Buchauszug Anna-Sophie Herken, Christina Sontheim-Leven und Bettina Weiguny: »Machtgebiete. Was Managerinnen erleben und wie sie gegenhalten«
Fiese Allianzen – die Abwärtsspirale

Christina Sontheim-Leven, Bettina Weiguny und Anna Sophie Herken (v.l.n.r.) (Foto: PR / Campus Verlag)
Beim Fototermin: »Du musst heute nur hübsch aussehen.«
Wann ist es Zeit zu gehen? Vielleicht wenn der gemeinsame Teambuilding-Ausflug in den Wald für die einzige Frau im Vorstand mit Tränen endet, weil die Kollegen sich nicht an die ausgemachten Regeln halten, sondern gleich in die alten Muster fallen – laut werden, beleidigen, ihr ins Wort fallen. Oder wenn einen Gerüchte über den eigenen Abgang erreichen. Wenn sich Rückenschmerzen breitmachen oder einem die Auseinandersetzungen den Schlaf rauben. Schauen wir uns diese Phase genauer an.
Was auf den ersten Blick auffällt: Häufig zieht sich der Jobzyklus einer Topmanagerin vom ersten bis zum letzten Tag nicht ewig lange hin. Viele Top-Frauen verlassen das Unternehmen innerhalb der ersten drei Jahre. Also noch vor der ersten Verlängerung ihres Vorstandsvertrags. Das stellen sich zu Beginn sicher alle Beteiligten anders vor – und dann schlägt doch wieder der Mechanismus zu, der die Frau rauskatapultiert.
Zu den Gründen der schnellen Trennung haben wir schon einiges aufgeführt. Ein Faktor ist, dass viele Managerinnen von außen geholt werden, was geschlechtsunabhängig immer schwieriger ist für beide Seiten als eine interne Absetzung. Oft übernehmen Frauen Restrukturierungsfälle, bei denen der beste Mann abwinken würde. Oder sie stößt als einzige Frau auf ein eingespieltes Männer-Team, das das andersartige Teilchen in seinen Reihen – bewusst oder unbewusst – ablehnt. Oder sie empfindet den Alltag an der Spitze so zermürbend, dass sie irgendwann sagt: »Mir reicht’s. Das tue ich mir nicht mehr an.« Irgendwie spielt alles mit rein.
Es gibt Momente, in denen einer Managerin schlagartig klar wird, dass sie unwiederbringlich angezählt ist im Unternehmen. Zum Bei- spiel, wenn sie wie eine der jüngeren Vorständinnen abends arglos in der Stadt unterwegs ist, etwas trinken geht, Leute trifft und dann jemand zu ihr – out of the blue – sagt: »Ihr setzt jetzt doch diese neue Zwei-Jahres-Strategie um. Stimmt es, dass du bis zur Umsetzung gar nicht mehr da bist?« Sie fragt nach: Was meinst du damit? »Ach, das hört man so. Das erzählen der Kollege x und der Kollege y.«
Also fragt die Vorständin die beiden Kollegen x und y in der nächsten Sitzung: »Was erzählt man sich in der Stadt …?« Aber natürlich bekommt sie keine Antwort. »Die haben nur große Augen gemacht und abgewiegelt.« Eine Reaktion, die die Managerin nur zu gut kennt. Seit Monaten gehen ihr die Männer aus dem Weg. Sie reden gegenüber Kollegen schlecht über sie. Sie schneiden sie von Informationen ab. Sie schreiben Aussagen von ihr in die Sitzungsprotokolle, die sie nicht gemacht hat.
»Sie haben mir sogar untersagt, Kontakt zum Compliance-Officer aufzunehmen. Das habe ich noch nie erlebt. Als Mithaftende hat es mich natürlich zu interessieren, was da so aufläuft an Fällen. Aber der CEO hat ihn angewiesen, mich nicht über Fälle zu informieren.« Sie befindet sich stets in einer misslichen Unterzahl-Lage: »Eins gegen X, eins gegen Überzahl.« Das zehrt an ihr. »Manchmal bin ich abends aus den Sitzungen rausgekrochen.«
Die Animositäten im Vorstand nehmen zu und werden immer persönlicher. Die Angriffe sind häufig nicht inhaltlicher Art, sondern zielen aufs Äußere. Vor einem Pressetermin wird kurz abgestimmt, wer was sagt. Da heißt es: ›Der Kollege x sagt gleich etwas dazu, Kollege y sagt etwas hierzu. Und unsere Vorständin, ja, die darf heute einfach nur gut aussehen.‹ Alle grinsen. »Das ist abwertend.« Ein Muster, das sie auch aus vorherigen Positionen kennt. Einmal fährt sie als Expertin mit zu einem externen Termin. Hinterher sagt der Vorgesetzte zu ihr: »Beim nächsten Mal darfst du dich gerne auf deine dekorative Rolle beschränken.«
Ein weiterer Termin demonstriert ihr eindrücklich ihr mieses Stan- ding innerhalb des Kindergartens in der Chefetage. Es sollten neue Vorstandsbilder gemacht werden. Dafür wurde extra eine Star-Fotografin eingeflogen. Vorab gab es ein Briefing per Mail: »Bitte tragt einen dunklen Anzug. Keine Krawatte.« Die einzige Vorständin schrieb zurück: »Anzug ist nicht so mein Stil. Ich ziehe ein dunkelblaues Kleid an, wenn das in Ordnung ist.«
Beim Fototermin platziert die Fotografin den CEO in die Mitte, daneben stellt sie die Neue und auf der anderen Seite einen Mann, der in etwa ihre Größe hat, die anderen dann links und rechts. Kaum hatte sie die ersten Bilder geschossen, ging der CEO zur Fotografin, flüstert ihr etwas ins Ohr und kehrt zurück an seinen Platz. Die Fotografin sagt dann leicht pickiert: Sorry, we have to switch places. Die Vorständin muss sich weiter an den Rand stellen, was auf einem Foto weniger harmonisch aussieht. Ihren Platz neben dem CEO bekam der »best buddy« vom CEO.
Funfact: Die Bilder kamen kaum noch zum Einsatz, weil der CEO kurz darauf das Unternehmen verließ.
