Führung by Demütigung: Wenn destruktive Führung Methode hat. Eine Analyse von Vorhaltungen, Überheblichkeit und Überlastung von Coach Raimund Gebhardt

Führen durch Demütigen –  Zehn Indizien woran man sie erkennt, nennt Führungskräfte-Coach Raimund Gebhardt

 

Raimund Gebhardt (Foto: Privat)

 

Destruktive Führung

Zehn typische Verhaltensmuster

Was erfolgreiche Führung ausmacht, ist klar – und wird erforscht. Mindestens genauso spannend  sind Studien, die zeigen, dass es daneben auch negative Formen von Führung gibt und die großen Schaden anrichten: emotional bei den betroffenen Mitarbeitern etwa durch Frustration und Stress und ökonomisch bei den betroffenen Organisationen wie Veruntreuung oder Rufschädigung. Das Stichwort: Destruktive Führung.

Diese Verhaltensweisen werden unter dem Begriff „destruktive Führung“ zunehmend erforscht.  Empirischen Untersuchungen sagen, jeder zehnte Mitarbeiter ist davon betroffen. Destruktive Führungsmuster beschreiben ein dauerhaftes verbales und nonverbales Führungsverhalten, das von den Mitarbeitern als feindselig, aggressiv und dementsprechend als demütigend erlebt wird.[1]

 

1. Aufmerksamkeit entziehen

Mitarbeiter werden weder begrüßt noch aufgesucht. Sie fühlen sich wie Luft, als seien sie es nicht wert, wahrgenommen zu werden. Ihre Terminanfragen werden ignoriert, besondere Leistungen von Mitarbeitern nicht anerkannt.

O-Töne: „Unser neuer Vorstand hat es geschafft, zwölf Wochen hier zu sein, ohne sich in der Strategieabteilung überhaupt vorzustellen!“

„Ich habe vor zwei Monaten um eine dringende Abstimmung gebeten. Bislang keine Reaktion!“

„Anscheinend ist es egal, ob ich mich für ein Projekt ins Zeug lege oder nicht!“

 

2. Urheberschaft missachten

Entscheidend ist, dass die Führungskraft den Mitarbeiter als Mittel zum Zweck sieht. Sie sieht den Mitarbeiter als Instrument, um die eigene Karriere voranzutreiben oder selbst zu glänzen. Mitarbeiter lobt sie durchaus für gute Leistungen unter vier Augen, es muss aber nicht so sein. O-Töne:

„Ich dachte, ich sehe nicht recht. Meine Folien wurden im Bereichsworkshop gezeigt und ich wurde kein einziges Mal erwähnt!“

„Schließlich habe ich die Kuh vom Eis geholt und wir konnten liefern. Und wieder war es mein Chef, der dem Kunden die gute Nachricht überbrachte. Ich stehe immer da, als ob ich es alleine nicht schaffen würde!“

 

3. Überheblich sein

Im Kern geht es darum, dass der Mitarbeiter von oben herab behandelt wird, als wäre er ein kleines Kind. Der Mitarbeiter wird abgewertet, indem er belehrt, bevormundet, gegängelt oder mit Mikromanagement schikaniert wird. O-Töne:

„Für jemanden, der kein Studium hat, ist das Konzept gar nicht so schlecht. Was allerdings fehlt, ist … Beachten Sie beim nächsten Mal 1. …, 2. …, 3. …, sprechen Sie sich mit XY bei jedem Punkt ab und zeigen Sie mir den Zwischenstand alle zwei Tage.“

„Sagen Sie mal, sind Sie nicht auch Ingenieur? Ihre Berechnungen scheinen mir ungenau und ein wenig umständlich. Ich zeige Ihnen Mal, wie das einfacher geht …“

4. Überlasten

Management by Helikopter schafft eine Sklaventreiberatmosphäre, in der deutlich wird, wer der Großgrundbesitzer ist. Überlastung wird billigend in Kauf genommen und erzeugt Frustration, weil Aufgaben auf der Strecke bleiben müssen.

