Buchauszug aus „Konsequenz. Management ohne Kompromisse. Führen mit Klarheit und Aufrichtigkeit“ von DAX30-Coach Matthias Kolbusa

Matthias Kolbusa (Foto: Asmus Henkel)
Emotionen: Es geht nie um die Sache
Leidenschaft
Warum muss man am Montagmorgen zur Arbeit und zählt in Meetings
die Minuten? Und warum vergessen wir dagegen die Zeit beim
Planen des nächsten Urlaubs, beim Malen, Handwerken oder Wandern?
Wir alle haben unsere Leidenschaften. Mit etwas Fügung gibt
es sogar eine Schnittmenge mit dem, was wir in unserem Job tun,
und wir erleben so etwas wie Zufriedenheit und Glück. Im
schlimmsten Fall aber leisten wir nur Dienst nach Vorschrift. Wie
ein Verwandter von mir, der sich Tag für Tag als Angestellter einer
Versicherung in ein Büro schleppt, Akten wälzt und Schadensfälle
bearbeitet, obwohl er in Wahrheit nur in handwerklicher Arbeit
Erfüllung findet.
Selbstverständlich sind in jedem Job unliebsame Dinge zu tun. Davon
gibt es bei mir eine ganze Menge, und dennoch liebe ich das,
was ich meine Arbeit nenne. Wenn aber das Negative dauerhaft
überwiegt, warum verschwenden wir dann mit einem ungeliebten
Job unsere Lebenszeit? Sollten wir uns nicht besser nach Alternativen
umschauen? Denn wie wollen wir, ohne mit dem Herzen bei
der Sache zu sein, erst Kollegen, Mitarbeiter und Kunden begeistern?
Es mag für das, was wir als Einzelne oder Unternehmen leisten,
einen Bedarf geben, und wir mögen auch über die Kompetenz
verfügen, um diese Leistung anzubieten. Aber: Ohne Leidenschaft
gibt es keine echte Performance und keine außergewöhnliche
Produktivität! Leidenschaft, diese riesige Emotion, die selbst
die uninteressanteste Angelegenheit in ein sprühendes Feuerwerk
verwandeln kann, ist unverzichtbar, um uns selbst und andere
nachhaltig in Bewegung zu versetzen. Warum schenken wir diesem
Zündstoff in unserem Leben und im Beruf so wenig Beachtung?
Das Versäumnis: Den Erfolgsfaktor Leidenschaft nicht zu managen
Kaum eine Führungskraft setzt sich hin und denkt für sich oder mit
ihrer Mannschaft ernsthaft darüber nach: »Mensch, wie schaffen wir
es, dass wir für eine Sache brennen? Der Erfolgsfaktor Leidenschaft
wird, anders als die diversen Zahlenwerke, in Unternehmen
nicht bewusst gemanagt, sondern auf stiefmütterliche Weise
dem Zufall überlassen. Und weil wir nie gelernt haben, wie man
Menschen dazu bewegt, Außerordentliches zu leisten, setzen wir
gegenüber Kollegen und Mitarbeitern allein auf die Kraft der Argumente,
die unbestreitbare Logik.
Die Fehl-Erwartung: Mitarbeiter haben einen Bedienungsknopf
Wenn von oben die Ansage kommt, den Verkauf anzukurbeln, sich
alternative Vertriebswege zu überlegen oder den Kunden besser zu
bedienen, dann in der Erwartung, dass damit bei den Mitarbeitern
automatisch ein Knopf gedrückt wird und alle engagiert ans Werk
gehen. Aber das ist so gut wie nie der Fall. Der Auftrag »Verbessere
die Kundenbeziehung« allein wird nicht dazu führen, dass sich
langjährige Mitarbeiter im Callcenter eines Telekommunikationsanbieters
gegenüber ihren Kunden kooperativer, offener, freundlicher
verhalten.
Selbst dann nicht, wenn man Maßnahmen und Projekte
aufsetzt, Seminare veranstaltet, Leitfäden herausgibt und den
Sachverhalt ausführlich erklärt und alle nachvollziehen können,
warum bessere Kundenbeziehungen für das Unternehmen sinnvoll
sind. Dass Menschen aus Logik heraus agieren, ist ein Trugschluss,
der sich täglich in Unternehmen erleben lässt. Ohne
Leidenschaft werden wir, zumindest an zentralen Stellen im Unternehmen,
immer unter unseren Möglichkeiten bleiben.
Manager sollten mit dem attraktiven Ziel für Leidenschaft sorgen
Da ist der Geschäftsführer eines Flugzeugkabinenbauers. Er hat
die Kabine der Zukunft vor Augen (6): Die »iCabin«, in der auf den
Seitenwänden Filme ebenso wie Werbung laufen, während der
Fluggast aufgrund der Verbindung zu seinen sozialen Profilen mit
seinen Lieblingsgetränken und Zeitschriften versorgt wird und vieles
mehr. Ein voll vernetztes Wohlfühlerlebnis, wie es bisher noch
kein Flugzeugbauer erdacht hat. Für diese Kabine der Zukunft sollen
alle Unternehmensbereiche noch enger kooperieren. Doch kei-
ner seiner Kollegen begeistert sich für seine Idee. Weil der Geschäftsführer
auf die bestechende Logik seiner Strategie setzt, statt
im Management mit einem greifbaren, emotionalen Bild des eigentlich
so attraktiven Zielzustandes für Leidenschaft und Aufbruchsstimmung
zu sorgen.
….wie bei einem Ferien-Reiseziel
Würden Sie Ihrer Familie ein Reiseziel mit Charts schmackhaft machen
wollen, auf denen Kostenkurven, Anreisewege und Zufriedenheitsgarantien
aufgeführt werden? Natürlich nicht. Und dennoch
glauben wir im Job, dass mehr Logik automatisch mehr Begeisterung
oder Gefolgschaft generiert. Klarheit und Verstehen sind aber
keine hinreichenden, noch nicht einmal notwendige Bedingungen
dafür, auch wenn sie ohne Frage durchaus hilfreich sein können.
