Buchauszug – Interview (2) von Werber Armin Reins mit PR-Profi Karl-Heinz Heuser: „Im Schadenfall hast Du keine Zeit“

Werber Armin Reins interviewt Karl-Heinz Heuser, Chef der Heuser Kommunikation und Ex-Deutschlandchef der US-Netzwerkagentur Burson-Marsteller über Krisen-PR, PR-Task-Forces und dass die Wahrheit nie scheibchenweise ans Licht kommen soll.

 

Karl-Heinz Heuser, PR-Profi

Karl-Heinz Heuser, PR-Profi

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In der Krise ist die größte Herausforderung die Sprache.

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Wenn irgendwo auf der Welt eine Marke ein kommunikatives Problem hat, ein Unternehmen in die mediale Bredouille gerät, ja selbst, wenn ein Kreuzfahrschiff  vor der italienischen Küste auf einen Felsen läuft, dann wird Karl-Heinz Heuser gerufen. Denn er weiß, warum im Krisenfall keine bunten Bilder helfen. Sondern klare Fakten. Er weiß, wie man mit Geschichten Botschaften transportiert. Warum Worte manchmal spitzer sind als Schwerter. Und warum PR heute nicht mehr PR heißen sollte.

 

Armin Reins: Karl-Heinz, Du nennst Deine Branche nicht mehr PR.

Karl-Heinz Heuser: Ich nenne meine Branche Kommunikation

Bitte erkläre uns den Unterschied.

Public Relations ist nur ein Teil der Kommunikation. So wie auch Werbung nur ein Teil der Kommunikation ist. Es dabei geht es um alle Beziehungen zwischen einer Person oder einer Institution zur Öffentlichkeit.

 

Welche Rolle spielt dabei Sprache?

Eine große. Aber eine andere als früher. In der Kommunikation geht es heute vor allem darum, Geschichten zu erzählen. Geschichten, die so aufgebaut sind, dass sie zu Bildern im Kopf des Empfängers führen. Dass sie einen Film in Köpfen der Menschen ablaufen lässt. Dazu genügt nicht mehr die althergebrachte PR-Sprache, wie man sie aus 08/15-Pressemitteilungen kennt. Um wirksam durch Bilder Einstellungen zu verändern, braucht es eine ganz besondere Sprache.

 

Der Wettbewerb um den Platz in den Medien wird immer härter. Welche Rolle fällt dabei der Sprache zu?

Es kommunizieren heute viel mehr Menschen, Institutionen, Unternehmen. Als Absender kommst du nur in die Medien, wenn du inhaltlich richtig verstanden wirst. Das ist das eine. Und zweitens, geht es darum, das Ganze mit einer knackigen Aussage zu verbinden. Nur die ist es dann, die den Weg in die Medien findet. Und letztendlich hängenbleibt.  Wenn man zurückdenkt, die großen Wahlkämpfe in den 60er Jahren, 70er Jahren, Adenauers „Keine Experimente“, „die FDP schneidet die alten Zöpfe ab“ oder die Rote-Socken-Kampagne der CDU, es sind immer die großen bildhaften Aussagen, die wir uns merken.

 

Armin Reins

Armin Reins

Das Big Picture ist also in der Public Communication die Big Message?

Ja. Es waren und sind immer die von starken Sätzen getragenen Kampagnen, die Wirkung erzeugen. Weil sie in wenigen Worten die Haltung für Jedermann auf den Punkt bringen. Die Menschen können nur begrenzt Dinge aufnehmen. Das, was langweilig kommuniziert wird, fällt sofort durchs Raster.

 

Bedeutet das, man muss sprachlich populär visuell sein?

Richtig. Die Sprache muss populär sein und sie muss zu Bildern führen. Sie darf aber dabei nicht populistisch sein. Populär würde ich so definieren: Die Message muss verstanden werden. Und sie muss dabei auch ein kleines bisschen unterhaltsam sein und mit einer Emotion verknüpft sein.

 

Uiih – unterhaltsame Sprache und Emotion. Das ist doch genau das Parkett, auf dem Ungeübte schnell ausrutschen.

Exakt. Noch nie gab es eine Zeit, in der Wörter so auf die Goldwaage gelegt wurden und in allen Medien verbreitet wurden. Wenn du heute irgendwo ein Wort falsch sagst, ist das in zwei Minuten um die ganze Welt.

Dabei sind es nicht die Worte, es ist deren Verbreitung, die einen vorsichtiger werden lässt. Weil man weiß, wenn du heute, gerade vor einer Kamera, aus Versehen etwas Falsches sagst, das findet bei YouTube, in den sozialen Medien, sofort seinen Niederschlag. Und dann hat man Probleme. Das Internet ist das ewige Gewissen. Was man da einmal gesagt hat, bleibt.

