Buchauszug Frederike Probert: „Erfolgreich statt perfekt. Wie Frauen wirklich Karriere machen“

Buchauszug Frederike Probert: „Erfolgreich statt perfekt. Wie Frauen wirklich Karriere machen“

 

 

Frederike Probert (Foto: Privat/Finanzbuch Verlag)

 

Gemeinsam stärker – Netzwerken im echten Leben

Wenn es um Netzwerke geht, haben viele Menschen negative Konnotationen im Kopf: von der Spinne im Netz, die unsichtbare Fäden zieht, und von – meist alten – Männern, die in irgendwelchen Clubs Zigarre rauchen und sich gegenseitig Aufträge und Positionen zuschieben. Natürlich gibt es exklusive Netzwerke, in die Personen nur auf Empfehlung oder Einladung hineinkommen – Mission Female ist eines davon. Für Frauen. Allerdings ist das nicht die einzige Art, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen – und generell ist es gut, sich Verbündete oder Menschen, von denen man lernen möchte, zu suchen. Denn eines lässt sich nicht von der Hand weisen: Gemeinsam ist man immer stärker als allein.

 

Allerdings tun sich Frauen oftmals schwer damit, Unterstützende um sich zu versammeln. Immer noch. Ich denke, das hat viel mit der jeweiligen Zielsetzung zu tun. Ich kann mir vorstellen, dass es sich grundsätzlich für viele Menschen unauthentisch anfühlt, »Beziehungen um der Karriere willen aufzubauen« – so, als ob man sich bei anderen einschmeichelt, nur weil man etwas von ihnen will. Tatsächlich heißt das eine aber nicht zwangsläufig das andere: Man kann sich auf menschlicher Ebene schätzen und muss trotzdem nicht befreundet sein – eine gegenseitige Unterstützung aufgrund rein fachlicher Kompetenzen ist also durchaus möglich. Das macht die Beziehung nicht unauthentisch, sondern ist nur eine Form von vielen.

 

Gerade Mission Female lebt vom aktiven Austausch miteinander und davon, wie erfahrenere Member solchen, die noch am Anfang stehen, mit ihrer Erfahrung und Expertise unter die Arme greifen. Daraus können sich durchaus Freundschaften entwickeln, was aber nicht sein muss – das macht diese Mentor-Mentee-Beziehungen nicht weniger valide.

 

Ich denke, in diesem Licht fühlen sich viele Lesende weniger schlecht, über ihre eigenen Netzwerke nachzudenken – und darüber, von wem sie gerne lernen würden. Sich solche Beziehungen aufzubauen, ist gerade auf Führungsebenen ein wichtiger Skill und hilft enorm dabei, persönlich zu wachsen und die eigenen Ziele zu erreichen. So zeigen auch die folgenden Beiträge, wie hilfreich es ist, sich Unterstützung zu suchen und schwierige Themen gemeinsam anzugehen.

 

Corina Kurscheid: Mein perfekt unperfekter Weg nach vorn

Corina Kurscheid ist Global Associate VP Nivea. Neben ihrer Rolle im globalen Marketing für Nivea ist sie Mitglied des Beiersdorf Sustainability Council, treibt die Nachhaltigkeitsziele und Transformationsprozesse im Unternehmen voran und setzt sich aktiv für Diversität und Lifelong Learning ein.
Nach ihrem Studium an der University of Westminster startete Corina ihre Laufbahn bei Saatchi & Saatchi und führt ihre erfolgreiche Karriere seit 2007 bei Beiersdorf an verschiedenen Standorten fort. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg.

 

»Niemand bekommt beim ersten Mal alles richtig hin. Was uns ausmacht, ist, wie wir aus unseren Fehlern lernen.« (Richard Branson)

 

Ich bin nicht die Person mit einem geradlinigen Karriereplan, die in ihrem Lebenslauf alle vermeintlich »richtigen« Häkchen gesetzt hat und deswegen ihren Weg direkt geradeaus und ohne Umwege gegangen ist.

Perfekt unperfekt beschreibt meinen Weg am besten: Eine flexibel geplante Reise, auf der auch mal beherzt die Richtung angepasst wird und spontan neue Etappen eingebaut werden. Wenn etwas nicht wie geplant verläuft, wird konstruktiv hinterfragt, mit neuen Augen betrachtet, gelernt und angepasst. Beim Weitermachen soll es dann bitte besser werden – immerhin liegt noch ein ordentliches Stück Weg auf der Reise des Lebens vor mir.

Mit dieser inneren Überzeugung liebe ich Herausforderungen und sehe in vermeintlichen Fehlern und Misserfolgen die wichtigsten Impulse, um zielgerichtet auf meinen Erfolg hinzuarbeiten. Denn ohne Fehler keine Entwicklung.

Das Leben bietet so viele spannende Möglichkeiten, um zu lernen und sich zu verändern. Ich erkenne, was funktioniert und was für mich nicht der richtige Weg ist – und ich sehe anstelle von Fehlern interessante Umleitungen, die mich weiterbringen. Durch diese Umwege betrete ich Neuland und erkenne neue Ufer, zu denen ich aufbrechen kann.

 

Den eigenen Weg finden

Früher dachte ich, dass alle ein klares Erfolgsrezept für sich definiert und klare Wege vor sich hätten. Aber ich habe gelernt, dass alle ihren eigenen Weg gehen und niemand bereits alles in der Tasche hat, wenn die eigene, sehr individuelle Reise beginnt. Wir alle haben jeden Tag wieder die Chance, uns und unseren Weg neugierig zu betrachten – und unsere Zukunft mit uns selbst in der Hauptrolle jeden Tag neu zu formen.
Ein klares Bild von meiner Zukunft schon mit 16 – das war nicht ich. Viele meiner Mitschülerinnen und Mitschüler hatten bereits sehr klare Vorstellungen von ihren Karrieren und wussten genau, was sie beruflich einmal machen wollten. Ich wusste dagegen immer recht genau, was und wie ich nicht werden möchte, und hatte immerhin darin meine Klarheit.

Seit meiner Kindheit bin ich überzeugt, dass ich alles lernen und werden kann – wenn ich zielgerichtet mit Herzblut und Ausdauer darauf hinarbeite. Im Umkehrschluss ist die wichtige Erkenntnis: Wenn ich etwas nicht kann, bedeutet das lediglich, dass ich es in diesem Moment noch nicht kann.

Es gab so viele Möglichkeiten und so viele interessante Gebiete, aber ich hatte noch kein Gefühl dafür, was mich wirklich faszinierte und antrieb und wo ich genau hinwollte. Das war in meiner Schulausbildung bis zum Abitur auch nicht gefragt, entsprechend hatte ich keine Übung mit diesen Reflexionen. Zudem strebte meine Generation noch nach höchstmöglicher Effizienz in der Schaffung eines lückenlosen Lebenslaufs: nach dem Schulabschluss die Ausbildung beziehungsweise das Studium im Rekordtempo durchziehen und bitte direkt ohne Pause in den ersten Job starten.

Um meinen Blick zu weiten, fragte ich nach konkreten Ratschlägen für die »richtige« Studienwahl. Der Standardratschlag war: »Studier` doch BWL – damit bleibst du flexibel«, gerne auch kombiniert mit dem wohlwollenden Zusatz: »Dann kannst du dir später auch einen Job suchen, den du in Teilzeit ausüben kannst, wenn du mal Kinder hast.«

Ich stand anfangs recht unschlüssig da und merkte, dass diese Ratschläge für mich absolut nicht passten. Und so lernte ich, auch mal meine eigene innere Stimme zu Wort kommen zu lassen.

Die Vorstellung von weiteren fünf Jahren Wissensabfrage durch Klausuren in einem BWL-Studium war für mich unvorstellbar. Das   Familien- und Arbeitsmodellthema hatte ich noch nicht einmal im Ansatz in diesem Detailgrad angedacht. Also war Festlegen keine valide Option. Ich fand keine Antwort auf die Frage, wieso die Entscheidungen von anderen automatisch auch die richtigen Wegweiser für meine Zukunft sein sollten.
Es musste unbedingt mehr als »diesen einen« Karrierepfad geben, denn Fortschritt entsteht ja auch nicht durch das Kopieren der Vergangenheit. Also entschied ich mich für das Vertrauen in mich selbst und machte mich auf meine eigene Reise, um hoffentlich neue Erfolgsrezepte zu kreieren.

