„Das WEF sollte das Affenspektakel eindämmen“, fordert CNN-Kultmoderator Richard Quest (Gastbeitrag) V. und letzter Teil

Warum sich das WEF selbst neu gestalten sollte, bevor es sich um die Neugestaltung der Welt kümmert – von  Richard Quest, Anchorman von CNN International

Richard Quest

Richard Quest

Als ich nach einer Woche auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wieder ins Tal fuhr, wurde mir etwas klar: Das diesjährige Motto – „die Neugestaltung der Welt“ – sollte auch für die Veranstaltung selbst gelten.
Es ist an der Zeit, dass sich das WEF verändert.
Über Twitter habe ich bereits mein persönliches Fazit der letzten Woche in Davos verbreitet: Eine verpasste Chance, einen Dialog über echten Wandel in Gang zu setzen. Das Programm war überfrachtet und es gab viel zu viele Firmenchefs, von denen etliche offen gestanden keine Ahnung hatten, was sie dort überhaupt sollten, außer Kunden zu treffen und Aufträge an Land zu ziehen.
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Firmenchefs ohne Ahnung, was sie in Davos sollen – außer Akquise
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Nachdem mir nun mehr als 140 Twitter-Zeichen zur Verfügung stehen, möchte ich das gern etwas genauer ausführen:
Ich will nicht sagen, dass es weniger Teilnehmer geben sollte – das WEF erinnert mich immer wieder daran, dass die Zahl die gleiche bleibt – rund 2.500. Doch es gibt inzwischen so viele Berater, Sprecher und Assistenten, die ebenfalls vor Ort sind, wodurch die Teilnehmerzahl um ein Vielfaches höher ausfällt. Zutritt zu bekommen, wird immer schwieriger, und ehrliche Worte immer seltener. Um es mit einer Liedzeile aus dem Musical Mary Poppins zu sagen: „Unordnung, Chaos, […kurz gesagt], es bricht die Welt entzwei“.
Einen Star werden wird man auch weiterhin brauchen. Dieses Jahr war es der iranische Präsident Hassan Rohani, der zwar nichts Neues sagte, dies aber auf sehr einnehmende Art tat. Und natürlich reisen wir auch nach Davos, um die großen Entscheidungsträger über die Kernfragen der Welt sprechen zu hören. Also ist es auch nicht verwerflich, diese Leute mit Größen anzulocken, die in Las-Vegas-Manier auftreten. Aber es ist all das andere ‚Zeug‘, das einem gelungenen WEF im Wege steht. Keep it simple!
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Warum müssen Firmenbosse Statussymbole wie Regierungschefs haben?
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Die Symptome konnte man überall entdecken.
Eines Abends, als ich die Promenade entlanglief, sah ich voller Entsetzen all die Audis, BMWs und Mercedes, die Verkehrsstaus verursachten und die Parkplätze verstopften. Limousinen sind vielleicht für Premierminister und Präsidenten angemessen, die sie aus Sicherheitsgründen benötigen, doch es gibt überhaupt keinen Grund, wieso jeder Firmenchef und jede bessere Führungskraft dieses Statussymbol haben sollte, nur um nicht laufen zu müssen! Nicht, solange das WEF einen ausgezeichneten Shuttleservice anbietet. Wenn der Präsident von Island und seine Frau auf der Promenade einen Spaziergang machen können und sich auf dem Weg mit jedem, der ihnen begegnet, kurz unterhalten, werden das die Firmenbosse wohl auch tun können! Der Blase der Geschäftswelt und der Speichelleckerei einmal zu entkommen, ist doch das Wunderbare an Davos.
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Die Limousinenzahl begrenzen
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Das WEF sollte nicht so viele Limousinen auf dem Parkplatz erlauben. Begrenzt die Anzahl. Keep it simple.
Dann ist da das Motto selbst. Wenn die Redakteure meiner Show Quest Means Business so furchtbare Wörter wie Heterarchie ausgraben würden, (die sowieso nur die wenigsten verstehen) würde ich ihnen das Skript zurückschicken. Wie ich bereits vor dem Auftakt des Weltwirtschaftsforums schrieb: Das Thema dieses Jahres war gar nicht schlecht gewählt, hätte man es nur in eine verständlichere Sprache verpackt. Keiner will sich erst durch die „Davoser“ Wortwahl arbeiten, die dann doch nur die Bedeutung entstellt. Keep it simple!
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Auflistung von Worthülsen
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Und dann noch diese Diskussionsforen: Es gibt viel zu viele und das Format zeigt langsam Ermüdungserscheinungen. Die Themen, unter anderem auch das Motto, können esoterisch oder gar obskur sein: „Der neue Kontext des Gesundheitswesens“, „Die Neuverdrahtung des Gehirns“, „Die Neugestaltung der Globalisierung“ oder „Wie man große Zusammenhänge erfasst“. Diese Themen mögen bestimmt interessante Fragen aufwerfen, doch so, wie sie im Programmheft aufgeführt sind, klingen sie wie eine Auflistung von Worthülsen. Weniger Foren, einfacher formuliert und in einem Format, das sich in 40 Jahren einmal ändern darf. Das Davos Panel ist eine müde Methode, sich an einer Diskussion zu beteiligen. Es liegt doch sicherlich nicht außerhalb des Einfallsreichtums des WEF, das zu ändern. Oh, und dabei bitte daran denken: Keep it simple!
Richard Quest beim WEF 2014 in Davos

