Wer die Belegschaft aufwiegelt oder die Zeugnis-Inflation

„Ach, schreiben Sie sich Ihr Zeugnis doch am besten gleich selbst“, das sagen Chefs, die a) den Weg des geringsten Widerstands gehen und keine Klage riskieren wollen oder b) einfach weder Zeit noch Lust haben, ihrem Mitarbeiter zum Abschied ein paar persönliche gute Worte mit auf den Weg zu geben. http://www.karriere.de/bewerbung/das-zeugnis-selbst-schreiben-9110/ Keine nette Geste? Das ist noch das geringste Problem.
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/karriere/ach-beurteilen-sie-sich-doch-einfach-selbst%3B1077878Denn dann geht das Theater los: Was reinschreiben? Was auf keinen Fall reinschreiben und überhaupt: Welche Schlüsselbegriffe sollten unbedingt drinstehen? An all diesen Zweifelsfragen verdient eine ganze Ratgeberbücher-Industrie gut. Und auch Anwälte, die checken, ob ein Zeugnis wasserdicht ist.
Was kommt am Ende dabei heraus? Zuallererst will jeder, wirklich jeder, auch wer sich immer vor der Arbeit zu drücken wusste oder reichlich illoyal war, dies in seinem Zeugnis stehen haben: Er habe „stets zur vollsten Zufriedenheit“ gearbeitet.
Nebenbei bemerkt: Pech, wenn die Firma aus Prinzip und Grammatik-Huberei immer nur schreibt: „stets zur vollen Zufriedenheit“ – weil voller als voll nicht gehe. Geschenkt. Am besten sollte es die Company in einer Fußnote dazusagen, dass dies keine Herabsetzung sondern Besserwisserei ist – damit es beim Empfänger auch ja richtig ankommt. Dass der Urheber lieber seine eigenen Grammatikvorstellungen durchsetzt als einem vielleicht guten und treuen Mitarbeiter eine gängige wie akzeptierte Floskel mit auf den Weg zu geben. Und Missverständnisse zu provozieren, wo vielleicht an der Arbeitsleistung gar keine Zweifel bestehen.
Das Ergebnis all solchen Geplänkels: Am Ende ist Zeugnis nicht mehr das Papier wert, auf dem es geschrieben ist. Entweder weil kein Chef Ärger oder gar einen Gerichtsprozess riskieren will und lieber gleich alles schreibt, was der Mitarbeiter haben will. Also die Unwahrheit. Oder weil er einfach Textbausteine verwendet – die dann wiederum dem tatsächlichen Einsatz eines fleißigen Mitarbeiters nicht mehr gerecht werden. Es ist vertrackt und Missverständnisse ohne Ende sind programmiert. Wenn a) ein ungeübter Zeugnisschreiber vermeintlich Nettes schreibt und ein Zeugnisprofi es in den falschen Hals bekommt oder b) ein gewiefter Zeugnisschreiber mit der Reihenfolge der Aufzählung von Kollegen, Vorgesetztem und Kunden signalisieren will, ob ein Mitarbeiter gerne mal die ganze Belegschaft aufwiegelt – und der Leser das zwar bemerkt, aber eben nicht sicher ist, wie es der Schreiber gemeint hat. Undsoweiter.
Die Niederländer machen es sich da einfacher. Sie verlangen von Bewerbern persönliche Referenzen statt einer Bewerbungsmappe.
Und clevere Personaler und Führungskräfte greifen ohnehin zum Telefonhörer und rufen mal bei einem der früheren Arbeitgeber direkt an. Oder befragen einfach Ex-Kollegen des Bewerbers.
So wie die Zeugniskultur hierzulande geworden ist, kann man Zeugnisse auch gleich abschaffen. Wenn ohnehin jeder „stets zur vollsten Zufreidenheit“ geschafft hat.

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Alle Kommentare [2]

  1. Sorry, Personaler die zum Telefonhörer greifen wissen bloß nicht, daß sich der frühere Arbeitgeber mit einem negativen Kommentar zum ehemaligen Mitarbeiter regresspflichtig gegenüber der Arge machen würde und die dieses auch durchaus gerichtlich durchsetzt, wenn er also nicht dumm ist kommen von ihm nur Floskeln wie: „Er hat zu unserer vollen Zufriedenheit gewirkt…“

  2. Ich habe auch ein Zeugnis von einem Grammatikfreak ohne den Hinweis auf den nicht möglich Superlativ. Da hat sich aber noch keiner dran gestört, weil Zeugnisse eh wertlos sind. Im Gegenteil, der gößte Querulant bekommt das beste Zeugnis, damit ihn schnell ein Anderer einstellt.

    Wie Franzosen die Personalauswahl treffen, ist auch spannend. Sie verlangen einen handgeschriebenen Lebenslauf, den sie dann einem Graphologen vorlegen. Von ihm erhalten sie dann ein Gutachten zu den Charaktereigenschaften, die sich aus der Handschrift ableiten. Manche Arbeitgeber sollen sogar Astologen beauftragen, damit das Team und das Verhältnis zum Chef stimmt. ;0