Die Entscheidungsschwäche der Manager – Gastbeitrag von The-Boardroom-Managing-Partner Claus Verfürth

Top-Manager – Entscheidungsschwach aus Angst vor Fehlern und der Angst, sich später rechtfertigen zu müssen. Und zwar für eine Personalie. Gastbeitrag von Claus Verfürth, Managing Partner bei The Boardroom, der Karriereberatung für Führungskräfte von der Rundstedt Gruppe

 

Claus Verfürth

Der Berliner Flughafenchef Karsten Mühlenfeld musste vor allem deshalb das Feld räumen, weil das Projekt BER nur noch aus Verzögerungen bestehe und die handelnden Personen es „doppelt und dreifach gegen jede auch nur entfernt denkbare Gefahr absichern“ wollen. So berichtete es „Welt.de“ Anfang März.

Ein Einzelfall? Oh nein. Noch ein Beispiel gefällig? Auch bei VW dauerte die Entscheidung, in welchem Land der neue Golf verkauft werden soll, nur wegen interner Abstimmungsprozesse drei Monate länger als sonst, weiß „Spiegel.de“.

 

Die Angst der Manager vor Entscheidungen – und Fehlentscheidungen

Top-Manager haben Angst vor Entscheidungen und vor Fehlern. Ich erlebe und höre von Managern dies: Absicherungen kosten am Ende mindestens nochmal zusätzlich ein Drittel der Zeit, die die Entscheidungsvorbereitung bis zu diesem Zeitpunkt bereits gedauert hat. Diese Verzögerung entsteht dadurch, dass sich bisher meist Unbeteiligte neu in die Sachlage einarbeiten, sie begutachten und letztlich bewerten müssen.

 

Es ist wie beim Thema Fehlerkultur: Ein Krankenhaus ist ein Ort, an dem Fehler lebensbedrohlich sind. Wo sollten sich Patienten wohler fühlen? In einem Haus mit wenigen oder mit mehr Fehlern? Die Antwort: In einem Haus mit den mehr – vor allem dokumentierten – Fehlern. Denn: Fehler sollen nicht vertuscht werden, sondern man soll schnell aus Behandlungsfehlern lernen und sich verbessern. Sind Fehler nicht erlaubt, werden sie verschwiegen – um Konsequenzen für sich zu vermeiden. So beschreibt Mario Herger, CEO von Enterprise Garage Consulting und langjähriger Insider des Silicon Valley, die Unterschiede der Fehlerkultur im deutschsprachigen Raum in seinem Buch „Das Silicon-Valley-Mindset: Was wir vom Innovationsweltmeister lernen und mit unseren Stärken verbinden können“.

 

Die Scheu der Manager vor Entscheidungen – aus Angst

Was ist mit dem Internetzeitalter? Nicht auf der Top-Ebene. Wenn alles an Tempo zunimmt, fallen ausgerechnet die Entscheidungen der Manager immer langsamer.

Dabei: Führungskräfte sollen entscheidungsstark und risikobereit sein, bitteschön. Nur das, worüber sie entscheiden, wird immer komplexer. Die zunehmende Internationalisierung, immer kompliziertere Unternehmensstrukturen und schnellere Kommunikation erhöhen den Druck auf sie, schnelle Entscheidungen zu treffen.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Manager scheuen sich geradezu, Entscheidungen zu treffen. Egal ob fachliche oder personelle. Weil sie wissen, dass ein Fehler ausreichen kann, damit sie ihren Hut nehmen müssen.

 

Das Dilemma der Führungskräfte: Ihnen wird auf die Finger geschaut

Die Zwickmühle der Top-Manager geht so: Sie sollen zügig entscheiden, einerseits. Aber gleichzeitig sollen die Entscheidungen fundiert sein und für lange Zeit gültig. Und all das, während die Öffentlichkeit und die Medien ihr Handeln mit Argusaugen beobachten und diskutieren.

 

Handeln ohne zu wissen, was die Folgen im Detail sind

Dabei sind viele Dinge heute so kompliziert, dass Manager manchmal gar nicht wissen, welche Entscheidung am Ende welche Auswirkungen im Detail hat. Das macht manchem Rechtsberater Bauchschmerzen, es mit anzusehen. Nur: Das ist nicht zu ändern.

 

 

Die Folge: Es zählt, wie es aussieht 

Somit verknüpft die Öffentlichkeit Entscheidungen sehr stark mit dem Top-Manager als Person. Natürlich, was auch sonst. Doch damit sinkt auch sein Spielraum, um Entscheidungen zu revidieren – stattdessen steigt die Erwartung von Unternehmen und Öffentlichkeit, dass der Manager auch die Verantwortung übernimmt, wenn die Entscheidung negative Folgen hat.