Teambuilding im Wald: »Das war ein Versagen der Kontrollfunktion.«
Was machen Teams, wenn die Stimmung so vergiftet ist, dass ein Arbeiten nicht mehr möglich ist? In der Regel holen sie sich einen externen Experten, der die Konfliktherde aufzubrechen versucht.
Eine neue Vorständin schlägt eben dies für ihren Vorstand vor. »Ein halbes Jahr lang haben die anderen Vorstände das abgelehnt.« Irgendwann aber hatte sie sich durchgesetzt. Die angesetzten zwei Tage wurden auf einen zusammengekürzt, aber dann hieß es: Wir fahren in den Wald in eine Hütte. Im Wald – ohne externen Coach – ist die Situation wie immer, vier gegen eins. Am Abend eskaliert die Lage. Sie wird beschuldigt, man fährt ihr über den Mund, einer wird sogar laut. Irgendwann zieht sie sich zurück und geht ins Bett.
Am nächsten Morgen konfrontiert sie die Kollegen, als diese kommentarlos zur Tagesordnung übergehen wollen: »Wisst ihr überhaupt, was ihr gestern gemacht habt?« Betretenes Schweigen. Sie sagt: »Ich habe gestern Nacht erst mal ins Kissen geweint.«
Es war das letzte Teambuilding des Vorstands in dieser Konstellation. »Ich kam fix und fertig nach Hause.«
Monate danach haben sie sich mit einer Trainerin Kommunikationsregeln für Meetings gegeben: Ausreden lassen. Nicht der Lauteste gewinnt. Wenn die Emotionen hochkochen, kehren wir auf die Sachebene zurück und so weiter. Sie haben daraus ein schönes Paper gemacht und im Vorstandsraum ausgelegt. »Es hat exakt ein Meeting gedauert, dann hatten die Kollegen die zusammen erarbeiteten Regeln beiseitegeschoben.«
»Es heißt oft, Frauen nehmen viele Dinge persönlicher als Männer«, sagt die Managerin. »Das mag stimmen. Es wird aber oft auch persönlicher als bei Männern.« Eine Folge ist, dass die Managerinnen, noch bevor sie aus dem Amt ausscheiden, an einem bestimmten Punkt innerlich kündigen.
Davon erzählt Christina Bösenberg. Sie war als junge Führungskraft ins Talentprogramm eines Dax-Konzerns aufgenommen worden. »Ich war eine Tech-Innovations-Stimme. Das ist eine sehr exponierte Rolle, die du hast, wenn du eins von diesen 30 Talenten weltweit bist.« Sie fühlte sich sehr wohl, sehr gefördert.
Eines Tages allerdings geht sie in der Vorstandsetage zum Kopierer, 2003 war das. Unter dem Kopierdeckel liegt eine Excel-Liste, die jemand dort vergessen hatte. Und auf der Liste sind die Gehälter ihrer Talent- Gruppe aufgelistet. »Da habe ich gesehen, dass alle Männer 30 Prozent mehr verdient haben als ich.« Das verletzte sie. »Ich habe meine Leistung und meinen Einsatz als hoch empfunden – so war auch das Feedback. Die anderen waren jedenfalls nicht besser – nur männlich.« Sie bringt das Thema bei HR und beim CEO auf. »Ich habe gesagt:
›Das geht gar nicht.‹ Und ich hatte fest damit gerechnet, dass sie das angleichen.« Aber die Antwort war ein kategorisches Nein. »Das machen wir hier nicht.« Das könne man sukzessive angleichen. »Die hatten überhaupt kein Bewusstsein dafür, dass das ungerecht war.«
Das ist ein Punkt, wo sich viel zum Positiven verändert hat. Der ›Gender Pay Gap‹ wird seit 2006 vom Statistischen Bundesamt ermittelt, seit zehn Jahren ist die geschlechtsspezifische Einkommenslücke in aller Munde, vor allem durch Social Media. Es gibt Zahlen, Daten, Fakten dazu. »Damals gab es das alles gar nicht. Es gab keine bekannte Datenbasis. Heute stellt sich auch jeder Minister, jede Ministerin hin und fordert, dass sich das ändern muss. Damals, vor 20, 25 Jahren, nicht. Da gab es auch keine Ministerinnen.«
In den Nullerjahren klaffte der Verdienst zwischen Männern und Frauen weit auseinander. Aber auch heute gibt es ein Gap. Wenn man den bereinigten oder auch »unerklärten« Wert anschaut, der übrigbleibt, wenn man die erklärbaren Unterschiede in den Berufsbiografien wie Berufswahl, Ausbildung und Kinderpausen herausrechnet, verdient ein Mann aktuell für die gleiche Arbeit mit gleicher Qualifikation sechs Prozent mehr als eine Frau.
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut WSI der Hans- Böckler-Stiftung in Düsseldorf bevorzugt den Blick auf den unbereinigten Wert, weil dieser auch berücksichtigt, was den Frauen durch die Wahl der Ausbildung, des Berufs, der Branche, etwaige Babypausen und dadurch verpasste Beförderungen entgeht. Nach ihren Erhebungen nähern sich die Einkommen in den letzten 18 Jahren langsam an: Von einem unbereinigten Pay Gap von knapp 23 Prozent im Jahr 2006 auf knapp 16 im Jahr 2024. »Im europäischen Vergleich ist die geschlechtsbezogene Verdienstlücke in Deutschland sehr hoch«, schreiben die Autoren der Untersuchung. Besonders auffällig ist zudem das Ost-West- Gefälle: »Die Verdienstlücke fällt in Westdeutschland dreimal so hoch aus wie in Ostdeutschland. Hier betrug der Unterschied 2024 nur noch fünf Prozent.«
Im Fall von Bösenberg, die ja ebenso qualifiziert wie die Männer im Talent-Pool war, ja sogar im gleichen Unternehmen arbeitete, waren 30 Prozent auch für die damalige Zeit außergewöhnlich bitter. Entsprechend enttäuscht war die junge Highflyerin. »Die Führungskräfte, die ich damit konfrontierte, fanden es völlig unbegreiflich, dass ich mehr Geld forderte. Die meinten: ›Männer verdienen halt mehr als Frauen‹, das ist doch völlig normal. Bei mir ist da eine innere Kündigung passiert.« Sie blieb noch fünf Jahre im Unternehmen und wurde auch weiter promotet. »Aber das Vertrauen war weg, das kam nicht zurück.« Das Gleiche gilt für folgende Situation, die gar nicht so lange zurückliegt und bei der man sich schon fragen kann: Denken die Menschen nicht nach oder finden sie ihr Verhalten in Ordnung? Nach dem Motto:

Anna-Sophie Herken, Christina Sontheim-Leven und Bettina Weiguny: „Machtgebiete. Was Managerinnen erleben und wie sie gegenhalten“ – 248 Seiten, 22 Euro, Campus Verlag
Ein bisschen Kollateralschaden ist immer.