Die Rede eines Vorstandes, die Ansprache des Teamleiters, die Präsentation
vor Kunden: So viele kluge, sorgfältig und detailliert aufbereitete
Ideen verhallen folgenlos. Völlig unabhängig davon, wie
klar sie durchdacht und präsentiert werden. Geht es in Organisationen
um neue Ideen, die mit Veränderung verbunden sind, so gilt:
Ohne Leidenschaft für etwas versuchen Menschen, ihren Besitzstand
zu wahren.
Erst wenn wir den konkreten Zielzustand vor uns sehen und als
überaus positiv empfinden, ihn vor unserem inneren Auge greifen
können, werden wir uns freiwillig mit aller Kraft dem Erreichen dieses
Zustandes widmen. Ein passionierter Oldtimer-Fan schraubt
nur deshalb unentwegt an seiner Maschine, weil er dieses wunderbar
klare Bild vor dem eigenen geistigen Auge hat – den glänzenden
Oldtimer, sich selbst hinterm Steuer, die Landstraße vor sich.
Motorensound und Fahrtwind hört und spürt er lange vor der ersten
Fahrt, wahrscheinlich sogar bevor seine Hände zum ersten Mal
zu Schraubenzieher und Schmieröl greifen.
Nüchterne Fakten können Mitarbeiter nicht motivieren
Nicht anders bei unseren Mitarbeitern. Statt sie davon zu überzeugen,
dass sie ab morgen in anderen Strukturen zusammenarbeiten
müssen, um die Kunden mit neuen Produkten bedienen zu können,
und ihnen hierfür trockene Analysen und Fakten aufzutischen:
Wieso lassen wir nicht ein Fake-Modell dessen bauen, was wir den
Kunden in ein oder zwei Jahren bieten werden? Die vernetzte Flugzeugkabine
der neuen Generation, ein Wohnhaus, das mit Steuerungsmechanismen
ausgestattet ist, die es so noch nicht gibt? Oder
ein gespieltes Telefonat, wie ein Versicherungsnehmer eine zusätzliche
Leistung unbedingt will oder wie die Konkurrenz über das
neue Produkt sprechen wird? Vielleicht drehen wir einen Film darüber?
Allein, um die Zukunft in den Köpfen unserer Kollegen und
Mitarbeiter zum Leben zu erwecken.
Lassen Sie Ihre Mitarbeiter sehen, schmecken, spüren, was Sie
mit ihnen schaffen wollen. Helfen Sie ihnen dabei, vor ihrem inneren
Auge das Bild, den Zustand zu erleben, den es zu erreichen gilt.
Erst dann hat diese mächtige Emotion Leidenschaft eine Chance,
bei einigen Ihrer Mitstreiter zu zünden.
Bei einem Automobilzulieferer bin ich einem Bereichsleiter begegnet,
der die Verantwortlichkeiten in der Fertigung ändern sollte:
Statt nur für den Bau von Chassis oder Getriebe sollten Teams die
komplette Verantwortung für einen Fahrzeugtyp bekommen. Seine
ersten Versuche, die Zukunft zu beschreiben, waren furchtbar theoretisch
und technokratisch.
Die Strategie: Der Funkt muss überspringen
Nach langatmigen Erklärungsversuchen, die mich nicht berührten, bediente er sich einer Metapher: »Meine Programmleiter werden wie die Dirigenten eines Orchesters
sein.« Funken waren in seinen Augen zu sehen, er war in einer
anderen Welt. Mittendrin in einem Zukunftsbild, das zeigt, wie
es sein wird, wenn das Projekt, die neue Organisation steht. Geschafft!
Es gilt, so lange mit sich selber und anderen zu arbeiten, bis dieser
Funke (11) in den Augen der relevanten Mitspieler zu sehen ist.
Eine greifbare, klare Vorstellung von der Zukunft, die man mit Leidenschaft
verfolgen möchte. Das ist echte Strategie!
Helfen wir unseren Organisationen, ein Bild dessen zu sehen, was
wir zusammen schaffen wollen, und bitten dann jeden Einzelnen zu
skizzieren, was für ihn, den eigenen Verantwortungsbereich, die
Konsequenzen wären? Wie sieht das Zukunftsbild im Service, im
Vertrieb, in der Produktion aus? Was ist anders als heute? Lassen
Sie Ihre Mitarbeiter dazu Texte schreiben, die vor den geistigen
Augen aller anderen ein Bild entstehen lassen. Im besten Fall wirkt
der Text wie ein guter Zeitungsartikel.
Es entsteht beim Lesen eines Textes noch kein Bild im Kopf? Dann
sind die Ausführungen zu abstrakt oder zu aktivitätenlastig. Es
wird also weniger davon erzählt, was der Kunde oder andere Bereiche
zukünftig erleben, sondern was zu tun ist. Oder es wird pauschal
davon gesprochen, dass das »innovativere Produkt den Kunden
begeistern wird«. Einer solchen abstrakten und nichtssagenden
Aussage begegnen Sie am besten mit den Fragen: »Was siehst du
vor dir, wenn du von dem innovativen Produkt sprichst? Was genau
begeistert den Kunden daran?«. Bohren Sie, fordern sie sich gegenseitig
heraus, bis klare Bilder entstehen, denen man nachstreben
kann.
Kümmern Sie sich nicht gleich zu Anfang eines Projektes um den
Zündstoff Leidenschaft, dann vertun Sie nicht nur eine Chance,
sondern haben es später, wenn die ersten Schwierigkeiten auftreten,
mit ganz anderen Emotionen zu tun: mit Schuld, Scham und
Angst. Und die bremsen uns und unser Vorhaben gewaltig aus.
Zwangsläufig bleiben wir so unter den Möglichkeiten der Organisation.
Ein gemeinsames Bild vor den geistigen Augen der Beteiligten
setzt viel mehr Kreativität frei, mit der sich die Schwierigkeiten
auf diesem Weg meistern lassen, als wenn Sie sich nur an abstrakten
Aktivitäten, Plänen und Abstimmungen orientieren.