Früher galt die Regel: Nichts ist so alt wie die Tageszeitung von gestern.  Was im Prinzip meinte: Eine Nachricht ist kurz gehyped und dann ist sie weg. Das hat sich extrem verändert. Heute findet jede Nachricht den Weg in die Ewigkeit. Das Internet vergisst nicht. Da kann auf Google plötzlich ein negativer Eintrag von 2004 hochgeschwemmt werden. Deswegen ist man in der Tat gut beraten, sich immer sehr genau zu überlegen, was sage ich eigentlich wann, wem und bei welchem Anlass.

 

"Text sells"

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“Text sells. Wie Sie Texte schreiben, die wirken.Wie Sie Unternehmen und Marken durch Sprache Profil geben.” Armin ReinsVeronika ClassenGéza Czopf, März 2015, Verlag Herrmann Schmidt, 49,90 Euro 

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Damit hast Du eigentlich präzise Dein Berufsfeld beschrieben.

Im Prinzip habe ich damit mein ganzes Berufsfeld beschrieben.

 

Information mit Emotion – ist das eigentlich möglich?

Ich glaube schon. Wenn wir aber beispielsweise über Krisen-PR sprechen, dann kommt sogar noch ein dritter Aspekt hinzu: die juristischen Konsequenzen.

 

Hast Du für uns ein Beispiel?

Nehmen wir das Costa Crociere Unglück in Italien. Wir betreuten diesen Fall als Agentur. Da muss man auf der einen Seite sachlich informieren, was passiert ist. Da muss man auf der anderen Seite natürlich Betroffenheit äußern, weil, es sind Menschen zu Tode gekommen. Das ist emotional etwas sehr Bewegendes. Da muss man selbstverständlich die richtigen Worte finden.

Aber gleichzeitig muss man auch mögliche Schadensersatzansprüche juristischer Art im Kopf haben. Das heißt, man darf nicht aus einer emotionalen Wallung heraus Sätze sagen, die später justiziabel sind, was Schuldanerkenntnisse oder ähnliche Dinge angeht.

 

Bedeutet das für die Ausbildung eines Menschen, der heute in die Öffentlichkeitsarbeit geht, er muss mehr wissen als früher? Muss er auch ein halber Jurist sein, ein halber Psychologe?

Nein, er muss nur mit den entsprechenden Leute zusammenarbeiten. Aber richtig ist schon, dass gerade bei großen Krisen, in denen Menschen zu Schaden kommen, oder wenn Fabriken geschlossen werden, 500 Leute ihren Arbeitsplatz verlieren, da kommt es sehr darauf an, dass man auf der einen Seite Mitgefühl zeigt, aber auf der anderen Seite auch die ökonomischen Notwendigkeit berücksichtigt.

Und da muss man sicherlich mit unterschiedlichen Experten zusammen arbeiten. Die Zusammenarbeit mit Psychologen ist noch nicht so weit institutionalisiert, aber mit den Juristen ist das bereits Standard. Da sitzen immer Anwälte mit am Tisch, was manchmal den einen oder anderen gesprochenen Satz etwas sperrig klingen lässt.

Der Job ist allgemein vielfältiger geworden. Früher war PR Pressearbeit. Und man hat Pressekonferenzen oder Veranstaltungen gemacht. Heute hast du eine große Zielgruppensegmentierung, die individuell angesprochen werden will. Und für jede Zielgruppe musst du unterschiedliche Ansprachen wählen oder aber unterschiedliche Veranstaltungen, Events, Tools entwickeln, damit du an die Leute auch  die Informationen richtig herantragen kannst. Das macht es komplex.

 

Bleiben wir beim Thema Krisenmanagement, das ist ja euer Kerngebiet. Eine Krise, die ich unter Sprachgesichtspunkten intensiv verfolgt habe, war die Budapest-Affäre der Hamburg-Mannheimer. Damals firmierte die ERGO gerade um. Sie machen eine riesengroße Kampagne, mit Millionen in Print und TV. Klartext-Initiative. Versprechen: Alles wird neu. Alles wird besser. Alles wird sauberer. Alles wird gut. Und plötzlich bricht dann brutal die Budapest-Nutten-Story über sie herein. Das ganze Unternehmen steht buchstäblich im roten Licht. Wie reagiert eine Agentur darauf? Wie muss ich mir den Arbeitsablauf zu so einer medialen Krisen-Bewältigung vorstellen?

