege, 15 sagten, die Analyse überwiege, und bei sechs war es 50/50 oder ließ sich nicht klar zuordnen. Das Bauchgefühl, dies betonten viele Interviewpartner, sei nicht angeboren, sondern entwickle sich durch die Summe der Erfahrungen. Ich lernte sowohl durch wissenschaftliche Studien als auch durch die Interviews, dass das Bauchgefühl keineswegs etwas Irrationales ist, sondern dass sich darin lebenslange Lernerfahrungen verdichten, die einem selbst meist gar nicht bewusst sind. Häufiger den „Bauch“ zu befragen, könnte sich vielleicht auch für mich lohnen.

 

Der zweite Unterschied zwischen mir und den meisten Interviewpartnern war deren sehr viel ausgeprägtere Risikoneigung und ein deutlich geringeres Sicherheitsbedürfnis. Ich bat jeden, seine Risikoneigung auf einer Skala von -5 bis +5 einzuschätzen. Dabei stand -5 für den extrem risikoaversen Menschen und +5 für den extrem risikofreudigen. Die große Mehrheit, nämlich 35 von 45, ordnete sich im positiven Bereich ein. Überraschend war, dass sich immerhin 25 von 45 Befragten sogar im höchsten Risikobereich, also zwischen +3 und +5 einordneten.

Mich selbst würde ich in der Risikoskala eher bei -1 einsortieren, aber niemals bei Werten wie +3 oder gar +5, wo sich die meisten Interviewpartner sahen. Ich nahm niemals Kredite für meine Firma auf (sondern nur für Immobilien, wo reelle Werte dagegen standen), ich handelte die sichersten Büromietverträge für meine Firma aus und suchte Sicherheit in meinem Geschäftsmodell langfristiger Kundenverträge. Auch das Streben nach extrem hohen Margen für meine Firma war vor allem Ausdruck meines Sicherheitsstrebens, da ich mich mit einem geringeren „Puffer“ sehr unwohl und unsicher gefühlt hätte. Ja, ich habe sogar Angst, einer Bank größere Geldsummen zu leihen, und habe in den vergangenen Jahren lieber kurz laufende Anleihen mit Negativzins gekauft, weil ich denke, es ist sicherer, die Bundesrepublik Deutschland oder die Vereinigten Staaten schulden mir Geld als etwa die Deutsche Bank. Und das Gold im Schließfach der Bank habe ich sogar noch gegen Raub und Diebstahl versichert. Es gibt auch viele andere Beispiele aus meinem Leben, die mir zeigen, dass ich niemand bin, der große Risiken sucht.

 

Ist Risikobereitschaft typisch? Vielleicht auch gerade nicht

In den Interviews zeigte sich die hohe Risikoprägung vieler Interviewpartner.  Viele räumten aber ein, ihr Risikoprofil habe sich im Laufe ihres Lebens reduziert. Vermutlich war das Eingehen höherer Risiken eine der Voraussetzungen dafür, dass sie reich wurden, und die spätere Reduzierung der Risikobereitschaft eine dafür, dass sie reich blieben. Man muss ja berücksichtigen, dass ich nur solche Menschen interviewt habe, bei denen es – zumindest bis zum Tag des Interviews – trotz Wechselfällen unter dem Strich gut gegangen war. Das war ein methodisches Problem, über das ich viel nachgedacht und in der Doktorarbeit auch geschrieben habe. Würde man im Spielcasino nur alle Gewinner fragen, was sie getan haben, könnte man leicht zum Schluss kommen, das Eingehen hoher Risiken sei die Voraussetzung für den Erfolg. Würde man die Verlierer fragen, ergäbe sich dagegen, dass das Eingehen hoher Risiken die Ursache für das Scheitern ist.

Ich denke nicht, dass ich künftig im Leben höhere Risiken eingehen möchte als bisher. Da geht es mir wie vielen Interviewpartnern, die – älter geworden – nicht aufs Spiel setzen wollen, was sie erreicht haben.

 

Voraussetzung für Erfolg: Hohe Konfliktfähigkeit

Der dritte Unterschied: Ich bin deutlich unverträglicher als alle 45 Reichen, die ich interviewt habe. Das war eines der für mich überraschenden Ergebnisse. Ich hatte die Biografien von Unternehmern wie Steve Jobs oder Bill Gates gelesen, die extrem unverträglich und hochgradig schwierig waren. Daraus leitete ich ab, sehr hohe Konfliktfähigkeit sei eine Grundvoraussetzung für Erfolg. Diese These wurde sogar noch unterstützt durch die Unternehmerforschung. Persönlichkeitstests ergaben, dass Unternehmer weniger verträglich sind als andere Menschen. Ich bat alle reichen Interviewpartner, einen Persönlichkeitstest auszufüllen. Diesen Test habe ich im Anhang zu diesem Buch abgedruckt – und zwar mit den Antworten, die ich bei meiner Selbstbefragung gegeben habe.

