Wie Namenserfinder Manfred Gotta arbeitet – und einen ganzen Konzern umbenannte: Von RAG zu Evonik

 

Manfred Gotta fährt bei Kunden, mit denen er zum ersten Mal zusammen arbeitet, erst einmal mit Absicht in ein falsches Stockwerk, nachdem er den Empfang passiert hat. Eine Viertel Stunde lang streunt dann der renommierteste deutsche Erfinder von Namen für Produkte oder Unternehmen herum in den verschiedenen Stockwerke, schaut sich alles an, inspiziert sogar Toiletten und testet aus, wie freundlich die Mitarbeiter zu ihm, dem Fremden, sind. Ob sie ihn überhaupt wahrnehmen und ob sie ihm Hilfe anbieten auf der vermeintlichen Suche nach dem richtigen Weg.

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Damals bei der RAG sprachen ihn gleich fünf in gut zehn Minuten an. “Ich muss die Atmosphäre schnuppern“, sagt Gotta. Er will herausbekommen, wie die Kunden sind und wie sie fühlen. Das spielt bei Gotta eine große Rolle, denn er muss ein sicheres Gefühl für seine Aufgabe bekommen und versuchen, zu fühlen wie seine Auftraggeber, sagt er.

 

Geheimprojekt NB 

Sein ganz großes Projekt – die groß gefeierte Umbenennung des früheren Ruhrkohle-Konzerns RAG im September 2007 – musste lange strikt geheim gehalten werden und trug den schmucklosen Code-Namen NB – wie New Business. Code-Namen dürfen auf keinen Fall gut klingen, sonst machen die am Ende versehentlich das Rennen, weil sich die Beteiligten schon an ihn gewöhnt haben, warnt Gotta.

 

„Bei Evonik hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl, alles lief glatt und die Menschen aus dem Ruhrpott waren nett, sie sind mir sehr symphatisch“, erinnert sich der gebürtige Hesse, der heute in Forbach-Hundsbach, einem kleinen Dorf im Schwarzwald, lebt. Repräsentative Büroräume in irgendeiner Großstadt benötigt er nicht, fährt er doch selbst immer zu den Unternehmen.

Namenserfinder Manfred Gotta

Namenserfinder Manfred Gotta

 

Namensfindung als Theaterstück

Bei Evonik hatte er von Anfang an ein gutes Gefühl und es lief auch alles glatt, erinnert sich Gotta heute: „Es gab klare Deadlines, klare Abstimmungen und die strikte Geheimhaltung hat auch geklappt.“ Namensfindung sei wie ein Theaterstück und beim Projekt Evonik versuchten Journalisten monatelang, den neuen Namen vorher schon herauszubekommen.

 

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Einen ganzen Konzern benennen, hat eine andere Dimension, als einen Namen für ein Waschmittel wie Megaperls. Zumal: „Eine Umbenennung ist viel schwieriger als einen Namen für ein neues Produkt zu erfinden,“ sagt Gotta. „Man muss den Menschen immer erklären, wieso er nötig ist“, sagt er. Und im Falle der Ruhrkohle AG sollte die neue Marke – Evonik – klar machen, dass Kohle im Geschäftsmodell des Konzerns keine Rolle mehr spielte. Zumal das Projekt auch noch so groß war: ein ganzer Konzern und nicht wie sonst eine neue Espresso-Marke für Aldi ersinnen.

 

20 Ideenlieferanten für einen Markennamen

Gemessen an Gottas Aufwand, klingt sein Honorar von 150 000 Euro Euro nicht mal so hoch – für einen Namen, der international taugt, problemlos lesbar ist und dem auch keine Rechte von anderen entgegen stehen: In der ersten Runde beschäftigte Gotta rund 20 Ideenlieferanten fürs Zusammentragen von 150 ersten Namensvorschlägen. Es sind beispielsweise Werbetexter und Journalisten, deren Hobbys er unbedingt kennen muss. Einem Autofan gibt er keinen Auftrag für einen Autonamen, denn „sonst ruft der nur Bekanntes ab“.