Matthias Kolbusa: „Konsequenz. Management ohne Kompromisse. Führen mit Klarheit und Aufrichtigkeit“, Ariston Verlag, 320 Seiten, 22,90 Euro https://www.randomhouse.de/Buch/Konsequenz/Matthias-Kolbusa/Ariston/e485607.rhd
Angst
Statt Angst zu thematisieren, nutzen schlechte Manager sie als Mittel
Sie ist da, ob wir das wollen oder nicht, ob begründet oder Produkt
unserer Fantasie, ob wir sie unbewusst wahrnehmen oder absichtlich
übersehen: Angst, dieser ständige, außerordentlich mächtige Begleiter
findet sich bei jedem Aufeinandertreffen, in jedem Meeting, wenn
Menschen befürchten, das Falsche zu sagen oder für ihr Handeln die
Folgen zu tragen. Sie ist dabei, wenn Ergebnisse präsentiert und Entscheidungen
gefällt werden. Angst prägt das Verhalten jedes Einzelnen
und damit auch das Verhalten ganzer Gruppen. Und dennoch
wird sie im Unternehmensalltag weder thematisiert noch von Führungskräften,
weil scheinbar moralisch verwerflich, gezielt eingesetzt.
Und wenn, dann häufig aus Verzweiflung oder Frustration.
Es ist aber fahrlässig, wenn wir einer solch starken Emotion nicht
den ihr gebührenden Raum geben. Denn Angst ist pure Energie –
und damit auch ein Führungsmittel. Ein Führungsmittel? »Das
gehört sich doch nicht, das mache ich nicht«, höre ich Führungskräfte
bei diesem Thema sagen. Eine etwas vorschnelle Aussage,
wie ich meine. Sei es eine Präsentation vor Kunden, die über die
Fortsetzung des Auftrags entscheidet, oder eine Budgetüberschreitung,
für die wir uns rechtfertigen müssen: Im Angesicht unausweichlicher
Konsequenzen geben Menschen fast immer ihr Bestes. Also gestehen wir
uns ein: Wir alle führen auch mit Angst, ob wir es wahrhaben wollen
oder nicht.
Angst ist kein gutes Führungsmittel
Die Frage ist nur: Wie sorgsam und gerichtet setzen wir dieses Führungsmittel
ein? Und wenn wir Angst nicht als Führungsmittel
verwenden wollen: Wie sorgen wir dafür, dass Angst nicht zum Produktivitätsvernichter
wird? Angst kann zum echten Leistungsbeschleuniger
werden oder eine enorme Bremswirkung entfalten.
Machen Sie sich diese Ambivalenz bewusst. Nur dann können Sie
Angst kontrolliert einsetzen. Oder eben auch, selbst wenn es zum
Verzweifeln ist, keine Angst vor unzureichenden Ergebnissen verbreiten.
Natürlich muss es Ihr Bestreben sein, ein Umfeld zu schaffen, das
die uns allen innewohnende Trägheit durch Vertrauen und Leidenschaft
überwindet. Dort aber, wo diese positiven Emotionen nicht
zünden, braucht es klar formulierte Erwartungen – verbunden mit
positiven oder negativen Konsequenzen.
Boni bringen niemand auf Dauer zur Höchstleistung
Positive Konsequenzen im Sinne von Boni, Incentives und Co., erzeugen
Glücksgefühle oder Begierde, die, ähnlich wie Widerwille
und Ekel, nicht lange vorhalten und niemanden dauerhaft zu
Höchstleistungen bringen. Angst ist von einem ganz anderen Kaliber,
ihre Schubkraft ist ebenso wie ihre potenzielle Bremswirkung
wesentlich stärker. Auch wenn es eine Frage der Verhältnismäßigkeit
ist, gilt das Motto »Wo nichts passiert, wenn nichts passiert,
passiert nichts« (75). Wenn Sie dies nicht wahrhaben wollen, werden
Sie als Führungskraft wenig erreichen.
Druck schafft Stress und Panik, aber leider ziellos
Das Problem: Manager gehen mit dem Führungsinstrument
Angst in der Regel unreif um. Sie setzen Angst nicht gezielt ein,
sondern bauen aus ihrer eigenen diffusen Unsicherheit, aufgrund
unreflektierter Schuld- oder Neidgefühle Druck auf. Die so erzeugte
situationsbedingte Angst der Mitarbeiter schafft Stress und
Panik, ist aber nicht auf ein zu erreichendes Ergebnis ausgerichtet.
Angstklima verhindert gute Ideen und Innovationen
Die Energie der unter Druck gesetzten Mitarbeiter wirkt sich stattdessen
kontraproduktiv auf das Leistungsniveau aus: Risiken, die
mit innovativen Konzepten einhergehen, werden vermieden. Verantwortung
für anspruchsvolle Aufgaben wird nicht übernommen,
Tätigkeiten werden lediglich abgearbeitet. In einem Klima der
Angst gedeihen keine mutigen Ideen, keine Innovationen, sondern
nur Vorsicht und hektische Betriebsamkeit, die Leistung vorgaukelt
– wie die Potemkin’schen Dörfer, hübsch bemalte Kulissen,
welche die russische Zarin über die verheerenden Zustände in ihrem
Land hinwegtäuschen sollten.
Warum stellen Sie sich dieser Emotion nicht bewusst? Haben Sie
etwa Angst vor der Angst? Stellen Sie sich vor, Sie würden in einem
Meeting diese Emotion gezielt abfragen, um sie als Energieverschwender
klein zu halten. Dafür müssten Sie nicht einmal direkt
darauf zusteuern und andere lächerlich machen. Eine einzige Frage
würde reichen: »Was bereitet Ihnen mit Blick auf das zu erreichende
Ziel Sorge?« Um dann zu klären: Sind das nur Hirngespinste
oder Dinge, die Sie ernst nehmen müssen? Die Sie als Führungskraft
aus dem Weg räumen müssen, damit die Organisation angstfrei
performen kann?