So kommt es nicht von ungefähr, dass der – vermeintlich – schuldige Top-Manager als öffentliches Zeichen einer Kurskorrektur das Unternehmen verlassen muss. Selbst wenn er nach besten Wissen und Gewissen gehandelt hat und er die negative Entwicklung nicht vorhersehen konnte. Oder wenn eine Verkettung von Entscheidungen zum negativen Ergebnis geführt hat und ein eindeutig Schuldiger gar nicht zu identifizieren ist.

 

Bloß nicht alleine entscheiden

Die Folge dieser Praxis: Manager versuchen mehr denn, ihre Entscheidungen abzusichern. Um im Falle eines Falles nicht allein den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen, geben sie dann externe Gutachten in Auftrag. Oft sogar mehrere, oder sie lassen in Gremien gemeinschaftlich entscheiden. Beides führt dazu, dass sich Entscheidungsprozesse verzögern – und dass Top-Manager führungs- und entscheidungsschwach wirken. Und das führt oft zum gleichen Ergebnis: sie müssen ihre Sessel in der Chefetage räumen.

 

Entscheidungsschwäche erschwert den Neuanfang

Unabhängig davon, was die faktischen Hintergründe der Trennung vom Top-Manager und seiner Company waren: Das vermeintlich öffentliche Scheitern erschwert den beruflichen Neubeginn – in einem Markt, der ohnehin schon eng ist. Die weit verbreitete öffentliche Meinung „Die da oben fallen immer wieder auf die Füße“ ist aber in der Realität keineswegs so. Vakante Positionen in Top-Führungsetagen gibt es nicht wie Sand am Meer. Mit – zu Recht oder Unrecht – angekratzter Reputation ist es für Manager noch schwerer, ein neues Unternehmen von ihrer Kompetenz zu überzeugen. Und – es klingt wie Ironie des Schicksals – oft erleben sie mangelnde Entscheidungsfreude und Risikobereitschaft von einer neuen Seite. Wenn Personalberater und Unternehmenschefs beziehungsweise deren Aufsichtsgremien zögern.

 

Personalberater präsentieren ihren Kunden ungern Kandidaten, deren Trennung vom früheren Arbeitgeber durch die Presse ging. Denn sie wissen, dass sie für diese Klientel nicht nur mehr Überzeugungsarbeit leisten müssen, sondern auch ihre eigene Reputation und Folgeaufträge gefährden, wenn die Neubesetzung nicht die erwartete Leistung zeigt.

Unternehmenschefs und Aufsichtsgremien, die oft nicht die notwendige Risikobereitschaft haben, einem – zuletzt vermeintlich erfolglosen – Manager einen Vertrauensvorschuss und genügend Zeit zu geben, damit er sich erneut beweisen kann.

 

Branchenwechsel als Mission impossible

Mancher Top-Manager kommt in dieser Situation auf die Idee, einen Neu-Start in einer anderen Branche wagen zu wollen – und landet dabei schnell auf dem harten Boden der Realität. Denn wenn sie nicht ausdrücklich beauftragt werden, auch Branchenfremde zu suchen, präsentieren Personalberater ausschließlich Kandidaten, die 100-prozentig zum gesuchten Profil passen. Oder wenigstens zu 98 oder 99 Prozent.

 

…auch für Headhunter

Denn Exoten vorzuschlagen bedeutet für die Personalprofis meist nur, dass sie selbst lange Diskussionen führen, Überzeugungsarbeit leisten und im Zweifel später fakturieren müssen. Wird nämlich der Branchenfremde eingestellt und reüssiert doch nicht, hat er als Personalberater den Schwarzen Peter.  Und im schlimmsten Fall bekommt er zur Strafe keine Folgeaufträge mehr.

 

Branchenwechsler sind ein Risiko – für Personalabteilung und Top-Management 

Auch Unternehmen sind nur begrenzt bereit, Branchenneulinge einzustellen, die frischen Wind ins Unternehmen bringen könnten. Ich schätze, grade mal jedes fünfte Unternehmen gibt sich die Chance, aus anderen Branchen inspiriert zu werden. Warum? Weil die Entscheider vom Top-Manager bis zum obersten Personaler Angst haben, sich eventuell irgendwann dafür rechtfertigen zu müssen: Warum sie diese Einstellung befürwortet haben? Nämlich dann, wenn der Kandidat nicht reüssiert, wenn er keinen Erfolg hat.

Es gibt tausende von Beispielen und Gründen, warum ein Manager keinen Erfolg hat. Bei erfolglosen Branchenfremden ist die Begründung immer diese: Er kam nicht aus der Branche und tat sich schwer, die spezifischen Andersartigkeiten schnell zu adaptieren.

Die Schuldfrage ist damit geklärt. Das Spiel beginnt von vorn.

 

 

 

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