Niedlicher Ärzte-Lobbyisten-Alarm wegen Mediziner-Exodus: „Da muss man mal dran arbeiten.“

Da „warnen“ Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung vor drohendem Ärztemangel mit „alarmierenden“ Zahlen. Schon jetzt seien 5000 Stellen unbesetzt. Der Vizepräsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery erwartet gar „Wartelistenmedizin“ – und sie belegen das mit einer neuen Arztzahlstudie. Ausgerechnet diese beiden Institutionen. Da reibt man sich die Augen und fragt sich, auf welchem Stern die Lobbyisten denn die ganzen Jahre wohl gelebt haben. Denn: Überraschend sind die  Zahlen jetzt keineswegs, sondern sie sind seit Jahren klar.
Als Ursache machen die Herren – nur für sie selbst vermutlich wiederum überraschend – die hohe Abwanderungsquote frisch ausgebildeter Ärzte aus. So, als ob jene aus purer Böswilligkeit verschwänden und nicht selbst lieber in ihrer Heimat arbeiten würden. So, als lerne man mal so eben im Vorbeigehen eine schwierige Sprache wie norwegisch und nimmt ohne handfeste Gründe all die Mühen so einer Umsiedlung samt seiner Familie auf sich.
Immerhin schwant dem Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Köhler, dass die stetige Abwanderung zum Beispiel etwas damit zu tun haben könnte, dass hierzulande der Job als Arzt mit einer Familie nur sehr schwer zu vereinbaren ist. Da hat er wohl recht, vor allem gemessen an den Nordländern. Die machen erfolgreich vor, dass Arztberuf und Familie sehr wohl vereinbar sind. Doch sein einziger Lösungsvorschlag – für das ebenfalls altbekannte Problem – lautet: Man müsse daran arbeiten.http://www.rp-online.de/politik/deutschland/Gibt-es-in-Deutschland-bald-zu-wenig-Aerzte_aid_902076.html?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=politik
Was er damit wohl meint? Die Patienten und die Leser dieser Uralt-News dürfen rätseln.
Auf die Idee, dass auch sie als Lobbyisten mit der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte etwas zu tun haben, kommen sie offenbar nicht. Ich frage mich: Wer, wenn nicht die eigenen Standesvertreter soll sich sonst um derlei Missstände kümmern? Sind sie es nicht, die Fehlentwicklungen der Branche seit Jahrzehnten tatenlos zusehen?
Die unmenschlichen Hierarchien im Krankenhausalltag sind ein Minuspunkt in Deutschland, der in den Kliniken anscheinend nicht auszumerzen ist. Eine Krankenschwester erzählte mir kürzlich, wie entsetzt ein Mediziner aus einem der Nordländer war, den sie bei einer Hospitanz hier in Deutschland kennen lernte: der hatte Null Verständnis für die straffe Hierarchie im deutschen Krankenhausalltag. Wo nicht mal die Ärzte untereinander auf Augenhöhe miteinander umgehen – geschweige denn die Mediziner und die Patienten. Soll man da nach heutigem Demokratieverständnis gerne arbeiten? Wenn man nach zehn Jahren Investition in eine Ausbildung sich mit gut 30 Jahren dann ganz selbstverständlich wie ein Dummie abkanzeln lassen muss. Bei der Visite etwa, vor versammelter Mannschaft und Patienten obendrein? Da kommt eins zum anderen und irgendwann hat auch der idealistischste junge Arzt die Nase voll.
Ein anderer handfester Grund ist die ungerechte Vergütung niedergelassener Ärzte mit unerklärlichen Differenzen von Quartal zu Quartal, von Bundesland zu Bundesland und zwischen Operierenden und nicht-operierenden Ärzten. Da bekommt ein Augenarzt im  Bezirk Nordrhein sage und schreibe 16,03 Euro Flatrate – für drei Monate Behandlung eines Patienten – egal ob der ein, drei oder zehnmal kommt. Egal ob er mit einem teueren Gerät einmal oder von mehreren mehrmals behandelt wird. Stellen sie mal solche Ansprüche an einen Taxifahrer oder den nächsten Pizzabäcker. Operationen werden da deutlich besser bezahlt.