„Natürlich muss das Projekt fertig werden! Aber ich habe einen Termin beim Chef und er hat mir letzten Monat gesagt, dass er die Statistik morgen braucht! Hier sind die Unterlagen. Serve the Boss, sage ich nur. Apropos Auswertungen, ich brauche bis morgen auch eine priorisierte Liste der Produktfehler und sagen Sie mir nicht, dass Sie dafür drei Tage brauchen. Sie sind zu dritt und haben Vertrauensarbeitszeit, also hauen Sie rein. Ist eigentlich der Brief für das Audit fertig, den ich auf dem Weg hierher telefonisch angefordert habe?! …“

Typischerweise lädt die Führungskraft eine Reihe von Aufgaben ad hoc beim Mitarbeiter ab:

  • Obwohl sie vorher bekannt waren,
  • unabhängig davon, ob sie in der zur Verfügung stehenden Zeit erledigt werden können oder
  • mit anderen wichtigen Aufgaben und Zielen kollidieren,
  • ohne sie zu priorisieren und
  • zusätzlich baut sie Zeitdruck auf.

 

5. Fehler abwälzen

Für offensichtliche Fehler des Vorgesetzten oder Unachtsamkeiten  beider Seiten  macht er den Mitarbeiter allein verantwortlich.

„Wie konnte das nur passieren?! Sie kriegen doch mit, was bei mir los ist. Wenn Sie mich beim ersten zaghaften Versuch nicht erreichen, dann müssen Sie eben dranbleiben!“ (Nachdem ein Mitarbeiter dringend um Rücksprache gebeten hatte, war der Kunde schließlich wegen der langen Wartezeit abgesprungen.)

„Was heißt hier Vier-Augen-Prinzip?! Wenn Sie mir etwas zur Unterschrift vorlegen lassen, dann gehe ich davon aus, dass das passt!“ (Nach der Auftragserteilung wurde klar, dass nicht termingerecht geliefert werden kann und Konventionalstrafen drohen.)

 

6. Illoyalität vor Publikum

Kern des Verhaltensmusters: Die Rückendeckung gegenüber Dritten fehlt oder wird sogar aktiv untergraben. Die Mitarbeiter fühlen sich im Stich gelassen, bloßgestellt oder lächerlich gemacht.

„Schmidt ist der grafische Analphabet in unserem Team. Dafür gehe ich davon aus, dass es uns gelingt, ein paar brauchbare inhaltliche Konturen zu entdecken!“ (Eingangskommentar von Schmidts Führungskraft, um das Eis in einer teamübergreifenden Präsentation zu brechen.)

„Das hat Bernhard offenbar falsch verstanden. Wir hatten das mit ihm und den Kollegen anders besprochen.“ (Kommentar der Führungskraft in einem Schnittstellenmeeting, in dem Bernhard zu einem besonders sensiblen Punkt vorgeschickt wurde und sein Chef nach massiver Kritik zurückruderte.)

 

7. Vorhaltungen

Zurechtweisungen können verschiedene Formen annehmen. Das kann das Verordnen einer Maßnahme sein (Zeitmanagement-Seminar), bei der die Verantwortung für die eigene Wahrnehmung dem Gegenüber zugeschoben wird (Du bist unorganisiert!). Oder als kleine verbale Nadelstiche in Form einer Du-Botschaft statt der Frage: „Wann bekomme ich …?“. Auch schön: Wenn längst vergangene Fehler wiedergekäut werden und damit eine dauerhafte Leistungs- oder Entwicklungsunfähigkeit unterstellt wird.

„Du brauchst ein Zeitmanagement-Seminar!“

„Du hast das schon so lange am Liegen.“

Frau Mayer, warum soll ich ausgerechnet Sie zur Projektleiterin machen?! Erinnern Sie sich an Ihr erstes Projekt als Beraterin! Kaum hat der Kunde ein bisschen Druck gemacht, sind Sie in Tränen ausgebrochen und wir mussten den Kunden wieder einfangen!“

 

8. Emotionale Entgleisungen

Die Bandbreite emotionaler Entgleisungen ist groß: Sie reicht von unfreundlicher Behandlung über Unverschämtheiten bis hin zu cholerischen Ausbrüchen mit Drohungen oder willkürlichen Bestrafungen. Der Mitarbeiter wird eingeschüchtert, er wird zum Fußabtreter oder Blitzableiter.

„RAUS HIER!“

„Warum sind Sie in meinem Büro?! Selbstgespräch können Sie auch draußen führen.“

„Wenn es etwas zu motzen gibt, dann stehen Sie regelmäßig in der ersten Reihe! Oft stehen Sie in dieser ganz alleine. Wenn Sie so weitermachen, dann brauchen wir uns für Ihre Leistungsbewertung eine neue unterste Stufe!“

 

9. Positionsmacht nutzen

Zwei typische Varianten, in denen die Führungskraft die Positionsmacht nutzt: Sie trifft einseitig eine Entscheidung – dem Mitarbeiter wird im Nachhinein Amnesie attestiert, da er behauptet, es habe eine beidseitige Absprache gegeben. Im zweiten Beispiel wird ein Mitarbeiter in seinem Verantwortungsbereich übergangen oder bewusst ausgegrenzt. Im Gegensatz zu Punkt 8 muss beim Einsatz von Positionsmacht kein Affekt im Spiel sein.

