Buchauszug Georgiy Michailov und Jan Stange: „Geschäftsmodell-Redesign. Dimensionen bewerten – Werthebel identifizieren – Transformation gestalten – Ein Praxisbuch“

Buchauszug: „Geschäftsmodell-Redesign“ von Georgiy Michailov und Jan Stange
Die Autoren sind Berater bei dem Consultingunternehmen Struktur Management Partner (SMP) und sind spezialisiert auf Restrukturierungen. Jan Stange ist selbst Unternehmer, er besitzt und betreibt mehrere Surfschulen auf Bali.

Georgiy Michailov und Jan Stange (Foto: PR Campus)

Die Wertstrategie und ihre Bedeutung

Das richtige ganzheitliche Redesign für das Geschäftsmodell eines Unternehmens zu entwickeln ist immer eine Herausforderung und alles andere als trivial. Für jene, die sich aufgrund verschiedener wirtschaftlicher, vielleicht hausgemachter Probleme in einer Schieflage befinden, gilt dies umso mehr. In einer Krise herrschen, über die operativen Probleme hinaus, noch einmal verschärfte Rahmenbedingungen: Es fehlt an Geld, Zeit und meist auch Vertrauen. Zudem ist eine kritische Unternehmenssituation fast immer durch hohe Unsicherheiten bei allen Beteiligten geprägt. Und oft geht sie auch mit einer ungewohnten Verschiebung des Fokus, ja der Macht einher. Die Freiheit des Managements zu handeln nimmt ab. Die Zeiten, in denen bei einer Restrukturierung einfache Lösungen wie »Cost Cutting« noch reichten, sind vorbei. Vor allem wenn Sie Wert auf die Resilienz des Unternehmens legen. Die Welt – und mit ihr der deutsche Mittelstand – erlebt einen grundlegenden Wandel. Experten sprechen von einer »VUCA-Welt«.

Wir wollen unseren Beitrag leisten, dass der deutsche Mittelstand die Herausforderungen, vor die diese Welt ihn stellt, erfolgreich meistert. Und wir sind überzeugt, dass unser Ansatz Unternehmen nicht nur in akuten Krisen hilft, sondern in allen Transformationen und Umbruchphasen. Krisen verzeihen keine falschen Konzepte – und was in Krisen funktioniert, liefert auch in anderen schwierigen Situationen (wie einer technologischen Revolution) rasch messbare Erfolge. Im Idealfall hilft es dabei, gar nicht erst in eine Krise zu geraten.

Inhaltlicher Exkurs

VUCA-Welt

Dieser in den späten 90er-Jahren durch das US Military War College geprägte Begriff beschreibt die sich immer schneller verändernde und zunehmend komplexere Welt, die durch das Ende des Kalten Krieges entstanden ist. Lange Zeit wurde er für Digitalisierung und politische Unsicherheiten verwendet, doch dann verschaffte ihm vor allem die COVID-19-Pandemie größere Bekanntheit. VUCA ist ein Akronym für …

Volatility (Unbeständigkeit): Veränderung ist nichts, das vorübergeht, sondern etwas Dauerhaftes. Informationen sind verfügbar, die jeweilige Situation ist verständlich, dennoch treten Veränderungen häufig und teils unvorhersehbar auf.

Uncertainty (Unsicherheit): Das Wissen darüber, ob ein Ereignis gute oder schlechte Konsequenzen nach sich zieht, ist unvollständig. Ursache und Wirkung sind klar, jedoch nicht, ob ein Ereignis signifikante Veränderungen hervorruft.

Complexity (Komplexität): Die Situation ist durch ein Geflecht aus vielen miteinander verbundenen Informationen und Abläufen geprägt. Deshalb ist sie oft unübersichtlich. Dies muss nicht heißen, dass sie sich andauernd verändert.

Ambiguity (Mehrdeutigkeit): Ursache und Wirkung können nicht vollständig überblickt werden. Es gibt oftmals keine Situationen aus der Vergangenheit, aus denen sich eine optimale Vorgehensweise in der Gegenwart ableiten ließe.