Viele Sorgen sind letztlich unbegründet. Wie oft befürchten wir
etwa eine harsche Reaktion der Unternehmensführung? Aber mal
ehrlich, wie viele Menschen kennen Sie, die tatsächlich wegen eines
vermeintlichen Fehlverhaltens ihren Hut nehmen mussten? Die
Angst ist real, die Vorstellung dahinter überzogen!
Die tatsächliche Macht im Management entfaltet sich erst, wenn
wir uns mit der Zukunft beschäftigen und überlegen: Wie lässt sich
das, was die Mitarbeiter ängstigt, vermeiden? Denn Angst haben
Menschen immer nur vor dem, was in der Zukunft passieren könnte.
Davor, dass das neue Produkt nicht so erfolgreich wird wie geplant,
der Umsatz sinkt und Mitarbeiter gehen müssen. Davor, dass
die eigenen Ideen vom Vorgesetzten abgelehnt werden.
Hausaufgabe für Manager: Die Mitarbeiter beruhigen, damit sie effizient arbeiten
Führungskräfte aber denken viel zu wenig über Maßnahmen nach,
die dafür sorgen, dass die nächsten Ebenen beruhigt und damit
effizient und effektiv im Jetzt arbeiten. Weil die Mitarbeiter wissen:
Alle relevanten möglichen Katastrophen sind durchdacht
und mit Maßnahmen adressiert, die den Eintritt der Katastrophe
verhindern oder im Ernstfall die Folgen eindämmen. Dass also
ein Unternehmen ausreichend darauf vorbereitet ist, dass ein neues
Produkt im Markt scheitern könnte und niemand kurzerhand
entlassen wird. Oder dass ein Mitarbeiter, wenn er im ersten Anlauf
ein schlechtes Konzept abliefert, immer eine zweite und dritte Chance bekommt sowie die Unterstützung seines Vorgesetzten.
Ängste bei Mitarbeitern zu vermeiden, das schaffen Sie nur, wenn
Sie Angst in ihrer ganzen Ambivalenz verstehen. Und das zuallererst
bei sich selbst. Wie oft erlebe ich, dass sich Führungskräfte ihrer
eigenen Gefühlszustände nicht im Geringsten im Klaren sind.
Jeder Mensch hat Angst. Wer das leugnet und mir erzählt, er sei
kein irrationales Weichei, der ist in Wahrheit schlicht unreif. Nur
wer selber mit seinen Ängsten angemessen umgeht, ist in der Lage,
diese mächtige Emotion zu erkennen und gekonnt einzusetzen.
Emotionen zu managen bedeutet nicht, sie zu unterdrücken,
sondern sie sich eingestehen zu können: »Ich habe Angst.« Gute
Führung verlangt von Ihnen aber auch, dass Sie die Angst des Gegenübers
erkennen und dabei helfen, souverän damit umzugehen.
Sprich: im Sinne wahrhaftiger Ergebnisorientierung klug und richtig
und eben nicht aus einem Affekt heraus zu handeln. Das ist es
doch, was uns vom Tier unterscheidet: die Möglichkeit der Reflexion,
der Wahl. Umso erschreckender, wie unreflektiert Führungskräfte
mit Angst umgehen und wie oft das Drücken eines Knopfes
bei uns selbst und anderen reicht, den eigenen Kopf zu verlieren.
Was können Sie erreichen, wenn Sie Ängste bei sich selbst und anderen
ernst nehmen und sie endlich gezielt ausschalten oder einschalten?
Finsternis
Die eigenen Fehlentscheidungen nicht wahrhaben wollen
Er will es nicht wahrhaben, der Unternehmenseigner und Topmanager.
Nicht annehmen, dass er in den vergangenen Jahren die Firma
durch zahlreiche Fehlentscheidungen Richtung Abgrund gesteuert
hat. Jetzt der Stress mit den Banken, die Berater im Haus, alles steht
auf dem Prüfstand. Dann die so wichtigen Strategiesitzungen, in de-
nen durch die nächsten Ebenen mit viel Schweiß und Mühe über
Monate hinweg die neue Ausrichtung mit bestechender Logik und
Leidenschaft hergeleitet wird. Nur der Topmanager zeigt keinerlei
Bereitschaft, den notwendigen Richtungsschwenk zu unterstützten.
Nicht, weil er es nicht nachvollziehen kann. Nein, schlicht, weil
es ihm peinlich ist, weil er sich für das, was unter seiner Regie in den
vergangenen drei Jahren schiefgelaufen ist, schämt. In der Verweigerung,
sich dieses Gefühl einzugestehen, entwickelt er eine geradezu
manische Sturheit, die in einer einzigen Blockade endet.
Aus Scham den Erfolg, sogar die Existenz eines Unternehmens gefährden?
Sie mögen das vielleicht für eine kuriose Ausnahme halten,
das ist es aber nicht. Was glauben Sie, welche zerstörerischen
Energiesauger mir beim Blick auf das Miteinander in Organisationen
am häufigsten auffallen? Es sind die dunklen Seiten unserer
mächtigen Emotionen.
Kindergartengetue in Meetings
Da ist das unsägliche Kindergartengetue in den Meetings dieser
Welt, das Rechtfertigen am Mittagstisch, das Lästern hinter den
Kulissen. Wer trägt hier für was die Verantwortung? Ich nicht, aber
der oder die! Nichts ist in einem hierarchischen Umfeld einfacher
von oben nach unten aufgebürdet als Schuld, nichts ergreift uns
schneller als Angst, nichts ist verletzender als Niedertracht, nichts
bohrender als Neid auf den echten oder vermeintlichen Konkurrenten.
Umso mehr tun wir alles dafür, diese emotionalen Schmerzen zu
vermeiden. In einer Diskussion mit Kollegen halten wir uns mit unseren
Ansichten zurück, wenn wir befürchten, damit in die Ecke
gestellt zu werden. Wenn wir uns in einem Meeting dafür schämen,
dass ein Projekt nicht in die Gänge kommt oder die Produktionsleistung
anders als geplant hinter den Erwartungen bleibt, verdrängen
wir die negativen belastenden Gefühle umgehend, indem wir
die Gründe für die Misere lang und haarklein herleiten und schließlich
bei anderen finden.
