Buchauszug Jennifer Bentz „Einfach mal klarkommen“: Wenn der Konkurrenzdruck übermächtig wird

Wenn allein die Angst, im Job zu versagen, umhaut – Jennifer Bentz hat darüber geschrieben. Im Folgenden ein Buchauszug von ihrem Werk „Einfach mal klarkommen“. Die junge Frau „sieht keine Generation Y“. Sie kennt auch niemanden, der jung und in der Situation ist, Forderungen gegenüber Unternehmen stellen zu können. In ihrem ganzen Freudeskreis kein einziger.

 

Autorin Jennifer Bentz

Autorin Jennifer Bentz

»Wer sind Sie und was wollen Sie hier?«, schrie mein neuer Chef, als ich mich am ersten Arbeitstag in seinem Büro vorstellte. Ich erklärte, wer ich war und was ich wollte. »Frau Bentz also! Aha! Die neue Praktikantin! Guuut für Sie! Aber wieso stehen Sie hier so untätig rum?« Sein Tonfall steigerte sich zum Ende des Satzes hin zu einer merkwürdigen Mischung aus Wut und Weinerlichkeit. »Mein Gott, starren Sie nicht so, Sie arbeiten nicht nur nichts, Sie halten mich auch noch auf!« Er rüttelte nervös an dem nichtssagenden Brillengestell, das auf seiner spitzen Nase saß und fuhr sich mehrmals mit den Händen durch die Haare, obwohl er keine mehr hatte.

Ich schloss die Tür. Hölzern ging ich den Weg zurück durch den Flur, um im Anschluss eine halbe Stunde verdutzt und regungslos in der Mitte meines kleinen Büros zu stehen. Danach setzte ich mich an den Computer und nahm meinen ursprünglichen Plan wieder auf, als Praktikantin der Spielfilm-Abteilung einer TV-Produktionsfirma überdurchschnittlich gute Arbeit zu leisten.

 

Zwei von fünf sollten übernommen werden

 

Von den fünf Praktikanten, so hieß es, würden zwei in ein einjähriges Ausbildungsprogramm übernommen – und ich wollte dabei sein. So saß ich noch im Büro, als alle anderen schon längst gegangen waren, und arbeitete an einer Übungskalkulation, eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die vermutlich eigens für die Praktikanten erstellt worden war. Damit waren meine verklärt-romantischen Vorstellungen, gleich am ersten Arbeitstag durch einen genialen Geistesblitz zur gefeierten Heldin der gesamten Filmcrew zu werden, höhnisch lachend an der Realität zerschellt. Außerdem war ich mir sicher gewesen, dass derartige, fingierte Textaufgaben zeitgleich mit dem Uni-Abschluss aus meinem Leben verschwinden würden. Und Platz machten für echte, verantwortungsvolle Arbeit.

 

Den Kehraus macht die Putzfrau

 

Etwas deprimiert arbeitete ich weiter, bis eine Putzfrau in blauem Kittel mit beängstigend schlechter Laune um mich herumwischte und dabei energisch auf Polnisch redete. Es klang so, als würde sie sich bei sich selbst über mich beschweren. Anschließend warf sie mich raus, weil sie abschließen wollte.

 

 

Bentz.Cover 3D

http://www.amazon.de/Einfach-mal-klarkommen-Praktikum-Geschichte/dp/3944296028/ref=sr_1_fkmr1_1?ie=UTF8&qid=1392856371&sr=8-1-fkmr1&keywords=lieber+mal+klarkommen

234 Seiten, Verlag Eden Books 2013, 12,95 Euro

*

»Frau Beeentz«, hörte ich eine ungewöhnlich hohe Männerstimme rufen, als ich am nächsten Morgen übermüdet aus dem Aufzug im sechsten Stock des Firmengebäudes stieg.