Ich hatte bei der ERGO keine Aktien drin, sie ist nicht unser Kunde. Aber ich denke, der Ablauf ist überall gleich. Der Kunde meldet sich bei der Agentur und sagt, wir haben ein kommunikatives Problem, das einen ziemlich schwierigen faktischen Hintergrund hat. Also am Anfang der Bewältigung einer Krise steht nicht die kommunikative Erklärung, sondern das Erkennen und die Einsicht: Wir haben ein faktisches Problem. Also als Unternehmen zu begreifen: Da kommt etwas, das hat für uns einen gravierenden negativen, wirtschaftlichen Einfluss.

 

Oder Imageeinfluss.

Ja, was am Ende aber auch wirtschaftliche Auswirkungen hat. Also erst mal muss das betroffene Unternehmen erkennen, dass es überhaupt ein Problem hat. Wenn wir mit Kunden Krisenszenarien durchspielen, gibt es immer die Diskussion, wer entscheidet eigentlich im Unternehmen, wann eine Krise eingetreten ist?

So banal das klingt: Das ist immer einer der wichtigsten Schritte überhaupt. Denn wer sagt: Wir haben eine Krise, der verantwortet sie letztlich. Was bis zum Rücktritt führen kann. Und wenn man dann erkannt hat, ja, es ist eine Krise, dann sieht man nach, wie haben wir uns eigentlich darauf vorbereitet?

In der Regel hast du bei einer Krise ganz wenig Zeit. Wenn das Schiff gesunken ist, kannst du nicht anfangen, dich in Ruhe hinzusetzen und zu sagen, bis morgen schreiben wir mal ein paar kluge Botschaften auf.

 

Wann ist denn für ein Unternehmen die Krise da? Wenn die Presse berichtet oder im Grunde noch vorher?

Vorher. Im Idealfall hat man in einer Krise das Heft des Handelns in der Hand; das heißt, man kann proaktiv seine Geschichte erzählen.

 

Haben Kunden denn für solche Fälle immer eine Agentur in petto, die sie sofort anrufen können?

Nicht immer, aber häufig. Also bei den Kunden, für die wir an solchen Themen arbeiten, ist die Krisenprävention deutlich der wichtigere Teil. Aber wir hoffen natürlich immer alle, dass keine Krise kommt.

 

Also Ihr habt einen Vertrag mit dem Kunden, falls irgendwo irgendeine Krise auftritt. Ihr beobachtet den Markt. Ihr seid pausenlos in Hab-Acht-Stellung. So wie ein DLRG-Ausguck am belebten Badestrand. Jederzeit bereit, im Notfall rettend einzugreifen.

Genau. Schönes Bild. Wir haben eine Task Force die immer in Bereitschaft ist. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Die hat ein Notfalltelefon, das kriegen unsere Kunden, da hat immer einer Dienst, und da wird dann angerufen.

 

Bleiben wir bei dem havarierten Schiff. Hast du davon aus der Presse erfahren?

Um Himmelswillen, nein. Dann hätten wir einen verdammt schlechten Job gemacht. Sofort, als das Schiff ein Problem hatte, hat der Kapitän seine Reederei angerufen. Die Reederei erkannte, da sinkt ein Schiff. Die Costa Reederei hat mit unseren Kollegen in Italien und uns in Deutschland einen Vertrag.

Ich glaube, eine halbe Stunde später hat der Kunde unsere Kollegen in Italien angerufen und unsere Kollegen in Italien haben uns angerufen. Und dann haben wir uns hier mit unseren Kunden in Deutschland in Verbindung gesetzt und haben erst mal nachgeguckt, wie viele Deutsche sind auf dem Schiff. Man guckt sich die Passagierlisten an, fragt, wer ist eigentlich zu Schaden gekommen.

Das ist natürlich immer auch ein politisches Thema, das heißt, das Auswärtige Amt ist involviert. Da geht es dann um Sekunden. Das ist der Vorteil einer Netzwerkagentur, dass du sofort, ohne Zeit zu verlieren, Grenzen überschreitend, tätig werden kannst.

 

Und zu diesem Zeitpunkt war noch nichts in der Presse?

Da war noch nichts in der Presse. Die Reederei hat sofort das Krisenpotenzial erkannt.

 

Und ab dann läuft das Rad an.

Jetzt läuft das Rad an. Man schaut sich an, was ist wirklich passiert. Das heißt also, die Informationsseite, um Fakten zu transportieren, damit es keine „Dazudichtungen“ gibt. Es ist wichtig, dass man im Krisenfall wirklich am Anfang nur die Fakten transportiert. Dann erst kommen wir zur Emotionalität.

Es sind ja nicht nur die Betroffenen oder deren Angehörige, sondern die Kraft des Bildes eines sinkenden Schiffes. 3.500 Menschen, eine sinkende Kleinstadt –  die emotionale Kraft so eines Bildes ist schon ziemlich bewegend. Und entsprechend muss man sprachlich auch mit der Emotionalität umgehen. Dieses Bild wühlt die Menschen förmlich auf. Dem muss man in der Kommunikation Rechnung tragen.