Und so kommt es – natürlich – , dass europaweit in Deutschland die meisten Operationen, durchgeführt werden. Ob nötig oder nicht, der Quersubventionierung des defizitäten Bereichs konservative Behandlung dient es allemal. Und den braucht eine moderne Großpraxis eben als Pool, um sich daraus die zu-Operierenden herauszupicken. Alles klar? Ob`s die Patienten freut, fragt ohnehin niemand.
Und werden dann mit schöner Regelmäßigkeit angebliche Ärzteeinkommen – schön gestaffelt nach Arztgruppen  – veröffentlicht, wird auch noch schön Stimmung gegen die mediziner gemacht – oft genug unbeabsichtigt: Wenn operierende und nicht operierende Ärzte in einen Topf geworfen werden und dann der durchschnitt als Durchschnitt verkauft wird, ist klar, wenn den Nicht-operierenden, die die eigentliche tägliche Betreuung der Patienten erldigen, schwer unrecht getan wird. Als nächstes wird oft genug der Praxisumsatz als Arzteinkommen genannt – von dem dann nicht nur ein Arzt, sondern auch noch mehrere Helferinnen leen, Miete bezahlt wird, Geräte angeschafft und teuer gewartet undundund.
Zuguterletzt wird dann, wenn man irgendwie auf ein mutmassliches Arzteinkommen kommt, völlig vergessen, dass der Vergleich mit dem Bruttogehalt eines Angestellten nur begrenzt taugt: Fehlt doch bei dem Angestelltengehalt der Betrag, den er gar nicht sieht, den der Arbeitgeber für ihn aber trotzdem  monatlich abführt: Lohnnebenkosten genannt. Der halbe Beitrag etwa für die Krankenversicherungsprämie etwa undsoweiter. Den muss ein Arzt ja auch aufbringen und als Altersvorsorge als Zwangsabgabe zahlen – nur den teilt kein Arbeitgeber mit ihm, den muss er alleine erwirtschaften und ist deshalb entsprechend höher.
Doch weiter im Text:
2 500 Jungmediziner sind allein 2009 ins Ausland ausgewandert, rechnen die Lobbyisten jetzt entsetzt vor, insgesamt seien rund 17 000 deutsche Ärzte im Ausland – statt in der Heimat, wo sie nun fehlen würden. Auch das ist wiederum altbekannt: Wenn schon nordische Länder seit Jahren eine eigene Anwerbestellen in Hamburg unterhält oder lange bekannt ist, dass jeder zehnte Arzt in der Schweiz zum Beispiel Deutscher ist. Nun wird Andreas Köhler wenigstens deutlich, nur leider nicht konkreter: Man müsse daran arbeiten, dass sich die Arbeitsbedingungen bessern.
Das sind zumindest neue Töne.
Wurden deutsche Ärzte mal aufmüpfig, so konterten die eigenen Lobbyist bislang damit, dann würde man eben Ärzte aus anderen Ländern hierher holen.
Doch diese Gastarbeiter-Taktik scheint das Problem nicht gelöst zu haben: Sprachprobleme, schlechtere Ausbildung und gar nicht genug Kandidaten, die hierher wollen, waren die Gründe. Mal ganz zu schweigen davon, wie moralisch es ist, anderen Ländern die Ärzte wegnehmen zu wollen – nur um die eigenen Ärzte nicht so behandeln zu müssen, dass sie zufrieden sind.

In Großbritannien ist die Ärzteknappheit so dramatisch, dass sich Online-Behandlung fest etabliert hat. Vielleicht mögen sich die deutschen Ärzte in der Schweiz, Norwegen oder sonstwo auf der Welt ja dann auch noch was hinzu verdienen – durch Internet-Behandlung deutscher Patienten. Die verstehen wenigstens ihre Sprache. Spätestens wenn die Patienten keine andere Wahl mehr haben,  müssen sie sich dran gewöhnen. So wie die Briten auch. http://www.rp-online.de/gesundheit/news/Was-Online-Aerzte-taugen_aid_901597.html

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Alle Kommentare [1]

  1. Zur Unverhältnismäßigkeit der Leistungen der Krankenkassen: Beiträge für Sportverbände ja, Fitnesskuren auch gerne mal – aber die tägliche Versorgung an der Patientenfront für den einzelnen Kassenpatienten ist nur eine 20-Euro-Flatrate wert für drei Monate, das macht keine 7 Euro im Monat. Hat da wer ein Werteproblem?

    https://www.journalmed.de/newsview.php?id=31317