»Ja?« Mein Blick fiel auf einen kleinen, dunkelhäutigen Mann mit modischer Frisur und edlem Anzug, der eiligen Schrittes auf mich zuging und bereits seine Hand ausstreckte, als er noch fünf Meter von mir entfernt war.

»Landmeier mein Name, Online-Marketing und Personal, hallo«, stellte er sich vor und schüttelte freudestrahlend meine Hand. »Ich war gestern außer Haus und konnte Sie nicht persönlich begrüßen. Jetzt aber! Wie fühlt man sich denn so in den ersten Tag am neuen Arbeitsplatz?«

 

Wie fühlt man sich….?

 

Tja, wie fühlt man sich, wenn man jahrelang studiert hat, um danach als Junior-Producerin oder Redaktionsvolontärin zu arbeiten und letztendlich wieder nur als Praktikantin endet? Und wenn man außerdem am ersten Tag von einem brüllenden Chef und einer mies gelaunten Putzfrau empfangen wird? Wie fühlt man sich also? Beschissen natürlich.

»Gut«, sagte ich und lächelte Herrn Landmeier an. Er war mir trotz allem sympathisch. Eine Tür weiter stellte er mich der ersten Sekretärin, Frau Segmüller, vor. Eine freundlich aussehende, etwa fünfzigjährige Dame mit auberginefarbenem Kurzhaarschnitt und einer silbernen Brille, die sie aber nicht auf der Nase, sondern an einer Kette um den Hals trug. Sie blickte interessiert auf.

»Das ist Frau Bentz«, sagte Herr Landmeier, »unsere neue Praktikantin. Sie hat gerade in diesem Monat ihr Studium beendet.« Ich spürte einen pochenden Kopfschmerz, wahrscheinlich vom Schlafmangel der letzten Nacht.

»Na, dann heiße ich Sie herzlich Willkommen«, begrüßte mich Frau Segmüller mit einem freundlichen Lächeln und schüttelte meine Hand. »Sie sind also frisch gebacken von der Universität? Und haben alle Prüfungen geschafft?«

Ich nickte.

»Das ist doch mal ein Grund, den Sekt aufzumachen, der schon seit Wochen im Kühlschrank liegt!«, rief Frau Segmüller begeistert aus. Dass sich eine völlig fremde Person so enthusiastisch über meinen Abschluss zeigte, überraschte und berührte mich zugleich, also stimmte ich lächelnd zu. Später sollte ich lernen, dass beinahe jeden Tag eine Flasche Sekt getrunken werden musste, die schon seit Wochen im Kühlschrank lag und dafür permanent neue Gründe gefunden werden mussten. Nichtsdestotrotz freute ich mich darüber, solch nette Kollegen zu haben. Auch die anderen Praktikanten, Christian, Timo, Michael und Florian waren sehr nett (selbst wenn ich sie notgedrungen als Konkurrenten betrachten musste).

 

Der Chef haut gegen die Wand

 

Der Chef an sich wurde nicht netter. Dummerweise hatte ich das Büro genau neben seinem erwischt und wenn er »Denken!« oder »Lesen!« musste, lag er auf seiner Couch, knetete zur Beruhigung seiner Nerven einen kleinen Knetball und wartete angestrengt auf irgendwelche Geräusche. Drangen diese dann aus meinem oder einem anderen Nachbarbüro, etwa in Form eines zusammengeknüllten Papiers oder eines nicht unterdrückbaren Niesens in sein Büro, sprang er von seiner Couch auf, schlug mit der Faust gegen die Wand und schrie so laut, dass sich seine Stimme überschlug. Meistens hielt ich mir die Ohren zu und bekam nur Satz- und Wortfetzen mit, die ich der Etikette wegen hier nicht wiederholen möchte.

