Buchauszug Roman Gaida und Vera Starker: „New Work in der Industrie. Wie wir die digital-kulturelle Transformation meistern!“

Buchauszug Roman Gaida und Vera Starker: „New Work in der Industrie. Wie wir die digital-kulturelle Transformation meistern!“

 

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Das Prinzip der resilienten Organisation

Eine resiliente Organisation*

Märkte und Marktbedingungen verändern sich derart schnell, dass es – kaum in der Hierarchie unten angekommen – oben schon wieder zu Veränderungen kommt, mit denen die Beschäftigten aufgrund ihrer Marktferne gar nicht rechnen konnten. Kein Wunder, dass überall in Organisationen von permanentem Wandel gesprochen wird. Und alle nicken (und stöhnen). Es wird als Naturgesetz angesehen, dass wir ständig Veränderung brauchen – und es wird gebetsmühlenartig propagiert. Und leider nur selten hinterfragt. Ein großer Teil des dauerhaften Wandels in den Unternehmen ist daher überflüssige Symptomarbeit. Das ist unbefriedigend und erzeugt materiell hohe Kosten, u. a. für externe Beratung, Arbeitszeitaufwand etc. Auf der immateriellen Seite ist der Schaden mindestens ebenso groß, denn diese Symptomarbeit kostet uns auf die Dauer das Engagement der vom wirkungslosen Change erschöpften und zu Recht verärgerten engagierten Menschen.

 

Permanenten Wandel braucht es nur, weil sich die starre Organisationsdynamik der Hierarchie nicht flexibel an komplexe und volatile Bedingungen anpassen kann.

Wenn wir auf die Ursachenebene wechseln, landen wir dementsprechend bei der Art, wie die meisten Industrieunternehmen organisiert sind. Mit etwas (emotionalem) Abstand betrachtet ist es doch eigentlich erstaunlich, dass wir offensichtlich davon ausgehen, ein 120 Jahre altes Modell zur Organisation von Arbeit (Taylorismus) könne in einem neuen Jahrtausend mit gänzlich anderen Herausforderungen noch funktionieren.

Nun, was die Fakten betrifft, haben wir hoffentlich ausreichend gute Gründe dafür dargelegt, die Organisationsform zu wechseln und dadurch die notwendige Resilienz zu erzeugen. Aber haben wir Sie auch emotional abholen können? Denn es mangelt ja nicht an erfolgreichen Alternativen, wie wir dargestellt haben. Also, wofür lohnt es sich eigentlich, am Alten festzuhalten, wenn es funktional gar nicht das Beste für Ihr Unternehmen, für Ihr Team ist? Diese Frage möchten wir Ihnen ernsthaft ans Herz legen, denn sie ist nicht trivial, sondern der Schlüssel dazu, sich aus den alten Denk- und Handlungsmustern zu befreien.

Organisationsmodelle wie der BetaCodex ermöglichen es in großen wie in kleinen Organisationen, die Fähigkeiten, das Wissen und die Tatkraft der Mitarbeitenden zu gewinnen, und zwar über konsequente Dezentralisierung von Verantwortung. Die zwölf Prinzipien des Modells führen zu einer Wertschöpfungszentrierung durch gleichzeitige Aktivierung der Menschen in der Organisation.

Wer nichts Wertschöpfendes leistet, den braucht es nicht. Weichselbaum ersetzt den Begriff Führungskraft durch Führungsleistung und formuliert die Daseinsberechtigung von Führung folgerichtig als Leistungserbringung, die sich zumindest indirekt positiv auf den Kunden auswirken muss. Aus dieser Perspektive ist ein Unternehmen die Summe interagierender Leistungseinheiten, von denen (Unternehmens)führung ebenfalls eine ist.

Lassen Sie uns kurz auf die wichtigsten Unterschiede schauen. In hierarchischen Unternehmen wird die komplette Wertschöpfung über die Hierarchie gesteuert. Denken Sie an das Beispiel von Paul. Da hat der Einkauf mehr zu sagen als Paul, der aber der eigentliche Experte ist. Das verlangsamt die Wertschöpfung, führt zu Silostrukturen, die entgegen der Wertschöpfungskette verlaufen, und zu Zentralbereichen, von denen nicht wenige völlig abgekoppelt von der eigentlichen Wertschöpfung agieren.

