Lesetipp wiwo.de – Änderungen der Arbeitsverträge: Warum Unternehmen nun in vier Wochen durchziehen sollen, womit sich der Gesetzgeber drei Jahre Zeit ließ

Novelle des Nachweisgesetzes (zuerst erschienen bei wiwo.de)

Warum deutsche Arbeitsverträge in vier Wochen angepasst werden müssen

Ab August 2022 müssen Arbeitsverträge zusätzliche Angaben zu Kündigung oder Probezeit enthalten. Doch nur wenigen Unternehmen ist das bewusst. Auf die dürfte nun viel Arbeit zukommen – und vielleicht sogar eine kostspielige Racheaktion vom Betriebsrat.

Arbeitsvertrag: Warum deutsche Verträge bald angepasst werden müssen (wiwo.de)

 

Arbeitslawine zur Unzeit – und die meisten Arbeitgeber haben es noch nicht bemerkt

„Das ist eine Mammutaufgabe, die uns vor die Füße geworfen wird“, schimpft Marina von der Warth, Personalchefin beim Softwareentwickler Prodot in Duisburg. Der Grund für ihre Empörung: die Novelle zum Nachweisgesetz. Gerade wurde sie vom Bundestag beschlossen – und dürfte nicht nur Marina von der Warth, sondern vielen anderen Personalabteilungen in der Republik reichlich Arbeit bescheren.

Vom 1. August an, so will es die neue Regelung, muss jeder Arbeitgeber – egal, wie groß oder klein das Unternehmen ist – beim Abfassen seiner Arbeitsverträge sehr genau sein. Mehrere, auch individuell anzupassende Regelungen wie etwa Überstundenregelungen müssen dann in die Arbeitsverträge entweder hineingeschrieben oder angepasst werden. Nur: „Die meisten Arbeitgeber haben noch nicht auf dem Schirm, was jetzt auf sie zukommt“, sagt Marcus Iske, Arbeitsrechtler bei Fieldfisher.

Unzulässige Klauseln – dennoch werden sie von Mitarbeitern befolgt

Das Nachweisgesetz, das die Umsetzung einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019 ist, soll Transparenz für Arbeitnehmer bringen und etwa Arbeitsort, Funktion, Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses oder auch Mindestankündigungsfristen genauer erläutern. So muss in Zukunft beispielsweise auch in einem Arbeitsvertrag eines Call-Center-Mitarbeiters stehen, dass sein Arbeitgeber ihn nicht erst einen Tag zuvor oder gar am selben Tag anfordern darf, sondern die vorgeschriebenen vier Tage Ankündigungsfrist einhalten muss, erzählt Arbeitsrechtler Sebastian Maiß von Michels.pmks Rechtsanwälte.

Klauseln, in denen sich Unternehmen Mitarbeiter auf Standby sichern, sind nicht zulässig. Sie standen bislang aber trotzdem in vielen Arbeitsverträgen und wurden auch befolgt – weil es die Arbeitnehmer nicht besser wussten. Auch Mindestanforderungen wie die Höchstdauer der Probezeit gehören von August an in die Arbeitsverträge.


Nur vier Wochen lang Zeit
 

Ärgerlich für viele Firmen ist vor allem die kurze Vorlaufzeit: Es sind gerade einmal vier Wochen Zeit, um alle Vertragsmuster anzupassen, kritisiert Fabian De Ameida, Geschäftsführer beim Recruiting-Dienstleister Dahmen Personal in Düsseldorf. Die Bundesregierung hatte schließlich drei Jahre Zeit, um die Anforderungen der EU in nationales Recht zu gießen.

Sieben-Tage-Frist für Update-Forderungen

Wie die neue Dokumentationspflicht praktisch funktionieren soll, verrät das Gesetz naturgemäß nicht. Arbeitsrechtler sind sich einig: Neue Verträge brauchen Arbeitnehmer nicht zu unterschreiben. Ein separates, vom Arbeitgeber unterzeichnetes, nachgeliefertes Dokument genüge, erläutert Stephan Pötters von der Arbeitsrechtskanzlei Seitz aus Köln. Da reiche ein Handzettel, dessen Empfang der Mitarbeiter unterschreibt mit dem Zusatz „erhalten“ – damit auch der Arbeitgeber einen Beleg hat.