*

Ich verließ jeden Abend als Letzte das Büro und rauchte noch eine Zigarette mit Mimi, der polnischen Putzfrau, auf der Feuerleiter. Sie sprach gebrochen Deutsch und hatte mir mittlerweile glaubwürdig versichert, dass ihr wütendes Selbstgespräch am ersten Abend nicht von mir, sondern vom miserablen Frauengeschmack ihres ältesten Sohnes gehandelt hatte. Zu Hause angekommen wickelte ich während des Duschens das tägliche Streitgespräch mit meinem Freund am Telefon ab und machte mich wieder an die Arbeit.

 

Wenn der Chef nachfragt

 

Als besonders wichtig hatte es sich erwiesen, jedes Drehbuch, das mein Chef in der engeren Auswahl hatte, besonders gut zu kennen. Beinahe täglich suchte er mich nämlich in meinem Büro auf und wollte meine Meinung zu einem der Stoffe wissen. Das Ganze war vom Ablauf her höchst standardisiert: Er riss die Tür auf, steckte den Kopf rein – um den ganzen Körper in ein fremdes Büro zu bewegen, war einfach zu wenig Zeit – und stellte mir eine Frage, ohne vorher zu erklären, worum es ging. Antwortete ich nicht innerhalb von zwei Sekunden sinnvoll und folgerichtig, rollte er mit den Augen, schlug die Tür scheppernd wieder zu und ließ mich mit einem Rekordstand an Adrenalin im Körper zurück. Anfangs fiel mir erst ein bis zwei Stunden nach seiner Attacke ein, auf welches Drehbuch sich seine Frage bezogen haben könnte.

 

Schockmoment bis Erkenntnisfindung

 

Die Zeitspanne von Schockmoment bis Erkenntnisfindung wurde aber immer kürzer und ich werde nie den Tag vergessen, als ich direkt eine Antwort parat hatte. Es war am Ende der ersten Woche und wieder einmal bellte er schon los, bevor die Tür richtig offen und sein Kopf im Zimmer war: »…das jetzt ein Schwulen-Ding oder eher ’ne Vater-Sohn-Geschichte?«, hörte ich nur noch. Ich wusste, worum es ging und hatte eine Meinung. Jetzt bloß nicht in Details verlieren, obwohl sie durchaus angebracht wären. Kurz, präzise und ohne Umschweife antworten. Los.

»Also so lange das so endet, ist es wohl eher ’ne Vater-Sohn-Geschichte, fängt aber als Film über Homosexualität an. Also nicht stringent genug«, sagte ich, so schnell es mit einem Viertel Frischkäse-Roggenbrötchen im Mund möglich war, ohne undeutlich zu sprechen. Erst runterschlucken hätte zu viel Zeit gekostet. Nach dem typischen »hmpfgrmlgrml« schlug mein Chef ohne ein weiteres Wort die Tür zu und stampfte davon. Meine Antwort hatte ihn offenbar nicht überzeugt.

 

Rasch antworten…damit der Chef es als seine Antwort verkaufen kann

 

Exakt zehn Sekunden später hörte ich jedoch nebenan im Büro seine schnarrende Stimme schimpfen: »Also, ich habe den ganzen Morgen nachgedacht und so lange das so endet, ist es wohl eher ’ne Vater-Sohn-Geschichte, fängt aber als Film über Homosexualität an. Also nicht stringent genug. Ändern Sie das!«

Dann hörte ich, wie ein zu bedauernder Telefonhörer wütend und geräuschvoll in seine Gabel geknallt wurde. Endlich hatte Herr Speeks meine Kompetenzen erkannt. Wäre ich konzentrierter gewesen, hätte ich das viel früher erreichen können. Ich ärgerte mich über die unzähligen Male, bei denen ich nicht schnell genug reagiert hatte. Vielleicht lag es daran, dass ich mich seit einigen Tagen irgendwie müde und gerädert fühlte. Es war das Gefühl einer sich anbahnenden Erkältung. Meine körperliche Verfassung war mir zwar egal, aber es sollte auf keinen Fall so weit kommen, dass mich jemand für schwach oder unbelastbar halten könnte. Ich hatte nur wenige Wochen Zeit, um mit überragender Arbeit zu überzeugen.