Eine Vorständin wechselt in ein Unternehmen, das in einen Skandal schlittert, der zudem auch noch öffentlichkeitswirksam ausgetragen wird. »Es war eine fürchterliche Schlammschlacht.« Die neue Vorständin hat mit alledem nichts zu tun, kommt aber mit unter Beschuss. Ein Streitpunkt war nämlich, dass der Beirat dem CEO vorwarf, in Sachen Diversität versagt und nicht genug für die Frauenförderung getan zu haben. Zur Untermauerung des Vorwurfs wurden verschiedene Beweise vorgelegt, die das belegen sollten, die aber zeitgleich auch das Standing der Neuen untergruben. Das war zwar nicht beabsichtigt, wurde aber als Kollateralschaden in Kauf genommen.
Der Höhepunkt der Demütigung war eine hitzige, denkwürdige Betriebsversammlung. Vor einigen tausend Mitarbeitenden verlas einer der Protagonisten einen Brief, den der Vorstand an das Auswahlgremium geschrieben hatte und in dem stand, dass der – rein männliche – Vorstand gegen eine Vorstandserweiterung und die Nominierung einer Frau war. Ob das denn sein müsse, und wenn es schon eine Frau sein müsse, ob es nicht reiche, wenn sie einfach nur halbtags käme.
Die Neue aber musste diese Erniedrigung vor der versammelten Truppe über sich ergehen lassen. »So erfuhr ich zum ersten Mal nach knapp einem Jahr, wie meine Vorstandskollegen über eine neue Vorständin dachten, bevor sie mich überhaupt kennenlernten.«
Ähnlich hart traf es Sonja Kardorf auf einer Station für die WestLB in Amerika, wo man sie als Krisen-Managerin hinschickte. »Ich kam als Regional Chief Risk Officer, sollte dort aufräumen und die Probleme mit der Bankenaufsicht klären. Das war Anfang 2007, da passte jedes Klischee über das Investmentbanking an der Wallstreet. Die haben Partys gefeiert, da können Sie Ihrer Fantasie freien Lauf lassen.« Und die Portfolien vor Ort kamen Kardorf auch befremdlich vor. »Ich war der
›Feind‹ aus der Zentrale, man hat mir wichtige Informationen vorenthalten. Ich konnte mir nie sicher sein, ob ich wirklich alle Unterlagen für die Bankenaufsicht habe oder ob welche fehlen. Da haben andere im Hintergrund die Strippen gezogen, so dass ich in die ein oder andere Falle getappt bin.«
Die ersten sechs Monate waren heftig, weil sie gefühlt gegen alle arbeiten musste. »Die haben mich ignoriert, mich gemieden. Schon die Körperhaltung, diese Arroganz hat mich spüren lassen, dass sie mich ab- lehnen. Wenn ich gesagt habe: Ich verstehe das hier nicht, kannst du mir das erklären? Wenig Risiko, hohe Erträge, wie passt das zusammen?« Da kam dann nur flapsig zurück: »Dann verstehst du’s halt nicht.« Oder es
hieß: »Das sind hochmathematische Modelle, die sind kompliziert, wir machen das seit Jahren so.« Dank ihrer Sportler-Kämpfernatur hielt sie durch, bis nach einem halben Jahr erst die Frauen im Team Vertrauen zu ihr fassten, dann der CFO. »Damit war das ursprüngliche Männer-Trio und die Kumpanei durchbrochen und wir konnten uns auf der Sachebene um die Themen kümmern, für die man mich geholt hatte.«
Was Kardorf erlebt, nennt sich »contra-power harassment«, schreibt Maria Börner im Buch GenderBias im Recht. »Frauen in Machtpositionen erleben häufig auch Widerstand von unten. Viele Frauen berichten, dass Autorität ihnen nicht selbstverständlich zuerkannt wurde – und dass sie sich diese Autorität immer wieder neu erarbeiten mussten.« Diese Form der Diskriminierung erleben Frauen viel häufiger als Männer. Was passiert dabei? Entscheidungen werden von Mitarbeitern infrage gestellt, Anweisungen werden untergraben, Arbeitsprozesse verzögert, Informationen vorenthalten. »Die Abwertung erfolgt häufig subtil – über Ironie, ›vergessene‹ Einladungen oder herablassende Kommentare im Flurfunk.«
Nun haben unsere Interview-Partnerinnen auch Situationen beschrieben, in denen die Atmosphäre stimmt und die Unternehmenskultur passt. Bettina Volkens zum Beispiel erzählte von ihrem ersten Job als Vorständin. Sie ist mit Anfang 40 in den Vorstand der DB Regio AG berufen worden. »Das war ein großes Glück für mich. Ich hatte tolle Vorstandskollegen, denen es darum ging, wie wir uns gegenseitig stärken können. Die haben mir meine Schwächen gezeigt, damit ich daran arbeite. Ganz konstruktiv war das. ›Wir wollen, dass du Erfolg hast‹, haben sie gesagt, das werde ich nie vergessen. Den Spruch habe ich so nur einmal in meinem Leben gehört von Vorstandskollegen.«
Verrückt genug, dass diese Szene erzählenswert ist. So sollte es doch immer sein, oder nicht? Doch nach allem, was die Managerinnen erzählen und nach allem, was man sonst so hört aus den Machtgebieten der Wirtschaft: Meist geht es weniger um die Sache als um den Kampf gegen den Konkurrenten, um Silorangeleien und Animositäten.