 

Der Management-Vordenker Roger Martin spricht von „sich unterwerfenden“ Zentralbereichen, die einfach alle Aufträge annehmen und sich verzetteln – und von „imperialen“ Zentralbereichen, denen es um Augenhöhe mit der Operativen geht und die komplett ihre eigene Strategie fahren. Das alles schwächt Organisationen und minimiert damit den Unternehmenserfolg, weil es wertschöpfungsorientierte Zusammenarbeit erschwert. In dezentral organisierten Unternehmen fokussiert sich die Hierarchie auf die Compliance-Steuerung und bildet damit eine wesentliche Grundlage, damit sich die Wertschöpfung dezentral gesteuert mit hoher Geschwindigkeit voll entfalten kann. Durch diesen Fokus fördert die Hierarchie indirekt die Selbstorganisation. Schwer vorstellbar?

Das ist wie beim Curling. Kennen Sie Curling? Das ist eine auf dem Eis gespielte Wintersportart, bei der zwei Mannschaften zu je vier Spielern versuchen, ihre Curlingsteine näher an den Mittelpunkt eines Zielkreises auf einer Eisbahn zu spielen als die gegnerische Mannschaft. Curling wird wegen seiner komplexen taktischen Möglichkeiten auch als Schach auf dem Eis bezeichnet.

Mein Traum war es, ein Unternehmen mit großem Potenzial für alle zu schaffen, die dafür arbeiten. Eine starke Organisation, die persönliche Entfaltung fördert und die Fähigkeiten jedes Einzelnen zu einem Ganzen vervielfacht, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Bill Gore

Es gehört zu den Präzisions- und Mannschaftssportarten. Beim Curling gibt es nun Menschen, die den Curlingstein bewegen, und Leute mit Besen, die das Eis wischen, damit sich die Curlingsteine optimal in ihrer Dynamik bewegen können. Diese Art des taktischen Spiels bildet ab, wie Hierarchie in dezentralen Organisationen funktioniert. Die Hierarchie ist wie die Menschen mit den Besen: Sie macht den Weg frei für eine optimale dezentrale Dynamik. Die Verantwortung für den Curlingstein – wie er bewegt wird, welche Richtung angepeilt wird etc. – liegt bei den Spielern, also den Expertinnen und Experten selbst. Wenn wir das Beispiel auf eine klassische Hierarchie übertragen, wo die Wertschöpfung selbst hierarchisch gesteuert wird, wären die Menschen mit den Besen die ganze Zeit damit beschäftigt, den Spielenden sehr viele Vorschriften zu machen – wie genau sie ihren Stein anfassen müssen, welchen Stein sie nutzen, wie genau sie stehen oder laufen und wann sie darüber berichten müssen, was genau sie getan haben. Und das, obwohl sie ja gar nicht die Expertin oder der Experte sind. Übertrieben? Vielleicht. Aber nur ein bisschen.

Das US-amerikanische Industrieunternehmen W. L. Gore & Associates, das als innovationsstärkstes Unternehmen weltweit gilt, handelt nach dezentralen Prinzipien und ist damit höchst erfolgreich. Kleine empowerte Teams entwickeln herausragende Produkte und erwirtschaften dabei hohe Erträge. Anstelle traditioneller Chefs und Mitarbeiter gibt es bei GORE Leader, vielfältige Teams, die zusammenarbeiten, und Associates, die persönlich eine Verpflichtung eingehen, zum Wachstum des Unternehmens beizutragen.

Die FSM AG produziert seit 1989 intelligente Elektronik und hat sich 2019 innerhalb von 90 Tagen (!) in eine dezentralisierte, selbstorganisierte Beta-Organisation transformiert. Bei FSM gibt es keine Abteilungen und keine Chefvorgaben mehr, dafür cross-funktionale Teams, die miteinander Leistung füreinander erbringen. Die Innovationskraft und Leistungsfähigkeit ist gestiegen, Wertschöpfungshindernisse wurden beseitigt, und gemeinsam wird marktorientiert, gut und ernsthaft gearbeitet und gelernt. Auch die erfolgreiche Drogeriemarktkette dm ist nach diesen Prinzipien dezentral organisiert, wie auch andere erfolgreiche Unternehmen aus anderen Branchen.

Allerdings sind Firmen dieser Organisationsform in der Industrie noch deutlich in der Unterzahl. Jetzt werden Sie vielleicht denken, dass die genannten Beispiele ja meistens nur kleine Mittelständler betreffen. Da können wir mit Toyota aufwarten, einem Konzern, der bekanntermaßen die industrielle Fertigung weltweit geprägt hat. Und dieses Unternehmen handelt ebenfalls nach diesen Prinzipien – die Größe einer Organisation ist also kein entscheidendes Argument für hierarchische Steuerung. Im Gegenteil.

