Mitarbeiterdiskriminierung dies-und jenseits des Atlantiks
Für Arbeitnehmer aus Deutschland hört es sich an wie ein Traum, für Arbeitgeber eher wie ein Alptraum: Die hohen Milliarden-Strafen aus den Verfahren in den Vereinigten Staaten wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz.
Denn Unternehmen hierzulande können sich glücklich schätzen, vor deutschen Gerichten verhandeln zu dürfen – selbst wenn sie als arbeitnehmerfreundlich gelten. Neben dem netten Klima sollten deutsche Arbeitgeber froh sein, in Diskriminierungsverfahren nur dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu unterliegen – und nicht den amerikanischen Regeln wie Civil Rights Act, dem Equal Pay Act oder dem Age Discrimination in Employment Act.
All diese Regelwerke sichern in beiden Ländern ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld – Benachteiligungen wegen Geschlechts, Alter, Herkunft, Behinderung, sexueller Identität sind in Deutschland wie den USA verboten und werden sanktioniert.
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Unternehmen in den USA drohen drakonische Strafen
Jedoch: Bei Art und Höhe der Sanktionen unterscheiden sich beide Systeme gravierend.
Deutschland wurde früher – vor Einführung des AGG – vorgeworfen, Diskriminierungen zu lax zu verfolgen. Doch hat sich wirklich etwas geändert? Eher nicht.
Vergleicht man die bisherigen Urteile zu Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüchen von Diskriminierten mit denen amerikanischer Gerichte, zeigt sich deutlich: Deutsche Arbeitgeber können aufatmen angesichts der schwindelerregend hohen Summen, zu denen amerikanische Arbeitgeber verdonnert werden. Ganz zu schweigen vom US-Verfahrensrecht, das den Arbeitnehmern mächtig in die Hände spielt:
– Die bisher höchste Schadensersatzsumme hierzulande sprach das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg 2011 (Aktenzeichen 3 Sa 917/11) einer Klägerin wegen geschlechterdiskriminierender Beförderung bei Sony Deutschland zu. Nach insgesamt zwei Revisionen und nachfolgender Rückverweisung vom Bundesarbeitsgericht an das Landesarbeitsgericht, erhielt die Frau ganze 17.000 Euro – was in etwa dem erwarteten Mehrverdienst bei ihrer – fiktiven – Beförderung für drei Monate entsprochen hätte.
– Oder: Das Landesarbeitsgericht Hamm verurteilte vor vier Jahren das Land Westfalen (Aktenzeichen 17 Sa 923/08) zur Zahlung von rund 11.000 Euro wegen altersdiskriminierender Aufnahmepraxis in den Beamtenstand. Die Richter machten deutlich, dass die besondere Entschädigungshöhe vor allem auch aufgrund allgemeiner Strukturentscheidungen resultierte, die eine Vielzahl von Bewerbern benachteiligen.
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Wie anders das Bild in den Vereinigten Staaten:
Im Mai 2010 wurde der Pharmaziehersteller Novartis wegen geschlechterdiskriminierender Beschäftigungspraxis einer Mutter zu einer Strafe von 250 Millionen Dollar verurteilt (Breeden versus Novartis Pharmaceuticals Corperation). Die Klägerin erhielt wegen ihrer unterbliebenen Beförderung obendrein 3,4 Millionen Dollar Schmerzensgeld und Schadensersatz.
Denn: In den USA fällt der Spagat zwischen Angemessenheit und Abschreckung hingegen deutlich zugunsten der Abschreckung aus. Diskriminiert ein Arbeitgeber seine Angestellten wegen Geschlechts oder Alters, drohen ihm ab einer Unternehmensgröße von 500 Mitarbeitern oder mehr Sanktionen bis zu 300.000 Dollar pro Diskriminierungsopfer.
Bei Novartis bejahte die Jury eine Diskriminierung von rund 5600 Mitarbeiterinnen. Das Unternehmen musste an jeden rund 45.000 Dollar zahlen.