Zur erfolgreichen verantwortungsvollen Transformation eines Unternehmens gehören nach unserer Erfahrung drei entscheidende Faktoren:

1. ein wertorientiertes Redesign des Geschäftsmodells, das sehr stabil und ganzheitlich angelegt sein sollte und deshalb auf realistischen Annahmen basiert, inklusive eines klaren strategischen Leitbildes, das von den Verantwortlichen vollumfänglich mitgetragen wird;

2. ein ausbalanciertes Stakeholder-Management, das es erlaubt, die partikularen Interessen von Gesellschaftern, aber auch allen anderen Beteiligten (wie Gläubigern, Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern) auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und in einer schwierigen Situation eine adäquate, umsetzbare, von allen Beteiligten getragene Lösung zu finden; und

3. eine konsequente, wirksame Umsetzung des so entwickelten Turnaround-Programms, natürlich unter Berücksichtigung spezifischer Besonderheiten des jeweiligen Krisenkontexts.

Aber wie stellt man das an? Die Schwierigkeit, vor der Unternehmen sowohl bei der Entwicklung einer neuen Strategie (in die Zukunft gerichtet) als auch bei der Ausgestaltung ihres Geschäftsmodells

(tagesgeschäftsrelevant) stehen, liegt in den unberechenbaren Dynamiken begründet, die VUCA, aber auch die alltägliche soziale Interaktion – und mithin die betriebswirtschaftliche

Welt – heute mehr denn je kennzeichnen. Wie will ein Unternehmen diese Dynamiken adäquat »einpreisen«, wenn es seine Strategie und sein Geschäftsmodell überarbeitet?

Die Lösung, das sehen wir jeden Tag, liegt darin, ein Unternehmen als ein System aufzufassen und seine einzelnen Elemente in ihrem Bezug zueinander zu betrachten. Entsprechend ist es zwingend erforderlich, auch einen systemischen, ganzheitlichen Ansatz zu wählen, wenn ein Turnaround erfolgreich und vor allem nachhaltig sein soll. In Krisenphasen sind die Geschäftsmodelle der betroffenen Unternehmen nicht mehr intakt und vernichten regelmäßig, ja strukturell Werte. Je größer die Schieflage, desto größer die Wertvernichtung. Allzu oft greift das Management dann, überfordert von der Komplexität der Aufgabe, auf einzelne punktuelle Ansätze wie das erwähnte klassische Cost Cutting zurück – was in aller Regel nicht ausreicht, um das Problem zu lösen. Das ganzheitliche Redesign von Geschäftsmodellen hingegen nutzt ein Set-up von Maßnahmen, ein ganzes Bündel von Aktionen, die ineinandergreifen und aufeinander abgestimmt sind. Das ist ungleich herausfordernder, aber auch ungleich aussichtsreicher.

„Eine Transformation ist selten ein Sprint, sondern meist ein Marathon. Es geht nicht nur darum, wie du startest, sondern vor allem darum, wie du ihn beendest.“ Georgiy Michailov

Ziel unseres Ansatzes des wertorientierten Geschäftsmodells ist, die Fähigkeit eines Unternehmens, Werte zu erzeugen, wiederherzustellen. Dabei konzentrieren wir uns auf den Kunden, auf die Profitabilität und auf die Nachhaltigkeit des Angebots. Wer dabei nur an materielle, finanzielle Werte denkt, greift zu kurz. Natürlich geht es in Unternehmen um ökonomischen Mehrwert, den es zu schaffen gilt, doch (Mehr-) Werte, wie wir sie verstehen, können auch sozialpsychologischer oder emotionaler Natur sein.

Der Mehrwert, den ein Produkt den Kunden bietet, liegt häufig neben dem praktischen Nutzen auch in dem Prestige oder der Freude, die es bringt. Der durch eine konsequente Umsetzung der langfristigen Unternehmensstrategie erzeugte Mehrwert kann wiederum in einer starken Mitarbeiterbindung und einer großen Attraktivität für rare Fachkräfte zum Ausdruck kommen. Solch ein Zusatznutzen, wie wir ihn verfolgen, spiegelt immer eine Wertorientierung wider.

