Zum Tod von Journalistenpapst Wolf Schneider

R.I.P. Wolf Schneider

Ich bin sehr traurig. Mein wichtigster Lehrmeister Wolf Schneider ist tot. Gestern, am 11.11. 22 kam die Nachricht, dass er, der Journalistenpapst, jetzt mit 97 Jahren verstorben ist.

Einen sehr lesenswerten Nachruf hat Peter-Matthias Gaede, Ex-Chefredakteur von „Geo“, heutiger Leiter der Henri-Nannen-Schule und früherer Schüler von Wolf Schneider geschrieben. 

Als Wolf Schneider 90 Jahre alt wurde, schrieben rund 70 seiner Journalistenschüler ihm einen persönlichen Text – der Titel des Gesamtwerks: „En Gros gelungen“.

Hier habe ich zwei der Texte eingestellt, einer ist von meiner Kollegin aus dem „9. Lehrgang“, Andrea Tichy. Zu meinem Text schrieb mir der Kollege, der alle  einsammelte, später: Er dürfe mir versichern, meiner sei der einzige Text, in dem ein Tier vorkomme.

 

Wolf Schneider (Foto: PR)

 

Es gäbe viel mehr zu erzählen: wie Wolf Schneider mit mindestens vier bunten Stiften unsere Texte korrigierte. Wie ich verzweifelte an einem „NZZ“-Text über knallende Bäume im Wald bei hohen Minustemperaturen, den ich dreimal neu schreiben musste. Ich habe es nie begriffen, wieso das so war, bestenfalls geahnt.

 

Die Zeit an der Henri-Nannen-Schule kam mir sehr oft vor wie Bundeswehr für Journalisten. Jedenfalls fühlte man sich als sein Schüler keineswegs elitär, auch wenn man einen der begehrten 34 Plätze für zwei Jahrgänge unter mehr als 6000 Bewerbern bekommen hatte. Dafür sorgte Wolf Schneider schon mit seinen Kritiken in vier Farben neben unseren Übungstexten.

 

Ich erinnere mich wie heute an den ersten Schreibauftrag am ersten Tag, für den er uns eine Stunde oben in unseren Schreibstuben unterm Dach gab: Er las uns eine verquaste Pressemitteilung der Bundesbahn vor, die darauf angelegt war, etwas zu verschleiern. Am nächsten Tag sein erstes Donnerwetter: Von den 17 Texten seien nur zwei so halbwegs annehmbar.

 

Umso verblüffter war ich über ihn als Gentleman. Als er für uns beide eine 0,3-Liter-Flasche Champagner im Flughafenrestaurant orderte, als wir uns zufällig am Hamburger Airport begegneten. Damals war ich noch seine Schülerin. Oder als er, der stets Unnahbare, uns Mädels am letzten Abend in einer stylishen Pizzeria nach Abschluss des Lehrgangs mit Küsschen links und rechts verabschiedete.

 

Was er uns immer einschärfte, war unbedingter Leistungswille, zum Beispiel: Und wenn Sie im Auftrag der Redaktion einen Berg erklimmen sollen und 20 Meter vor dem Gipfel aufgeben müssen – wehe, Sie kommen ohne eine fertige Ersatzgeschichte zurück in die Redaktion, sagte er. So bereitete er uns auf das Redaktionsleben vor. Diese und viele andere Ratschläge gab er – so manch einer versehen mit dem Hinweis, dass wir arbeitsrechtlich verpflichtet seien, darüber zu schweigen.

 

Hier der Text, den ich beisteuern durfte an Wolf Schneiders 90.Geburtstag:

Name: Claudia Tödtmann

Erster Job nach Schneider: Redaktion Impulse, Köln

Heute: WirtschaftsWoche, Düsseldorf

 

 

Es gab keinen Plan B

„Beliebt zu sein, das war mir noch nie widerfahren“, schreibt Wolf Schneider

in seinen Memoiren. Und wunderte sich, dass dann doch so viele Stern-Redakteure

hinter ihm standen.

Auch bei mir hat er sich beliebt gemacht. Zuerst, als er zu Beginn des Lehrgangs

an der Schultür in der Fontenayallee jeden Schüler des 9. Lehrgangs

mit Handschlag und vollem Namen begrüßte. Welcher Respekt! Der war ihm

wichtig, er hatte alle Namen auswendig gelernt, erzählte er. Ich war beeindruckt.

