Buchauszug Reinhold Karner: „Wahre Werte statt schnelles Geld. So machen Sie Ihr Unternehmen krisenfest und langfristig erfolgreich.“

Reinhold Karner (Foto: PR Gabal Verlag/Ina Pahrt)
Vernunft ist wie kühles Wasser
Mit der Thematik der Vernunft haben sich schon unzählige Philosophen wie Lao Tse (6. Jahrhundert v. Chr.), Aristoteles (384 – 322 v.Chr.) bis hin zu Immanuel Kant (1724 –1804) auseinandergesetzt. Die Abhandlungen dazu füllen Bibliotheken. In der modernen Verwendung wird Vernunft gerne als ein durch Denken bestimmtes geistiges menschliches Vermögen zur Erkenntnis beschrieben. Aber lassen Sie es mich etwas pragmatischer versuchen: Vernunft ist das, was die Mehrheit einer Kultur, einer Gesellschaft oder diejenigen, die hier das Wort führen, gerade für vernünftig erklären. Als vernünftig wird das eingestuft, was am realistischsten, pragmatischsten und am besten ist, um die aktuellen Probleme angemessen und stimmig zu lösen.
Vernunft ist jedoch immer abhängig von der Zeit und dem Zeitgeist: Was ich damit sagen will? Hier ein Beispiel: Es galt etwa früher als sehr vernünftig, bestimmte Mittel und Medikamente einzunehmen. Dazu zählte auch das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan. Dies wurde von etlichen Frauen gegen Schwangerschaftsübelkeit eingenommen. Doch Anfang der 1960er Jahre wurde bekannt, dass die Einnahme von Contergan schwere Fehlbildungen bei Neugeborenen verursacht. So war es plötzlich extrem unvernünftig, dieses Medikament einzunehmen. Vernunft hat also immer damit zu tun, wie die gegenwärtigen Erkenntnisse, die Problemlage und der gesellschaftliche Konsens im Hinblick auf die stimmigste Lösung und die pragmatischste Vorgehensweise aussehen. Somit hat Vernunft keinen Absolutheitswert.
Vernunft – das Klischee des alten Buchhalters
Stellen Sie sich das Klischee eines Buchhalters aus alten Zeiten vor – mit einem weißen Hemd, Ärmelschonern, einer runden Nickelbrille und lauter perfekt gespitzten Bleistiften auf dem Schreibtisch. Er ist der Inbegriff der Genauigkeit, der Verlässlichkeit, der klaren Regeln, der Fehlerfreiheit.
Ist das der Prototyp eines vernünftigen Menschen? Dem Buchhalter kommen keine Emotionen in die Quere. Er kennt keine Langeweile, sondern nur strenge Regeln, keine Alternativen. Das gibt ihm wenig Freiheit, aber sehr viel Verlässlichkeit und Sicherheit. Ein solches Leben zu führen, ist vielleicht nicht gerade spannend, aber irgendwie einfach, berechenbar, kräfteschonend, ohne große Zweifel und mit viel Alltagsroutine. Es gibt kaum Spielräume oder Überraschungen. Aber wäre ein solches Leben wirklich schön? Wohl kaum. Ein Leben, das wie eine Buchhaltung funktioniert, lässt vieles außen vor, was zum Menschsein gehört. Vor allem die Lebendigkeit und alles, was mit Freiheit, Ideen und Kreativität zu tun hat. All das käme deutlich zu kurz.
Vernünftig sein ist meist ziemlich unvernünftig
Manche definieren den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, das in der Lage ist, sich vernünftig zu verhalten, vernünftig zu reflektieren und so zu vernünftigen Entscheidungen zu gelangen und diese dann auch umzusetzen. Solche vernünftigen Entscheidungen tragen das kleinstmögliche Risiko in sich und die größtmögliche Wahrscheinlichkeit, dass sich alles so verhält, wie berechnet, wie prognostiziert. Es gibt auch Menschen, denen sich die Haare sträuben, wenn sie diese Sätze nur hören. Für sie sind Begriffe wie Prognose, Planbarkeit, Logik oder Intelligenz Worthülsen, die keinen wirklichen Inhalt haben, sondern beliebig interpretiert werden können. Genauso ist es mit der Vernunft. Vernunft ist ein schönes Wort, ein Konstrukt, das nur auf eines abzielt: größtmögliche Sicherheit bei kleinstmöglicher Freiheit; größtmögliche Berechenbarkeit bei kleinstmöglichem Risiko. Und wenn man es so sieht, ist ein vernünftiges Leben ohne Lebendigkeit an sich schon ein Unding.