Die Agentur hat aber auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, Schaden vom Kunden fernzuhalten. Da ist es in der Sprache sehr wichtig, Information, Emotion und Schadensbegrenzung unter einen Hut zu bringen. Damit man nicht Tür und Tor öffnet, dass durch ein aus einer persönlichen Bewegung heraus gesprochenes Wort, das Unternehmen juristisch in Schadensersatzansprüche herein läuft.

 

Das Prinzip heißt also: Die Wahrheit sofort auf den Tisch.

Ja. Ich halte nichts davon, Wahrheiten scheibchenweise zu verkaufen. Ich bin ein Anhänger des Grundsatzes, alles kommt sowieso raus, deswegen, berichte es lieber selbst, dann bist du derjenige, der die kommunikative Richtung vorgibt, du bist proaktiv und läufst nicht hinter einer möglichen Berichterstattung hinterher.

 

Aber bist du nicht in der Nahrungskette der Information an letzter Stelle? Der Kunde muss dir ja nicht alles sagen, was er wirklich weiß …

Klar, das setzt Vertrauen und absolute Ehrlichkeit voraus. Aber das ist eine Grundbedingung. Alle Berater können nur dann gut beraten, wenn sie die Fakten kennen. Aber ich habe es noch nicht erlebt, dass Kunden uns Informationen vorenthalten.

 

Also die haben euch gesagt, passt auf, das Ding ist auf Grund gelaufen, es lag am Kapitän, der Kapitän hat Mist gebaut.

Nein, so deutlich nicht, weil das war da noch nicht klar, warum. Klar war nur, das Schiff ist auf Grund gelaufen, Und der Kapitän hat dabei eine wichtige Rolle gespielt … Gut, wir haben sofort die Frage gestellt: Wo war der Kapitän? Aber das wusste zu diesem Zeitpunkt  noch keiner. Ganz am Anfang war das ja alles noch nicht klar.

 

Wie geht es dann weiter?

Wir legen eine Strategie fest und fragen uns, wie gehen wir kommunikativ damit um. Und da kann es auch durchaus sein, dass man erst mal gar nichts sagt. Weil das in so einer Situation das Klügste ist. Es müssen erst einmal viele Fakten geklärt werden. Tut uns leid, was passiert ist, es müssen die Fakten geklärt werden: „Bevor wir die Fakten nicht haben, können wir Ihnen auch nichts wirklich Valides sagen.“ Das wäre Spekulation. An Spekulationen sollte man sich in einer Krise als betroffenes Unternehmen nicht beteiligen oder sie dadurch  anheizen. Erst mal keep cool. Das ist ja auch für den Kunden eine Krise in dem Ausmaß, etwas Bewegendes …

(Das Telefon von Karl-Heinz Heuser klingelt).

Sorry, ich muss ran gehen.

(Das Telefonat dauert vier Minuten).

 

Ein Kunde? Eine Krise?

Er findet gerade heraus, ob es eine ist. Er meldet sich gleich nochmal. Könnte noch ein langer Abend werden für mich. Machen wir bis dahin weiter.

 

Also erst mal Fakten klären.

Ja, soweit es irgendwie geht, neutrale Fakten heranschaffen. Zum Beispiel durch Sachverständige. Versuchen Emotionen herauszunehmen. Aber nur im Sinne von: keine Spekulationen. Und natürlich auch, wenn wir über einen Unfall reden, echte Betroffenheit zeigen. Das ist eine normale menschliche Regung und jeder erwartet, wenn irgendwo etwas passiert ist, dass man sagt, oh, das tut uns aufrichtig leid. Und nicht nur „dumm gelaufen“. Sondern eine ernsthafte Anteilnahme zeigen. Da haben die Menschen dann auch ein Recht darauf.

 

Wenn die Strategie dann feststeht, dann wird getextet?

Getextet wird immer. Von Beginn an. Auch das Gesprochene wird getextet. Bei solchen Katastrophen gibt es immer sofort eine Pressekonferenz. Du kannst davon ausgehen, dass dann in kürzester Zeit die Journalisten per Hubschrauber auf der Insel fliegen. Und dann muss man sprechfähig sein. Das heißt, man legt ein paar Kernbotschaften fest, und dann ist es ganz wichtig, dass man auch denjenigen aussucht, der die Kernbotschaften vorträgt. Und dann muss der das vernünftig, mit guter Mine, guter Kleidung, der angemessenen Stimme, gegenüber den Journalisten vorgetragen.