Ein Mehrwert kann dabei ein wahrgenommener Nutzen, beispielsweise auf Kundenseite, sein (dabei helfen Wertpositionierung und Wertangebot). Er kann monetärer Art sein, etwa in Form einer gesteigerten Unternehmensprofitabilität (darauf zielen Wertschöpfung und Wertabschöpfung), aber auch einen absichernden Charakter haben, zum Beispiel wenn das unternehmerische Handeln transparent, auf Dauer ausgelegt und sichtbar an klaren Werten orientiert ist (darum geht es bei Wertdisziplin).

Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass er der Führung vor allem in einer Umbruchphase ein Instrumentarium an die Hand gibt, relevante Werthebel herzuleiten und zu bewerten, mit denen sie das Unternehmen konsequent (neu) ausrichten und seine operative Geschäftstätigkeit effektiv verbessern kann. Über allem steht dabei ein Begriff, der für ein Geschäftsmodell zentral ist und den wir deshalb etwas eingehender erläutern wollen … … die »Wertstrategie«.

Als integrativer Ordnungs- und Handlungsrahmen verstanden, umfasst eine Wertstrategie ein klares strategisches Ziel, ein Leitbild, das den Mitarbeitern eine Orientierung bietet, wo sie sich künftig im Markt verorten und wie sie bei relevanten Weichenstellungen zu klaren Entscheidungen kommen. Vor allem die Weichenstellungen sollten konsequent der einmal festgelegten Wertstrategie folgen. Diese definiert den »Polarstern«, den Fixpunkt, der die Richtung vorgibt, in die sich das Unternehmen entwickeln soll. Kurzum: Die Wertstrategie zielt darauf ab, anders zu sein als der Markt, sich abzuheben und auf diese Weise Werte zu schaffen. Das Geschäftsmodell zielt darauf ab, damit dieses Anderssein auch erreicht wird, tagtäglich sicherzustellen, dass dies auf profitable Weise gelingt und tatsächlich Werte geschaffen werden.

»While one might hope that more CEOs were bold pioneers, the fact is most of us wouldn’t have sailed with Columbus – we’d have waited for the TripAdvisor review.« – Gary Hamel

»Strategie ist Denkwerk, Geschäftsmodell ist Handwerk.« – Volker Düsberg

 

Praxis-Check

  • Was soll Ihre Mitarbeiter antreiben?
  • Wo liegt ihre Existenzberechtigung?
  • Welche Werte sind Ihnen in Ihrem Unternehmen wichtig?

Die Wertstrategie beantwortet die Frage, wo das Unternehmen etwa in fünf Jahren stehen will. Jeder Unternehmer, jeder Manager sollte wissen: Wo möchte ich mit der Firma hin? Wie will ich an das Ziel gelangen? Und vor allem: Welches sind die Werte, die ich vertrete und die mich auf dem Weg dorthin begleiten? Dieser Ansatz ist im Gegensatz zur klassischen Marktstrategie ganzheitlich. Eine Wertstrategie konstituiert das Geschäftsmodell eines Unternehmens. Eine Marktstrategie operationalisiert lediglich, wie das Unternehmen seinen Markt bearbeiten will.

Die Bestimmung einer Wertstrategie erfolgt nach drei unternehmertypischen Leitprinzipien, wobei es gilt, sich an den künftigen Markterfordernissen zu orientieren. Ein Unternehmen, ein verantwortlicher Unternehmer zumal, sollte sich über folgende Aspekte Gedanken machen:

1. Ambition – Welches sind unsere Leitplanken? Und was ist unser Anspruch an uns selbst?

2. Konzentration – Was lassen wir ganz bewusst weg? Auf welches Ziel hin bündeln wir unsere Stärken und unsere Ressourcen?

3. Klarheit – Wie lautet unser Leitbild? Was an unserem Unternehmen ist anders, ja bemerkenswert, worin wollen wir uns in der Wahrnehmung der Kunden vom Markt differenzieren?