 

Analyse von Konsumenten-Diskussionen

Bei Evonik sollte es ein eigenständiger, kantiger, außergewöhnlicher und typischer Name fürs Ruhrgebiet werden, sagt Gotta. Von den 150 Ideen blieben nach seiner Prüfung 15 übrig, die dann in die Marktforschung gingen. In zehn Diskussionsrunden mit allen möglichen Leuten von Pfarrern über Ingenieure bis hin zur Krankenschwester wurden in Frankfurt deren spontane Eindrücke von den 15 verschiedenen Namensideen abgefragt. Ihnen wurde das Konzept vorgelegt, man lässt sie die Namen vorlesen, erforscht ihre Assoziationen und stellt deren Kritik anschließend zur Diskussion in der Runde. Am liebsten ist Gotta immer auch dabei, „um die Gesichtsausdrücke zu sehen“.
Im nächsten Schritt wertet der Ex-Werber „ganz viele Notizen aus diesen Runden aus“. Übrig blieben zwei Namen. Welches der zweite war, darf er nicht verraten.

 

Danach erfolgt – der Internationalität zuliebe – die Sprachprüfung durch Linguisten im Ausland. Bei Evonik waren es 60 Länder, für die gecheckt wurde, wie der Klang in den all den Sprachen ist. Schließlich erfolgte die Prüfung, , ob die Domains noch frei waren. Der einzige Konfliktfall tauchte in Österreich auf und war schnell erledigt, „wir konnten den Namen kaufen“.
All das ist in Gottas Honorar enthalten. Nur die juristischen Prüfungen und die Rechnung des Logo-Entwicklers Ben Rünger von Xeo, einer Branding-Agentur in Düsseldorf, zahlte RAG.

 

Nameserfinder Manfred Gotta (l.) und Ben Rügen, Xeo

Nameserfinder Manfred Gotta (l.) und Ben Rügen, Xeo

 

Den Fuß auf den Tisch

Auch Rünger kann sich noch gut erinnern an die Evonik-Aktion. Etwa an RAG-Vorstandschef Werner Müller, der ihn vor versammelter Mannschaft aufforderte, „Stellen Sie doch mal Ihren Fuß auf den Tisch“. Als es darum ging, welche Farbe das neue Evonik-Logo haben sollte. Rügen trug damals immer Ringelsöckchen, und zwar ganz besondere, in ganz vielen Farben, nicht einfach schwarz-weiß oder so. Eben welche mit allen möglichen Rosa-Pink-Lila-Tönen, so ungefähr zehn verschiedene Farben. Auf einen purpurfarbenen zeigte Müller dann und sagte: „Die ist´s.“

 

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Lieber die Straße kehren, als den Preis senken

So glatt und einfach wie das Projekt Evonik war nämlich gerade der Start von Manfred Gotta, damals, als er aus der Werbeagentur raus ging, ganz und gar nicht. Statt ihn als Ex.Kollegen zu unterstützen und ihm Aufträge zu vermitteln, lachten ihn andere Werber offen aus mit seiner Geschäftsidee, Markennamen zu erfinden.

Als dann sein erster möglicher Kunde – es war der Autoproduzent Opel – das geforderte Honorar von 45 000 Mark als ablehnte, weil es zu hoch sei, grollte Namenserfinder Gotta: „Lieber kehr ich die Straße, als mit dem Preis runter zu gehen.“

Doch vier Wochen später klopfte Opel doch an seine Tür, unterschrieb das Honorar und bekam dafür den Namen Vectra.

Nur in einem Fall traute sich selbst Gotta nicht zu, einen Namen zu kreiiren: Als sein Sohn geboren wurde. Das überließ er voll und ganz seiner Frau und heraus kam der Name Julien.

 

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