Und dann gibt es stündliche Bulletins, die an die Medien gegeben werden. Und und und. Da ist viel zu schreiben. Manchmal schreibt man aber auch gar keine Pressemitteilung, sondern es gibt Holding Statements oder andere Formulierungsbausteine, die man dann telefonisch den Medien übermittelt.

Entscheidend ist, dass man immer die gleichen Wörter, die gleichen Statements verwendet, wenn mehrere Leute mit den Medien sprechen. Sich dabei nicht widersprechen. Sondern die eine, verbindliche Aussage finden. Die zur Situation passt. Die auch zum Kunden passt. Zu seiner Marke. Im Einklang mit seinen Werten.

Ich glaube, Disziplin ist in der Krise von besonderer Bedeutung, sowohl, was man sagt, als auch, wie man es sagt und wer es sagt. Und ganz entscheidend ist, dass man immer mit den gleichen Botschaften aufwartet und nicht: der eine sagt das und der andere sagt das – oder dass man sich zusätzliche Probleme schafft durch unglückliche Formulierungen.

 

Ich stelle dir eine Frage, die du nicht beantworten musst. Präpariert ihr auch die Menschen, die bei den Pressekonferenzen die Fragen stellen? Setzt ihr auch Menschen in das Publikum, welche die richtigen Fragen stellen?

Nein. Machen wir nicht. Ich will es nicht ausschließen, dass es andere tun. Ich kann es mir aber nicht vorstellen.

 

Woher weiß der Pressesprecher, die Geschäftsführung, in der Pressekonferenz, welche Fragen kommen?

Weil wir uns mit möglichen Szenarien beschäftigen, und weil man natürlich im Vorfeld antizipiert, was die Medien interessieren kann. Wir sagen dem Kunden auch, dass er das Recht hat, auch mal zu sagen, das kann ich Ihnen gerade nicht sagen, die Fragen kann ich Ihnen momentan nicht beantworten. Wenn man nichts weiß, sagt man besser, das kann ich Ihnen nicht sagen.

 

Ist das ein richtiges mündliches Training, dass man sich mit dem Kunden einen halben Tag hinsetzt und das mit ihm einübt?

Nein. Das passiert lange bevor ein Schadensfall überhaupt eintritt.  Im Schadenfall hast du keine Zeit. In der Krise ist die Sprache die größte Herausforderung. Aber die knappe Zeit ist eine fast genauso große Herausforderung. Im Normalfall haben wir mit den Kunden Krisensimulationen vorher gemacht. Sodass das eingeübt ist, was er in solchen Situationen zu sagen hat. Und wie er es sagt. In welcher Rolle.

Aber natürlich ist keine Krise ist wie die andere. Das heißt, am Ende des Tages muss man immer auch das was vorher an Informationen vermittelt wurde, neu formulieren oder entsprechend zuschneiden.

 

Aber sind Vorstandsvorsitzende, die sich ja oft als Götter fühlen, lernbereit?

In Krisensituationen ist auch der selbstbewussteste Unternehmens-Chef sehr offen, allein schon aus der rationalen Überlegung heraus, dass das für ihn auch persönlich ein Gau ist. Es gibt auch Leute, die sind beratungsresistent, aber mit denen arbeiten wir auch nicht zusammen. Wenn in einer Krise auf meinen Rat nicht gehört wird, dann ist das für eine Agentur, von der man glaubt, sie berät, auch schlecht.

 

Du bist in der Rolle eines Arztes. Du kannst die Tabletten ja nicht selbst nehmen.

Er muss bereit sein, wenn er zum Arzt kommt, sie zu schlucken.

 

Neigen nicht viele Unternehmen in Krisen-Situationen zur Salami-Taktik? Zum Verschleppen von Wahrheiten?

Ja, Verschleppen von Wahrheiten ist extrem schlecht. Ich will nicht sagen, dass es nicht mal passiert, manchmal, auch aus Unwissenheit, denn am Anfang weiß man nicht genau was ist eigentlich die Wahrheit. Es gibt in Krisen eine hohe Nachfrage nach Informationen. Man hat im Prinzip aber wenig, was man an Informationen rausgeben kann, weil die Nachrichtenlage nicht immer eindeutig ist.

Wenn ein Autounfall passiert, bei dem zehn Tote auf der Straße liegen, dann ist klar, dann sind das zehn Tote, die auf der Straße liegen. Aber ob bei dem Auto die Bremsen versagt haben, da sollte man dann wenig dazu sagen, bevor man es nicht 150%ig genau weiß. Wenn man es aber 150%ig genau weiß, dann sollte man es sich nicht in Scheibchen aus der Nase ziehen lassen.