Ein schönes Beispiel für eine offene, vertrauensvolle Unternehmenskultur erzählte uns Kathrin Anselm von Airbnb. »Wir arbeiten vertrauensvoll zusammen. Das gilt für meine Peer Group, die Country General Manager, wie auch für Vorgesetzte.« Sie hat zum Beispiel großes Vertrauen
zu ihrem direkten Vorgesetzten in Paris, der ihr in einer sehr schwierigen Lebensphase zur Seite stand. »2021 zerbrach über Nacht meine Ehe, als ich damit konfrontiert wurde, dass mein damaliger Mann mich systematisch betrogen hat.«
Die erste Person, die Anselm nach ihrer Familie anrief, war ihr Vorgesetzter. »Mir war klar: Die nächste Zeit würde hart werden, und mein Job sollte darunter auf gar keinen Fall leiden. Über Zoom habe ich ihm grob die Lage skizziert und ihn gebeten: ›Kannst du in den nächsten Wochen ein Auge auf mich haben? Mich wirft diese Situation gerade mental etwas aus der Bahn, und ich mache mir Sorgen, ob ich noch 1 und 1 richtig zusammenzählen kann.‹ Er hat mir sofort seine Unterstützung zugesichert und gesagt: ›Ich helfe dir natürlich, wenn du mich brauchst, und wir alle sind für dich da. Aber ich mache mir überhaupt keine Sorgen, weil du das selbstverständlich schaffen wirst.‹ Das Gespräch und der Rückhalt war eine unfassbare Erleichterung für mich.« Im Verlauf der nächsten Monate teilt Anselm die Geschichte mit ihren näheren Kollegen bei Airbnb. Sie ist erstaunt darüber, was ihre Offenheit auslöst. »Ich hatte nie das Gefühl, dass mich diese Offenheit schwach macht. Im Gegenteil, es gab eine unfassbare Solidarität – denn das Leben passiert eben, auch schreckliche und traurige Dinge. Peers haben ihr Trauma vom Scheitern ihrer eigenen Ehe geteilt. Andere haben mich regelmäßig angerufen oder mir zum Wochenende aufmunternde Whatsapps geschickt.« Im Nachhinein ist sie wahnsinnig froh, alle diese Gefühle und die Angst und Unsicherheit dieser Zeit nicht in sich hineingefressen zu haben.
▶ Lifehacks
Wenn’s im Team kracht: Holt euch Hilfe von außen Externe Coaches sind keine Schwäche, sondern kluge Konfliktlöser. Sprecht mit deren Hilfe darüber, arbeitet gemeinsame Regeln aus. Aber Achtung: Teambuilding ist schnell vergessen. Macht aus, wie ihr die Zusammenarbeit nachhaltig verändern wollt und was passiert, wenn sich nicht dran gehalten wird.
Seid menschlich und zeigt Gefühle Persönliche Belastungen wirken oft ins Berufliche hinein – in einer gesunden Unternehmenskultur darf man das offen ansprechen. Die Reaktionen sind oft besser als erwartet. Und tun Euch gut!
Im Boys-Club: »Endlich hat man mal seine Ruhe.«
Früher gab es echte Old Boys Clubs. Da hockten die Lenker von Wirtschaft oder auch der Politik beisammen, tranken schweren Rotwein, rauchten kubanische Zigarren und machten Politik oder fädelten große Deals ein beziehungsweise verhinderten diese, je nach Interesse.
Das reicht von den Freimaurern über die Rotary Clubs bis zur Deutschland AG, jener gewollten Verflechtung der deutschen Finanzkonzerne mit der deutschen Industrie über Beteiligungen und Aufsichtsratsmandate zum Schutze der deutschen Industrie. Vielleicht aber auch zum Wohle der eigenen Macht einflussreicher Banker und Industriebosse wie einst Alfred Herrhausen und Edzard Reuter, die im Zentrum der Macht hockten. Die Zeiten endeten mit dem Ausklang des 20. Jahrhunderts. Der Corporate Governance Codex beschränkte schließlich gezielt die Zahl der Aufsichtsratsmandate, um eine Ämterhäufung zu vermeiden.
Sorry, no ladies. Die Zirkel der mächtigen Herren in der Wirtschaft funktionierten ganz ohne die Beteiligung der Damen.
So läuft das heute nicht mehr ab. Aber Managerinnen merken schon noch, dass es gewisse Zirkel gibt, zu denen sie keinen Zutritt haben – ob absichtlich oder nicht. Eine Topmanagerin berichtet: »Die männlichen Kollegen treffen sich regelmäßig zum Fußball, gehen anschließend essen und handeln da ihre Deals, Aufträge, Neubesetzungen aus. Da kommst du als Frau nicht rein.«
Fußball spielt tatsächlich eine große Rolle für die Karriere. Das geht beim Smalltalk los. Männer kommen in ein Meeting, setzen sich an den Tisch, einer spricht das Thema Fußball an, sofort ist für Smalltalk gesorgt. Die Männer spielen die Bälle hin und her unter sich, sortieren schon mal die Rangordnung. Frau sitzt daneben.
Es klingt albern, ist aber nicht ohne für Frauen. Manch eine redet tapfer mit. Es gibt ja auch weibliche Fußballfans. Die Frage ist nur, ob sie ernst genommen werden von den Männern. In der Regel selten. Manche Frauen hören interessiert zu und lächeln. Manche versuchen, das Thema zu wechseln. Andere klinken sich aus und sortieren Unter- lagen. Oder verwickeln den Nachbarn in ein Zwiegespräch. Rücksicht von Seiten der Männer ist hier auf jeden Fall selten zu erwarten. Wer sich beschwert, erntet in der Regel Irritation.