Bei der Entwicklung der Wertstrategie ist es essenziell, das eigene Unternehmen zunächst als Ganzes auf Basis quantifizierbarer Kennzahlen zur eigenen Performance im aktuellen Wettbewerb

zu verorten. In einem zweiten Schritt sollten Sie dann so gut wie möglich abschätzen, wie sich in jedem Ihrer Geschäftsbereiche einerseits die Nachfrage und andererseits die Markterfordernisse verändern werden (Abbildung 3). Nehmen Sie nicht den Status quo als gegeben, sondern antizipieren Sie die Zukunft – so ehrlich wie möglich!

Wie gesagt: Die Wertstrategie ist Ihr Polarstern, Ihr Wegweiser, zu jeder Zeit. Das wertorientierte Geschäftsmodell ebnet Ihnen den Weg dorthin. Und wer kein klares Leitbild hat, spielt letztlich nur Spielchen.

Georgiy Michailov und Jan Stange: „Geschäftsmodell-Redesign. Dimensionen bewerten – Werthebel identifizieren – Transformation gestalten – Ein Praxisbuch“  49 Euro, 203 Seiten, Campus Verlag

https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/business/management-unternehmensfuehrung/geschaeftsmodell_redesign-17332.html

 

Praxis-Check

  • Wie haben Sie sich im Vergleich zum relevanten Wettbewerb entwickelt? Was prägte diese Entwicklung beziehungsweise die Entwicklung Ihrer Konkurrenz?
  • Wie groß ist Ihr Vorsprung (oder Nachholbedarf) im Ergebnis?
  • Wie schätzen Sie die Wettbewerbsintensität in Ihren Marktsegmenten ein? Wird diese steigen, weil neue Akteure einsteigen oder aktuelle Player Innovationen auf den Markt bringen werden?
  • Welche Trends werden Ihre Marktsegmente bestimmen? Wie schätzen Sie die Entwicklung der Markterfordernisse bezogen auf die Kundenbedürfnisse, Vertriebskanäle oder technologische Entwicklungen ein?
  • Gemessen an diesen Erfordernissen: Wo sehen Sie bei sich Engpässe?

Ein sehr eingängiges und äußerst wirksames Mittel, um die Wertstrategie in einen größeren Kontext einzubetten und sie zugleich mit dem wertorientierten Geschäftsmodell zu verknüpfen, ist der sogenannte Strategie-Diamant. Dieses von SMP in der Praxisarbeit entwickelte Instrument verbindet das Grundsätzliche mit dem Operativen und hat sich gerade in Transformationsprojekten als nützlich erwiesen. Es kann dem Management helfen, das Unternehmen im Hier und Jetzt zu verorten und das Fundament zu legen, auf dem alles andere aufsetzt: die Wertstrategie, die Wertpositionierung, der Wertkreislauf.

Daher sollte sich die Führung selbst in der größten Not zu Beginn ein bis zwei Tage Zeit nehmen, um die Fragen, die sich dabei stellen, zu reflektieren. Nur so bekommt sie eine klare und richtig wertorientierte Vorstellung von ihren Zielen – und den Entscheidungen, die zum Erreichen dieser Ziele nötig sein könnten. Rufen Sie zu diesem Zweck einen Kreis an Personen zusammen, der so groß wie nötig, aber so klein wie möglich ist. Er sollte etwa zu 70 Prozent aus Vertretern des Managements und zu 30 Prozent aus Vertretern der Belegschaft bestehen.

Die Arbeit am Strategie- Diamanten sollte keineswegs nur »top-down« erfolgen – andernfalls droht eine Kopfgeburt der Firmenspitze ohne jede Rückkopplung mit der Basis. Sie sollten immer auch Mitarbeiter beteiligen, die ihre Ideen einem Stresstest unterziehen, sie an der Realität spiegeln, auf ihre Alltagstauglichkeit hin überprüfen. Umgekehrt reicht es aber auch nicht, nur »bottom-up« vorzugehen. Strategie ist am Ende immer eine Aufgabe der Führung sowie der Gesellschafter. Eine strategische Weichenstellung kann häufig auch unangenehme Entscheidungen nach sich ziehen, die nur das Management fällen kann, ja fällen muss. Was, wenn Sie ein gute Wertstrategie mit einem klaren Ziel definiert haben, aber feststellen, dass Ihnen dafür die richtigen Mitarbeiter fehlen? Dass Sie Ihr Recruiting anders ausrichten müssen? Oder dass Sie sich von einem Geschäftsbereich verabschieden müssen? Um die Debatte von alten Formeln, auch alten Vorwürfen freizuhalten und den Strategie-Diamanten auf das eigene Unternehmen anzuwenden, empfiehlt es sich, einen externen Moderator hinzuzuziehen, etwa einen damit vertrauten Berater oder einen erfahrenen Coach.