 

Aber in der Regel, bei Krisen dieser Dimension, kommt es gar nicht auf die Fakten im Einzelnen an sondern auf die Frage: wie geht man emotional mit den Erwartungen der Menschen um.

 

Ich denke, dass man den Leuten erst mal das Gefühl geben muss, wir haben euch zugehört, also wir verstehen eure Sorgen und Ängste. Ein schlimmes Beispiel für mich war Opel. Opel machte ein Werk zu und hat dann eine 1/1 in der BILD geschaltet. Und der erste Satz hieß: Wir, der Vorstand der Opel AG, gibt bekannt …

Wenn man nur eine Information vermitteln will, um Flüsterpost zu vermeiden, an ein großes Auditorium eine Botschaft weitergeben will, dann ist so eine Anzeige durchaus ein valides Mittel. Das Wording bei dem Beispiel gerade ist sehr unglücklich gewählt. Fakten über eine Anzeige zu transportieren kann man durchaus machen. Man kann auch Emotionen über so eine Anzeige demonstrieren. Es hat ja auch schon Anzeigen gegeben, wo sich Unternehmen ordentlich entschuldigt haben. Die ERGO hat damals geschrieben: Wenn Menschen einen Fehler machen, entschuldigen sie sich, wenn Unternehmen einen Fehler machen auch.

Es bleibt einem wahrscheinlich wenig übrig, als sich zu entschuldigen. Die Dinge kann man nicht schön reden. Im Empfinden der Menschen wird das eben so verstanden als ob das ein ziemliches Fehlverhalten ist. Und wenn sich einer fehl verhält, entschuldigt man sich. Von daher gesehen ist der Aspekt der Entschuldigung durchaus richtig gewesen.

Die Frage ist, wie war das Timing. Die ERGO-Entschuldigung ist relativ spät passiert. Womit wir wieder bei der Salami-Taktik wären. Ich fand es, wie gesagt, auch ein bisschen zu aufgeblasen. Man muss auch nicht jeder Sau, die durch das Dorf getrieben wird, hinterherrennen.

 

Das heißt, ich muss abwägen zwischen Stellung nehmen und schweigen?

Ja, manchmal ist es auch gut, nichts zu sagen.

 

Wie beurteilst du den Fall Brüderle?

In dem Fall Brüderle und den Dirndl-Spruch … Ich glaube, dass er durch sein Schweigen dem Thema eine viel höhere Wertigkeit gegeben hat, als wenn er gesagt hätte, dass es sich da offensichtlich um ein Missverständnis gehandelt hat, wo er falsch verstanden worden ist. Wenn man falsch verstanden wird, dann entschuldigt man sich und korrigiert das, äußert auch ein gewisses Bedauern. Das wären fünf Sätze gewesen. Damit hätte man allen Medienberichten den Wind aus den Segeln genommen und dann wäre das Thema durch gewesen. In dem Falle war, fand ich, Schweigen nicht angebracht.

 

Wie bekommt man eine schlechte Nachricht aus der Presse?

Indem man sie entweder richtig entkräftet, faktisch oder emotional, dass die Medien einsehen, dass es keine wirkliche Nachricht war, die schlechte Nachricht. Oder aber man wartet, bis es vorüber ist.

 

Kann ich als Unternehmen eine schlechte Nachricht durch eine positive Nachricht ersetzen?

Was man auf jeden Fall hinkriegt, ist so eine Art Brand Recovering Programm.  Anschließend, nach der Krise. Dass man versucht, wieder mit positiven Botschaften zu operieren. Aber in einer Krise selbst gute Nachrichten dagegen zu halten, das klappt höchst selten. In der Regel verwerfen wir solche Gedanken immer, weil die Kraft der schlechten Nachricht stärker ist als die der guten.

Und gute Nachrichten gehen dann im Sog der schlechten unter. Und dann hat man seine guten Nachrichten verpulvert.  Das geht nur über Vertrauensaufbau. Und das geht nur  über Informationen und über Bilder in den Köpfen der Leute. Bei dem Kreuzfahrtschiff haben wir nach drei Monaten angefangen, über ein Brand Recovering Programm nachzudenken. Die Buchungszahlen gehen inzwischen auch wieder nach oben.

 

Hilft nach einer Unternehmenskrise ein symbolischen Akt? Dass man zum Beispiel die Person des Vorstandsvorsitzenden opfert? Wer sagt das dem Vorstandsvorsitzenden? Sagst du dem Vorstandsvorsitzenden: Wissen Sie, es ist nun doch der Zeitpunkt, wo man vielleicht doch einmal …

 … über den Rücktritt nachdenken sollte?  Ja, das sagen wir auch. Das ist manchmal auch Teil der Strategie.

 

Warum steckt Opel in der Krise?