 

Nicht überraschend folgte kein BWL-Studium, sondern ein Start in die Geisteswissenschaften. Viele haben mich belächelt und diese Wahl als Fehler bezeichnet – und sie würden es heute vermutlich immer noch tun. Ich entschied mich trotzdem für das Vertrauen in mich selbst und diese Fächerkombination.
Ich lernte essenzielle Fähigkeiten, wie Themen zu abstrahieren, Gedanken sortieren und auch formulieren zu können sowie Argumente plausibel zu begründen. Und natürlich war auch die absolute Superpower dabei: der Perspektivwechsel.
Es sollte sich trotz allem herausstellen, dass meine Fächerwahl, gepaart mit mir als Frau, nicht förderlich für einen Karrierestart in der Wirtschaft war. Wir sprechen vom Jahr 1997/98.

 

Ich war damals sogar eine der wenigen Studierenden mit eigener E-Mail-Adresse und somit eine Art digitale Anwenderpionierin an der Uni. Trotzdem war es für mich fast unmöglich, einen Praktikumsplatz zu ergattern. Mir wurden flächendeckend wahnwitzige Vorurteile entgegengebracht: Mir wurde zum Beispiel die Fähigkeit abgesprochen, mit einem Computer umgehen zu können. Und für die Tätigkeiten eines Praktikums schien ich auch nicht ausreichend qualifiziert zu sein.
Ich erkannte, dass die Wahrnehmung meiner Person nicht linear mit meinen Fähigkeiten verbunden ist, sondern extrem davon abhängt, was vordergründig von mir sichtbar ist. Also musste Veränderung her, ein Aufbruch zu noch unbekannten Marketingufern.

 

»Einfach« machen

 Bei diesem Schritt stand für mich nicht die Korrektur eines vorherigen Fehlers im Mittelpunkt, sondern mein persönliches Weiterkommen. Denn: ohne Fehler keine Entwicklung.

Statt mich in Selbstkritik zu verlieren und einfach per Radikalkur ohne Lerneffekt das Studium abzubrechen, habe ich nach kreativeren Lösungen gesucht. Ich wollte auf dem bisher Erreichten aufbauen, was bedeutete, dass ich meine Routenplanung ordentlich anpassen musste.

 

Ein Master-Abschluss in England wurde mein neues Ziel. Er baute auf meinem bisherigen Studium auf und bot mir zeitgleich eine wichtige Neuausrichtung für den Abschluss. Das war ein damals unkonventioneller und nicht unbedingt einfacher Schritt, für den ich auch nicht nur aufbauendes Feedback erhielt. Aber ich habe mich getraut und »einfach« gemacht.

Dafür hieß es aber erst mal: Raus aus der Komfortzone! Mir war klar, dass meine Neuausrichtung nicht bedeutete, den Weg dorthin auf einem Silbertablett serviert zu bekommen. Und es war definitiv anstrengend. Rückblickend war dieser Schritt für mich aber genau der richtige – und er öffnete mir im nächsten Schritt wieder komplett neue Türen.

Diese spannenden Türen hätte ich ohne die Anpassung meiner Reise gar nicht gesehen, geschweige denn erreicht. Ich konnte mir meinen Einstiegsjob nun komfortabel aus mehreren Optionen aussuchen.
Angst vor »falschen« Entscheidungen muss also nicht sein. All das wäre niemals möglich gewesen, wenn ich mich von meinen inneren Kritikern davon hätte abhalten lassen. Es gibt kein Versagen, höchstens lehrreiche Umwege oder Umleitungen, solange Selbstverantwortung, intelligente Reflexion und konstruktives Hinterfragen am Start sind.

Heute weiß ich, dass niemand besser als ich selbst wissen kann, was persönlicher Erfolg für mich bedeutet. Es ist dabei absolut in Ordnung, wenn ich mich in meinen Ansichten und meinem Lebensstil von anderen unterscheide. Ich warte nicht auf Zustimmung von außen, wenn ich Entscheidungen treffe, die sich für mich richtig und gut für meine Zukunft anfühlen. Und dann geht’s auch schon ans Umsetzen.

 

Das »Wir« als Verstärker des Erfolgs

Ohne Zweifel ist und bleibt die Klarheit zum »Ich« die Grundlage für jeglichen persönlichen Erfolg. Es ist aber mitnichten so, dass ich alles allein schaffen oder können muss. Ich würde es sogar als Trugschluss bezeichnen, nur allein erfolgreich sein zu können.

Erfolg ergibt sich definitiv aus Chancen, die ich selbst kreiere und sichtbar mache.
Auf ein Netzwerk bezogen haben so die anderen Menschen um mich herum einen großen Einfluss auf meinen persönlichen Erfolg. Das macht es so immens wichtig, sich mit den richtigen – also den für einen selbst passenden – Menschen zu umgeben.
Nicht ohne Grund gibt es den Satz »Allein kommt man nicht weit«. Diesen Gedanken führt die Aussage »Gemeinsam sind wir stärker« noch deutlich weiter und ist unter anderem das Motto des Frauennetzwerks Mission Female, bei dem es darum geht, sich gegenseitig zu unterstützen, zu inspirieren und zu stärken.

 

Interne Teams im Arbeitsumfeld und externe Netzwerke können zu wahren Energie- und somit auch Erfolgsverstärkern werden: Erfahrungen auf Augenhöhe zu teilen, Austausch mit Mitgliedern, die eine ähnliche Einstellung mitbringen – das sind wahre Energieschübe für die eigene Inspiration. Und wenn ich selbst inspiriert bin, kann ich in der besten Version von mir selbst die Welt ein kleines Stück besser machen.
Warum dafür ein in sich geschlossenes System eines Netzwerks nützlich ist? Das erleichtert das Entstehen einer Gruppenidentität mit eigener Dynamik. Eine derart »sichere« Gruppe bietet Unterstützung und die Möglichkeit zum Austausch zu neuen Ideen, mit neuen Impulsen und Blickwinkeln.

Insbesondere in schwierigen Zeiten ist der Austausch mit Gleichgesinnten so wertvoll: Sie haben die Möglichkeit, mir neue Perspektiven zu Herausforderungen aufzuzeigen und mir das eventuell gerade nicht so große Selbstvertrauen wieder aufzubauen.
Mir persönlich hätte es enorm geholfen, schon zu einem früheren Zeitpunkt meiner Karriere Teil eines solchen Power-Netzwerks zu sein. Der sichere Austausch in einem vertrauensvollen Umfeld ist nicht zu unterschätzen: Ich kann alles so sagen, wie ich es meine, ohne Rücksicht auf politische oder betriebsimmanente Gegebenheiten. Diese Besonderheit macht Netzwerke und das Netzwerken so wertvoll.
Es macht aber ehrlicherweise auch einfach Riesenspaß, Gleichgesinnte zu treffen, sich gegenseitig zu motivieren und füreinander als Vorbilder da zu sein. Großartig ist der verstärkende Effekt hierbei: Je mehr ich nach dem Vorbild der anderen handele, desto mehr werde ich selbst zu einem starken und sichtbaren Role Model.

So schließt sich der Kreis – und nicht nur das in sich geschlossene System des Netzwerks verändert sich nachhaltig, sondern die Gesellschaft als Ganzes wird Schritt für Schritt eine bessere Version von sich selbst.

Das Schöne ist: Unsere Zukunft ist noch nicht festgeschrieben, sondern wartet darauf, von uns gemeinsam gemacht zu werden. Wer weiß heute schon, wo genau uns unser Leben in der Zukunft noch hinführen wird?

Was ich allerdings genau wie Stuart Little weiß: Ich bin vielleicht nicht auf dem perfekten, aber definitiv auf dem richtigen Weg.

