PR-Trick: Wenn Anwälte-Gutachten Persilscheine sein sollen

Groß ist plötzlich die Aufregung um ein Gutachten der renommierten Kanzlei Gleiss Lutz für die Deutsche Bahn im Zusammenhang mit der S-Bahn-Affäre.

Also vorweg: Ein Gutachten einer Kanzlei – noch dazu bezahlt von einem Klienten – ist nie ein unabhängiges. Es kann ausgewogen sein oder sehr neutral ausfallen, aber es ist und bleibt nur ein Gutachten. So ähnlich wie die Präsentation einer Unternehmensberatung oder einer Werbeagentur.

Nun aber als Auftraggeber der Öffentlichkeit weismachen zu wollen, dieses Gutachten sei eine Art unabhängiges Gerichtsurteil ist lediglich ein – mieser – PR-Trick. Nicht mehr und nicht weniger. Gezeichnet Doktor Marlboro sagte man früher immer, wenn eine Studie nachweisen wollte, Rauchen sei unschädlich.

Doch zugegebenermaßen zieht der Trick manchmal – so wie bei Talanx/Gerling und Kanzlei Hengeler http://bit.ly/9yNQfo, als der Versicherer mit dem Veröffentlichen seiner Abhöraktionen ein Gutachten aus dem Hut zauberte, dass die Abhöraktion sogar ihre Pflicht war. Dann hat das Unternehmen Glück und die Kanzlei – mit auch etwas Glück – nicht nur einen lukrativen Auftrag, sondern auch einen positiven PR-Effekt.

GLEISS LUTZ IST BEKANNT FÜR SEINE ARBEITSRECHTLER

So beauftragte auch die Deutsche Bahn eine ihrer Kanzleien – Gleiss Lutz – damit, ihr ein Gutachten anzufertigen. Es scheint, man wolle sich mit Hilfe der Gleiss-Anwälte selbst erst mal Klarheit verschaffen. Und zwar im eigenen Interesse. Klarheit über die Zusammenhänge: Über die Vorgaben ehrgeiziger Manager an die Wartungsprofis der Bahn und – als deren Ergebnis – das heutige Desaster, den technischen Zustand der S-Bahn in Berlin. Schön, so ein Gutachten kann die Bahn ja in Auftrag geben. Dass sie Juristen beauftragt hat und keine Techniker, hat vermutlich diesen Grund: Die technischen Mängel stehen außer Frage, zu klären ist aber, wie es soweit kommen konnte. Konkret, wer es so weit kommen ließ. Und wer das nicht verhinderte. Und wer den Schaden bezahlen muss, sprich, ob und wen die Bahn so alles verklagen kann, um Schadenersatz zu fordern.

“Der Bericht enthalte deutliche Kritik an unternehmerischen Maßnahmen des DB-Konzerns, und zwar in wichtigen Punkten“, heißt es heute im Tagessspiegel.

Zum Hintergrund: Die Kanzlei Gleiss hat besonders im Arbeitsrecht Expertise. Das könnte hierbei eine Rolle spielen. Zum Beispiel bei der Frage, ob es allein deshalb so gekommen ist, weil ehrgeizige Manager mit egoistischen Karriere-und Prämienzielen anderen Unternehmensangehörigen strikte finanzielle Vorgaben machten, die sie ihnen nicht hätten machen dürfen. Weil es bei den Vorgaben nicht um Sparmaßnahmen ging – sondern um das Nichterfüllen von Pflichten. Das Unterlassen von turnusmäßig nötigen Wartungen und/oder Reparaturen an den Waggons etwa. Das spart auf den ersten Blick Geld, aber eben nur auf den ersten. Denn entstanden ist ja letzten Endes ein Millionenschaden. Sprich Manager, die einen Teil ihres Lohns – das ist durchaus üblich – als Erfolgsprämie erhalten, bekamen diese Prämie vielleicht nicht etwa fürs Erschließen kreativer Einnahmequellen oder Entwickeln neuer Produkte und Umsatzsteigerung, sondern fürs Sparen.

WAS HEISST DENN SPAREN?

Und hier kommt die Definition des Sparens ins Spiel. Ist es ein Ersparnis, wenn man ein Markenprodukt wie Haribos Colorado-Mischung statt beim Supermarkt bei Aldi kaufe? Ich würde sagen ja, wenn man dasselbe Produkt für weniger Geld erhält. Also letztlich keine Einbuße bei derselben Leistung.