Weil sie keine positiven Nachrichten haben.

 

Die haben großartige Autos. Interessiert das niemanden?

Großartig, schön, das interessiert keinen.

 

Wie bekommen sie wieder positive Schlagzeilen?

Sie sind nicht in der Lage, aus der Trivialität ihrer Produkte und ihrer Situation positive Informationen heraus zu entwickeln. Sie müssen sie so aufbereiten, dass man sie draußen auch aufnehmen kann.

Es sind auch die fehlenden Fähigkeiten der Opel-Kommunikatoren, positive Geschichten zu erzählen. Die Frage die es dort zu beantworten gilt, lautet: Was ist die große Message? Warum soll ich einen Opel fahren? In einem Satz. Geschichten dafür sind genug vorhanden.

 

Macht Ihr auch Negativ Campaigning?

Dass man schlecht über andere redet?  Das ist genauso Storytelling. Das machen wir, klar, in Wahlkämpfen zum Beispiel.

 

Darüber musst du uns mehr erzählen. Davon wissen wir Menschen hier draußen doch gar nicht, dass es so etwas gibt.

Der Reflex der Wahlkämpfer in der Politik oder der politischen Parteien ist ja immer etwas, was mich persönlich auch wundert. 80 Prozent einer Wahlkampfrede ist, wie schlecht eigentlich die anderen sind, was die anderen alles falsch machen, wo die Räuber sitzen. Und nur 20 Prozent geben Informationen, was man denn eigentlich selber zu tun gedenkt. Also ich sage einmal, der gesamte Bundestagswahlkampf besteht fast nur aus Negativ Campaigning, wenn wir über das gesprochene Wort reden, gegenüber den anderen Wettbewerbern.

 

 Um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken.

Was man als Agentur für Parteien in Kampagnen bewusst macht. Man sagt nicht, wir machen bewusst die Gegner schlecht. Wir suchen nur seine schwachen Punkte und reden da süffisant drüber.

 

Wo kommt es plötzlich her, dass mitten in so einem Wahlkampf von 1980 pädophile Geschichten über Daniel Cohn-Bendit herausgeholt werden? Gibt es da jemanden, der den Auftrag hatte, das herauszusuchen?

Ich würde es nicht ausschließen. Manchmal sind es auch Zufälle …

 

Ich glaube nicht mehr an Zufälle.

Ich glaube auch nur noch selten an Zufälle, aber ich habe gelernt, manche Dinge sind doch zufälliger als man es vielleicht, trotz unserer Abgebrühtheit und großen Erfahrung, glaubt. Wir waren es jedenfalls nicht.

Negative Campaining würde in der Wirtschaft übrigens nie funktionieren.

 

Bist Du Dir da sicher? Wie entsteht so ein Gerücht, welches man vor vielen Jahren einer Brauerei nachsagte, Scientology nahe zu stehen?

Es gibt die sogenannten Spin-Doktoren, die vor solchen Dingen nicht zurückschrecken. Da denkt sich irgendeiner so eine Geschichte aus, der mit drei, vier Journalisten, die anfällig für solche Geschichten sind, redet. Und schon ist ein Gerücht in der Welt. In der Regel führt Negativ Campaigning nicht zu einer positiven Bewertung der eigenen Anliegen. Ich persönlich glaube, dass es nicht gut ist, wenn man so etwas macht.

 

Mal angenommen, Herr Cohn-Bendit kommt zu dir und sagt: Herr Heuser, beraten Sie mich jetzt. Was soll ich jetzt machen? Es haben sich alle gegen mich verschworen.

Ich würde mich erst mal gründlich in die Materie einlesen und würde mir die Aussagen genau angucken. Jetzt ist die Presse ja schon voll. Das Thema ist ja schon fast durch. Da kann man ja nichts mehr interpretieren oder begradigen. Er hat ja Talkshows gemacht, das heißt, das Thema ist ja schon breit kommunikativ platziert. Wahrscheinlich würde ich ihm sagen, verhalte dich mal ruhig und heize nicht durch deine Aussagen das Thema immer wieder neu an.

 

Oder würde man ihm sagen, mache einen symbolischen Akt, der dich befreit von den Vorwürfen?

Ja, das könnte man vielleicht überlegen. Mir fällt gerade der symbolische Akt dazu nicht ein, außer einer Kastration vielleicht.

 

Er könnte jetzt sagen, ich spende 500.000 Euro für ein Heim für missbrauchte Kinder.