 

Frederike Probert: „Erfolgreich statt perfekt. Wie Frauen wirklich Karriere machen“ – 304 Seiten, 22 Euro, FinanzBuchverlag, Erfolgreich statt perfekt – Wie Frauen wirklich Karriere machen (m-vg.de)

 

Patricia Kelly: Ein Vergleich: Männer und Frauen im Showbusiness

Patricia Kelly ist eine irisch-US-amerikanische Sängerin, Musikerin und Songwriterin. Bekannt wurde sie vor allem als Mitglied der mit mehreren Musikpreisen ausgezeichneten Pop- und Folkband „The Kelly Family“, die 1994 ihren kommerziellen Durchbruch erzielte und mit mehr als 20 Millionen verkauften Tonträgern zu den erfolgreichsten Interpreten in Europa gehört. Seit 2008 ist Patricia Kelly auch als Solokünstlerin tätig. Patricia ist Vollblut-Entertainerin, Unternehmerin und loving Mom. Female Empowerment liegt ihr ganz besonders am Herzen.

 

Zum ersten Mal wirklich bewusst geworden ist mir der Unterschied, als ich mit einem Konzertveranstalter über eine potenzielle Tour sprach und er mir knallhart ins Gesicht sagte, dass es deutlich einfacher sei, männliche Künstler erfolgreich auf Tour zu bringen. Ich wusste, dass zum Beispiel Festivals zu 70 Prozent mit männlichen Showacts besetzt sind, und hatte mich immer gewundert, warum das so ist. Aber das so direkt zu hören, war schon krass. Es ging und geht also ums Geld. Aber warum sollten Frauen nicht genauso erfolgreich auf Tour gehen können und dieselben Summen einspielen? Wo war das Problem? Vermutlich liegt das auch daran, dass Festival-Besuchende meistens jung und weiblich sind – daher sind männliche Künstler prädestiniert und die jungen Mädels bereit, Geld auszugeben, um ihren Star zu sehen. Da steckt ganz viel Marketing und das Spiel mit Rollenklischees dahinter. Den Grund in biologischen Gegebenheiten zu sehen, war für mich nie eine Option – für mich stand und steht die Qualität der Musik im Vordergrund und die hat rein gar nichts mit dem Geschlecht zu tun.

 

Auch bei Plattenfirmen habe ich vor einigen Jahren noch die Rückmeldung bekommen, dass männliche Künstler besser zu verkaufen seien, und habe daher immer wieder Absagen bekommen. Und zwar ganz unabhängig davon, wie gut meine Musik oder ein Song war. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, auf mich und meine Fähigkeiten zu vertrauen – egal, was irgendwelche Plattenbosse sagen und welche Verkaufszahlen zu erwarten seien. Das war nicht immer einfach, aber ein superwichtiger Prozess für mich. Klar, geht es ums Business – und das Showbiz ist kein einfaches Pflaster: Es herrschen patriarchale Strukturen, es geht um Macht und um Geld. Dennoch möchte ich mir selbst und meiner Musik treu bleiben. Und es hat sich gelohnt. Deshalb gebe ich allen Frauen mit auf den Weg: Glaubt an euch selbst und eure Fähigkeiten und lasst euch nichts anderes einreden. Und geht konsequent euren Weg.

Eine Freundin hat mal zu mir gesagt: »Es bringt nichts, sich zu beschweren, sondern wir können nur uns selbst ändern.« Das war ein extrem wichtiger Impuls, der mein eigenes Verhalten bereits verändert hat. Ich habe damit begonnen, aktiv auf meine Kolleginnen zuzugehen. Bei einer Veranstaltung habe ich zwei Künstlerinnen, die ich gut finde, einfach direkt angesprochen – das hätte ich mich früher nie getraut, obwohl ich selbst Künstlerin bin. Wir hatten ein tolles und inspirierendes Gespräch, haben Telefonnummern ausgetauscht und folgen uns nun gegenseitig auf unseren Social-Media-Kanälen. Das zeigt, wie wichtig es ist, sich zusammenzutun und sich gegenseitig zu unterstützen. Und auch einfach mal mutig zu sein und Dinge in Gang zu setzen.

 

Wir Frauen sind oftmals zurückhaltender und viel zu bescheiden. Wir setzen uns am Abend nach unseren Konzerten oder Veranstaltungen nicht an die Bar und netzwerken, wie viele Männer das machen. Dabei werden dort die meisten Deals gemacht – da unterscheidet sich das Showbiz wohl kaum von anderen Branchen. Im Privatleben haben Frauen oftmals viele Kontakte, im Business müssen wir aber ganz klar und konkret daran arbeiten. Wir müssen unsere Netzwerke aufbauen und uns gegenseitig empfehlen und aufeinander aufmerksam machen. Ohne zu sagen: »Ich bin eine Frau, ich habe es deswegen schwerer.« Wir müssen aktiv werden und uns das vielleicht auch gegenseitig mehr vorleben.

 

Miriam van Straelen: Mut ist ein Muskel, der trainiert werden kann

Miriam van Straelen ist eine Strategin, die praxisorientierte Lösungen entwickelt. Dabei greift sie auf ihre umfassenden Erfahrungen in den Bereichen der Strategieentwicklung und -umsetzung sowie dem Produktmanagement und den Roll-outs von neuen Produkten und Dienstleistungen in digitalen Geschäftsfeldern zurück. In den letzten 15 Jahren war Miriam für die Strategie, das Design, den Aufbau, das Wachstum als auch die Skalierung von digitalen Produkten und Dienstleistungen verantwortlich. Der Fokus lag vor allem auf Geschäftsfeldern wie E-Commerce, Fintech und digitalen Ökosystemen im B2C- und B2B2C-Umfeld.

Als Gründerin, Unternehmerin und erfahrene Führungskraft fühlt sie sich gleichermaßen in der Arbeit mit Start-ups als auch mit multinationalen Unternehmen wohl. Leistungsstarke Teams zu bilden, zu führen und dabei das Beste aus den Menschen herauszuholen, gibt ihr Motivation.

Miriams Ziel ist es, Lösungen für komplexe Herausforderungen zu finden und Unternehmen durch die Entwicklung von digitalen Strategien und Innovationen, welche eine Benchmark setzen, zu fördern.

 

Ich würde lügen, wenn ich sagte, es sei nicht so gewesen. Ich wurde schon sehr häufig unterschätzt – meistens von mir selbst. Gerade im beruflichen Umfeld habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Frauen noch härter kämpfen müssen, um die nächste Karrierestufe zu erreichen, als Männer. In meiner persönlichen Laufbahn hatte ich glücklicherweise genügend Fürsprecher, die mich unterstützt, gefordert und auch gefördert haben. Aber das Wichtigste war: Sie haben mir Mut gemacht. Denn die Fähigkeiten für die nächste Karrierestufe waren vorhanden, nur ich selbst stand mir häufig im Weg. Einer meiner besten Chefs sagte immer wieder zu mir: »Mach es doch einfach! Es ist keine OP am offenen Herzen – was soll denn Schlimmes passieren?« – das half mir, meine Zweifel und Bedenken wieder in Relation zu setzen, und ich konnte den nächsten Schritt wagen. Besonders gerne mag ich auch den Spruch: »Deine Komfortzone fühlt sich warm und gemütlich an, aber aus ihr heraus wird sich niemals etwas Großes entwickeln.«

Und genauso wenig wird sich etwas Großes entwickeln, wenn jede und jeder sein eigenes Süppchen kocht. Sich gegenseitig zu unterstützen und sich auf dem Weg nach oben mitzunehmen, ist unglaublich wichtig. Heute spricht man von Allyship, zu Beginn meiner Karriere, vor 20 Jahren war das noch anders. Ich habe in meiner bisherigen Karrierelaufbahn nur Männer als Chefs gehabt – weibliche Vorbilder gab es kaum. Und die, die eine Führungsposition innehatten, taten es den Männern oft gleich, um in diesem männlich geprägten Umfeld zu bestehen. Es erschien fast so, als hätten Frauen nur dann eine Chance, Karriere zu machen. Ab einem bestimmen Level geht es häufig um Macht und darum, Machtverhältnisse zu sichern und bitte bloß nichts davon abzugeben.