Kein Projekt geht voran durch Schwarzen-Peter-Weitergeben
In der Kaffeepause behaupten wir gegenüber Kollegen, dass irgendetwas
gar nicht unsere Schuld sei, denn der Dienstleister performe
ja überhaupt nicht. Wir legen uns die Dinge zurecht, bauen uns
eine Welt, in der wir gut dastehen, und mildern so unseren Schmerz
ab. Wir wollen wieder zurück in unser Gleichgewicht – narzisstische
Homöostase (58) –, ein ganz natürlicher Vorgang, da wir sonst
durchdrehen und verzweifeln würden. Aber kein Projekt kommt
voran, indem wir den Schwarzen Peter einfach an Kollegen oder
Geschäftspartner weiterreichen. Und dennoch tun wir dies und
noch viel mehr.
Kleingeistige Kriege der Abteilungen gegeneinander
Haben Sie nicht schon einmal wütend daran gedacht, es dem
Schuldigen bei nächster Gelegenheit heimzuzahlen? Diese dunklen
Gefühle sind Teil unseres Menschseins. Geben Sie sich die
Chance, sich selbst dabei zu ertappen! Dieses andere Ich als solches
wahrzunehmen, anzuerkennen und beiseitezuschieben – um
dann eine andere Richtung einzuschlagen. Denn durch diese kleinen
unkontrollierten Momente entstehen Kriege (65) zwischen
Abteilungen und Gruppen. Da wird dem Fertigungsmanager von
seinen Kollegen auf die Schulter geklopft, wenn er dem Engineering-
Vertreter verdeutlicht, dass seine Arbeit nichts taugt! Wie
kleingeistig und wie schädlich für die Leistung in beiden Bereichen
und somit für das ganze Unternehmen! Nichts als unkontrollierte,
unreflektierte Auswucherungen unserer Emotionen.
Führungskräften ist häufig nicht bewusst, welche Wirkung sie auf
ihre Mitarbeiter haben. Wir sind immer auch Vorbild. Lästern wir in
einem internen Meeting über Nachbarbereiche oder zeigen mit
dem Finger in die andere Richtung, wenn es um die Lösung eines
Problems geht, so prägen wir damit auch das Verhalten unserer
Mitarbeiter. Gerade im Management gilt es deshalb vor solchen
Affekten auf der Hut zu sein.
Natürlich weiß jeder von uns, was sich eigentlich gehört. Aber aus
Bequemlichkeit, Ignoranz und der Unkenntnis darüber, wie viel
Produktivität unreflektiertes Verhalten vernichtet, schreiten wir
nicht ein, agieren als Verantwortliche geradezu unbeholfen. Nur
wenn es unerträglich wird, rufen wir den Notarzt, etwa einen Mediator
fürs Teambuilding. Dabei lassen sich mit etwas Nachdenken
und Empathie die schlimmsten Auswüchse viel früher und vor allem
nachhaltiger einfangen.
Beginnen müssen Sie immer bei sich selbst. Es hilft nichts, Gefühle
unterdrücken zu wollen. Sie sind da! Machen Sie sich also
bewusst, was in Ihnen vorgeht. Schauen Sie sich Ihre Gefühle an,
um reifer und effektiver zu reagieren und vor allem auch zu ihnen
stehen zu können. Der reflektierte und damit reife Umgang mit
Emotionen kann so weit führen, dass wir als Führungskraft ein Gefühl
wie Scham ebenso bewusst wie kontrolliert erzeugen, um ein
unerwünschtes Verhalten abzustellen.
Produktives Miteinander
Einem Manager, der seinen Pflichten nur unzureichend nachkommt,
erläutere ich vor versammelter Mannschaft, dass ich sein
Verhalten für unzuverlässig halte. Das hört niemand gerne, weshalb
es mir selbst auch nicht leichtfällt, mich so zu äußern. Geht es mir
darum, Menschen zu schaden, sie zu verletzen? Nein, es geht mir
um ein produktives Miteinander. Weil niemand solch ein Schamgefühl
erleben will, verhalten sich alle Beteiligten bereits nach kurzer
Zeit anders, sprich verlässlicher. Sicher, wenn ich das Verhalten
von Menschen so deutlich anspreche, mache ich mich damit anfangs
nicht gerade beliebt. Sobald aber nach einigen Wochen das
neue verlässlichere Verhalten um sich greift, ändert sich das grundlegend.
Auch Neid hilft uns, erfolgreicher zu werden. Es ist falsch zu behaupten,
wir selbst seien nie neidisch. Die Frage ist, was wir daraus
machen. Sägen Sie aus Niedertracht am Stuhl des Kollegen, der
droht, in der Gunst des Vorstandes bald besser dazustehen als Sie
selbst? Oder spornt Sie Neid zu Höchstleistungen an?
Unternehmerisch sind Neid und Angst ein ebenso unterschätztes
wie mächtiges Führungsinstrument. Sämtliche Anerkennungs-
und Statussymbole lösen zugleich Neid und Ehrgeiz (2)
aus. Oder was glauben Sie, weshalb Diskussionen darüber, wer in
welchem Büro sitzt und welchen Firmenwagen erhält, so häufig
sind? Für diejenigen, die selbst täglich mit dem 5er-BMW oder der
S-Klasse vorfahren, ist das kein Thema mehr. Für alle anderen
umso mehr!