„Wir waren uns doch einig, dass …!“ (… obwohl der Chef in einer Diskussion einseitig festgelegt hatte.)

„Müller, wir haben beschlossen, dass Sie sich um XY kümmern. Es war einfach keine Zeit, Sie dazu zu holen!“

 

10. Mitarbeiter als Spielball

Mitarbeiter werden als Masse gesehen, die es zu manipulieren gilt. Klassische Führungsmuster in dieser Kategorie sind das Vorenthalten von Informationen, das Ausspielen gegeneinander bis hin zu psychopathisch anmutenden Zügen wie Täuschen, Lügen und bewusstes Hintergehen. Die Mitarbeiter sind verunsichert, sie wissen nicht, wo sie stehen.

„Meinem Chef traue ich nicht über den Weg! Unter vier Augen macht er auf Kumpel, erzählt Privates und gibt sich nahbar. Wenn er unter vier Augen über Kollegen herzieht, so wirkt das vertraulich. Von Kollegen erfahre ich aber, dass er bei ihnen dasselbe macht, nur dass er dann über mich lästert.“

 

 

Mitarbeiter sind nicht nur Opfer, aber Abhängigkeit erschwert Klärungsinitiative

Klare Sache: Böser Chef, armer Mitarbeiter! Oder doch nicht? Schauen wir genauer hin. Auch wenn die Führungskraft potenziell demütigend handelt – wofür sie die Verantwortung trägt – hängt es von den Verarbeitungsmechanismen des Mitarbeiters ab, wie er die Situation erlebt. Dem Mitarbeiter steht es frei, die Handlung auf sich selbst zu beziehen (Was habe ich meinem Chef getan, dass er so mit mir umgeht?) oder auf seine Führungskraft zu beziehen (Was ist mit ihm los, dass er so handelt? – Oder kritischer: Hat er einen an der Waffel?!). Ebenso hängt es vom Mitarbeiter ab, wie er auf das Verhalten seiner Führungskraft reagiert.

Es gibt zwei Typen von Geführten, die sich eher nicht gegen destruktive Führung wehren: Angepasste, mit geringer psychologischer Reife, die negative Konsequenzen vermeiden wollen. Und Verschwörer, Mittäter, die sich von ihrer Gefolgschaft persönliche Vorteile versprechen.[2]

Was es den Mitarbeitern zusätzlich erschwert, frei zu reagieren, ist die als asymmetrisch erlebte Beziehung zur Führungskraft. Mitarbeiter fühlen sich häufig unterlegen – häufig, weil sich durch den Fachkräftemangel die Machtverhältnisse verschieben. Dennoch: Führungskräfte treffen letztlich die Entscheidungen, weisen dem Mitarbeiter die Arbeit zu, beurteilen seine Leistung und sein Verhalten und beeinflussen sein Fortkommen im Unternehmen. Kein Wunder, dass Mitarbeiter sensibel auf das Verhalten ihrer Vorgesetzten reagieren: Sie fühlen sich abhängig. Demütigungen führen zu Spannungen in der Beziehung. Deshalb sollten Führungskräfte nicht damit rechnen, dass Mitarbeiter danach um ein klärendes Gespräch bitten. Denn das erfordert Mut vom Mitarbeiter und kommunikatives Geschick. Und wenn die Klärung scheitert, wird daraus die nächste, oft größere Demütigung.

 

An der Tagesordnung – doch oft nicht mal beabsichtigt

Demütigung ist eine Handlung, die als tiefe Kränkung oder Herabwürdigung empfunden wird. Erniedrigungen, wie das öffentliche An-den-Pranger-stellen, dienten im Mittelalter der Bestrafung und Abschreckung. Auch wenn demütigendes Führungsverhalten überraschend häufig vorkommt, ist es in der Regel nicht beabsichtigt.