Die Diskussion über Ihren Strategie-Diamanten sollten Sie stets unten beginnen, beim Fundament, und sich Schritt für Schritt nach oben vorarbeiten. Insgesamt besteht der Diamant aus fünf Ebenen, die aufeinander aufbauen. Hier ein Überblick in der Reihenfolge, in der Sie vorgehen sollten:

1. Herkunft: Woher kommen wir?

2. Antrieb: Warum machen wir, was wir machen?

3. Wertstrategie: Wohin wollen wir?

4. Wertpositionierung: Wie unterscheiden wir uns – aus Sicht der Kunden – im Markt respektive von unseren Marktbegleitern?

5. Wertversprechen: Welches Versprechen geben wir unseren Kunden?

»Wir überschätzen immer den Wandel, der in den nächsten zwei Jahren geschehen wird, und unterschätzen den Wandel, der in den nächsten zehn Jahren passieren wird.« – Bill Gates

Bei der Herkunft geht es um die DNA Ihres Unternehmens, um seine Geschichte, seine Wurzeln. Sie sind der Ursprung von allem. Dabei sollten Sie Herkunft nicht als etwas Fixes, Einengendes verstehen, sondern als Basis, die ein Ausgangspunkt für Veränderungen sein kann, die Neues ermöglicht.

Hier zwei Beispiele, um zu veranschaulichen, was wir damit meinen: Die Idee hinter einem Autohersteller ist, Menschen eine freie, autonome Mobilität zu ermöglichen – ob dies mit Dieselmotoren, Stromantrieben oder Wasserstoff geschieht, ist erst einmal nachrangig. Die Idee hinter einer Zeitung ist, Menschen mit zuverlässigen relevanten Informationen zu versorgen – ob dies über bedrucktes Papier oder per App auf dem Smartphone geschieht, spielt keine Rolle. Anders gesagt: Es geht um kein konkretes Produkt, sondern um das, was einst zur Entstehung des Unternehmens führte und was es seither am Laufen hält.

Wofür steht es? Womit identifizieren sich Führung und Mitarbeiter? Die konkrete Ausprägung kann dann variieren. Aus diesem Grund ist der Diamant auch ein Diamant, der sich im ersten Schritt nach außen verbreitert. Erst danach verjüngt er sich nach oben hin. Wichtig ist die Herkunft, weil sie maßgeblich darüber entscheidet, wie Entscheidungen getroffen werden. Sie bestimmt, mit welcher Haltung, mit welcher Heuristik die Menschen in einem Unternehmen – vom Management an der Spitze bis zum Arbeiter an der Maschine – Situationen begegnen. An welchen Kriterien sie sich orientieren, wenn sie unter mehreren Optionen zu wählen haben. Welche Kernstärken waren für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich? Steht ein neues Geschäftsfeld tatsächlich in der Kontinuität des Unternehmens – oder ist es einfach nur spannend, verlockend, am Ende aber doch ein Irrweg, der nicht zur Firma, zu ihren Kernstärken und ihrem Selbstverständnis passt?

»Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.« – Friedrich Nietzsche

Passt dieser interessante junge Kandidat für den Posten des CEO zum Unternehmen oder bliebe er – so dynamisch, vorwärtsdrängend, wie er ist – immer ein Fremdkörper, der den Rest des Managements nur spalten würde? Ist diese schicke neue Maschine wirklich die Anschaffung wert oder sind die vielen Optionen, die sie bietet, im Grunde ohne Belang für das, was das Unternehmen seinen Kunden bieten möchte?