 

Ich beobachte immer wieder, wie Frauen an sich selbst und ihren Fähigkeiten zweifeln – das führt in der Konsequenz natürlich häufig dazu, dass auch andere die Fähigkeiten dieser Frauen infrage stellen. Das ist ja auch logisch – wenn man selbst nicht an sich glaubt, warum sollten es dann die anderen tun? Auch ich kann davon ein Lied singen. Jahrelang war ich es selbst, die mich unterschätzt hat. Mein Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann, von dem ich viel lernen durfte, insbesondere, wenn es um das Wohl von und den Umgang mit Mitarbeitenden ging. Er war ein absoluter »PeopleMensch«, was mich bis heute in meiner Arbeitsweise prägt.

Meine Eltern haben mich immer sehr unterstützt, und dennoch habe ich mir zu Beginn meiner Karriere zu wenig zugetraut – rückblickend vermutlich auch, weil mir entsprechende Vorbilder gefehlt haben. Es ist wichtig, aufgrund des eigenen Handelns immer wieder positiv bestärkt zu werden und zu sehen: »Ja, es geht!« und: »Ja, ich kann das!.« Man muss manchmal mutig sein und Dinge einfach mal machen. Denn Mut ist ein Muskel, der trainiert werden kann. Diese positive Rückkopplung führt dazu, dass man sich immer mehr zutraut und über sich hinauswächst – so war es auch bei mir.
Aber auch das Umfeld spielt eine große Rolle. Wir brauchen definitiv mehr Role Models, die uns unser Potenzial aufzeigen und mit denen wir uns identifizieren können. Wichtig dabei ist, dass es nicht um Männer gegen Frauen geht – viel mehr müssen wir eine diverse und wirklich vielfältige Lebensrealität schaffen, die alle miteinschließt, mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen. Das Thema Diversity ist für mich kein Nice-to-have, sondern der einzige nachhaltige Weg in die Zukunft.

 

Heute ist es mir eine Herzensangelegenheit, andere Frauen zu ermutigen, an sich und ihre individuellen Fähigkeiten zu glauben – denn wenn du selbst an dich glaubst, dann trittst du ganz anders und viel selbstbewusster auf. Das setzt unglaubliches Potenzial frei. Ich möchte mit gutem Beispiel vorangehen und ganz bewusst anders sein als viele der Frauen, die mir zu Beginn meiner Karriere begegnet sind. Ich möchte die Leiter hinter mir nicht hochziehen, sondern ausfahren.

 

Silke Reuter: Mein Erfolgsprinzip: „Jetzt erst recht!“

Silke Reuter ist Senior Marketing Executive (CMO) und war unter anderem für Unilever, Tchibo, Alois Müller, Cora Verlag, Mrs. Sporty, CPGaba, BRITA, Walter rau, FrieslandCampina (Landliebe) und Haus Rabenhorst (Rotbäckchen) tätig. Ihr Herz schlägt seit ihrem beruflichen Start bei Unilever in Hamburg für Gesundheit und Ernährung sowie für die Markenführung von Premium-Produkten und -Sortimenten. Humanistische Werte, Innovationen und konsumentenorientierte Unternehmensführung sind ihr dabei in ihrer Laufbahn besonders wichtig. Die Menschen – ob Mitarbeiter, Kunden oder Verbraucher – stellt sie in den Mittelpunkt ihres Handelns. Ihr Motto „Sei das was du dir wünschst für diese Welt“ setzt sie durch stetige Impulse im Bereich Innovation und Nachhaltigkeit im beruflichen Umfeld sowie durch ihr ehrenamtliches Engagement für Kinder und die Natur um. Sie engagiert sich außerdem in verschiedenen Netzwerken im Bereich Marketing, Innovationen, Digitalisierung und Markenführung. Privat tankt sie Energie durch vielfältige Aktivitäten wie Wandern, Radfahren, Städtereisen, Beach-Volleyball und Konzerte.

 

Wann hast du schon einmal gemerkt, dass du im Vergleich zu deinen männlichen Kollegen anders behandelt wurdest?         
Ich liebe die Gestaltungsmöglichkeiten, die ich als Marketingleiterin habe. Zu Beginn war es im Job für mich – als Tochter von Pädagogen, denen Sozialverhalten wichtig ist – allerdings sehr schwer. Wir wurden als Mädchen zu Hause, in der Schule und beim Leistungssport gleichbehandelt. Das Karrieresystem durchschaute ich nicht, erst später wurde mir klar, dass vieles an meinem Weiblichsein lag und dass Jungs es leichter haben. Einmal wurde ich bei einer Außendiensttagung im blauen Anzug vom Vertriebsleiter als Servicekraft angesprochen. Ein anderes Mal beauftragte mich ein männlicher Vorgesetzter, sein Fahrrad während der Arbeitszeit zu reparieren.

 

Es wurde mir verwehrt, Netzwerke aufzubauen, denn ich durfte nicht an Veranstaltungen und Werksbesuchen teilnehmen. Im Verkaufsbüro wurde ich in einen Vorraum voller Akten gesetzt. Die männlichen Trainees hatten solche Erfahrungen nicht und waren in kurzer Zeit alle gut vernetzt und fanden interne Förderer. Trotz immer sehr guter Beurteilungen und großen Einsatzes wurde ich dann nicht auf die entscheidenden »Listen« gesetzt, die ich brauchte, um weiterzukommen. Eine sehr gute Zusammenarbeit mit einem Vorgesetzten wurde als »Verhältnis« interpretiert, was jeder Grundlage entbehrte. Und ein männlicher Kollege erntete nach seinem internen Wechsel auf meine Stelle meine Lorbeeren und den Seniortitel. Ich wurde nicht befördert. Chefs profitierten von meinen Leistungen und machten Karriere. Ich war exzellent, naiv, hilfsbereit und nett – das ideale Sprungbrett für andere – und musste mir am Ende extern einen neuen Job suchen. Auf das Zeugnis warte ich bis heute.

 

Aber ich lernte dazu – und das war wichtig, denn in der nächsten Firma war es ähnlich: Einige Vorgesetzte nutzen meine Ergebnisse für ihr Fortkommen, und trotz intern erfolgreicher Wechsel in neue Bereiche traute man mir nicht zu, eine Führungsposition zu übernehmen. Ich erlebte Männerseilschaften und die bekannte gläserne Decke. Wertschätzung? Fehlanzeige! Stattdessen wurde mir ein Mann nach dem anderen – zum Teil aus völlig artfremden Bereichen – vorgesetzt, der von mir profitierte und die Erfolge ohne mich präsentierte. Aus früheren Erfahrungen lernend, hatte ich aber inzwischen eigene Netzwerke aufgebaut.

 

In der Rezession, als es dem Unternehmen schlecht ging, wusste ich, wohin mein Weg führt: Ich entschied mich für die Selbstständigkeit als Senior Consultant, was bisher meine mutigste Entscheidung war – und die beste Erfahrung, denn ich lernte, ich kann unabhängig sein und »meine Frau« stehen. Ich arbeitete viel und verdiente ein Vielfaches durch gute Aufträge, die mir zudem Respekt einbrachten. Mein inzwischen großes Netzwerk an tollen Frauen und Männern sicherte mir meine Zukunft sowie positiven Zuspruch und viel Wertschätzung. Davon und gelegentlich von externen Coaches profitierte ich auch in den Senior-Management-Positionen, denn ein guter Tipp oder ein Gespräch zur richtigen Zeit ist immer Gold wert.