 

Unternehmer sind sehr gewissenhaft

Auf den ersten Blick entspreche ich in geradezu typischer Weise dem Unternehmerprofil, wie man es aus der Forschung kennt: Danach zeichnen sich Unternehmer durch sehr hohe „Gewissenhaftigkeit“ einerseits und geringen „Neurotizismus“ und geringe „Verträglichkeit“ andererseits aus. Was ist damit gemeint? „Gewissenhaftigkeit“ steht in der Persönlichkeitspsychologie nicht nur für das, was wir darunter umgangssprachlich verstehen. Der psychologische Begriff umfasst vielmehr Persönlichkeitsmerkmale wie Fleiß, Pünktlichkeit, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und Organisiertheit. Auf einer Skala von 0 bis 40 Punkten erreichten bis auf vier Ausnahmen alle Interviewpartner eine hohe Punktzahl von 25 bis 40, was eine stark ausgeprägte Gewissenhaftigkeit zeigt. Dies deckt sich mit anderen Forschungen über Unternehmer. Zwölf der 45 Interviewpartner lagen sogar zwischen 35 und 40 Punkten, wo auch ich selbst landete.

Mit „Neurotizismus“ ist die psychische Stabilität gemeint. Auch hier bestätigten die Testergebnisse der von mir befragten Reichen die bisherige Unternehmerforschung. Alle Interviewpartner lagen in der Kategorie 0 bis 19 Punkte, was für psychische Stabilität spricht, 36 sogar in der Kategorie zwischen 0 und 9 Punkten, wo auch mein Testergebnis mit 5 Punkten liegt.

 

….und sie sind weitgehend verträglich

Wie erwähnt, geht die Unternehmerforschung von einer geringer ausgeprägten „Verträglichkeit“ bei Unternehmern aus. Dieses Ergebnis konnte in meinen Forschungen nur teilweise bestätigt werden. Laut Testergebnis waren die Personen verträglicher, als man hätte erwarten sollen. Zwar zeigten die Interviews, dass manche der laut Test verträglichen Personen wahrscheinlich tatsächlich doch nicht so verträglich sind, doch für mich persönlich war etwas anderes interessant und überraschend: Kein einziger der 45 Befragten war nach dem Test so unverträglich wie ich mit nur 9 von 40 Punkten.

 

Meine Konfliktfreudigkeit hat mir geschadet – nicht genutzt

Das gab mir zu denken. Ich weiß, dass mir meine extrem ausgeprägte Konfliktfreudigkeit im Leben keineswegs nur genutzt, sondern auch geschadet hat. Sie war eine der Ursachen für die hohe Mitarbeiterfluktuation in meinem Unternehmen, die uns immer wieder Probleme mit Kunden bescherte. Der Vergleich mit den reichen Interviewpartnern nahm mir meine Selbstrechtfertigung, geringe Verträglichkeit sei nun einmal stets ein Persönlichkeitsmerkmal sehr erfolgreicher Menschen. Ja, die Verträglichkeit bei erfolgreichen Menschen ist insgesamt geringer, aber es ist eine Frage des Maßes.

Sicherlich ist es schwer – vielleicht sogar unmöglich –, die Persönlichkeit zu ändern. Psychologen behaupten jedenfalls, dass es nach dem 30. Lebensjahr relativ wenige Änderungen gibt. Daher glaube ich nicht, dass ich jemals ein besonders verträglicher und harmoniesuchender Mensch sein werde. Aber ich hoffe, allein schon die Tatsache, dass mir eine bequeme Ausrede für meine Unverträglichkeit – zumindest teilweise – genommen wurde, könnte etwas bewirken.

Nun bin ich nun dort angelangt, wo ich nicht hinwollte, bei der Selbstanalyse. Um diese zu objektivieren, füge ich im Anhang den „Big Five“-Persönlichkeitstest bei. Manche Formulierungen in dem Test sind nicht so glücklich – etwa mit doppelten Verneinungen, wo man sich beim Ankreuzen leicht vertun kann –, aber ich hatte mich nun einmal dazu entschieden, mit diesem Test zu arbeiten, und dann musste ich dies bis zum Ende durchhalten, damit die Ergebnisse vergleichbar sind.

Vielleicht haben Sie Lust, den Test selbst auszufüllen, wobei Sie den Nachteil haben, dass Sie schon vorher wissen, welches Profil zu einem Unternehmer oder einem Reichen passt – und welches nicht. Wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, können Sie vielleicht etwas für sich lernen. Falls Sie feststellen, dass Sie bei den Merkmalen Neurotizismus und Verträglichkeit Punktzahlen unter 20 haben und bei den anderen Merkmalen Punktzahlen über 20, falls Sie bei der Gewissenhaftigkeit vielleicht sogar zwischen 35 und 40 Punkten liegen, dann haben Sie – gleichgültig welchen Beruf Sie derzeit ausüben – zumindest das typische Persönlichkeitsprofil eines Unternehmers.

Mit meiner zweiten Doktorarbeit bin ich zur Wissenschaft zurückgekehrt. Sollte sich das finanzieren lassen, werde ich vielleicht später einmal ein „Institut für Reichtumsforschung“ initiieren, in dem sich Wissenschaftler mit dem Thema Reichtum befassen. Zugleich bleibe ich der Immobilie verbunden und werde sehen, wie ich meine Kenntnisse und mein verkäuferisches Talent in den nächsten Jahren einbringen kann. Auch journalistisch habe ich mich in den vergangenen Jahren wieder stärker engagiert und schreibe regelmäßig Kommentare zu Themen aus Wirtschaft und Politik.

Der Autor

Link zu einem früheren Buchauszug von Zitelmann im Management-Blog:

Reichtumsforschung: Buchauszug aus „Reich werden und bleiben“

 

 

 

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