Um den Kern des Unternehmens über die Jahre, auch über die Personen hinweg, zu erhalten, ist es wichtig, die Dinge beim Namen zu nennen. Den Kern zu bestimmen, ihn immer wieder zu kommunizieren und jedem, der neu ins Unternehmen kommt, auch zu vermitteln. Im Idealfall holen Unternehmen ihre Mitarbeiter früh an Bord und halten sie viele Jahre lang, doch selbst dann muss die Führung sicherstellen, dass sie das, was das Unternehmen in seinem Innersten zusammenhält, formuliert, externalisiert und wiederholt. Es muss für den Einzelnen greifbar sein. Forscher der französischen Hochschule INSEAD haben die interessantem Beobachtung gemacht, dass Menschen tendenziell immer zu wenig kommunizieren.

Und gerade dann, wenn sie das Gefühl beschleicht, zu viel zu kommunizieren, ist es das richtige Maß. »Überkommunikation« als Erfolgsfaktor. Beim Antrieb geht es um das Warum. In diesem Zusammenhang hat sich zuletzt das Schlagwort »Purpose« ausgebreitet, doch davon halten wir wenig. Beim Antrieb geht es nicht um wolkige, mitunter moralisierende Formulierungen, die am Reißbrett entworfen und nach außen kommuniziert werden, sondern um sehr konkrete, sehr unterschiedliche, vom Unternehmen abhängige Fragen. Wofür stehen wir morgens auf? Was motiviert uns? Was beschreibt am besten, warum wir jeden Tag tun, was wir tun? Gerade hier ist es wichtig, Beschäftigte des Unternehmens einzubinden. Sie wissen besser als alle anderen, welche Worte den Kern treffen und am ehesten zum Geist, auch zur Herkunft des Unternehmens passen. Das erdet jede Diskussion. Sind Sie sich einmal über Herkunft und Antrieb im Klaren, fällt es schon leichter, die Wertstrategie genauer zu bestimmen.

Hier wie bei allen anderen Ebenen des Strategie-Diamanten gilt: Formulieren Sie so konkret, dass die Aussage das Verhalten aller Menschen im Unternehmen leiten bzw. prägen kann. Alles andere ist nur heiße Luft, wie in den vielen Mission Statements von Unternehmen, die doch kein einziger Mitarbeiter rezitieren kann. Die Führungskräfte und Beschäftigten brauchen in ihrem Handeln, bei ihren Entscheidungen klare Leitplanken, an die sie sich halten können, wenn sie zwischen Option A, Option B oder Option C wählen sollen.

Sie müssen dann wissen: Wer sind wir, was treibt uns an, wo wollen wir hin – und was passt dazu? Dabei geht es um mehr als nette Orientierungshilfen, sondern um sehr handfeste ökonomische Überlegungen: Ich habe zwei Anfragen, aber nur die Ressourcen, um eine zu erfüllen – welche nehme ich an? Welches Projekt ist kurzfristig vielleicht finanziell verlockend, aber meinem langfristigen Ziel abträglich? Es geht darum, Kurs zu halten, immer den Polarstern im Blick.

Mit der Wertpositionierung beginnt der Schritt hinein ins wertorientierte Geschäftsmodell, das sicherstellt, dass das Unternehmen die Ziele gemäß seiner Wertstrategie auch erreicht. Die zentrale Frage dabei ist, inwiefern Sie sich – aus Sicht der Kunden – von anderen abheben. Nur wer sich vom Markt zu differenzieren versteht, ist dauerhaft in der Lage, immer neue Abnehmer zu gewinnen, sie zu halten und profitabel zu wirtschaften. Nur wer einen Mehrwert bietet, über ein Alleinstellungsmerkmal verfügt, kann die nötigen Preise verlangen und auf lange Sicht erfolgreich sein. Das Wertversprechen ist seinerseits Teil der Wertpositionierung. Es bringt sie möglichst treffend, möglichst verständlich auf den Punkt und vermittelt den Kunden, was das Unternehmen ihnen bietet.

 

 

 

 

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