 

Auch in den obersten Managementebenen gibt es immer mal wieder Geringschätzung, despektierliches Verhalten und Machtkämpfe. »Mann« schätzt es zum Beispiel sehr, wenn ich still bin, um selbst mehr Redeanteile zu haben. Inzwischen höre ich auf mein Bauchgefühl und achte auf mich. Ich agiere professionell, freundlich, vorausschauend und planend. Und ich orientiere mich extern, statt Machtkämpfe gegen Seilschaften auszutragen, die ich nicht gewinnen kann. Meine Naivität von früher, nur an das Leistungsprinzip zu glauben, habe ich abgelegt. Meinen mir wichtigen Werten – Innovation, Fairness, Kooperation, Zusammenarbeit, Respekt und Wertschätzung – bin ich aber treu geblieben, denn sie geben mir Kraft und Energie. Inzwischen halte ich auch Vorträge, weil es mir Spaß macht, mein Wissen zu teilen. Täglich verfolge ich zudem LinkedIn und poste zu den drei mir wichtigen Themen: Food & Beverage Innovationen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Ich glaube, meine Karriere fußt auf meinem Mut und der intrinsischen Motivation, etwas Sinnvolles und Gutes tun zu können.

 

Anke Renz: Wie ich aus meiner Leidenschaft eine erfüllende Karriere geformt habe – ein erfolgreicher Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

Anke Renz ist Expertin für Produktinnovation und Innovationsmanagement in der Konsumgüter- und Chemiebranche. In ihrer mehr als 20-jährigen Karriere war sie an verschiedenen Forschungsstandorten im In- und Ausland als Managerin tätig. Zwischen 2017 und 2019 war Anke Mitglied des freiwilligen Aufsichtsrats der Procter & Gamble Manufacturing GmbH sowie Standortleiterin des deutschen Forschungszentrums in Schwalbach am Taunus.

In ihrer aktuellen Rolle beim schwedischen Konsumgüter-Unternehmen Essity leitet sie die weltweite Forschung und Entwicklung für den Bereich Personal Care mit 200 Wissenschaftler:innen, Ingeneur:innen und technischen Expert:innen.

 

Als leidenschaftliche Wissenschaftlerin gestartet, trieb Anke Renz auf ihrem Karriereweg vor allem eins an: ihre Neugier und Offenheit für Neues. Sie ist Expertin für Produktentwicklung und Innovationsmanagement in der Konsumgüter- und Chemiebranche. In ihrer mehr als 20-jährigen Berufslaufbahn war sie verantwortlich für die Entwicklung globaler und regionaler Produktbereiche, einschließlich einer Reihe von Innovationsprojekten zur nachhaltigen Transformation. Heute leitet sie die weltweite Forschung für den Bereich Personal Care beim Hygiene- und Gesundheitsunternehmen Essity. Auf welche zehn Aspekte sie in ihrer Karriere bis heute Wert legt, verrät sie im Folgenden.

 

Die eigenen Stärken kennen

Schon als Kind wollte ich Forscherin werden. Zu Hause im Garten beobachtete ich Insekten und machte Experimente mit Tinkturen aus Pflanzen: Was passiert beim Mischen? Wie ändern sich Farbe, Geruch und Konsistenz im Laufe der Zeit? Das waren spannende Fragen für mich. Als ich mich später in der Oberstufe für eine einzelne Naturwissenschaft als Hauptfach entscheiden sollte, fiel mir die Auswahl nicht leicht. Daher holte ich mir Rat bei meinem damaligen Klassenlehrer. Seine Meinung war eindeutig: »Du musst dich nur zwischen Chemie und Biologie entscheiden, Physik ist nichts für Mädchen!«

 

Damit hatte er mir – wenn auch ungewollt – einen sehr guten Rat gegeben. Noch am selben Nachmittag machte ich mein Kreuz bei Physik als Abiturfach. Ich habe meine Entscheidung nie bereut. Im Nachhinein betrachtet konnte ich daraus eine erste entscheidende Erkenntnis für mein späteres Berufsleben ziehen: selbst zu wissen, wo die eigenen Stärken liegen und was man sich zutraut.

 

Feedback und Rat von außen ist auf jeden Fall wichtig. Ich fordere das auch heute noch ein. Genauso wichtig ist es auch, sich selbst und seine Stärken gut zu kennen. Nur dann können wir Feedback besser differenzieren und für uns selbst entscheiden, was tatsächlich weiterhilft.

 

Keine zu engen fachlichen Grenzen setzen

Meine Liebe zur Forschung brachte mich schließlich dazu, Ernährungswissenschaften zu studieren. Ich absolvierte ein Praktikum im Entwicklungsbereich eines internationalen Konsumgüterkonzerns – und war Feuer und Flamme, als mir zum Ende meiner Praktikumszeit ein Job angeboten wurde. Überzeugt davon, dass meine Aufgaben im Bereich Nahrungsmittel liegen würden, nahm ich das Angebot an.
Am ersten Arbeitstag war meine Überraschung groß: Ich war dem Bereich Damenhygiene zugeordnet worden, und mein erstes Projekt würde die Entwicklung einer Slipeinlage für Stringtangas sein. Das war definitiv nicht das, was ich erwartet hatte.

 

Das Projekt entpuppte sich jedoch als perfekter Berufseinstieg für mich: ein kleines Team, eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Bereichen und ein spannender erster Einblick in das Thema Verbraucherforschung. Gerade am Anfang lohnt es sich, seine fachlichen Grenzen nicht zu eng zu setzen und mutig über den Tellerrand hinauszuschauen. Für viele Aufgaben in der Industrie gibt es kein maßgeschneidertes Studium, da geht Probieren in der Tat über Studieren.

 

Konstruktives Nein-Sagen lernen

Die wohl wichtigste Lektion habe ich gleich zu Beginn meiner Karriere – und auf eher unerfreuliche Weise – gelernt. Nachdem ich auf zwei sehr ambitionierten Projekten fast drei Wochen komplett durchgearbeitet hatte, bestellte mich meine neue, amerikanische Chefin zu sich. Sie wollte, dass ich ein drittes dringendes Projekt übernehme. Ich war sehr erstaunt und antwortete, dass ich mich dazu aktuell nicht in Lage sähe. Auf diese Erwiderung reagierte sie pikiert und bezeichnete mich als offensichtlich arbeitsscheu. Ich war schockiert – wie konnte sie mir nach so viel harter Arbeit diese Unterstellung machen?

 

Völlig aufgelöst rief ich meine Mentorin an. Sie machte mich mit dem Konzept des konstruktiven Nein-Sagens vertraut: statt Anfragen mit einem pauschalen »Geht nicht« zu beantworten, lieber realisierbare Optionen aufzeigen. Die meisten Aufgaben sind machbar, es ist meist nur eine Frage von Zeit, Geld und Arbeitsaufwand. Ein Vorschlag damals hätte die Abgabe eines der anderen Projekte sein können oder eine veränderte zeitliche Staffelung. Eine solche Diskussion wäre außerdem die perfekte Gelegenheit gewesen, die eigene Arbeit dem Gegenüber sichtbar zu machen und gemeinsam Prioritäten festzulegen.

 

Die Strategie des konstruktiven Neins nutze ich bis heute regelmäßig mit positivem Ergebnis. Sie ermöglicht mir, den nötigen Fokus zu setzen, ohne als »Nein-Sagerin« abgestempelt zu werden. Denn wer immer »Nein« sagt, wird irgendwann nicht mehr gefragt – und verpasst so vielleicht interessante Chancen.

 

Fachexpertise nicht über Teamerfolg stellen

Fachkompetenz ist sehr wichtig, keine Frage, und sollte auch entwickelt und gepflegt werden. Trotzdem sehe ich gerade im technischen und wissenschaftlichen Bereich oft Kolleginnen und Kollegen, die sich regelrecht darin verbeißen und ihre Fachexpertise zum Selbstzweck erheben.

Statt gegenseitiger Unterstützung in der Teamarbeit wird mit viel Energie ein fachlicher Disput ohne konkrete Zielsetzung geführt. Zumindest in der Wirtschaft ist es sinnvoller, die eigene Fachexpertise in den Dienst der Sache, statt ständig unter Beweis zu stellen. Erfolgreiche Zusammenarbeit im Team entsteht dann, wenn man sich fachlich ergänzt, anstatt den Wettbewerb im Besserwissen zu gewinnen. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit den eigenen Vorgesetzten.

