ARD-Doku über den Druck auf den Top-Manager Pierre Wauthier vor seinem Suizid – und was Führungskräfte daraus lernen können

ARD-Themenwoche „Zukunft  der Arbeit“: Heute abend zeigt die ARD eine Doku, die interessant werden könnte.

«Tod eines Managers. Der Fall Wauthier», Mittwoch, 2. November, 21.45 Uhr, ARD

http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/tod-eines-managers-der-fall-wauthier-pierre100.html

Aktueller Nachtrag vom 16.1.2020: Der Fall wurde mit Ulrich Tukur verfilmt und kommt bald in die Kinos. https://www.handelszeitung.ch/panorama/jagdzeit-der-suizid-des-zurich-finanzchefs-als-filmvorlage

 

Worum geht es? Pierre Wauthier, Ex-Finanzchef des Zurich-Versicherungskonzerns hatte in seinem Abschiedsbrief vor seinem Suizid im August 2013 dem Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann die Schuld für seine Verzweiflungstat zugewiesen. Ackermann war damals Verwaltungsratspräsident der Zurich Insurance Group und Wauthier der Finanzchef. Was sich im Detail zugetragen hat, ist bis heute nicht bekannt gemacht worden. Nur dass Insider sagten, dass es „Spannungen“ zwischen beiden gab.

 

Die ARD schreibt nun in ihrer Ankündigung:

http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/tod-eines-managers-der-fall-wauthier-pierre100.html

„Doch 2012 verändert sich etwas bei der Zurich Versicherung. Der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann wird Verwaltungsratspräsident und bringt ein anderes Klima in die Versicherungswelt. Pierre beklagt seiner Frau gegenüber, dass Ackermann der Versicherung die Philosophie einer Bank überstülpen wolle. Ackermann habe mit der Firmentradition ruhiger, höflicher Meetings gebrochen, bestätigen ehemalige Kollegen. Es kommt zu Situationen, in denen sich Wauthier völlig allein gegenüber Ackermann agieren sieht, ohne dass ihn sein direkter Chef, CEO Martin Senn, geschützt hätte.

In dieser Zeit verlassen einige hochrangige Kollegen Wauthiers das Versicherungsunternehmen. Wauthier aber bleibt. Er gilt als extrem gewissenhaft und idealistisch, auch perfektionistisch, pflichtbewusst, sensibel, aber hart in der Sache. Wauthier ist mit Leib und Seele Finanzchef, gilt weltweit als einer der besten seines Fachs. In der Woche vor dem Suizid absolviert er 16 Meetings in zwei Tagen an unterschiedlichen Orten.“

 

Mich hatte damals gewundert, wie es weiterging. Man konnte man in der „NZZ“ im November 2013 – aber auch an allen möglichen anderen Stellen in ähnlichem Ductus – lesen: Ackermann sei nun – angeblich – entlastet. „Gut zwei Monate nach dem Freitod des Finanzchefs des Versicherungskonzerns Zurich, Pierre Wauthier, ist eine im Auftrag der Finanzmarktaufsicht (Finma) durchgeführte Untersuchung zum Schluss gekommen, dass dieser keinem «ungebührlichen oder unangemessenen Druck» ausgesetzt gewesen war. Das sind gute Neuigkeiten für Josef Ackermann, den früheren Zurich-Verwaltungsratspräsidenten, der Anfang September, wenige Tage nach dem Tod Wauthiers, zurückgetreten war“, schrieb die „NZZ“.

Merkwürdig nur: Kein weiteres Wort, warum die Untersuchung zu diesem Schluss gekommen ist. Kein Wort, was genau passiert war und was in der Auseinandersetzung mit Ackermann möglicherweise der Auslöser für den Wauthiers Freitod war.

 

Seit wann prüfen Wirtschaftsprüfer, wer auf wen und wie Druck ausübt?