Das hätte ich möglicherweise sogar geschafft, wäre ich nicht durch einen mehr als dämlichen Zufall in eine verzwickte Doppelrolle geraten: Kurz vor Feierabend kamen Frau Segmüller und mein Chef zusammen in mein Büro, schlossen die Tür hinter sich und bauten sich stillschweigend-theatralisch mit ernsten Minen vor meinem Schreibtisch auf.

»Ist irgendwas?«, fragte ich. »Ja, also, ich, äh…«, stammelte Frau Segmüller, »hatte vor zwei Jahren mal einen Bandscheibenvorfall, das ist alles gut verheilt, mein Arzt sagt sogar, ich wäre…« »Komm zum Punkt, Erika!«, zeterte mein Chef. »Die Kurzfassung bitte!« Die Kurzfassung war, dass Frau Segmüller von nun an jeden Morgen zur Krankengymnastik musste und ich in den nächsten Wochen täglich vier Stunden als Ersatzsekretärin in Herrn Speeks Vorzimmer instrumentalisiert werden sollte.

 

Der Chef lief rot an und schrie

 

Meine vorsichtige Frage, ob ich mir diese Aufgabe mit den anderen Praktikanten teilen dürfte – das würde für jeden von uns nur einen Morgen in der Woche bedeuten – verursachte das sofortige Hervortreten einer beängstigend dicken Vene am Hals meines Chefs, die stark pulsierend Blut in seinen Kopf pumpte. Er lief rot an. Dann begann er zu schreien. Es sei »Rein logisch«, dass er für diesen Dienst »ein Frollein!« brauchte, denn »ein Mann als Sekretärin, das glaubt ja kein Mensch!«

Dass ich mich nun tendenziell in meiner Weiblichkeit diskriminiert fühlte, sagte ich nicht. Stattdessen gab ich ein debiles Stottern befremdlicher Verblüffung von mir, welches mein Chef umgehend zum Anlass nahm, wortlos aus meinem Büro zu verschwinden. Wahrscheinlich war ich unter vier Jungs ohnehin nur die Quotenfrau. Somit war es logisch, dass ich zum Sekretariatsdienst antreten musste, offensichtlich interessierte sich niemand für meine eigentliche Arbeit. Das galt es zu ändern. Meine mittelfristige Strategie war es, meine Sekretariatsarbeit zunächst demütig und stillschweigend anzunehmen. Langfristig jedoch wollte ich parallel dazu mit überragender Leistung im Produktionsbereich punkten, um mir meinen Platz im Ausbildungsprogramm zu sichern.

 

Ein Grad an Absurdität,in dem keine Steigerung mehr möglich war 

So saß ich bereits am nächsten Morgen im Vorzimmer und bewunderte die Ironie meines Schicksals: Um einer solchen Tätigkeit zu entgehen, hatte ich mich in den letzten Jahren von der für mich vorgesehenen Bürolaufbahn in der Autowerkstatt meiner Eltern erst zum Abitur und dann zur Universität stetig nach oben gekämpft. Nur um nun wieder als Schreibkraft zu enden, und diesmal sogar ohne Bezahlung. Irgendwie schien es meine unumgängliche Bestimmung zu sein. Um Rechnungen abzuheften und Briefe zu öffnen, wurde ich nun offiziell von all meinen anderen Arbeiten freigestellt. Laut Chef war es aber meine wichtigste Aufgabe »Anrufe anzunehmen und durchzustellen!« Das könnte auch meine Katze. Zu allem Überfluss erklärte mir Frau Segmüller vor meinem ersten Einsatz ausschweifend, dass Telefonate grundsätzlich nicht durchgestellt würden, denn das störe den kreativen Flow unseres Chefs. Es sollte aber Name und Nummer notiert werden und er würde sich zurückmelden, wenn die Muse gerade ausgewandert war. Jetzt könnte es sogar die Prostata meiner Katze. Aber immerhin hatte meine Situation einen so hohen Grad an Absurdität erreicht, dass keine Steigerung mehr möglich war. Dachte ich.