Sich auf komplementäre Kompetenzen und gemeinsame Ziele zu fokussieren, fördert die gegenseitige Wertschätzung und hilft, Vertrauen aufzubauen. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn man aus unterschiedlichen fachlichen Bereichen kommt und noch keine gemeinsame Arbeitsbasis hat.

 

Chancen zur Weiterentwicklung nutzen

Als sich mir 2011 die Möglichkeit für einen Auslandsaufenthalt in Singapur bot, griff ich gerne zu. Meine Arbeitserfahrung auf dem asiatischen Markt war gering, meine Neugierde auf die Kultur dafür umso größer. Es war die ideale Gelegenheit, meinen Erfahrungshorizont zu erweitern. Hätte ich diese Chance als reinen Karriereturbo betrachtet, wäre ich mit ziemlicher Sicherheit enttäuscht worden. Zur Zeit meiner geplanten Rückkehr gab es keine passende Stelle für mich, denn in Europa lief gerade ein Restrukturierungsprogramm. Die einzige Option war ein Wechsel in einen neuen Bereich, in dem ich wieder fast bei Null anfangen musste.

Unabhängig davon gehört die Zeit in Singapur bis heute zu meinen wertvollsten beruflichen Stationen. Es war eine unglaublich bereichernde Erfahrung, an der ich sehr gewachsen bin.

Mein Appell an alle, die sich aus dem gewohnten Umfeld herauswagen: Es ist sehr viel wertschöpfender, solche Gelegenheiten als Möglichkeit zur persönlichen Weiterentwicklung zu betrachten, anstatt sich nur auf die Karrierechancen zu fokussieren. Letztere sind nicht immer planbar. Doch die Erfahrung, die sich aus einer einmaligen Jobgelegenheit ergibt, ist in jedem Fall eine Bereicherung.

 

Motivationsoasen schaffen

Egal, wie erfolgreich eine Karriere verläuft, es wird Phasen geben, in denen man das Gefühl hat, festzustecken. In diesen Momenten liegt die Kunst darin, nicht in Frust zu versinken oder aus reiner Verzweiflung das nächstbeste Angebot anzunehmen.
Stattdessen hilft es mir, wenn ich mir selbst kleine »Motivationsoasen« schaffe, bis eine wirklich gute und passende Gelegenheit kommt. Ich liebe es, neue Dinge zu lernen – das hat mich schon über einige Karrieredurststrecken gerettet. So habe ich beispielsweise ein Ministudium im Bereich Nachhaltigkeit absolviert. Das Thema liegt mir sehr am Herzen, und das Gelernte kann ich heute wunderbar in meine aktuelle Aufgabe einbringen.

Es muss aber nicht immer ein berufsbezogenes Thema sein. Eine Ausbildung zur Yogalehrerin oder ein Sabbatical – meine persönlichen Motivationsoasen waren im Laufe der Jahre sehr vielfältig.

 

Mut zur Lücke haben

Innerhalb der eigenen Komfortzone hat noch niemand eine erfolgreiche Karriere gemacht. Ein Motto, das sich für mich in diesem Zusammenhang besonders beim Wechsel in neue Organisationen bewährt hat: Macht mir eine neue Aufgabe nicht wenigstens ein bisschen Angst, ist sie vermutlich nicht groß genug. Dazu gehört auch ein gewisser Mut zur Lücke. Was ich noch nicht kann, kann ich lernen. Fragen zu stellen und um Unterstützung zu bitten, ist aus meiner Sicht kein Zeichen der Schwäche – im Gegenteil.

 

In meinen Führungsrollen bitte ich meine Teams immer ausdrücklich darum, mir am Anfang der Zusammenarbeit 100 Tage Zeit zu geben. Diese Zeit nutze ich, um die Teammitglieder kennenzulernen, um zu verstehen, was und wie gearbeitet wird und um Fragen zu stellen. Nach dieser Frist stelle ich meine ersten Eindrücke zusammen und diskutiere sie offen mit Team und Vorgesetzten. Was läuft gut und sollte ausgebaut werden? Was läuft nicht gut und sollte angepasst werden? Welche Chancen gibt es für neue Ansätze? Aus den Ergebnissen erstelle ich mit meinem Führungskreis einen Plan und stimme diesen mit den Vorgesetzten ab.

 

Auf diese Weise kann ich bestehende Stärken erhalten und notwendige Veränderungen angehen. Andersherum würde ich mir nur selbst ein Bein stellen: Wer mit einer vorgefassten Meinung über die Arbeitsweise einer bestehenden Organisation in einem neuen Team anfängt, wird es schwer haben, die nötige Unterstützung im Team zu bekommen und eine nachhaltige Verbesserung zu erreichen.

 

Zielgerecht Netzwerke aufbauen und pflegen

Wer hoch hinauswill, kann auch tief fallen – da ist es sehr beruhigend, ein Netz zu haben, das einen auffangen kann. Auch wenn alles gut läuft, sind Netzwerke stets eine Bereicherung und Inspirationsquelle. Ich nutze meine Netzwerke regelmäßig zum Austausch. Manchmal brauche ich eine Idee oder einen Kontakt, manchmal einen fachlichen Rat – und gelegentlich tut es auch einfach gut, sich mit Menschen in einer ähnlichen Situation auszutauschen.

 

Bei der Auswahl von Netzwerken ist es elementar, eine Idee zu haben, wie man das Netzwerk nutzen möchte. Dazu gehört auch eine Vorstellung, was man selbst bereit ist, an Zeit und Aufwand zu investieren. Netzwerke leben von den Menschen, die sie bilden. Wenn ich also keine eigene Energie in ein Netzwerk investiere, werde ich auch nicht viel zurückbekommen.

 

Ich habe den Schwerpunkt meiner beruflichen Netzwerke über die Jahre immer wieder verändert und der eigenen Situation und Motivation angepasst. Das hat mir geholfen, sie für mich relevant zu halten, sodass ich gerne meine Energie investiere.

 

Zusätzliche Unterstützung suchen und annehmen

Ganz gleich, wie viele Jahre Berufserfahrung man bereits gesammelt hat: Es wird auf dem Weg nach oben immer Situationen geben, in denen man das Gefühl hat, dass einem alles über den Kopf wächst. An dieser Stelle kann ein erfahrener interner oder externer Coach eine wunderbare Ergänzung sein. Ganz wichtig: Dabei geht es nicht um Selbstoptimierung. Es geht vielmehr darum, eine andere Perspektive einzunehmen und gemeinsam eine Strategie zu entwickeln, wie die aktuelle Situation am besten zu bewältigen ist.

 

Einen passenden Coach zu finden, ist nicht immer einfach: Das Angebot ist sehr groß. Als Hilfestellung für die Auswahl gibt es für mich zwei wichtige Kriterien. Das erste ist fachlicher Natur: Hat die Person die richtige Kompetenz, um mir in der aktuellen Situation zu helfen? Das zweite Kriterium liegt in der persönlichen Ebene: Kann ich mit der Person ein Vertrauensverhältnis aufbauen? Auch das persönliche Netzwerk kann helfen, einen geeigneten Coach zu finden.

 

Ich habe in meiner Laufbahn mehrfach Coaches als Unterstützung für verschiedene Themen eingebunden, wie zum Beispiel für Resilienz, Mindset und Leadership. Das hat mir in herausfordernden Situationen neue Perspektiven eröffnet und alternative Wege aufgezeigt.

 

Mit Neugier besser verstehen

Meine Neugier ist ein wichtiger Grund, weshalb ich in der Forschung und Entwicklung sehr gut aufgehoben bin. Sie hilft mir aber auch, mit schwierigen Situationen umzugehen. Statt beleidigt oder defensiv auf eine scheinbar negative Aussage zu reagieren, versuche ich, sie zuerst mit Neugier zu betrachten. Warum sagt diese Person das? Was meint er oder sie damit? Gibt es einen Kontext, den ich nicht kenne?
Wer diese und ähnliche Fragen stellt, hat eine ziemlich gute Chance, besser zu verstehen, wo Probleme zu lösen oder Missverständnisse auszuräumen sind. Missverständnisse in einem internationalen Umfeld entstehen häufig bei kulturellen Unterschieden. Eine gesunde Neugier und Offenheit helfen, ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erhalten und eine wertschätzende, unterstützende Arbeitsatmosphäre zu schaffen.