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Schauen wir uns einige Situationen aus meiner Praxis genauer an:

 

Die Hackordnung deutlich machen

  1. Aus der zweiten Führungsebene einer AG: „Ich habe vor drei Monaten um ein Perspektivengespräch mit meinem Chef gebeten, aber er meldet sich einfach nicht!“ (Punkt 1 oben) – Was als Ignorieren erlebt wurde, war fahrlässiges Nichtreagieren. Der Vorstand war durch einen schwierigen Veränderungsprozess stark belastet.
  2. Ein Betriebsleiter über seinen Produktionsleiter: „Wenn meine Führungskraft aus dem Qualitätsmeeting kommt, spricht man ihn am besten die erste Stunde nicht an. Ich habe gleich im ersten Monat lernen dürfen, dass man dann einen Einlauf riskiert.“ (Punkt 8 von oben) – Die Führungskraft wird von dem Qualitätsmeeting offensichtlich so aufgerieben, dass die Person, die sich zeitnah anbietet, als Ventil dient und den aufgestauten Druck abbekommt.
  3. Ein Bereichsleiter im Kundendienst: „In Diskussionen duldet meine Vorgesetzter keinen Widerspruch, egal wie die Faktenlage ist. Das hat mir 80 Prozent Zielerreichung eingebrockt, während meine Kollegen und Schnittstellenpartner der Meinung waren, ich hätte locker 110 Prozent Zielerreichung verdient. Die Zahlen sind bei uns offen einsehbar. Er wollte nur die Hackordnung deutlich machen!“ (Punkt 9 von oben) – Tatsächlich wollte die Führungskraft Diskussionen abkürzen und zeigen, wer letztlich entscheidet und bewusst ein Exempel statuieren.

 

Doch selbst wenn Führungskräften demütigendes Verhalten bewusst ist, so sind die Hintergründe komplex. Drei Ursachen werden hinter destruktivem Führungsverhalten vermutet:

1. Der Griff zu unlauteren Mitteln entsteht, wenn Führungskräfte ihre Ziele mit den üblichen Werkzeugen nicht erreichen.

2. Wenn Verhaltensweisen in der Persönlichkeit der Führungskraft zu suchen sind (gestörte Impulskontrolle, dunkle Triade o.ä.).

3. Wenn sie selbst destruktiver Führung ausgesetzt sind (toxische Organisationskultur legitimiert oder verlangt ein solches Verhalten).

 

Entwertung, verletzte Würde, gekränkter Stolz, ein Gefühl von Versagen oder Beschämung

Unabhängig davon, ob das Handlungsmuster 1. ein Nebeneffekt von Unachtsamkeit ist, 2. die Folge mangelnder Impulskontrolle oder 3. tatsächlich ein bewusstes Verhalten ist, so ist das Ergebnis für Mitarbeitern dasselbe: Entwertung, verletzte Würde, gekränkter Stolz, ein Gefühl von Versagen oder Beschämung. Schließt man die Suchen des klärenden Gesprächs aus, so sind die klassischen Reaktionsmuster:

  • Rückzug – etwa Apathie, Kontaktvermeidung, Absentismus oder Kündigung, aufgrund von emotionaler Erschöpfung (bis hin zu Burnout, Depression und Angstzuständen)
  • aktiver und/oder passiver Widerstand – z.B. Schmollen, Zurückhaltung von Informationen, Verweigerung, Sabotage oder Rache aufgrund der Verärgerung, des Grolls oder der Wut.

 

Fazit: Demütigende Führung ist kein Karrierebooster

Unabhängig davon, ob demütigendes Führungsverhalten beabsichtigt ist oder nicht, müssen Führungskräfte damit rechnen, dass ihre Mitarbeiter mit Rückzug oder Angriff reagieren. Beides verhindert eine konstruktive Zusammenarbeit, lenkt von der eigentlichen Arbeit ab, senkt die Produktivität und gefährdet die Zielerreichung – zumindest langfristig. Alles Folgen, die für eine Führungskraft nicht unbedingt reputations- oder karrierefördernd sind.

Als Führungskraft sollte man sich daher selbst hinterfragen und dort Feedback einholen, wo man mit Ehrlichkeit rechnen kann. Inwieweit zeige ich einige der aufgeführten demütigenden Verhaltensmuster? Die Antworten sind nicht immer leicht zu verdauen, aber zumindest aufschlussreich.

[1] Die bekannteste Liste destruktiver Führungsmuster stammt von: Tepper, B. J. (2000): Consequences of abusive supervision. Academy of Management Journal, 43(2), S. 178-190

[2] Maria Stöckner (2022): Antezedenzien destruktiver Führung. Dissertation. S. 64ff.

 

 

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