Umgekehrt erinnert sich Anna Sophie Herken an einen Arbeitslunch, zu dem sie ihr damaliges Team eingeladen hatte. Das Team war ein reines Frauenteam und es gab nur einen männlichen Mitarbeiter. »Wir unterhielten uns munter über Schwangerschaftsgymnastik und den Dirndlkauf für das anstehende Oktoberfest, als mir auffiel, wie still der einzige Mann am Tisch war. Wir haben deshalb das Thema gewechselt, um ihn nicht auszuschließen. Andersherum ist das leider Normalität. Wie oft habe ich als einzige Frau Meetings ertragen, in denen stundenlang über den örtlichen Fußballverein oder Formel 1 geredet wurde, ohne Rücksicht darauf, ob mich das interessiert.«
Schulz-Strelow beschreibt die Mechanismen folgendermaßen. »Männer reden zu Beginn eines Meetings oft über Fußball oder andere ›vermeintliche Nebensächlichkeiten‹. Frauen finden das banal und störend, würden lieber gleich anfangen, konkret ins Thema einzusteigen. Was sie dabei übersehen, ist Folgendes: In dieser kurzen Anfangsphase passiert etwas sehr Wichtiges. Die Männer klären die Hierarchien innerhalb des Meetings und wer das eigentliche Machtzentrum ist. Das muss nicht immer der Aufsichtsratsvorsitzende oder Ranghöchste sein.«
Sie rät dazu, sich über Smalltalk Gedanken zu machen. »Eine gute Vorbereitung auf die erste Aufsichtsratssitzung ist die halbe Miete. Was rede ich beim Smalltalk, wenn nicht über Fußball? Was passt inhaltlich in die Runde?« Erst vor Kurzem kam eine neue Aufsichtsrätin nach ihrer ersten Aufsichtsratssitzung frustriert zu ihr und meinte: »Ich hab’s vergeigt.« Was war passiert? Sie hatte in der Vorstellungsrunde von ihrem Reitpferd berichtet. Das kam in dieser Runde gar nicht gut an. Sie konnte förmlich sehen, wie der Vorgesetzte, der sie für das Gremium empfohlen hatte, sich für seine Entscheidung schämte.
Auch Souad Benkredda von der DZ Bank kennt die Bedeutung von Fußball, kann dem Sport aber nicht viel abgewinnen. Vor einigen Jahren nimmt sie an einem Dinner bei der Deutschen Bank teil. Es kommt ein neuer Vertriebschef aus London zu Besuch, und er ist großer Fußball- fan. Sie wird direkt neben ihm platziert. »Das war einer der Vorteile als einzige Frau – ich saß immer neben den wichtigen Leuten. Da war ich das Aushängeschild.«
Der Mann aus London dreht sich direkt zu ihr und fragt sie irgend- etwas zum Chelsea-Spiel, das an dem Abend stattfand. Sie antwortet:
»Sorry, keine Ahnung. Ich bin kein Fußball-Fan.« Er macht große Augen, dreht sich um und redet den ganzen Abend nicht mehr mit ihr.
»Das war frustrierend«, sagt sie. Andererseits denkt sie: »Der Mann hat super lange stressige Tage. Jetzt ist er für einen Abend nach Frankfurt geflogen und will seinen Spaß haben, über seinen Lieblingsverein diskutieren, ein Bier trinken. Und dann hat die Person neben ihm keine Ahnung von Fußball!«
Nun gibt es auch Männer ohne Fußball-Gen. Wie machen die das? Sie schaufeln sich das Fußballwissen drauf, weiß Souad Benkredda. Ahnungslosigkeit in Sachen Fußball kann auch für Männer ein Karrierekiller sein. Also schaut sich manch ein karrierebewusster Manager sonntagsabends die Spielzusammenfassungen an. Verfolgt Champions- League-Partien, Spieler- und Trainer-Transfers und den aktuellen Spieler-Gossip. Benkredda hat das bei Kollegen über Jahre verfolgt und fest- gestellt: »Das funktioniert wunderbar, das merkt kein Mensch.« Auch ihr wurde wohlmeinend nahegelegt, es damit zu versuchen. »Aber das würde mir niemand abnehmen, es passt nicht zu mir.«
Die Business Harvard School hat eine internationale Studie mit 100 Managerinnen im gehobenen Management gemacht, um herauszufinden, was sie als karriere-hinderlich betrachten. »Three workplace biases that derail mid-career women« heißt der Titel der Veröffentlichung aus dem Herbst 2022. Dabei haben die Frauen zwischen Mitte 30 und Ende 40 vor allem drei Vorurteile am Arbeitsplatz genannt, die Frau- en in der Mitte ihrer Karriere aus der Bahn werfen: unfaire Stereotype, nach denen sie beurteilt werden, übertriebene Aufmerksamkeit in dem Sinne, dass ihre Qualifikationen doppelt und dreifach überprüft und angezweifelt wurden, und ungleicher Zugang zu den wichtigen Entscheidungsträgern.
Demnach haben Männer in dieser für die Karriere wichtigen Phase ihre festen meist männlichen »Cliquen« gebildet. »Bei denen, die bis dahin nicht im Club sind«, so heißt es, »sinken die Chancen, ins nächste Team berufen zu werden, dramatisch.« Der Ausschluss erfolge nicht absichtlich, untergräbt aber die Möglichkeiten von Frauen, da Beförderungsentscheidungen häufig von der Stärke der Beziehungen beeinflusst werden. »Wenn sich Männer – insbesondere in einflussreichen Positionen – nicht die Zeit nehmen, enge Beziehungen zu den Frauen
in ihren Unternehmen aufzubauen, schränken sie damit unabsichtlich die Karrieren dieser Frauen ein und schränken ihr eigenes Wissen über die Fähigkeiten ihrer Kollegen ein.«
Besonders auffällig ist das Boys-Club-Verhalten in den vielen mittel- ständischen Unternehmen außerhalb der Großstädte. »Was es schwer macht in der Vorstandsarbeit ist dieses Nicht-Angebunden-Sein im Männerclub«, erzählt eine Vorständin. »Die Kollegen sind alle aus der Provinz, die sind da aufgewachsen. Unsere Firma ist Sponsor vom örtlichen Fußballverein. Meine Vorstandskollegen spielen montags zusammen Fußball. Und sonntags sind sie im Fußballstadion. Ostern treffen die sich in der Kirche. Sie sind halt Kumpels. Da hast du Null Chancen.« Man hat sie am Anfang gefragt, ob sie mitkommen möchte. »Das habe ich einmal gemacht.« Aber das bringt nichts. »Ich pendle, ich kann nicht jeden Sonntag auf dem Sportplatz stehen. Das müsste man aber, um dazuzugehören.« Irgendwann war es dann so, dass ein Kollege über eine Personalie in ihrem Team spricht. »Ich sage: »Warte mal, was erzählst du da? Der wechselt die Abteilung? Wieso weiß ich nichts davon?« Da kam heraus, dass sie sich sonntags getroffen hatten. Der Kollege hatte erzählt, dass er kündigen will, und dann haben sie alle zusammen besprochen, dass er doch einfach die Abteilung vom xy übernehmen könnte. Und damit waren alle glücklich.«