 

Fazit: Wirtschafterin oder Wissenschaftlerin?

Heute sehe ich mich mehr als Managerin denn als Wissenschaftlerin. Der Wissenschaft habe ich trotzdem nie den Rücken gekehrt, obwohl mir in meiner Karriere mehrfach der Rat gegeben wurde, »ins Marketing zu wechseln, weil man dort schneller Karriere macht«.

Das mag richtig sein, war für mich aber nicht ausschlaggebend.
Wichtig ist mir,

–      mich mit Neugier und Freude am Lernen innerhalb als auch außerhalb der eigenen Komfortzone weiterzuentwickeln.

–      in einem Arbeitsumfeld zu agieren, das einen hohen Wert auf Innovation, Nachhaltigkeit und Diversität legt.

–      eine Firmenkultur zu haben, die geprägt ist von Wertschätzung, Unterstützung, Mut und Zusammenarbeit.

All das habe ich bei meinem aktuellen Arbeitgeber gefunden. Und wenn ich gefragt werde, was mein Rezept für eine erfolgreiche und erfüllende Karriere ist, antworte ich gerne mit einem Zitat von Albert Einstein: »Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.«

 

 

Stefanie Tannrath: Wege entstehen dadurch, dass man sie geht

Seit September 2020 ist Stefanie die erste weibliche CEO der Media- und Werbeagentur UM (Universal McCann) in Deutschland und damit verantwortlich für die drei Agenturstandorte Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf. Begeistern kann man Stefanie mit guten Ideen, komplexen Fragestellungen und Transformationsaufgaben – sowohl die eigenen als auch die ihrer Kunden. Das Business ihrer Kunden zukunftssicher zu machen, steht dabei für sie im Mittelpunkt – partnerschaftlich, mit Datenintelligenz und Kreativität.

Mit ihrer Agentur beweist sie täglich, dass nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Handeln nicht im Widerspruch zu erfolgreicher Unternehmensführung stehen muss und dass Diversität und Gleichberechtigung oberste Priorität im Management haben sollten.

 

Warum wir uns auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung oft selbst Steine in den Weg legen und was jede:r von uns für eine gleichberechtigtere Zukunft tun kann – gerade in Führungspositionen. Diversität in Unternehmen – ein Thema, das bereits viele Dialoge, Diskussionen, Texte und Sendungen gefüllt hat. Schließlich finden wir doch alle, dass Diversität in Unternehmen wichtig ist. Meiner Meinung nach ist es ein nicht mehr umzustoßender und insgesamt weithin akzeptierter Fakt, dass diverse Teams produktiver und kreativer sind. Warum sind wir dann noch immer so weit entfernt von einer echten Gleichberechtigung der Geschlechter in der Wirtschaft? Was bedeutet es eigentlich, ein Unternehmen mit einer Diversitätsagenda zu führen? Und wieso scheint der Weg zu einem gleichberechtigten Wirtschaftssystem so schwierig und langwierig zu sein?

Weil es auf dem Weg zu Diversität keine Abkürzungen gibt und jede Veränderung viel Arbeit bedeutet.

 

Warum uns Diversity so schwerfällt

Folgendes Szenario ist uns allen bekannt: Eine entscheidende Position wird mit einer Frau besetzt, das Thema »Diversity« oder »Frauenförderung in Unternehmen« wird damit abgehakt und als erledigt betrachtet. Eine einfache und schnelle Lösung – die das Ziel verfehlt. Denn mit One-Stop-Lösungen können weder Strukturen substanziell verändert noch echte, nachhaltige Fortschritte gemacht werden. Schließlich ist es unerlässlich, dass man über diese Themen spricht – ihnen also kontinuierlich und langanhaltend Raum gibt und sie durch eine zielgerichtete Agenda untermauert.
Eine weitere Hürde auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung ist zudem, dass das Thema »Female Empowership« von allen Seiten mit sehr vielen Emotionen behaftet ist. Auch für jene Frauen, die es »geschafft« haben und bereits zentrale Führungspositionen innehaben, ist dieses Thema sicherlich nicht immer einfach. Ich kenne viele Frauen in Führungspositionen, die mit Frauenförderung im Unternehmen eigentlich nichts zu tun haben wollen. Woran das liegt? Sicherlich auch daran, dass sie Angst haben, durch die Verbindung zu Themen der Gleichberechtigung selbst als Quotenfrauen gesehen zu werden. Es könnte aber auch daran liegen, dass sie nach wie vor als »nervig« wahrgenommen werden oder den vermeintlich schlechten Stempel »Feministin« aufgedrückt bekommen. Viele Frauen in Führung fügen sich daher dem bestehenden System.

Mit der Auswirkung, dass echte Diversität auf der Strecke bleibt – und dass sich die Männer um sie herum auf die Schulter klopfen können, dass sie es geschafft haben, kein reiner »Boys-Club« mehr zu sein. Dabei ist es doch so: Wer als weibliche Führungskraft das Banner »Nur die Leistung zählt« vor sich herträgt, reproduziert die Mechanismen der alten Ordnung.

 

Versteht mich nicht falsch, auch ich – als weibliche CEO – möchte ja nicht nur mit dem Thema »Female Empowerment« assoziiert werden. Ich möchte genauso wie jeder Mann an meiner Leistung gemessen werden und meinen Teil zum Erfolg meines Unternehmens beitragen. Aber ich möchte eben auch einen Beitrag zu einer moderneren und nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft leisten.
Um das zu erreichen, bedarf es verschiedener Dinge:

–      Wir brauchen Vorbilder.

–      Wir brauchen klare Ziele und Leitbilder.

–      Wir brauchen Messbarkeit und Accountability.

Wir brauchen all diese Dinge auf der großen Wirtschaftsbühne, aber wir brauchen sie eben auch im Kleinen. Wir brauchen sie jetzt, in unseren Unternehmen.
Wir leben in einer Zeit des kontinuierlichen Wandels: Karrieren laufen nicht mehr linear, lebenslanges Lernen ist mehr als nur ein Buzzword. Vielmehr ist es ein überlebensnotwendiges Tool in den sich ständig verändernden Märkten. Gerade diese kontinuierliche Veränderung und die sich daraus ergebende neue Flexibilität sollten wir alle, unabhängig von unserem Geschlecht, als eine riesige Chance ansehen, um wirklich für nachhaltige Veränderung zu sorgen.

 

Wie viele Gespräche gibt es noch immer darüber, dass Frau X zwar eine tolle Frau und Kollegin ist, die gute Leistungen erbringt – aber man ja nun leider davon ausgehen muss, dass sie bald schwanger wird. Wenn eine Mitarbeiterin heiratet, dann läuft die Uhr los und man überlegt sich schon, wie man die Person wohl ersetzt, »wenn es so weit ist«. Über einen Mann habe ich so etwas komischerweise noch nie gehört.
Viele Frauen mit Karriereambitionen gehen regelrecht demonstrativ damit um, dass sie keine Kinder wollen. Aus Angst, es könnte ein falscher Eindruck entstehen, der ihrer Karriere schaden könnte. Und auch junge Jobeinsteigerinnen mit Anfang 20 machen sich bereits Gedanken darüber, wann wohl der beste Zeitpunkt ist, ein Kind zu bekommen. Oftmals unabhängig von ihrem persönlichen Familienstatus, mit dem reinen Fokus auf ihre Karriere: Wann könnte ich es mir erlauben? Was muss ich bis dahin beruflich erreicht haben, und wie hoch sollte ich auf der Gehaltsskala stehen? Auch hier ist es wieder die Angst vor dem Karrierestillstand. Denn nach der möglichen Schwangerschaft wird es erst mal schwierig.