 

In ihren Begründungen zum Gesetz geht die Regierung von drei Minuten Arbeitsaufwand je Arbeitsvertrag aus, doch das halten Arbeitsrechtsexperten für illusorisch. Alexander Zumkeller, Arbeitsdirektor bei ABB, rechnet vor: Wenn im schlimmsten Fall 1000 Mitarbeiter gleichzeitig diesen schriftlichen Nachweis einfordern, müsste ein Personalsachbearbeiter mit einem Acht-Stunden-Tag 25 Verträge pro Stunde aktualisieren.

Sieben Tage Frist, wenn andere Mitarbeiter dieselbe Transparenz wollen

Nicht nur die neuen Kollegen, sondern auch Mitarbeiter, die länger an Bord sind, haben Anspruch auf mehr Klartext in ihren Verträgen. Wenn sie von der Personalabteilung nunmehr eine Vertragsanpassung verlangen, muss diese innerhalb von sieben Arbeitstagen vorliegen.


Risiko für Unternehmen: Unwirksame Überstundenregelungen

„Ob solch eine weitere Arbeitslawine ins Rollen kommt, kann niemand abschätzen“, sagt Arbeitsrechtler Iske Fieldfisher. Vermutlich werden unzufriedene Arbeitnehmer oder solche, die nicht sicher sind, ob etwa ihre Überstundenregelung im bisherigen Arbeitsvertrag überhaupt rechtswirksam ist, eher eine Anpassung verlangen.

 

Fake-Klauseln kosten 2000 Euro Strafe

Neu ist: Arbeitgeber, die in ihren Verträgen samt Ergänzung nicht oder nicht richtig informiert haben, handeln künftig ordnungswidrig. Das vorgesehene Bußgeld beträgt bis zu 2000 Euro – je Vertrag. Wenn mehrere Verträge alle dieselbe falsche Klausel enthalten, kann schnell eine hohe Summe zusammenkommen. Jedenfalls, wenn die Behörden diese Einnahmequelle für sich entdecken, schätzt Iske. „Das wäre dann leicht verdientes Geld.“ Und Kilian Friemel von der Kanzlei TaylorWessing hat auch eine Idee, wie die Behörden Unternehmen auf die Spur kommen können: Wenn frustrierte Mitarbeiter oder Betriebsräte an das Gewerbeaufsichtsamt schreiben.

Cornelia Marquardt (Foto: Privat/Maat)

 

Welche Punkte Unternehmen im Detail nun abarbeiten müssen, hat Arbeitsrechtlerin Cornelia Marquardt von der Kanzlei Maart aufgelistet:

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien
  • Beginn des Arbeitsverhältnisses
  • bei befristeten Arbeitsverhältnissen: die vorhersehbare Dauer und das Enddatum des Arbeitsverhältnisses
  • Arbeitsort
  • Dauer der Probezeit
  • kurze Beschreibung der zu leistenden Tätigkeit
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich Überstundenvergütung, Zuschlägen, Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, deren Fälligkeit und die Art der Auszahlung
  • Arbeitszeit, Ruhepausen, Ruhezeiten und Schichtbedingungen
  • Möglichkeit zur Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
  • etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
  • bei betrieblicher Altersversorgung über einen Versorgungsträger: Name und Anschrift des Versorgungsträgers
  • Kündigungsfristen und das von beiden Parteien jeweils für die Kündigung einzuhaltende Verfahren – also dass die Kündigung schriftlich erforderlich ist und dass die Frist für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage drei Wochen beträgt
  • Hinweis auf die Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind
  • bei einer vereinbarten Arbeit auf Abruf nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz: die Vereinbarung, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat, die Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden, der Zeitrahmen, der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt ist, und die Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat
  • bei Auslandseinsätzen gibt es weitere Besonderheiten

 

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