Oder kann es das auch nicht, weil sich Wirtschaftsprüfer Zahlen und Fakten ansehen? Und nicht mehr? Weil sie üblicherweise nicht beurteilen, ob und womit jemand auf einen anderen starken, unangemessenen Druck ausübt.

Oder sollten sie sich doch in solch ungewohnte Gefilde gewagt haben und den Umgang von Verwaltungsratschef Ackermann mit seinem CFO auf den Prüfstand gebracht haben? Dann müssten sie die Karten auf den Tisch legen. So blieb alles intransparent. Verwunderlich war vor allem aber, warum alle die angebliche Entlastung nur hinnahmen und nachplapperten?

Die Nachrichtenagenturen dpa/Reuters schrieben nur: „Sie (PwC) befragten Mitarbeiter und durchforsteten Dokumente und Geschäftskorrespondenz auf der Suche nach Hinweisen, ob Wauthier unter übertriebenem Druck stand.“ http://www.wiwo.de/unternehmen/banken/untersuchungsbericht-ackermann-nach-cfo-selbstmord-entlastet-/9024278.html

Nur: seit wann wissen Mitarbeiter oder Kollegen um den unangemessenen Druck, der unter zweien aufgebaut wird? Der findet kaum öffentlich und eher selten schriftlich – und damit nachweisbar – statt. Seit wann schreiben Top-Manager verzweifelte Mails an andere Unternehmensangehörige?

Läuft Psychoterror nicht subtiler ab? Und ohne unnötige Zeugen? Ist genau nicht das das Wesen solcher Situationen? Bei anderen Mitarbeitern weiter unten in der Hierarchie würde man schnell zum Wort Mobbing greifen – und raten, ein Mobbing-Tagebuch zu führen, zum Betriebsrat zu gehen, eine Anwalt zu konsultieren undsoweiter. Eben weil die Gemengelage schwer nachzuweisen ist.

 

Top-Manager müssen Gesicht wahren – oder wollen es jedenfalls

Doch das genau ist einem Top-Manager versperrt. Schon das Öffentlich-machen, das Zugeben wäre für Top-Manager ein Tabu. Der muss Gesicht wahren und das macht ihn oft besonders einsam.

Ob eine Untersuchung durch Wirtschaftsprüfer viel zu hohen Druck oder gar eine Art Psychoterror also widerlegen kann? Zumindest wollte Josef Ackermann den Abschiedsbrief nicht vorgelesen, nicht veröffentlicht wissen. Und nur das – so scheint es – hätte noch Klarheit in die Lage bringen können, zumindest in die Sichtweise des CFO´s Wauthier. Von jemandem, der selbst ein Zahlenmensch war – und vermutlich auch sturmerprobt.

Insoweit verwundert mich der Schluss, dass Ackermann „entlastet“ worden sei. Wenn es denn buchhalterisch gemeint ist, sollte man es dazusagen.

Dann hätte es aber keine Bedeutung für die Kategorien von Mit-Schuld am Suizid von Wauthier.

http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsnachrichten/untersuchung-entlastet-ackermann-und-die-zurich-1.18178874

Die „NZZ“ erwähnte dann noch die Ehefrau des Verstorbenen. Und die Zeitung warf die Frage auf: Ob sie wohl erneut ihre Vorwürfe gegen Ackermann erheben würde?

Jedenfalls bezweifelte Fabienne Wauthier in einem Interview mit „Bilanz“, ob die Untersuchung mit der nötigen Tiefe durchgeführt wurde. «Ich wurde für diese Untersuchung nicht einmal befragt,» sagt sie.