Noch mehr beeindruckte mich etwas anderes. Ich hatte einen Welsh Corgi

namens Abbas, der mich seit dem Abitur begleitete. Dass er nicht nach

Hamburg mitkommen konnte, war klar. Doch leider funktionierte die Betreuung

zuhause in Düsseldorf nicht und ich hatte keine Wahl, ich musste

ihn mitnehmen. Da die Schreibstube – ich teilte sie mit Andrea Tichy, Annette

Hoffmann und Matthias Müller von Blumencron – im ersten Stock der

Schule war, beschloss ich, Abbas einzuschmuggeln. Als Hirtenhund war er

ein friedfertiger Geselle und ich konnte auf ihn zählen. Dass er nicht einfach

loskläffen würde. Während des Unterrichts ließ ich ihn in der Schreibstube.

Er blieb dort tagelang unbemerkt, alles ging gut. Bis Wolf Schneider eines

Tages überraschend die Treppe zu uns hoch erklomm – und plötzlich in die

Augen von Abbas guckte, der ihn auf dem Absatz erwartete.

Doch ein Donnerwetter oder kleinliche Verweise auf irgendein Hundeverbot

blieben aus. Nichts dergleichen. Er sagte nur so etwas wie „Ach, hier ist ein

Hund?“, und ging weiter. Keine Vorwürfe, keine Drohungen. Kein Gezeter.

Er hatte beschlossen, es gar nicht erst zu thematisieren, über den Dingen zu

stehen – wofür ich ihm wirklich dankbar war. Ich hätte keinen Plan B

parat gehabt, wenn er Abbas rausgeworfen hätte. Und so war er quasi

geduldet….Warum? Keine Ahnung.

 

 

 

 

Name: Andrea Tichy

Andrea Tichy (Foto: Privat)

Erster Job nach Schneider: Redakteurin bei
Impulse
Heute: Verlegerin (Quell Verlag GmbH)

Genervt von Bio-Würstchen

Die Bio-Bratwurst war im Jahr 1988 eine Innovation der sich entwickelnden Öko-Szene. Und so ermutigte mich Wolf Schneider, diese Entdeckung zum Thema meiner Reportage zu machen. Er stellte sogar in Aussicht, den Beitrag in der Morgenpost unterzubringen. Mit Leidenschaft machte ich mich an die Recherche und schrieb einen begeisterten Text über einen Hamburger Gastronomen, der sich mit den ökologisch korrekten Bratwürsten profilierte. Nur leider schmeckte mein Beitrag Wolf Schneider nicht – er vermisste am Ende den Biss in eine konventionelle Bratwurst. An einen Abdruck in der Zeitung war nun nicht mehr zu denken.

Tief frustriert von meinem Unvermögen zweifelte ich daran, das Zeug zur
Journalistin zu haben. Neue Hoffnung schenkte mir der damalige Zeit-Reporter
Cordt Schnibben. Er berichtete in einem Vortrag an der Journalistenschule
von seinen breit angelegten Recherchen als Voraussetzung für einen
spannenden roten Faden. Die von ihm zitierten 98 Prozent Transpiration und
2 Prozent Inspiration hatte – wie ich später herausfand – auch Dichterfürst
Goethe schon am eigenen Leib erfahren.

Bei meiner ersten Anstellung beim Wirtschaftsmagazin Impulse konnte ich
mich auf dem unbesetzten Terrain der Umwelt-Themen recherchemäßig austoben
und dem Trend der Bio-Bratwurst weiter nachspüren. Mit der Anzahl
der Beiträge fiel mir das Formulieren zunehmend leichter.

Heute denke ich gelegentlich voller Hochachtung an Wolf Schneider zurück
– dann nämlich, wenn ich selbst Texte von Volontären redigiere. Jede seiner
Anmerkungen in den berühmten Farben rot, gelb, blau oder grün zeugte
vom unbedingten Willen, uns schreiberisch auf die richtige Spur zu bringen.
Dem Journalismus bin ich jedenfalls treu geblieben und auch mit dem
gesellschaftlichen Phänomen der Bio-Bratwurst habe ich bis heute zu
tun. Nicht nur weil die Morgenpost mich nicht drucken sollte, verlege
ich meine eigene bio-orientierte Zeitung.

 

 

Mehr zu Wolf Schneider:

Kondolenzbuch Henri-Nannen-Schule: Kondolenzbuch – Henri-Nannen-Schule

https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ndr_talk_show/In-Erinnerung-an-Wolf-Schneider,sendung1308772.html

Wolf Schneider: Journalist und Autor von „Deutsch für Profis“ gestorben – Berliner Morgenpost

Journalistenausbilder: Sprachkritiker Wolf Schneider gestorben | tagesschau.de

 

Lesehinweis: Buchauszug im ManagementBlog 

Sprachpapst Wolf Schneider – exklusiv: Auszug aus der Biografie „Hottentottenstottertrottel“ – Das Haifischbecken „Stern“ unter Henri Nannen | Management-Blog (wiwo.de)

 

 

 

 

 

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