Bereits fünf Minuten nachdem Frau Segmüller am Montagmorgen gegangen war, stellte ich fest, dass ich die Anforderungen ihres Jobs maßgeblich unterschätzt hatte. Nach jedem Anruf, zu dem ich Name und Nummer notiert hatte, kam mein Chef hektisch ins Vorzimmer gerast. Man sah ihm dabei an, dass er eigentlich schnell rennen wollte, aber sich noch so weit im Griff hatte, dass es letzten Endes eine Mischung aus Laufen und Gehen war, wobei er sich nicht selten an einer aus Zeitmangel nicht richtig geöffneten Tür irgendwelche Körperteile anstieß. Dann kratzte er die Kurve, stemmte mit durchgedrückten Armen die Fäuste auf meinen Schreibtisch und blickte mich aus zusammengekniffenen Augen eindringlich an. Er wollte sofort sämtliche Informationen: Wer am Telefon gewesen war, was er wollte, was ich gesagt und ob ich die Nummer notiert hatte. Dann rechtfertigte er sich vorwurfsvoll, er habe schließlich keine Zeit, alle Anrufe selbst entgegen zu nehmen und das könne bei seinem geleisteten Arbeitspensum auch niemand von ihm erwarten. Das Ganze hörte sich an wie ein entschuldigendes Selbstgespräch und dabei lief er, so schnell er konnte, gebückt um meinen Tisch und fuhr sich mit den Händen durch die nicht vorhandenen Haare. Eigentlich hätte er in dieser Zeit den Anruf selbst annehmen, die Sache klären und zusätzlich noch eine ganze Zeit lang seinen kleinen Knetball kneten können. Aber ich hütete mich, ihm das zu sagen. Stattdessen gab ich ihm recht und er trottete selbstzufrieden zurück in sein Büro. So lief es, wenn alles gut lief. Leider gab es Ausnahmen. Zum Beispiel, als ich mir ein einziges Mal erlaubt hatte, die Nummer eines Anrufers für meinen Chef nicht zu notieren, da es sich um seine Mutter handelte. Leichtsinnig war ich davon ausgegangen, dass man die Nummer der eigenen Mutter einfach besitzt. Das wurde mir von Herrn Speeks sogar bestätigt, allerdings ging es »Ums Prinzip!« und wenn ich die Anweisung hatte, »jede Nummer zu notieren!«, dann sollte ich eben auch »jede Nummer notieren!«

 

5-4-3-2-1 und der  Chef kommt gerast

 

Nach einem halben Jahr in diesem Verein war man wahrscheinlich automatisch für sinnloses Handeln nach vorgegebenen Schritten in der höheren Beamtenlaufbahn qualifiziert. Aber ich sollte lernen, dass es ganz so einfach doch nicht war. Es gab nämlich genau einen Ausnahmefall, in dem man den Namen auf keinen Fall notieren durfte – und zwar bei Prominenten. Diese könnten sich dann nämlich nicht erkannt und damit diskreditiert fühlen. Blöd nur, wenn man die Promis wirklich nicht kennt. Einmal rief ein sehr netter Herr namens Walter Plathe an. Ich notierte Namen und Nummer und erzählte das alles meinem Chef, als er nach 5-4-3-2-1 Sekunden aus seinem Büro gestürmt kam. Das war nicht gut.