Aber ist es Sparen, wenn ich mir – respektive anderen wie den Kunden – nur etwas verkneife? Also Geld lediglich nicht ausgebe und die Leistung oder Handlung auch nicht erhalte? Das ist kein Sparen, sondern Ausgaben-Verzicht. Und dann muss man erst mal zusehen, wie hoch der Preis dieses Verzichts ist. Ist diese Leistung oder Handlung tatsächlich unnötig, oder ist sie gar gesetzlich vorgeschrieben? Ist sie als Handlungspflicht vielleicht in den Dienstanweisungen der Techniker und Facharbeiter von jeher und aus gutem Grund verankert gewesen? So war es offenbar bei der Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten der Bahn. Denn Mitarbeiter, die ihre Pflicht erfüllen wollten (weil sie es nicht anders kannten und dazu da waren) und gegen derlei „Spaßmaßnahmen“ aufbegehrten, wurden von Vorgesetzten laut Presse desavouiert: Sie hätten „Wahrnehmungsprobleme“ wurde denen entgegengehalten. Sie wundern sich über das Wort Wahrnehmungsprobleme? Es ist eine Floskel, die im Arbeitsrecht geschulte Arbeitgeber, Personalchefs und Unternehmensjuristen gerne mal gebrauchen. Etwa in der Diskussion mit einem Arbeitnehmer, den man zum Unterzeichnen einer Abfindungsvereinbarung bringen will. Wenn derjenige sich auf Fakten zurückziehen will und der Personaler ihn argumentativ dennoch an die Wand stellen möchte. Steht in entsprechenden Ratgebern und ist Gang und Gäbe. Diesen Methoden standzuhalten, erfordert Aufgeklärtheit und Mut.

Dumm nur, wenn diese Floskel gegen gesetzliche Pflichten, Sicherheitsvorgaben und gegen die Gesetze der Technik zu Felde geführt werden: Dann kann man den angestellten Facharbeiter damit zwar schnell zum Schweigen bringen (und seine eigene Manager-Prämie auf diese Weise erhöhen) – aber die Tatsachen ändert man damit nicht. Und die Tatsachen sind eben, dass ungewartete Waggons undsoweiter irgendwann zur tickenden, teuren Zeitbombe werden. Da hilft das Abbügeln mit Arbeitsrechtler-Floskeln eben nix.

UNZULÄSSIGE ZIELVEREINBARUNGEN ?

Interessant sind also diese Fragen: Wie konnte man diese Einsparziele mit den Managern überhaupt vereinbaren? Wer hätte die vermeintlichen Einsparungen kontrollieren müssen? Oder: Wenn nicht diese Einsparziele, sondern nur allgemein Einsparungen vereinbart waren, damit der Manager am Ende des Jahres noch einen ordentlichen Schnaps draufbekommt auf sein Gehalt – war das zulässig? Ketzerisch gefragt: Hat das Unternehmen seine Führungskräfte vielleicht sehenden Auges zu diesen dubiosen „Sparmaßnahmen“ getrieben? Trägt es eine erhebliche Mitverantwortung? Ist nicht derjenige, der dem Esel die Möhre hinhält, der wahre Verursacher?

Oder noch eine andere Frage: Wie konnten diese – immerhin Gesetzesverstöße – jahrelang unbemerkt von der Öffentlichkeit geschehen? Gab es wirklich niemanden mit Verantwortungsbewusstsein und Mut auf Führungsebene, der sich dem entgegenstemmen konnte? Auch das sind keine technischen, sondern unternehmens-organisatorische Fragen.

War es nur der Faktor Zeit und die Zeitbombe, die durch ihr Platzen alles ans Tageslicht brachte? Man fragt sich automatisch: Wo noch? Wo noch wird die Sicherheit der Kunden, der Allgemeinheit, kurzfristigen egoistischen geldgierigen Karrierezielen einzelner geopfert? Auf der Autobahn? Im Flugverkehr? Auf Großbaustellen? Und die Kernfrage: Wer hat diese Fehlentwicklung letzten Endes zu vertreten?