Ich glaube, das würde kontraproduktiv sein, weil das dass schlechte Gewissen manifestieren würde. Nach dem Motto, also der hat es ja, dem muss es ja wirklich ernst gewesen sein mit seinen Aussagen, wenn er heute 500.000 Euro für ein Heim für missbrauchte Kinder ausgibt. Das ist, glaube ich, aber auch, aus der Nichtbetroffenheit heraus, immer eine wichtige Aufgabe der Krisenkommunikatoren, zu spiegeln, wie kommt es denn dann wirklich draußen an.

 

 Wenn Werbeagenturen für ein Produkt arbeiten, das sich durch ihre neue Werbung nicht besser verkauft, dann haben Werbeagenturen immer die Standardausreden, das Produkt war nicht gut, der Moment war nicht gut, die Wettbewerber waren zu stark, wir hatten zu wenig Geld. Wenn Du als Krisenberater einen Fehler machst, dann bist Du den Kunden los, oder?

Na ja, wenn deine Werbung nichts verkauft, bist du den Etat auch los.

 

Aber bei euch ist es doch extremer, weil es mit einem falschen Satz, mit einer falschen Entscheidung passieren kann.

Das ist Berufsrisiko. Das weiß man, wenn man in den Beruf geht. Der Job einer Agentur für Public Communications wird heute immer schwieriger, weil die Medien immer spitzere Aussagen von einem erwarten. Das heißt, es wird heute in der Regel polarisierender kommuniziert als das noch vor 15 Jahren der Fall war. Und heute musst du dir schon sehr genau die Headline überlegen, die interessant ist, aber auch im Sinne des Absenders geht ­­– und nicht nur im Sinne der Medien.

 

Das ist durch die sozialen Netzwerke noch schwerer geworden?

Ja, klar. Man kann die Botschaft am Ende nicht kontrollieren. Früher schickte man eine Pressemitteilung per Fax raus und dann hatten alle Medien die gleiche Mitteilung. Die wurde nicht von externer Seite kommentiert.

Heute schickt man eine Pressemitteilung raus, die geht in Echtzeit auch in die sozialen Netzwerke und im Zweifelsfall hast du zehn Minuten später Kommentierungen von interessierter, nicht interessierter, betroffener, nicht betroffener Öffentlichkeit. Vielleicht auch von Wettbewerbern, vielleicht auch von Spin-Doktoren, die das ins Negative drehen. Oder guck Dir Shitstorms an. Shitstorms sind irrational oder aus persönlicher Betroffenheit getrieben. Eine Emotion kann man nie mit einem rationalen Argument beeinflussen, jedenfalls nicht in dem Umfeld.

 

Was macht man da?

Man wartet, bis es vorüber ist.

 

Und dafür wird man bezahlt? Das klingt erst einmal ganz toll.

Ja, aber Wartezeiten werden bei uns nicht honoriert.  Man muss, wenn der richtige Punkt kommt, wieder angreifen. Das Gute ist: es sind soooo viele News immer gleichzeitig unterwegs. Da halten sich die bösen Geschichten auch nicht so lange, wie das vielleicht früher der Fall war.

Ein großes Hotel hat plötzlich auf TripAdvisor fünf, sechs, miese Einträge, die unbegründet sind und völlig aus der Luft gegriffen sind. Was macht Ihr da?

Wir haben solche Kunden tatsächlich. Man tritt dann gezielt mit denjenigen, die solche Einträge platzieren, in Kontakt. Die kann man auch auf TripAdvisor posten. Und ich denke mir, und bin sicher, dass das ein guter Weg ist, zu sagen, wir nehmen deine Kritik ernst, tut uns leid, dass ihr ein schlechtes Erlebnis hattet, wir hoffen, dass ihr noch einmal wieder kommt und dass es dann besser ist und wir nehmen das als Ansporn.

 

Muss ein Berater einem Kunden sagen, wenn er etwas Dummes macht? Muss er so ehrlich sein?

Ja, klar.

 

Wie viel von den Leuten, die du kennst, haben diese Eier, das zu tun?

Ungefähr 20.

 

So viel dann doch.

Na ja, ein paar davon sind auch schon im Ruhestand.

 

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Karl-Heinz Heuser`s Fahrplan zum Erfolg

#1 Schreibe und spreche in Bildern, nur so gehst Du sicher, dass Du verstanden wirst.

# 2 Nur große Sätze erzeugen große Wirkung.

# 2 Eine gute Krisen-Prävention verhindert zwar keine Krisen. Kann aber verhindern,

dass man seinen Job verliert.

# 4 Im Krisenfall muss es heißen: Alle Fakten sofort auf den Tisch!

# 5 Eine schlechte Nachricht bekommt man aus der Presse, wenn man sie entweder

faktisch oder emotional richtig entkräftet, dass die Medien einsehen, dass es keine

wirkliche Nachricht war. Oder man wartet ab, bis es vorüber ist.

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