Der Krieg soll nicht drinnen stattfinden, sondern mit dem Wettbewerber draussen
Ob Firmenwagen, die Teilnahme am monatlichen Abendessen mit
dem Topmanagement oder der besondere Seminartag: Machen Sie
sich also Gedanken darüber, wie Sie Status- und Anerkennungssymbole
bewusst einsetzen. Ganze Strategien können neidbasiert
ausgelegt werden. Wenn wir einen Wettbewerber herauspicken, der
im Moment erfolgreicher ist als das eigene Unternehmen, und zur
Maxime ausgeben, diesen ein- und überholen zu wollen, ist das
nichts anderes als der Versuch, eine Organisation über die Neid-
Emotion in Bewegung zu bringen. Wie gut das funktionieren kann,
zeigt der Wettkampf Airbus versus Boeing: Jedes relevante Meeting
ist bei Airbus von dem Motto »Beat Boeing« geprägt. Einen
starken Wettbewerber zum Feindbild zu erklären, ist eine effektive
Art, eine ganze Organisation in Wallung zu bringen. Und dabei dafür
zu sorgen, dass der Krieg nicht drinnen stattfindet, sondern
draußen, mit dem Wettbewerb.
Als Führungskraft stehen Sie bei Emotionen wie Neid, Scham oder
Angst vor der Wahl: Überlassen Sie sich willenlos der dunklen Seite
der Macht? Oder bieten Sie den dunklen Emotionen die Stirn, blicken
sie an, lernen etwas daraus und nutzen gezielt ihre jeder Rationalität
bei Weitem überlegene Kraft, um sich selbst und Ihre Organisationen
erfolgreich nach vorne zu bringen?
Zündung
Wer kämpft schon um sein Budget?
Es ist erstaunlich, wie entspannt es bei den jährlichen Budgetrunden
oder beim Vereinbaren von Umsatz- oder Einsparungszielen
in der Regel zugeht. Die Teilnehmer diskutieren ein wenig, um
letztlich mit einer beachtenswerten Leichtigkeit allem Möglichen
zuzustimmen. Da sagt der Key-Accounter zu, den Umsatz im
nächsten Geschäftsjahr um 20 Prozent zu steigern, der Operations-Chef
erklärt sich bereit, die Kosten um weitere 15 Prozent zu senken.
Beide zeigen weder Begeisterung noch ernsthafte Bedenken,
kein Entsetzen und auch keine Euphorie. Insgeheim denken sich
die Verantwortlichen vielleicht, dass es auch anders kommen könnte.
Aber was soll’s, Hauptsache, besprochen und erst einmal die
Latte hoch gehängt. Dann nimmt das Jahr seinen Lauf, das erste
und das zweite Quartal verstreichen, spätestens im vierten bricht
die große Hektik aus. Plötzlich meint jeder, die Welt oder zumindest
sich selbst retten zu müssen.
Stress, Schuldgefühle, Angst – jetzt zündet die dunkle Seite unserer Emotionen und bringt die gesamte Organisation mächtig in Wallung. Unsere Performance explodiert förmlich. Bei uns selbst und anderen werden Energien freigesetzt, von denen wir im Leben
nicht geglaubt hätten, dass wir sie überhaupt besitzen. Und so
manch einer beißt sich in den Hintern, wenn ihm klar wird, wozu
man im Vorjahr Ja und Amen gesagt hat.
Jahr für Jahr dasselbe Spiel, der scheinbar unveränderliche Kreislauf
von Entspannung und Anspannung. Bei Budget-, Umsatz- und
Kostenzielen kann dieser Zirkus noch einigermaßen amüsant sein,
weil es am Ende schließlich immer irgendwie hinhaut. Bei langfristigen
Vorhaben aber gibt es keine eng getakteten Kontrollmechanismen
(13), die dazu führen, dass wir rechtzeitig in die Gänge
kommen.
Firmen sterben nicht, weil Budgetgrenzen überschritten werden,
sondern weil sie sich zu spät damit auseinandersetzen, was in drei,
fünf oder zehn Jahren in ihrem Wettbewerbsumfeld passieren wird.
Stellen Sie sich eventuellen Veränderungen oder gar Katastrophen
nicht rechtzeitig, um daraus Chancen zu entwickeln, reicht im
Ernstfall meist die Zeit nicht mehr, um das Ruder herumzureißen.
Selbst wenn die Bedrohung noch weit weg erscheint: Der einzig
vernünftige Zeitpunkt, um rechtzeitig gegenzusteuern, ist hier und
heute!
Ein Lebensmittelspediteur beispielsweise stellt sich deshalb bereits
heute Szenarien vor, nach denen in fünf oder zehn Jahren Nahrungsmittelproduzenten
unter Umgehung des Handels Verbraucher
direkt zu Hause beliefern. Weil es in Zukunft möglicherweise
vor jedem Haus Kühlbriefkästen geben wird, in denen frische Ware
vor Ort angeliefert werden kann. Eine utopische Vorstellung, die,
wenn sie Wirklichkeit werden sollte, das aktuelle Geschäftsmodell
des Logistikers zusammenbrechen lässt. Für das Unternehmen
und seine Mitarbeiter folgt daraus die Aufgabe, bereits heute in die
eigene Zukunft zu investieren.
Die Herausforderung: Weder Logik noch Fakten, sondern nur
Emotionen, ob positive oder negative, bringen Menschen zum
Handeln (10). Zustände, die aber erst in zehn, fünf oder auch in
zwei Jahren eintreten, lösen bei den meisten Menschen keinerlei
Emotionen aus. Weder Leidenschaft noch Neid oder Angst treiben
uns an, wenn es um unsere ferne Zukunft geht.
Wie sehr unsere innere Antriebskraft vom Faktor Zeit abhängt,
lässt sich auch an diesem Beispiel beobachten. Jeder, der sich ungesund
ernährt oder raucht, verringert seine Lebenserwartung. Trotzdem
machen die meisten Menschen einfach weiter. Teilt uns ein
Arzt aber mit, dass wir nur noch wenige Monate zu leben haben,
wenn wir uns weiter so verhalten, wird uns diese Botschaft im Mark
treffen. Die Angst ist mit einem Schlag da und entfesselt ihre Kraft.
Wir beginnen sofort damit, unsere Gewohnheiten zu ändern, sollte
es eine realistische Chance aufs Weiterleben geben.