GESCHASSTE MANAGER KÖNNEN SICH SCHLECHTER WEHREN

Man las, die Manager seien flugs geschasst worden. Auch das ist gängige Methode: Wer gestern heiß geliebt war, bekommt morgen Hausverbot – und versteht die Welt nicht mehr. Er steht nun also außen vor, kann weder an seinen Schreibtisch noch an seinen Computer. Selbst seine Sekretärin hat Angst, mit ihm in Kontakt zu sein. Sprich: Beweise, die er sich bis dahin nicht gesichert hatten und die ihm später vor Gericht helfen könnten, können sie nun auch nicht mehr sichern. Mehr noch: Die Lebenserfahrung spricht dagegen, dass sie auch nur eine Kopie ihres D&O-Vertrages haben. Jenes Managerhaftpflichtvertrages, der sie schützen soll vor Inanspruchnahme für Managementfehler. Womöglich kennen sie nicht mal den Namen des Versicherers geschweige denn die Ausschluss-Klauseln oder die Höhe der Deckungssumme. Prost Mahlzeit, die Anwalts- und Gerichtskosten alleine können in so einem Fall schon den finanziellen Ruin bedeuten.

Vor allem aber: PR-technisch ist dieses Schassen mit Hausverbot ein gelungener Schachzug des Unternehmens. Es wirkt so, als habe man die Bösewichte erkannt und die Selbstreinigung begonnen oder sogar schon vollzogen. Obs Bauernopfer sind, weiß man in dem Moment nicht und ist auch nicht so wichtig in dem Moment. Die weiße Weste der Firma ist wieder her gestellt. Und die Kunden sollen doch bitteschön keine Angst mehr haben, mit der S-Bahn zu fahren. Das wäre das letzte, was das Unternehmen jetzt möchte. Nicht nur Schäden an Zügen, sondern obendrein Einnahmeausfälle wegen Vertrauensverlust.

Und die andere Frage: Ist Berlin überall ?

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Alle Kommentare [6]


  1. Michael Hendricks, Rechtsanwalt und Chef der auf D&O spezialisierten Unternehmensberatung Hendricks & Co GmbH

    Wir erleben sehr häufig, dass Manager ihre D&O-Police vom Arbeitgeber nicht ausgehändigt bekommen. Kürzlich sprach ich mit dem Geschäftsführer eines deutschen Maschinenbauunternehmens, das im Besitz eines US-Konzerns ist. Der Manager hatte versucht, von seinem Unternehmen eine Kopie seiner D&O-Police zu bekommen. Dies verweigerte ihm sein Arbeitgeber. Und das obwohl der Manager nach deutschem Recht, sehr wohl einen Anspruch darauf hat.

    Das Problem ist, dass vielen Managern dieses Recht auf Einsichtnahme gar nicht bekannt ist und sie im Zweifel sich auch scheuen, Druck auf ihren Arbeitgeber auszuüben, wenn sie bei diesem Thema auf Granit stoßen. Aber auch wenn Manager eine Kopie ihres D&O-Versicherungsvertrags in den Händen halten, können die meisten nicht einschätzen, ob der Vertrag auch wirklich wasserdicht ist und ihre Risiken hinreichend abgedeckt sind.

    Der genannte Geschäftsführer des Maschinenbauunternehmens hat für sich eine Lösung gefunden. Er will jetzt auf eigene Rechnung eine persönliche D&O Police abschließen. Um nicht mit der Unsicherheit leben zu müssen, dass er im Schadenfall nicht ausreichend oder vielleicht gar nicht über die Managerhaftpflichtversicherung seines Arbeitgebers geschützt ist.

  2. Tja, die Juristerei ist nunmal keine exakte Wissenschaft, man kann Vieles vertreten, wenn man es nur gut begründet. Daher gilt für die Erstellung von Rechtsgutachten oftmals die alte Redensart: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!

  3. Vermutlich kommen noch viele viele vermeintlich geniale Spaßmaßnahmen ans Tageslicht – und ihre Folgen: „Beim bundesweit einheitlichen Physikum bekamen rund 50 Medizinstudenten unvollständige Testbögen. Der Fehler soll in der Druckerei passiert sein. Dort hatte das Prüfungsinstitut den Kontrolleur von der Druckmaschine abgezogen, um Geld zu sparen“, schreibt „Spiegel online“ https://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,683263,00.html#ref=nldt
    Super Sparmassnahme!
    Und nun geht das Hickhack, wer diesen Spartrick gewollt hat.