Diese schwindelerregenden Summen sind gang und gäbe: Im Dezember 2009 musste Wal-Mart einer Apothekerin wegen diskriminierender Kündigung 733.000 Dollar an entgangenem Einkommen und darüber hinaus eine Strafe von einer Million Euro zahlen (Hadad versus Wal-Mart Stores Inc). Die Frau hatte ein falsches Medikament abgegeben, doch derselbe Fehler führte nicht zur Kündigung bei ihrem männlichen Kollegen.
Im Februar 2013 wurde UPS verurteilt, 600.000 Dollar an eine gekündigte Mitarbeiterin zu zahlen (Ibarra versus United Parcel Service). Sie hatte einen Unfall während ihrer Arbeit verursacht und wurde gefeuert – obwohl so etwas öfter vorkam und bei männlichen Kollegen eben nie zur Kündigung führte.
Angesichts solcher Summen fragt man sich: Sind deutsche Richter zu bescheiden oder nehmen es Amerikaner mit der Abschreckung zu ernst?
Zugegeben, auch diskret geschlossene Vergleiche, von denen die Öffentlichkeit nichts erfährt, könnten eine Rolle spielen.
Entschädigungen für Diskriminierte in Deutschland nur hinter verschlossenen Türen?
Eine Reihe deutscher Anti-Diskriminierungsanwälte weiß – äußerst werbewirksam – von sechsstelligen Entschädigungssummen zu berichten, die hinter verschlossenen Türen vereinbart wurden. Vor- und Nachteil dieses Procederes ist die Geheimhaltung. Der Arbeitgeber verhindert, dass er in der Presse damit auftaucht, indem er sich eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschreiben lässt vom Diskriminierungsopfer. Der Arbeitnehmer lässt sich sein Schweigen durch kluge Verhandlungsführung bezahlen.
Insofern ist es leicht durchschaubar, weshalb vom bisher aufsehenerregendsten deutschen Mobbing- und Diskriminierungsprozess einer Siemens-Managerin – die allein eine Million Euro Schmerzensgeld forderte – zunächst an mehreren Stellen zu lesen war (Aktenzeichen 2 Ca 3484/09, siehe FTD vom 21.01.2010 und Süddeutsche Zeitung vom 17.5.2010), die Quelle der Berichterstattung aber kurz danach jedoch vollständig versiegte.
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Deutsche Arbeitgeber müssen sich entlasten – amerikanische Unternehmen müssen alles rausrücken
Doch weiter im Text: Warum haben es deutsche Arbeitgeber besser vor den Arbeitsgerichten als amerikanische?
In Deutschland muss der Arbeitgeber zwar selbst beweisen (Paragraf 15 Absatz 1 Satz 2 AGG), dass er die Diskriminierung nicht zu vertreten hat – während vor amerikanischen Gerichten das Opfer die Diskriminierung beweisen muss. Das fällt ihm dort aufgrund einiger prozessualer Besonderheiten aber deutlich leichter: Der Kläger kann schon bei – anfangs – dünner Tatsachenlage relativ gefahrlos den Prozess beginnen und dann – wie ein Staatsanwalt – selbst Ermittlungen im sogenannten Pre-Trial-Discovery durchführen. Danach kann er jegliche relevanten Informationen vom Arbeitgeber heraus verlangen. Dies verursacht bei dem Arbeitgeber einen erheblichen Aufwand, der ihn oft zum schnellen Umdenken bewegt: Zwischen 80 und 90 Prozent aller Verfahren im Stadium des Pre-Trial-Discovery enden mit einem Vergleich.
Hinzu kommt die Unwägbarkeit der amerikanischen Jury, die aus juristischen Laien besteht und manchmal eher das bessere Schauspiel belohnt und nicht den besser begründeten Vortrags des Anwalts.
Fazit: Unternehmen freuen sich nie über die deutschen Diskriminierungsregelungen – aber wenn sie jene mal vergleichen mit Amerikan, wissen sie sie plötzlich zu schätzen.
Zum Autor Robert von Steinau-Steinrück: http://www.luther-lawfirm.com/team-anwalt.php?aid=404