Natürlich gibt es gewisse Vorstellungen, Wünsche und Pläne, die man verwirklichen möchte. Nur ist das alles von Natur aus überhaupt nicht sicher. Denn das Leben und alles drumherum ist lebendig, offen und völlig unberechenbar. Deshalb ist für ein interessantes, gutes, erfolgreiches Leben und erst recht für das Unternehmertum vor allem eines gefragt: Mut! Mut zum Sprung ins kalte Wasser, Mut zum Risiko, Mut zum Wagnis, Mut zu einem Verhalten, das grob unvernünftig, ja waghalsig ist. Es gilt, sich begeistern, inspirieren und faszinieren zu lassen, nicht nur zu denken, sondern auch zu wünschen und zu träumen. Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen den Mut, etwas zu unternehmen, den Mut zu handeln, anzupacken, weiterzumachen. Vielleicht sogar umzudenken, neu anzufangen, umzubauen. Egal, ob das vernünftig oder unvernünftig ist. Egal, ob das gerade Common Sense ist oder nicht. Egal, ob das statistisch mehr oder weniger stimmt oder nicht.
Wer handelt und entscheidet, kann Fehler machen – richtig! Wer nichts entscheidet, nichts tut, abwartet, bleibt möglicherweise fehlerfrei und tadellos. Insofern wäre Letzteres vernünftiger. Aber so würde ein Unternehmer oder eine Unternehmerin nie etwas bewegen, nie etwas erreichen, nie erfolgreich sein. Unternehmerinnen und Unternehmer müssen entscheiden, wagen, handeln, sich engagieren, die Ärmel hochkrempeln, eben etwas unternehmen und riskieren. Ganz nach dem Motto: Wer wagt, der gewinnt! Das ist der Kern des Unternehmertums! Ja, wer wagt, kann auch verlieren. Aber am Ende ist auch der Misserfolg, das Scheitern, der Verlust eine Lektion, die den späteren Gewinn umso sicherer, umso größer, umso strahlender werden lässt.
Es geht nicht darum, die Vernunft zu verdammen. Manchmal ist es vielleicht sogar vernünftig, vernünftig zu sein. Aber die Vernunft darf nicht zum beherrschenden Element werden! Im Gegenteil: Unternehmer und Unternehmerinnen müssen ihrem kühnen, begeisterungsfähigen und auch unvernünftigen Unternehmergeist – vielleicht manch mal sogar ihrem verrückten Genie – viel Raum und Möglichkeiten geben, um das Unternehmen voranzubringen und auf Erfolgskurs zu halten.
Wahre Werte statt schnelles Geld – Reinhold M. Karner, E-Book (EPUB) – Gabal Verlag (gabal-verlag.de), 224 Seiten, 32,99 Euro.
Warum ein Kind in die Pfütze platscht
Kinder lieben es, in eine Pfütze reinzuplatschen. Viele Eltern aber fragen dann mit erhobenem Zeigefinder: »Was soll das? Du wirst nass, schmutzig. Das ist sinnlos! Warum tust du das? Um mich zu ärgern? Damit ich deine Kleidung waschen muss, als ob ich nichts anderes zu tun hätte?« Das sind alles sinnlose Fragen. Das Kind platscht einfach in die Pfütze, weil es Spaß daran hat. Das ist die einzig sinnvolle und zutreffende Erklärung! Die meisten Kinder tun vieles, weil es ihnen Spaß macht, weil sie spontan sind, weil es ihnen gerade einfällt. Und Erwachsene, gerade Unternehmer, Unternehmerinnen und Führungskräfte, tun gut daran, sich gelegentlich in die Welt der Kinder zu versetzen. Aus der Sicht eines Kindes ist die Pfütze kein Ärgernis, kein Fehler des Handwerkers oder der Straßenverwaltung. Eine Pfütze ist für ein Kind einfach eine Herausforderung, die Spaß macht. Und deshalb platscht es mit beiden Füßchen voll hinein.