Eine andere Managerin berichtet vom örtlichen Golf Club, wo die Männer sich austauschen. Dass sie auf den Stadtfesten zusammen etwas trinken gehen, dass die Frauen befreundet sind und sich gegenseitig einladen und die Kinder auf die gleiche Schule gehen. »Das ist ein Closed Shop.« Das führt zu Situationen wie folgender: »Ich sitze am Dienstag mit meinen Geschäftsführern zusammen und erzähle ihnen, was wir am Montag im Vorstandstreffen besprochen hatten. Da sagen die, die alle eine Ebene unter mir sind: ›Das wissen wir schon längst.‹ Die waren am Sonntag eben auch auf dem Sportplatz und lachen sich halb tot über ›die Püppi‹, die die wichtigen Informationen nach ihnen bekommt. Nach dem Motto: Die ist doch eh in zwei Jahren weg.«
Aus der Londoner City erzählt eine Bankerin. »Da war es Usus, dass alle zusammen einmal im Monat zusammen Fußball spielen gehen und anschließend noch gemeinsam zum Essen. Außer den Assistentinnen und mir. Ich hatte keine Lust zu spielen und zugucken wollte ich auch nicht.« Einer anderen wird abends an der Bar von den Kollegen bedeutet, dass es für sie »jetzt doch mal Zeit fürs Bett« sei. Sie fragt nach warum. »Ja, weil wir wollen jetzt noch durch die Stadt ziehen. Richtung Strip-Club.«
▶ Lifehacks
Smalltalk ist Strategie – nicht Schnickschnack
Du musst nicht über Fußball fachsimpeln, aber du solltest das Spiel kennen: In den ersten fünf Minuten klären Männer oft stillschweigend Machtverhältnisse. Schau aufmerksam hin und zieh deine Schlüsse. Und: Sei vorbereitet mit zwei, drei Themen, die dich repräsentieren – Wirtschaft, Kultur, Innovation. Sprich offen an, wenn die Männer dich mit ihren Themen ausschließen.
Wenn du partout nicht reinkommst oder reinwillst, bau deinen eigenen Club
Gründe deine eigene Runde. Ein Female-Leadership-Lunch, ein exklusiver Afterwork mit Vordenkerinnen, ein Mentoring-Circle. Du bestimmst Ton, Thema und Takt. Einfluss beginnt nicht erst im Boardroom – manchmal reicht ein klug gewähltes Mittagessen zur richtigen Zeit.
Unter ALLIES: »Auch Männer profitieren.«
Es gibt sie, die guten Nachrichten. Auch in Sachen Gleichstellung. Es gibt Männer, die sich als Allies verstehen, und es gibt Unternehmen, die eine ganze Menge richtig machen. Häufig kommen die beiden Formen zusammen – da, wo eine gute Kultur herrscht, ziehen Männer und Frauen an einem Strang.
Fangen wir an mit den Männern, die lieber weniger als noch mehr Maskulinität sehen möchten. Pierre-Pascal Urbon ist einer von den Managern, die wenig Lust auf diese Männerbünde haben. Genau wie Franz Reiner von der Mercedes Benz-Bank, der sagt: »Bei uns ist heute alles nahezu paritätisch besetzt, eine Vorstandssitzung ist bunt.« Er möchte auf gar keinen Fall zurück zu den Männer-Clubs von früher.
Urbon hat bei der IT-Firma Komsa in der Nähe von Leipzig sein Aha-Erlebnis gehabt. »Bei Komsa habe ich gesehen, was für einen Unterschied es macht, wenn Diversity und Familienfreundlichkeit ganz eng in die Kultur eingewoben sind. Wir hatten ohne Probleme eine hohe Frauenquote, und zwar in allen Bereichen. Das war einfach ein völlig natürlicher Prozess, wenn wir Führungspositionen besetzen mussten, es war nie ein Problem, die passenden Bewerberinnen und Bewerber zu finden.«
Komsa wurde von einem Schweden gegründet, der nach der Wende einen Bauernhof in der Nähe von Leipzig geerbt hat und da seine Firma gegründet hat. Und gleich zu Beginn hat er einen Betriebskindergarten aufgezogen. »Direkt auf dem Firmengelände. Mit einer riesigen Rutsche auf einem Hügel. Da sind wir dann auch runtergerutscht, wenn die Ergebnisse gut waren. Auf jeden Fall war das richtig cool. Und für die Eltern war das klasse. Die guckten aus dem Fenster und haben ihre Kids gesehen. Sie konnten auch schnell mal rüberlaufen. Bei Komsa gab es keine Meetings um 18 Uhr, weil jeder mit kleinen Kindern zu Hause weiß, dass das eine echt unglückliche Zeit für Calls ist. Es gab Homeoffice und Workation. Der Gründer hatte eine ganz hohe Toleranz dafür, dass die Phase mit kleinen Kindern eine ganz spezielle Lebensphase ist, das hat man überall im Unternehmen gespürt. Und wir hatten eine Frauenquote von 40 Prozent, obwohl das ein IT- und Telekommunikationsunternehmen ist.«
Also nicht unbedingt eine Frauenbranche. Wenn die Basis stimmt, die Rahmenbedingungen und das Betriebsklima, dann entwickeln sich nach Urbons Erfahrung auch die weiblichen Führungskräfte. »Das ist wirklich normal verteilt. Die fallen nicht raus mit dem ersten Kind.«
Auch Männer profitieren von Gleichstellung. Laut Bundesfamilienministerium würden 80 Prozent der Männer gerne mehr Zeit für die Familie haben. 84 Prozent sind der Auffassung, dass Gleichstellung wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. 66 Prozent glauben, dass weniger Druck zur Ausübung der Versorgerrolle der männlichen Gesundheit zugutekommt.
Eine Studie der Universität Bielefeld und des Robert-Koch-Instituts hat einen klaren Zusammenhang zwischen dem Grad der Gleichstellung und der männlichen Lebenserwartung gezeigt. Der Deutsche Ärztinnenbund bestätigt: Männer leben länger, wenn sich das Männlichkeitsbild ändert. Weniger Maskulinität tut gut und fördert die mentale Gesundheit. Auch Männer, die in Elternzeit gehen und in die Kinderbetreuung eingebunden sind, haben weniger physische und psychische Probleme, schreibt die WHO in ihrem Bericht zur Männergesundheit 2018. Auch von der Arbeit in gemischten Teams profitieren die Männer. Die Stimmung ist ausgeglichener als in reinen Männergruppen. Entscheidungen fallen ausgewogener, weniger risikoreich und damit besser aus (IfW). Männer fühlen sich weniger isoliert, haben weniger Druck, sprechen eher über Gefühle und Probleme.