Die Schweizer Zeitung „Blick“ schreibt jetzt, am 31.10.2016: „Die Familie akzeptierte das nicht (Das Ergebnis der Finanzmarktaufsicht (Finma): Die Zurich habe keinen «unangemessenen Druck» ausgeübt.) Sie geht nun offenbar mit dem Dok-Film in die Offensive.“ http://www.blick.ch/news/wirtschaft/ard-doku-zeigt-abschiedsbrief-des-zurich-finanzchefs-so-verzweifelt-war-pierre-wauthier-53-id5681344.html

 

Die ersten Worte von Wauthiers Abschiedsbriefs gelten Ackermann

Hin wie her, auf der ARD-Homepage ist zu lesen: „Joe Ackermann is so far the worst Chairman I ever met.“ – „Josef Ackermann ist der schlechteste Vorsitzende, den ich je getroffen habe.“ Mit diesen Worten beginnt der Abschiedsbrief von Pierre Wauthier, bis 2013 Finanzchef (CFO) der Zurich Versicherung.

http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/tod-eines-managers-der-fall-wauthier-pierre100.html

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Karriere-Aus wegen des Selbstmords eines anderen

Gezeigt hat der Fall aber etwas anderes: Die schönste Bilderbuchkarriere bekommt mindestens einen Knick, wenn ein Mitarbeiter, Kollege oder irgendwie Nachgeordneter Selbstmord begeht und auf einen vorgesetzten – bis dato -Erfolgsmenschen als Schuldigen weist. Das ist ein Fakt, der bislang in keinem Karriereratgeber vorkommen dürfte: Achten Sie darauf, dass Sie niemanden so sehr unter Druck setzen, dass er sich das Leben nimmt.

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Die Ohnmacht der Vorgesetzten

Zeigt dann noch dessen Ehepartner Courage und erhebt öffentlich die Stimme gegen ihn, muss derjenige Konsequenzen ziehen. So wie Ackermann zurücktrat, als Frau Wauthier den Abschiedsbrief ihres Mannes bei der Beerdigung vorlesen wollte. Dann gibt es kein Vertun mehr. Auch der sonst so mächtige Banker Ackermann stand mit dem Rücken zur Wand: Er konnte nichts mehr machen. Nichts, außer zurückzutreten.

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Realisieren, dass und wie man Nachgeordneten zusetzt

Besser wäre, mancher Führungskraft würde früher klar, wenn und wie er anderen Menschen, vor allem Nachgeordneten zusetzt. Womöglich sogar so sehr, dass es für andere unerträglich wird und sie keinen anderen Ausweg mehr sehen, als Hand an sich zu legen. Aber die Lektion ist vermutlich bei keinem Top-Manager angekommen.

Oder hat ein Top-Entscheider etwas zu dem Thema gesagt? Ich wüsste nicht, wer. Warum auch, Menschlichkeit, respekt- und stilvoller Umgang mit anderen haben noch keinen an eine Unternehmensspitze gebracht.

Und: Wer spricht über dieses Thema schon ohne Not? Im Gegenteil, geschieht in einem Unternehmen ein Suizid, tun die Pressestelle und die Unternehmensleitung alles, um ihn zu vertuschen. Klein zu reden. Andere Gründe für die Tat vorzuschieben. Damit bloß nichts an der Firma hängen bleibt. Da greifen Unternehmen auch zu ungewöhnlichen Mitteln, zu groß ist die Sorge, dass Selbstmorde gerade in und wegen ihrer Company bekannt werden.

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Der Selbstmord eines anderen als Karriere-Killer

So gesehen dient Wauthiers Tod vielleicht insgeheim vielen Entscheidern doch als Warnung, dass ein Mitarbeiter oder Kollege auch ihre Karriere abrupt beenden kann. Und dass auch ein mächtiger Top-Manager nichts dagegen tun kann. Außer rasch gesichtswahrend abzutreten.

http://www.blick.ch/news/wirtschaft/ard-doku-zeigt-abschiedsbrief-des-zurich-finanzchefs-so-verzweifelt-war-pierre-wauthier-53-id5681344.html

http://www.bilanz.ch/unternehmen/fall-wauthier-witwe-wurde-nicht-befragt-326613

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/krise-hat-10-000-selbstmorde-verursacht-12991320.html

http://www.teleboerse.de/aktien/Zurich-soll-offene-Fragen-beantworten-article12586496.html

 

 

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