Wenn Sie so denken, sind Sie auf dem richtigen Weg zu Lebendigkeit, Freude und Mut. Dann können Sie aus Begeisterung heraus Entscheidungen treffen und sich so die nächste Tür zum Erfolg öffnen. Nicht die Vernunft, das Geld, die Karriere, irgendwelche Spielchen oder gar der Blick auf die Rente sollten die vorherrschende Triebfeder für Entscheidungen sein, sondern die Antwort auf die Frage: »Macht es mir Freude, Spaß? Habe ich Lust dazu?« Und bitte, machen Sie sich das nicht gleich wieder kaputt, lassen Sie sich nicht von Ihrem inneren Schweinehund mit »Ich würde ja so gerne, aber …« kleinkriegen. Vergessen Sie das übliche »Wollen hätte ich schon, aber dürfen habe ich mich nicht getraut!«. Wer Freude, Lust und Spaß daran hat, etwas zu tun, wird auch Wege finden, es erfolgreich umzusetzen!
Unserer Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Wichtig ist nur eines: Wenn Sie sich etwas wünschen, wenn Sie Lust, Spaß und Freude an etwas haben, dann suchen Sie nicht nach Gründen, warum es nicht geht. Suchen Sie nach Lösungen, die es möglich machen. Denken Sie daran: Wenn man von Freude, innerer Fröhlichkeit und Begeisterung getragen wird, gelingen die meisten Vorhaben mit viel weniger Aufwand und meist auch viel erfolgreicher.
Vernunft prickelt nicht
Tun Sie nicht das Vernünftige. Haben Sie den Mut zum Unvernünftigen, zum Wagnis, zur Veränderung! Denn Vernunft ist nicht die Kraft, die den Lauf der Dinge bestimmt. Vernunft ist ein schlechter Nährboden für Innovation und Gestaltung.
Wir alle wissen, dass es vernünftig wäre, nicht zu rauchen, besser zu schlafen, mehr zu laufen, weniger Stress zu haben. Tun wir das? Nein! Wir leben weiterhin unvernünftig. Warum? Weil wir keine Maschinen oder Roboter sind. Weil Vernunft nicht das Leitkriterium des menschlichen Lebens ist.
Die Vorstellung, dass die Vernunft das wesentliche Steuerungsmittel, das Hauptkriterium des menschlichen Lebens ist, ist Unsinn. Vernunft hat wenig mit Freude und Begeisterung zu tun. Übrigens: Auch die Natur ist nicht vernünftig. Sie ist nützlich, aber nicht vernünftig.
Vernunft ist wie kaltes Wasser. Es hat keine Wärme, es prickelt nicht. Champagner ist unvernünftig; Wasser zu trinken wäre vernünftiger. Trotzdem mögen wir lieber Champagner – erst recht, wenn es etwas zu feiern gibt. Champagner prickelt so schön. Er sieht besser aus, riecht gut und schmeckt gut. Wasser ist lebensnotwendig, aber langweilig. Deshalb trinken wir lieber Wein oder Champagner. Zu Recht, denn wir sind Menschen und sollen Freude am Leben haben.
Als Unternehmerin, als Unternehmer müssen Sie verstehen, wie die Menschen und vor allem wie die Konsumenten, die sogenannten »Endkunden«, die »Verbraucher«, ticken. Denn sie repräsentieren den so wichtigen B2C Markt, ohne den es keine anderen Märkte gäbe. Hier ist ein essenzieller Schlüssel zum Erfolg, sich der »Rolle der Vernunft« bewusst zu sein. Und noch etwas spricht dafür, dass sich Unternehmer und Unternehmerinnen unbedingt mit Vernunft und auch mit Unvernunft befassen sollten. Was das ist? Ich bin sicher, dass sich auch Ihre Mitarbeitenden mit so manch Unvernünftigem zwischendurch mehr begeistern lassen als mit ständig nur kosten und gewinnmaximierenden, rationalen Entscheidungen und Gegebenheiten!
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