Eine andere Unternehmenskultur, das Aufbrechen tradierter Klischees und Rollenbilder – das alles geht nur zusammen mit den Männern. Und es gibt Unternehmen, die das schon lange erkannt haben und längst umsetzen.
So haben sie bei der Mercedes Benz Bank Diversität und Inklusion wie schon beschrieben sehr früh als Chance gesehen und ernst genommen. Das bezieht CEO Franz Reiner nicht nur auf die Geschlechter: »Ich nehme gelebte Vielfalt ernst und bemühe mich, unterschiedliche Perspektiven nachzuvollziehen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe oder religiöser Zugehörigkeit.« Und es hilft auch nichts, Regeln einmal einzuführen und dann zu hoffen, das entwickelt sich jetzt schön von alleine weiter. Es muss permanent weiterentwickelt und ›gelebt‹ werden, dann aber zahlt sich der Aufwand auch aus:
Die Men-Only-Führungsgremien sind bei ihnen längst Vergangenheit: »Heute erlebe ich in unserem Führungsteam eine ganz andere Atmosphäre: durch die unterschiedlichen Charaktere und Hintergründe, Nationalitäten und Altersgruppen hat sich ein respektvoller, fast familiärer Umgang entwickelt.«
Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist ebenfalls eine Gesellschaft, die sich schon lange mit dem Thema Diversität beschäftigt. Und das mit Erfolg, sagt Anna Sophie Herken, die dort seit 2023 im Vorstand ist. Zum einen ist Gleichstellung bei der GIZ Kern der täglichen Arbeit. Mit rund 25 000 Mitarbeitenden in über 120 Ländern werden im Auftrag der Bundesregierung und internationaler Partner nachhaltige Projekte umgesetzt. »Von über 1 200 Projekten verfolgen rund 90 Prozent gleichstellungsbezogene Ziele – entweder als zentrales Anliegen oder als integriertes Querschnittsthema, weil Geschlechtergerechtigkeit zu mehr Nachhaltigkeit, mehr Sicherheit und Frieden und mehr wirtschaftlichem Erfolg führt«, erzählt Herken.
In der GIZ ist Gleichstellung aber auch ein fester Bestandteil von Führung. »Man arbeitet schon seit vielen Jahren gezielt darauf hin, mehr Frauen in Leitungspositionen zu bringen – nicht als Signal, sondern als Struktur. Heute ist weibliche Führung sichtbar, präsent und breit verankert: in Fach- und Bereichsleitungen, im oberen Management – bis hinein in den Vorstand.« Damit sind Frauen in Verantwortung bei der GIZ keine Ausnahme, sondern gelebte Normalität.
Diese Entwicklung ist das Ergebnis »strategischer Entscheidungen – nicht glücklicher Umstände«, sagt Herken. Neben gesetzlichen Vorgaben setzt das Unternehmen auf eigene Fördermaßnahmen und ein gezieltes Personalmanagement. Die Zahlen können sich sehen lassen: Der dreiköpfige Vorstand besteht aus zwei Frauen und einem Mann. Über 60 Prozent der Beschäftigten mit deutschem Arbeitsvertrag sind Frauen, im Ausland liegt der Anteil bei knapp 50 Prozent. Die Zielgrößen für Führungspositionen: Bis 2027 sollen mindestens 50 Prozent der ersten Leitungsebene unterhalb des Vorstands weiblich besetzt sein, 48 Prozent auf der zweiten. Damit bewegt sich die GIZ deutlich über branchenübliche Vergleichswerte hinaus. Das Unternehmen ruht sich auf den Erfolgen nicht aus. »Es gibt durchaus Aspekte, die wir noch verbessern könnten«, sagt Herken. So stellt sich das Unternehmen auch unbequemen Debatten wie dem Gender Pay Gap sowie der Ungleichverteilung bei Teilzeit und Elternzeit.
Besonders positiv hebt Herken die Unternehmenskultur hervor. »Klischeehafte Narrative – etwa, Frauen seien weniger durchsetzungs- fähig – greifen hier nicht. Sie entstehen erst gar nicht, weil sie quasi täglich widerlegt werden. Teams und die Organisation werden dadurch leistungsfähiger.«
Ähnliches berichtet Bettina Dietsche von der Allianz. »Diversity und eine ›Inclusive Kultur‹ sind harte Arbeit. Diese Vielfalt muss von unten nach oben aufgebaut werden. Du kannst nicht einfach oben im Vorstand anfangen. Das muss in der Kultur aller Ebenen verankert sein, sodass die Leute das Gefühl haben: So, wie du bist, ist alles in Ordnung, so mögen wir dich. Dafür muss man über Jahrzehnte hinweg immer wieder die Dinge ansprechen, die gut sind, aber auch jene, die nicht gut sind. Das ist aus meiner Sicht das Fundament. Und in der Nachfolge- Diskussion ist es harte Arbeit. Alle Talent-Pools und alle Entwicklungsprogramme sind bei uns 50:50 aufgeteilt. Bei allen Nachfolge-Diskussionen sind zwei oder drei Frauen obligatorisch. Jeder CEO bei uns hat das seit vielen Jahren in seinen Zielvereinbarungen als Teil des Performance Reviews stehen. Eine inklusive Umgebung, in der unsere Werte gelebt werden – das gehört bei uns zur Incentivierung.«
Das zahlt sich irgendwann aus. »Wir sind jetzt in der glücklichen Lage, dass dies jede Führungskraft in ihrer DNA verankert hat. 30 Prozent von unserem Gewinn wird von weiblichen CEOs erwirtschafte. Unser Board ist sehr divers. Und wir sehen jetzt, welchen Effekt das auf die Innovation und die Performance hat. Wir sind ein performance- getriebenes Unternehmen. Bei uns finden Sie mehr KPIs als in jedem anderen Unternehmen, das ich kenne. Aber Vielfalt führt zu besseren Entscheidungen, Innovationen und Kundenansprachen. Wir haben mehr als 122 Millionen Kundinnen und Kunden – die sind schließlich auch divers.«
Die Beispiele von GIZ und Allianz zeigen: Veränderung braucht Haltung, Struktur und Ausdauer. Wenn Gleichstellung nicht als Zusatz, sondern als Prinzip verstanden wird, entstehen andere Formen von Führung – offener, kooperativer, wirksamer. Davon profitieren alle: Frauen, Männer, Teams – und die Wirkung in der Organisation als Ganzes.