»Ein Walter Plathe hat angerufen? Eiiin Walter Plathe? Sie wollen in der Filmbranche arbeiten und kennen Walter Plathe nicht?«

»Nein, tut mir Leid, Chef.«

»Haben Sie nie Derrick gesehen? Oder Der Landarzt

»Nein, tut mir Leid, Chef. Das ist nicht mein Geschmack. Jeder hat so seine Favoriten, oder? Also, hätte Josh Hartnett angerufen, hätte ich gewusst wer‘s ist.«

»Wer zum Teufel ist Josh Hartnett?«

»Sehen Sie?«

Mit einem diesmal lautstarken »hmpfgrmlgrml« verschwand er wieder; durch den Schock hatte er sogar vergessen, gebückt um den Tisch zu laufen. Dafür kam er wenige Minuten später zurück in mein Büro gestürmt, um mir zu sagen, dass er sich über Josh Hartnett informiert hatte.

»… aber der wird für unsere Produktionen zu teuer sein, Frau Bentz. Also seien Sie bitte nicht enttäuscht, wenn er niemals hier anruft!«

»Das dachte ich mir schon, Chef«, sagte ich und erklärte stolz, dass ich mich in der Zwischenzeit auch über Walter Plathe informiert hatte.

»Gut so!«, bellte mein Chef und stürmte wieder davon.

 

 

 

Die Generationsthematik

 

Ich hatte Berufsausbildung und Studium schnell und gut abgeschlossen, die unverzichtbaren Auslandserfahrungen gesammelt und langjährig unbezahlt als Praktikantin oder freie Mitarbeiterin in den Redaktionen der ganzen Nation geschuftet. Die Welt wartete nur auf mich, da war ich mir sicher. Tat sie aber nicht. Es gab kaum Stellenangebote in meinem Bereich, noch weniger Einladungen zu Vorstellungsgesprächen und auf Initiativbewerbungen reagierten die meisten Firmen noch nicht einmal mit einer Eingangsbestätigung.

 

Der Garnichtlohn-Sektor

 

Ich fühlte mich wie die Grille, die hungrig in der Kälte sitzt, weil sie den Sommer über gesungen hat, anstatt, wie die fleißige Ameise, Nahrung für den Winter zu sammeln. Paradox daran war: Ich hatte gar nicht gesungen, sondern gesammelt, und zwar für zehn Ameisen, stand aber trotzdem mit leeren Händen da. Jahrelang hatte ich mich abgerackert, mir keine Pause gegönnt. Die Grille, die wenigstens im Sommer ihr Leben genossen hatte und die Ameise, der es gelungen war, etwas Verwertbares zu sammeln, lachten mich beide hämisch aus. Stattdessen wieder ein Praktikum. Wie viele meiner Exkommilitonen musste ich weiterhin alle möglichen Stationen des Niedrig- und Garnicht-Lohnsektors durchlaufen. Immer noch musste ich mich beweisen, hatte Prüfungen zu bestehen. Und es war kein Ende in Sicht. Selbst das Ausbildungsprogramm, auf das ich hinarbeitete, war befristet. Obwohl ich die ganze Debatte um die Generation Dreißig hasste, steckte ich mittendrin.: Wir sorgen für viel Diskussionsstoff. Als Gesellschaftsgruppe, die sich abrackert und trotzdem auf der Stelle tritt, als Generation Praktikum, als wissenschaftliches Prekariat. Vor allem aber als Menschen, die innerlich zerrissen sind zwischen alten Werten und vermeintlicher Freiheit.

 

Während die Vorgängergeneration der Meinung ist, wir sollten doch aufhören zu jammern. Sie hat gut reden. Damals hatte man mit dreißig feste Gehälter, Haus und Familie. Und obwohl ich das viel zu spießig finde, ärgert es mich doch, dass selbst, wenn ich wollte, es einfach nicht machbar wäre. Die Ausbildungswege sind lang, ein Studienabschluss führt nicht mehr zu einem sicheren Job oder zumindest nicht gleich. Die Finanzkrise hat dieser ganzen Entwicklung nur noch das Sahnehäubchen aufgesetzt. Sie ist zwar sang- und klanglos wieder verschwunden, aber die Zukunftsangst, die sie uns mitgebracht hatte, die durften wir behalten.