Der, wie ich es nenne, emotional antizipatorische Horizont – das
Zusammenspiel von Emotionen, Zielzuständen und dem Faktor
Zeit – ist nicht bei allen Menschen gleichermaßen ausgeprägt. Die
statistische Verteilung des Phänomens in der Bevölkerung ähnelt
einer Gauß’schen Glockenkurve: Auf der einen Seite gibt es eine
geringe Zahl von Menschen mit einer äußerst kurzen emotionalen
Zündschnur. Bei Drogenabhängigen stellt sich die Frage, warum sie
nicht zu einer Therapie in der Lage sind, bei der sie in drei bis sechs
Monaten das Schlimmste hinter sich hätten. Der einfache wie tragische
Grund: Sämtliches Denken und Handeln der Abhängigen
zielt auf Zustände ab, die es in den nächsten achtundvierzig Stunden
zu erstreben oder zu vermeiden gilt, weil nur diese mit starken
Glücksgefühlen oder Angst verbunden werden. Die Überwindung
der Abhängigkeit und Rückkehr in ein normales Leben einige Monate
später lösen dagegen weder negative noch positive Emotionen
aus – und damit auch keinen Impuls zum Handeln.
Das andere Extrem sind Menschen, die selbst von Zuständen, die
erst in zehn oder mehr Jahren eintreten könnten, emotional angestachelt
werden. Ich kenne einen umtriebigen, begeisterungsfähigen
Manager, der bereits in den Neunzigerjahren Investoren von
der Elektromobilität überzeugen wollte. Er brannte für eine Sache,
die andere noch nie gehört hatten. Häufig sind es Unternehmertypen,
die ihrer Zeit voraus sind. Die Vorstellung, dass in fünf Jahren
das eigene Geschäftsmodell nicht mehr funktionieren könnte,
kann sie schon in Panik versetzen und eine Handlung auslösen,
während die Mitarbeiter noch seelenruhig Dienst nach Vorschrift
leisten. Über sechs Monate, so meine Beobachtung, reicht der
emotional antizipatorische Zeithorizont der meisten Menschen
nicht hinaus.
Was bedeutet dies für unsere Führungsinstrumente, für den Zeithorizont
von Planung, Strategie, Reviews und Kontrolle? Wie
schaffen wir am besten ein Umfeld, das von hoher Produktivität geprägt
ist? Gerade bei längerfristigen Projekten müssen wir intensiv
über die Frage diskutieren, was bereits in sechs Monaten
anders sein wird. Wenn ein Automobilhersteller jetzt proklamiert,
auf Elektromobilität setzen zu wollen, aber sich erst 200
von 200.000 Mitarbeitern des Konzerns mit diesem
Thema beschäftigen: Was wird den Rest der Belegschaft dazu bringen,
sich nicht mehr nur mit Verbrennungsmotoren zu beschäftigen,
sondern auch sofort mit der Umsetzung der Strategie zu beginnen?
Die Angst vor dem baldigen Arbeitsplatzabbau? Oder die
Leidenschaft für die Arbeit an einem neuen Modell, die noch in
diesem Jahr beginnt?
Wollen Sie, dass Ihr Laden in die Gänge kommt, ein langfristiges
Ziel aktiv verfolgt wird, müssen Sie bei den Beteiligten Vorstellungen
generieren, die in Sechsmonatsscheiben passen und
so ein Momentum auslösen. Sehnsucht und Leidenschaft müssen
auf ein Zukunftsbild gerichtet sein, das nicht weiter weg ist
als ein halbes Jahr, anders funktionieren wir als Menschen eben
nicht.
Wer für sich selbst Leidenschaft im Alltag erleben will, macht sich
am bestens bereits am Morgen klar, welchen Zustand er bei den
wirklich wichtigen Themen am Abend erreicht haben möchte. Verabschieden
Sie sich in diesem Sinne von To-do-Listen. Fragen Sie
sich morgens drei Dinge: Was steht heute an? Was ist davon am
wichtigsten? Und was ist der Zustand, der bei diesen Punkten bis
heute Abend erreicht sein soll? Sie werden feststellen, dass Sie für
das Erreichen dieser Zustände eine ganz andere Energie und Haltung
entwickeln, als wenn Sie anfangen, eine To-do-Liste abzuarbeiten.
Es macht eben einen großen Unterschied, ob auf unserer
Liste steht: »Gespräch mit Herrn Meier zu Prozesseffizienz führen
«, oder ob wir uns vornehmen: »Mit Herrn Meier gemeinsam ein
Verständnis darüber entwickeln, wie wir es schaffen, die Prozesseffizienz
um zehn Prozent zu steigern.«
Zielerreichung geht nur mit Andocken an Emotionen
Ziele werden nur erfolgreich erreicht, wenn sie an Emotionen
andocken. Und für unsere Emotionen braucht es greifbare Zukunftsbilder.
Wenn Sie ein Höchstleistungsumfeld für sich selber
und andere schaffen wollen, dann sorgen Sie dafür, dass Sie so weit
schauen wie notwendig und dass zugleich jeder Beteiligte erkennt:
Was konkret ist in einem halben Jahr zu erreichen? Was wird anders
sein und woran werde ich das sehen, spüren, riechen können? Nur
so schaffen Sie Leidenschaft und Vertrauen und haben eine gute
Chance, dass eine ausreichend kritische Masse anfängt, ebenfalls
für das Thema zu brennen.
Achtsamkeit
»Moment, meine Damen und Herren, worüber regen wir uns hier
eigentlich gerade auf?« Als ein Teilnehmer eines Meetings seine
Stimme erhebt, war in der vergangenen halben Stunde bereits über
alles Mögliche diskutiert worden: Darüber, wer für die Verzögerungen
bei der Umsetzung eines Projektes die Schuld trage oder wo
das Haar in der Suppe dieses oder jenes Vorschlags zu finden sei.