Besonders wichtig für ein Gelingen sind männliche Unterstützer. Die Verlagsgründerin Katharina Wolff wird oft von Männern gefragt: ›Was kann ich zur Gleichberechtigung beitragen?‹ Da antwortet sie: »Ganz einfach: Indem du beim nächsten Panel, beim nächsten Experten-Interview, für das du angefragt wirst, einfach verzichtest – und stattdessen eine Frau vorschlägst.« No Male-only-Panels. »Da muss der Feminismus heute integrativ sein. Es muss viel mehr Männer geben, die sagen: ›Ich bin Feminist. Ich bin dafür, dass Männer und Frauen gleiche Rechte haben. Pro Frau und nicht gegen Mann.‹« Gleichzeitig dürfe der Feminismus sich nicht gegen Männer richten, so wie es jetzt häufig war.
»Dass jeder Mann sofort angegangen wurde, wenn er ein falsches Wort benutzt hat. Ein Mann durfte ja nicht mehr ›Powerfrau‹ sagen, gleich wurde ihm etwas Schlechtes unterstellt. Wir müssen integrativ sein. Feminismus 3.0.«
Die Organisation »Frauen-in-Führung« (F!F) sammelt »Male Allies« auf ihrer Homepage, darunter Geschäftsführer, Manager, Gründer und Unternehmer in der Immobilienbranche. Werner Albrecht ist einer von ihnen, der auch bei F!F im Beirat aktiv ist. Über ihn heißt es dort:
»Werner Albrecht ist Vater von drei Kindern. Bis 2023 war er Geschäftsführer bei der Stadtwerke München GmbH, verantwortete dort bis Dezember 2022 den Personalbereich, bis Oktober 2023 war er für Immobilien und Bäder der SWM zuständig. Nun ist er als Berater für die Stadtwerke München tätig.«
Seine Forderung an die Männer: »Seid nicht so ängstlich und befürchtet nicht bei jeder Frage nach zum Beispiel anderen Arbeitszeitwünschen gleich das Ende eurer Karriere. Eure Partnerinnen schickt ihr doch auch zu ihren Chef:innen, um dort eine längere Elternzeit zu beantragen. Männer selbst sind schon Helden, wenn sie wenigstens zwei Monate in Elternzeit gehen. Wenn Elternzeit nicht nur die gemeinsame Reise mit dem Neugeborenen ist, sondern wirkliche Care-Arbeit, würde dies das Denken und Handeln in unserer Gesellschaft wirklich verändern.«
Nun könnte die Welt noch mehr solcher Unterstützer gebrauchen. Laut der Gender-Strategieberatung »Female Resources« engagieren sich bislang nur 37 Prozent der Männer aktiv als Allies, obwohl Allyship nicht nur eine moralische Frage, sondern ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor mit messbaren Geschäftserfolgen sei. Laut Deloitte-Studie sind Unternehmen mit inklusiven Teams sechsmal innovationsfähiger. Was hält die Männer also ab? Laut Female Resources, die sich auf den »Male Allyship Survey 2025« beziehen, vor allem fehlendes Wissen und Bewusstsein (45 Prozent) sowie die Angst vor Fehlern (63 Prozent) und die mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte (52 Prozent). Konkrete Hilfe leisten die männlichen Allies, indem sie bei unangemessenem Verhalten eingreifen, Elternzeit nehmen und flexible Arbeitsmodelle nutzen, als Mentoren oder Sponsoren für junge Talente aktiv werden, Diversität fördern und in die organisatorischen Strukturen integrieren. Wer jetzt als Leser zögert, weil ihm noch nicht ganz klar ist, warum das auch sein Thema ist oder was er denn überhaupt machen könnte: Bei der globalen Gleichstellungskampagne #heforshe von UN Women gibt es Informationen ohne Ende dazu und ein »Male Allyship Toolkit« für Männer am Arbeitsplatz. Auf den Medienplattformen Sheconomy und Weconomy gibt es Anregungen bis hin zu »Neun Tipps für Male Allies«.
Dazu ein Schlusswort von Michel Friedman. Am Deutschen Diversity Tag 2025 der Charta der Vielfalt steht er Ende Mai 2025 in Berlin am Rednerpult und sagt: »Ich habe mich noch nie vor Vielfalt gefürchtet, aber vor Einfalt.« Einfalt sei Stillstand. Fortschritt sei Widerspruch. Widerspruch bedeute Streit. Und im Streit müsse man lernen, in Frage gestellt zu werden. Dann kommt er auf die Gleichstellung zu sprechen: Der Machtanspruch, den Frauen heute für sich reklamierten, sei so laut und selbstbewusst wie noch nie. »Und entweder werden die Männer begreifen, dass es nicht darum geht, den Kuchen zu teilen, sondern gemeinsam den Kuchen größer zu machen. Oder sie werden aus dem Kuchen rausfliegen.«
Wenn Friedmann recht hat, dann bekommen Frauen die Hälfte vom Kuchen. Die Hälfte der Posten, die Hälfte der Macht, die Hälfte der Sichtbarkeit. Letzteres ist ein Punkt, den wir noch nicht beleuchtet haben, der aber wichtig ist und zu dem viele der Interviewten durchaus zwiespältige Erfahrungen gemacht haben.
▶ Lifehacks
Wechsel die Spielwiese, nicht das Spiel
Wenn du gegen Wände rennst, liegt’s vielleicht nicht an dir – sondern an der Arbeitsumgebung. Such dir ein Umfeld, das dich wachsen lässt.
Allies statt Einzelkämpferin
Tausch dich regelmäßig mit Verbündeten aus – intern wie extern, Männern wie Frauen. Gute Allianzen sind Karrierekatalysatoren.
Der Kulturcheck lohnt sich
Manche Unternehmen sind weiter als andere. Achte auf die Kultur – nicht nur auf den Jobtitel. Dein Umfeld entscheidet mit über deinen Erfolg.
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