 

 Motiviert und bedingungslos flexibel sein müssen

 

Darüber darf man aber nicht sprechen. Motiviert müssen wir sein, offen für die Welt, wir sollen es großartig finden, bedingungslos flexibel und mobil zu sein und für jedes Praktikum oder Volontariat die Stadt zu wechseln – ohne zu wissen, wie lange wir diesmal bleiben dürfen oder ob es diesmal zu einem befristeten Vertrag führt. Wieder eine andere WG, wieder andere Mitbewohner, wieder ein Nebenjob bei Starbucks, wieder ein Techtelmechtel, das keine Aussichten auf Zukunft hat. Mit 24 ist das aufregend, mit dreißig einfach anstrengend. Und obwohl ich zurzeit in meinem gewohnten Umfeld bin, fühle ich mich prophylaktisch heimatlos. Wer weiß, wann und wie schnell es mich irgendwo anders hin verschlägt. Es gibt nur noch Aufbruch, kein Ankommen.

 

Daran zerbrechen Freundschaften und Beziehungen: Der eine muss nach dem Abschluss für ein Praktikum ins Ausland, der andere wird für sein Lehramtsreferendariat nach Castrop-Rauxel berufen. Fernbeziehung oder Trennung? In dieser Reihenfolge. Solche Überlegungen lassen mich mein Studium bereuen. Für eine Stelle werde ich früher oder später wieder die Stadt wechseln müssen und damit weiterhin Job über Wahlheimat, Freunde und Beziehung stellen. Hätte ich mich für eine Laufbahn als Krankenschwester oder Rechtsanwaltsfachangestellte entschieden, könnte ich nun überall arbeiten. Und mir erlauben, mein Privatleben wichtig zu nehmen.

 

Familie gründen geht nur als Sekretärin

Eine Familie gründen gilt nur für Akademikerfrauen als sozialer Fauxpas gegenüber dem Arbeitgeber. Eine Sekretärin darf das. Und bekommt noch Blumen vom Chef dazu. Auch wenn das Feuilleton geschlossen darüber sinniert, wie sich Gesetze und Ehemänner besser einbringen können, auf die Welt gebracht werden müssen Kinder weiterhin von Frauen, daran kann auch die Politik nichts ändern. Und die Arbeitgeber wissen das. Aber den Männern geht es nicht besser, nur anders. Die Phase fester Jobs und berechenbarer Gehälter verschiebt sich auch für sie nach hinten. Und damit auch die Zeit, in der sie als traditioneller Versorger eine Familie ernähren könnten, wie es der Vater vorgelebt hat. Selbst wenn es heute nicht mehr gefragt ist, dass der Mann alleine für den Unterhalt sorgt, so kratzt die Vorstellung, dass er es auch gar nicht könnte, doch am männlichen Stolz. Aber was sollen wir dagegen tun? Sich wehren, heißt es von »oben«. Aber was will man von einer Generation erwarten, die ausgerechnet durch die Angst vor Sozialversagen in die Opferrolle der leicht Ausbeutbaren getrieben wird? Ich glaube nicht, dass unsere Eltern und Großeltern, die uns Fleiß und soziale Sicherheit als höchstes Gut eingetrichtert haben, das wollten. Aber die Gesellschaft hat uns zu dem gemacht, was wir sind. Da helfen nun auch keine Vorwürfe. Wir sind nicht zu 68-ern erzogen worden. Natürlich müssten wir uns wehren. Eine derart streitbare Lebenslage müsste mich eigentlich herausfordern. Meinen Kampfgeist wecken, das Problem siegessicher anzugehen und allem Übel den Todesstoß zu versetzen. Aber im Augenblick schaffte ich es noch nicht einmal, meine Wäsche zu sortieren. (…)

 

Auf der Suche nach Strukturen

 