Richard Quest beim WEF 2014 in Davos

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Nachdenken, miteinander reden, überlegen und kontakten
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Mir ist vollkommen klar, dass es ein absolutes Muss ist, am Gipfeltreffen in Davos Kritik zu üben. Diejenigen von uns, die seit vielen Jahren daran teilnehmen, behaupten natürlich gern und voller Nostalgie, dass „früher alles besser“ war. Das will ich aber hiermit gar nicht sagen. Ich glaube ernsthaft, dass die Veranstaltung einem guten Zweck dient; das Weltwirtschaftsforum ermöglicht den Menschen vor Ort, über Themen nachzudenken, miteinander zu reden, Überlegungen anzustellen und neue Kontakte zu knüpfen.
Doch das WEF muss endlich damit beginnen, den Rummel und das Affenspektakel einzudämmen und „zu den Wurzeln zurückzufinden“; es muss sich selbst neu definieren und fortan einen Ort bieten, an dem nach heutigen Maßstäben und Vorstellungen Geschäfte gemacht werden – und nicht nur den Rest von uns dazu ermahnen, die Neugestaltung in der ‚echten‘ Welt anzugehen.
Aufgeblasene Agenda und komplexe Diskussionsthemen
Soll das nun bedeuten, dass meine Kollegin Nina dos Santos unser kleines Streitgespräch gewonnen hat, das wir letzte Woche über die Frage führten, ob Davos dazu beitragen kann, die soziale Ungleichheit auf der Welt zu beseitigen? Ganz bestimmt nicht. Davos ist nach wie vor genau der richtige Ort, um Probleme dieser Art zu behandeln; dorthin reisen die Entscheidungsträger, um von Argumenten zu erfahren, sie grübeln und erarbeiten mögliche Lösungen.
 
Die Entscheidungsträger beschlossen, sich nicht einzubringen
Doch das diesjährige Forum – mit der aufgeblasenen Agenda und den komplexen Diskussionsthemen – nahm sich dieser Aufgabe nicht schnell genug an. Und die Entscheidungsträger beschlossen, sich lieber nicht einzubringen. Es verleitet einen dazu anzunehmen, dass sie zu sehr damit beschäftigt waren, sich in ihren Limousinen herumkutschieren zu lassen oder in langatmigen Diskussionsrunden zu sitzen, in der keine neuen Ideen erörtert wurden, anstatt einen Moment inne zu halten, die gute Bergluft zu genießen und dann selbst mögliche Lösungsansätze für die Probleme zu durchdenken.
Also, liebes Davos – ich komme nächstes Jahr gerne wieder (sofern ich eine Einladung bekomme), doch ich möchte einen Vorschlag machen: Bevor du uns künftig dazu anhältst, die Welt neu zu gestalten, kümmere dich erst einmal um dich selbst und kehre ein wenig vor deiner eigenen Haustür.
Selfis mit Richard Quest:

CNN-Interview mit Hassan Rohani:

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