Der übliche Unsinn also, über den erwachsene Menschen in Unternehmen
sich gerne die Köpfe heißreden, ohne zu merken, dass sie
damit in keiner Weise zum gemeinsamen Erfolg beitragen. Und
dann wirft einer der Streithähne mit einer einzigen Frage das in die
Waagschale, was wir in solchen Momenten brauchen: ein gehöriges
Maß an Aufmerksamkeit und Bewusstheit gegenüber dem, was in
diesem Meeting wirklich geschieht.
Der Mangel an Selbstbeobachtung im Alltag
Dass der Begriff der Achtsamkeit in den vergangenen Jahren in den
Medien Karriere machte, unter anderem im Zusammenhang mit
Meditation und Yoga und allen erdenklichen Selbstfindungsansätzen,
zeugt davon, dass in unserem Alltag ein gewisser Mangel an
Selbstbeobachtung herrscht. Ich möchte das Thema aber in einem
ganz pragmatischen Licht verstanden wissen: Es geht mir schlicht
um die Steigerung unserer Ergebnisorientierung und Produktivität.
Und das vor dem Hintergrund unserer mächtigen Emotionen.
Leidenschaft, Vertrauen oder Neugier genauso wie Angst, Scham,
Neid, Schuld oder Minderwertigkeitsgefühle sind die Kräfte, die
darüber entscheiden, was wir und andere tun oder eben auch nicht
tun. Wie wir denken, reden, wie wir uns selbst und andere wahrnehmen
und welche Schlüsse wir ziehen. Achtsamkeit und Selbstreflexion
sind die Schlüssel, um Emotionen besser zu steuern und auf
die der anderen intelligenter zu reagieren und damit letztlich effizienter
und effektiver zu werden.
Warum tue und sage ich in einem bestimmten Moment etwas und
welche Folgen hat das für mich und andere? Stellen wir uns als mündige
Menschen, als verantwortungsbewusste Führungskräfte immer
wieder dieser Frage. Denn Emotionen sind letztlich der einzige
Hebel, mit dem wir als Führungskraft für Bewegung sorgen
können.
Das eigene emotionsgetriebene Handeln wird nicht reflektiert
Warum zum Beispiel verbergen wir uns bei einer Diskussion hinter
Floskeln (23), die in Wahrheit nicht dazu beitragen, den Sinn eines
Vorhabens für alle Beteiligten klarer zu machen? Warum kontrollieren
(13) wir jede Tätigkeit unserer Mitarbeiter oder lesen ihnen vor
lauter Unsicherheit die Leviten und vergreifen uns dabei womöglich
noch im Ton? Machen wir uns bewusst, warum wir laut und ungefiltert
vor uns hinreden (23), unseren Eingebungen freie Bahn lassen,
warum wir ungebremst auf äußere Impulse reagieren, etwa die heftige
Kritik eines Kollegen. Denn das Einzige, was wir in solchen Momenten
ausgiebig präsentieren, ist die mangelnde Fähigkeit zur Reflexion
des eigenen emotionsgetriebenen Handelns. Wir sind nicht
bei uns selbst und dem, was wir tun. Im Nachhinein bereuen wir das
vielleicht sogar: »Mensch, hätte ich das doch anders gemacht!«
Oder: »Wieso ist mir das in diesem Moment nicht eingefallen?«
Viele meditieren oder machen Yoga – aber sind unreflektiert und unachtsam
Es heißt, dass die Fähigkeit zur Achtsamkeit in solchen Situationen
durch Meditation trainiert werden kann. Sie werden genug
Menschen finden, die sich damit schmücken, regelmäßig Meditation
oder Yoga zu betreiben, im Alltag aber völlig unreflektiert und
unachtsam unterwegs sind. Ob es die Führungskraft ist, die es einmal
im Jahr zu einem Schweigeseminar in ein Kloster schafft, aber
dennoch völlig unfähig ist, im Berufsalltag mit den eigenen Emotionen
und denen anderer effektiv und bewusst umzugehen, oder die
Yoga-Damen, auf die ich in einem Café traf und die im Anschluss an
ihre Yoga-Einheit einzig damit beschäftigt waren, untereinander
nach Anerkennung zu suchen und über nicht Anwesende zu lästern:
Da ist keine Spur von Achtsamkeit.
Sie werden als Führungskräfte produktiver, wenn Sie im Alltag
den eigenen Beobachter schulen. Wenn es Ihnen gelingt, Emotionen
zu erkennen und ihnen ein Etikett zu geben. Etwa sich selbst
eingestehen, dass Sie sich vor der Präsentation am nächsten Tag
fürchten. Ist das einmal erkannt, lässt sich viel besser damit umgehen.
Ganz nach dem Prinzip in der Quantenphysik, nach dem das
Beobachtete sich durch die Beobachtung an sich verändert. Mehr
müssen Sie gar nicht tun.
Es lohnt sich, darüber nachzudenken, in welchen Situationen wir
regelmäßig unachtsam oder unreflektiert handeln, um bereits beim
nächsten Mal unser Verhalten bewusst anzupassen. Wissen Sie,
wann mit Ihnen im schlimmsten Fall die Pferde durchgehen? Welche
Emotionen treiben Sie in solchen Momenten an? Welche
Handlungsalternativen bieten sich? Und wie bewerten Sie diese? Es
sind Fragen, die im Bruchteil einer Sekunde entschieden werden
und den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
Ob wir als Persönlichkeit reif oder unreif, klug oder unklug agieren,
hängt davon ab, wie trainiert unsere Achtsamkeit ist, wie gut wir uns
also selber beobachten.
Die eigenen Handlungsmuster erkennen – und über sich selbst lächeln
Wenn Sie sich genau beobachten und anfangen, Ihre eigenen Handlungsmuster
zu erkennen, wird Ihnen oft nichts anderes mehr übrig
bleiben, als über sich selbst zu lächeln. Wunderbar! Denn wir können
uns nur weiterentwickeln, wenn wir uns achtsam, aber ohne
Urteil uns selbst stellen!
Je häufiger wir uns unserer Emotionen bewusst werden, desto souveräner
handeln wir in jedem Moment, in dem es darauf ankommt,
was wir sagen und wie wir auftreten.