Einerseits suchte ich nach festen Strukturen und Sicherheit, andererseits traute ich mich nicht, selbst einen soliden Standpunkt anzunehmen. Aus Angst, mich falsch zu entscheiden. Jede Entscheidung für ein bestimmtes Lebensmodell ist gleichzeitig eine Entscheidung gegen viele andere. Welcher Weg war jetzt richtig? Womit würde ich am glücklichsten? In welcher der Städte wartete langfristig der beste Job? Die große Liebe? Die schönste Zukunft? Genau deswegen werden wir zynisch »Generation Maybe« genannt, ein Haufen unentschlossener Optimierer, die »vielleicht« sagen und im »Sowohl-Als-Auch« leben. Das klingt, als wären wir schrecklich verwöhnte Spaßmenschen, die vorsätzlich entscheidungsgehemmt nicht erwachsen werden wollen. Aber so ist es nicht.

 

Selten etwas Haltbares

 

Bei dieser Vielzahl an Möglichkeiten, hinter denen sich selten etwas Haltbares verbirgt, scheint mir absolute und freie Selbstbestimmung nicht immer ein Segen zu sein. Man springt gedanklich und körperlich im Zickzack, nur um nicht die Chance zu verpassen, irgendwann Ruhe und Sicherheit zu finden – und verpasst sie auf diese Weise erst recht. Es kommt mir so vor, als könne das Hirn durch dieses jahrelang verlangte Hin und Her nicht mehr stillstehen. Bietet sich dann tatsächlich eine Möglichkeit, geradlinig einen Weg zu verfolgen, ändern wir schon von selbst die Richtung – weil wir die Ruhe nicht mehr ertragen, sie erscheint uns verdächtig. Stillstand kann nichts Gutes bedeuten in einer Zeit, in der das Sammeln von Lebenslaufstationen zum Selbstzweck geworden ist. Wir können nicht mehr anhalten. Wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal losläuft und vor lauter Unbeholfenheit von selbst immer schneller wird.

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Alle Kommentare [2]

  1. Hallo Jenni,
    Sie schreiben super und ich glaube, daß DAS Ihr Weg ist: das Schreiben.
    Ich gehöre zu der Generation (BJ 1962), die noch klar kam.
    Damals, so in den 80-er Jahren. Ich bin damals, nach bestandener Matura aus Gdansk nach Hannover gekommen und mich bewusst gegen das Studium entschieden, weil man eben auch ohne „klar-kommen konnte“. Heute geht es nicht mehr, auch nicht mit Studium, jedenfalls für die Meisten. Meine Tochter studiert noch, verzweifelt…Und ich betrachte jeden Tag beruflich die, die nicht klargekommen sind (Chronisch-Mehrfach-Abhängige), aber noch nicht tot sind. Zombies unserer „Gier/Sucht-Gesellschaft“…. Es werden ständig mehr…Viele von denen sind noch beruflich aktiv und sogar erfolgreich, in jeder Branche. Zum Beispiel als Redakteure und Chefs… Soziopathen, Sadisten, Manisch-Depressive, Wahnsinnige, Borderliner, schwer-Süchtige Macht-Kreaturen. Die haben gelernt, Ihre Krankheit perfekt zu tarnen und sie haben ein leichtes Spiel…
    Sie schreiben unglaublich frisch und klar, ohne unsere kranke Gesellschaft affektiert zu betrachten. Das ist grosse Klasse und Ihr Tallent. Schreiben Sie weiter! Sie sind mir sehr sympathisch und ich wünsche Ihnen vom Herzen, daß Sie „superklar kommen“ und lächelnd durch`s Leben gleiten.
    Tomek K.

  2. Hatte mir das Buch für die Autofahrt in den Urlaub gejholt udn war über den Schreibstil positiv überrascht. Habe das Buch sehr gerne gelesen und in der ein oder anderen Situation konnte ich mich gut hinein versetzen. Tolles Buch