 

In meiner Generation (ich liebe den Begriff der Generation Catalano) haben viele Frauen – inklusive mir selbst – relativ selbstverständlich Karriere gemacht. Wir sind gleichberechtigt aufgewachsen (wenn natürlich auch nicht vor Stereotypisierungen gefeit, die ja auch heute noch aktuell sind). Bei uns gab es keinen Unterschied mehr zwischen der Bildung bei Mädchen und Jungen. Ich hatte zu keiner Zeit meines Aufwachsens das Gefühl, dass ich als Mädchen nicht raus in die Welt gehen und eine tolle Karriere machen kann. Doch noch in der Generation vor uns galten »working girls« noch als etwas Exotisches: Frauen, die Karriere machen wollten, waren verbiestert oder Ähnliches und mussten mit extrem großen Schulterpolstern ihr breites Kreuz demonstrieren.

Die Schulterpolster haben wir abgelegt (auch wenn sie modisch immer wieder ihr Comeback versuchen), aber viele der Sichtweisen und Denkmuster leider noch immer nicht. Viel zu oft reproduzieren wir die GenX-Weisheiten:

  1. »Nur die Harten kommen in den Garten«: Wir sind nur produktive und vollwertige Mitglieder der Gesellschaft, wenn wir Vollzeit arbeiten und uns für unseren Job aufopfern.
  2. »Das bisschen Haushalt …«: Care-Arbeit wird nach wie vor als niedere und damit auch nicht bezahlte Arbeit gesehen. Es ist eine Arbeit, die Mütter ganz selbstverständlich mit übernehmen, denn das ist ja schließlich das Wichtigste im Leben einer Frau.
  3. »An der Spitze ist es einsam« – vor allem als Frau: Ein wirklich offener und unterstützender Austausch, wie ihn zum Beispiel Netzwerke wie »Mission Female« leben, gibt es viel zu selten.

Bei so viel fälschlicher Weisheit ist es wichtig, den Fokus neu auszurichten: Wie ebnen wir den Weg für eine nachhaltig andere, bessere und menschlichere Wirtschaft, die echte Gleichberechtigung und – wichtiger noch – echte Diversität zulässt? Wir müssen das System als solches verändern, anstatt das Spiel mitzuspielen, das Männer schon vor langer Zeit entwickelt haben.

 

Mehr als Lippenbekenntnisse: Wie wir für mehr Diversity sorgen

Natürlich glaube auch ich daran, dass es ohne Fleiß keinen Preis gibt. Ebenfalls unterschreibe ich, dass Karriere kein Selbstläufer ist. Und dennoch weiß ich, dass unser von Männern erbautes und dominiertes System, so wie es heute besteht, an vielen Stellen aus der Zeit gefallen ist. Trotzdem wird es hart verteidigt – dieses System, das (nur) für die einen funktioniert und von staatlicher Seite gefördert (#Ehegattensplitting) als auch von Frauen, »die es geschafft haben«, unterstützt wird. Diese tief verankerten Glaubenssätze zeigen, wie schwer es ist, echte Veränderung zu schaffen. Es muss ein nachhaltiges Umdenken in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik erfolgen. Jetzt – denn wir haben keine weiteren fast 50 Jahre Zeit, um darauf zu warten, dass es endlich fair für alle ist.

Was muss also passieren? Wie kann ich in meinem Unternehmen konkret vorgehen, um echte Veränderungen zu erwirken?

Sichtbarkeit: Nur, wenn man darüber spricht und Missstände sowie Ungleichheiten auch als solche benennt, kann sich etwas ändern.

Wird der Status quo im Kleinen wie im Großen akzeptiert, gibt es keine Veränderung. Es ist also notwendig, immer wieder über diese Themen zu sprechen – und dabei vor allem auch Männern deutlich zu machen, warum ihre Teilnahme an diesem Diskurs so wichtig ist. Für Männer ist es viel schwerer, ungleiche Behandlung im beruflichen Kontext wahrzunehmen – sie erleben sie ja nicht selbst. Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass männliche Kollegen oftmals durch Aufklärung und offene Gespräche zu diesen Themen wahre Erweckungserlebnisse haben können und so zu echten Unterstützern der Gleichberechtigungsagenda werden.

 

Gemeinsam Verantwortung übernehmen: Wir kommen eben nur zu einer echten Veränderung, wenn wir alle gemeinsam umdenken – nicht nur die Männer. Wir müssen gemeinsam definieren, wie eine gleichberechtigte Wirtschaft und Gesellschaft aussehen müssen. Und zwar heute! Dafür ist es wichtig, Männer in die Veränderungen einzubinden. Ein »Wir gegen die« funktioniert hier nicht und sorgt nur für eine Verhärtung der Fronten.

 

Messbarkeit herstellen: Zuallererst gilt das für den Status quo – die Absprungbasis. Zum einen sind hierfür anonymisierte Daten aus dem HR-Bereich elementar (beispielsweise für die Kalkulation des Gender-Pay-Gaps). Auch eine Befragung der Mitarbeitenden zu den Themen Diversität und Inklusion, optimalerweise mehrmals jährlich, hilft dabei, den aktuellen Zustand zu ermitteln – und den Dialog auf alle Mitarbeitenden auszuweiten. Die Ergebnisse im Nachhinein zu teilen, schafft zusätzlich Transparenz.

 

Ziele setzen – und zwar Ziele, die ambitioniert sowie realistisch sind: Das heißt, es bedarf Zielen, die vor allen Dingen dokumentiert werden und deren Einhaltung überprüft wird. Idealerweise sind diese Ziele Teil der Bonifizierung von Führungskräften. Wichtig dabei ist, dass die Ziele regelmäßig evaluiert und stets auf die aktuelle Situation angepasst werden.

Actions speak louder than words: So wichtig es ist, über Diversität zu sprechen, um Sichtbarkeit zu schaffen – so ist es am Ende noch wichtiger, den Worten Taten folgen zu lassen. Auf Basis der definierten Ziele werden einzelne Arbeitspakete und konkrete Maßnahmen definiert, die anschließend entsprechend in die Umsetzung gehen. Hierbei müssen übergeordnete Ziele wie beispielsweise »Wir wollen Führung in Teilzeit ermöglichen« in ganz konkrete Nachfolgeschritte übersetzt werden. In diesem Beispiel wäre dies, ein Arbeitsmodell zu schaffen, das maximale zeitliche und räumliche Flexibilität zulässt.

 

Positive Vorbilder schaffen: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Kraft von Role Models nicht zu unterschätzen ist. Es sind kraftvolle Bilder, die tief im Unterbewusstsein wirken, wenn ein Kollege völlig selbstverständlich 50 Prozent der Elternzeit nimmt oder eine Kollegin während ihrer Elternzeit zur Führungskraft befördert wird. Warum denn auch nicht? Wenn wir nicht anfangen, solche Vorbilder zu schaffen, dann können wir auch nicht erwarten, dass diese Dinge gängig werden.

 

Kultur und Engagement: Veränderung muss von oben getrieben und gefördert werden – allerdings reicht das nicht aus. Wir müssen Gleichberechtigung tief in der Unternehmenskultur verankern und unsere Mitarbeitenden dazu ermutigen, sich über diese Themen nicht nur zu informieren, sondern sie täglich zu leben. So haben wir beispielsweise für uns definiert, dass wir eine inklusive Sprache in der Agentur nutzen wollen, und geben hierzu regelmäßig Trainings.

Ich weiß, dass sich dies wie eine sehr lange To-do-Liste liest, die nach viel Arbeit klingt. Schließlich ist es das auch. An dieser Stelle ist es mir wichtig, zu betonen: »Nobody is perfect.« Es ist ein Prozess, bei dem es nicht darum geht, ab Tag 1 alles perfekt zu machen. Vielmehr ist es wichtig, sich offen und geistig flexibel auf diese Reise zu begeben und Stück für Stück Veränderung voranzutreiben. Das können wir eben nur gemeinsam – im Unternehmen, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft.

 

 

 

 

 

 

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