Im Vergleich zu vielen anderen Organisationsmodellen steht im BetaCodex die Wertschöpfung an sich im Vordergrund und nicht die administrative Steuerung von Arbeit, wie es in der Hierarchie der Fall ist. Daher braucht es in dezentral organisierten Unternehmen auch kein behäbiges Change Management mehr! Die Reaktionsgeschwindigkeit kommt über die Marktnähe zustande.

Fazit: Wenn Sie Ihre Organisation resilienter aufstellen wollen, braucht die Struktur Ihrer Organisation eine hohe Flexibilität. Dann kann sie auch in einem volatilen und komplexen Umfeld stabile Produktivität und Profitabilität erzeugen.

 

Man muss es wirklich, wirklich wollen und dann auch bereit zum Handeln sein. Andreas Schlegel, ehemals Vorstand FSM AG

Flexibles Handeln setzt eine große Marktnähe der Mitarbeitenden und dementsprechende Entscheidungsverantwortung in den Teams voraus, um Geschwindigkeit zu erzeugen. Dafür bedarf es einer dezentralen Wertschöpfungsorganisation. Und laufen Sie nicht in die Falle der „agilen Methoden“! Agilität in Hierarchien zu implementieren ist reine Symptomarbeit und bleibt lediglich ein zum Scheitern verurteilter Versuch, das Richtige im Falschen zu tun.

 

Prototypische Ansatzpunkte*

• Wechseln Sie Ihre Organisationsform, so dass dezentrale Wertschöpfungsorientierung, Geschwindigkeit und damit im Ergebnis Resilienz und Flexibilität möglich sind.

• Empowern Sie Ihre Teams, steuernde Verantwortung zu übernehmen, und schaffen Sie Ihren Job als Führungskraft im herkömmlichen Sinne ab. Werden Sie Ermöglicherin bzw. Ermöglicher von Leistung und fördern Sie Innovation durch empowerment-orientierte Führung!

• Führen Sie eine strukturierte Reflexion der eigenen Kompetenzen bezüglich empowerment-orientierter Führung durch. Wo stehen Sie, wo sind Entwicklungsfelder etc. zu finden?

• Sortieren Sie, z. B. mit der Start-Stop-Continue- Methode, gemeinsam mit Ihrem Team nach dem Prinzip des strukturellen Empowerments „Teamautonomie ist die Regel, Führungsentscheidung die Ausnahme“ alles aus, wo Ihr Team sich künftig selbst steuern kann. Stellen Sie zur Verfügung, was es dafür braucht.

• Schaffen Sie die notwendige inhaltliche Transparenz, damit Teams auch unternehmerisch agieren können. Identifizieren Sie gemeinsam Machtgefälle, die durch Informationsintransparenz gestärkt werden, und lösen Sie diese auf.

• Schaffen Sie individuelle Bonussysteme und Zielvereinbarungen ab!

• Stoppen Sie Veränderungsinitiativen, die nur auf Symptomebene wirken (können), denn auf diese Weise sparen die Menschen in Ihrer Organisation ziemlich viel Energie, die sie zukünftig in die Wertschöpfung investieren könnten.

• Entwickeln Sie ein neues Verwaltungskonzept, und zwar co-kreativ zwischen den Zentralbereichen und der Operativen im Sinne einer gemeinsamen Strategieentwicklung für die zentralen Bereiche. Alles Handeln gehört auf Basis eines gemeinsamen Verständnisses von den zukünftigen Herausforderungen auf den Prüfstand, und je nach Wirksamkeitseinschätzung wird aussortiert. Es geht nicht um Cost-Cutting, sondern um Fokussierung. Das ist das Ziel.

• Führen Sie Design Thinking in der Verwaltung ein, um die Bürokratie zu verbannen. Radikale Nutzen- und Nutzerorientierung verhindert den Aufbau von Selbstbeschäftigungsmaßnahmen. Design Thinking ermöglicht ein co-kreatives Vorgehen, was nicht nur für die Effizienz der Lösungen von Relevanz ist, sondern auch den Teamgedanken über die jeweiligen Bereiche hinaus stärkt.

• Führen Sie Echtzeitsysteme in der Verwaltung ein, damit die Verzögerung eliminiert wird. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass die Produktion aufgehalten wird, wenn in der Verwaltung etwas nicht klappt.

• Jeder und jede in Ihrem Unternehmen sollte eine Woche in der Produktion gearbeitet haben. Ein unerlässlicher Perspektivwechsel, wenn die eigentliche Wertschöpfung künftig in den Mittelpunkt gerückt werden soll.

 

Buchauszug Roman Gaida und Vera Starker: „New Work in der Industrie. Wie wir die digital-kulturelle Transformation meistern!“ 260 Seiten, 32 Euro, Rossberg Verlag

 

 

 

 

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