Lesetipp Interview Cornelia Marquardt zu Tätowierungen im Job auf wiwo.de: „Aloha ist in Bayern schon verboten“

Lesetipp:

Die britische Airline Virgin Atlantic gab pünktlich zum internationalen Tag der Flugbegleiter bekannt, dass ihre Mitarbeiter ihre Tätowierungen „stolz zeigen können“. Welche Berufe in Deutschland von solchen Freiheiten noch weit entfernt sind und welche Rolle dabei die Motive spielen, beantwortet die Arbeitsrechtlerin Cornelia Marquardt aus München.

Tätowiert im Job: Welche Tattoos am Arbeitsplatz erlaubt sind (wiwo.de)

Cornelia Marquardt (Foto: Privat/Maat)

TÄTOWIERUNGEN IM JOB

In Bayern ist schon „Aloha“ verboten

WirtschaftsWoche: Frau Marquardt, die Fluglinie Virgin Atlantic hat seinen Flugbegleitern gestattet, ihre Tätowierungen zu zeigen. Bisher sollten sie stets einen „tadellosen“ Eindruck machen und etwaige Tattoos mussten verdeckt werden. Das war sogar ausdrücklich Einstellungsbedingung. Wie sieht die Rechtslage in Deutschland aus?

Cornelia Marquardt: Ein generelles Verbot jeglicher sichtbarer Tätowierung wäre nicht haltbar, dazu sind Tattoos heute zu verbreitet und zu sehr gesellschaftlich akzeptiert. Abmahnungen oder gar Kündigungen von Arbeitnehmern, die ein Tattoo tragen, sind allenfalls in seltenen Ausnahmefällen denkbar. Dann müssten die Betroffenen schon gegen bestehende, interne Vorschriften zum äußeren Erscheinungsbild verstoßen. Oder das Tattoo ist so außergewöhnlich, dass es nicht hinnehmbar erscheint.

Wie müsste solch ein Motiv aussehen? Oder wo müsste es sein?
Das Motiv müsste geeignet sein, den Betriebsfrieden zu stören oder andere Mitarbeiter zu beleidigen, zum Beispiel durch gegen bestimmte Personen gerichtete Herabwürdigungen. Stellen Sie sich dazu etwa ein extrem frauenfeindliches Tattoo vor, das ein männlicher Mitarbeiter gegenüber seiner weiblichen Vorgesetzten zeigt, oder eintätowierte Aussagen, die sich gegen bestimmte Religionsgruppen richten. Relevant können insoweit nur Tattoos sein, die auch in Arbeitskleidung sichtbar sind, beispielsweise auf den Händen oder im Gesicht, oder wenn sie etwa auf den Armen durch entsprechende Kleidung bewusst gezeigt werden.

Wo kommt so etwas vor?
Von den Arbeitsgerichten gibt es nur eine Handvoll Urteile zu Kündigungen wegen Tattoos. Die betreffen alle Beamte oder Angehörige des öffentlichen Dienstes wie zum Beispiel Lehrer. Anders als private Arbeitgeber dürfen öffentlich rechtliche Dienstherren von ihren Mitarbeitern eine gesteigerte Treuepflicht verlangen und insbesondere die Bereitschaft, sich mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu identifizieren.

Die Arbeitsrechtlerin Cornelia Marquard von der Münchener Kanzlei Maat. Quelle: Maat

Das heißt also: Verfassungsfeindliche Motive wären ein Kündigungsgrund?
Genau. Trägt jemand Nazi-Symbole als Tattoo, so lässt das auf fehlende Verfassungstreue und damit auf die fehlende Eignung beispielsweise als Lehrer schließen. So urteilte beispielsweise das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Mai vergangenen Jahres: Ein Lehrer hatte bei einem Schulsportfest wegen großer Hitze sein T-Shirt ausgezogen und dabei auf seinen Bauch den tätowierten Schriftzug „Meine Ehre heißt Treue“ entblößt. Diese und andere Tätowierungen des Mannes waren in einer Stellungnahme des Staatsschutzes als rechtsextrem eingestuft worden. Der Lehrer durfte gekündigt werden. Ebenso erging es einem Polizeibeamten schon vor fünf Jahren, der mehrere Nazi-Tattoos hatte.

Wie sieht es in der Privatwirtschaft aus? Bekommen Sie Anfragen Ihrer Unternehmensmandanten wegen derlei Konflikten?
Solche Urteile zu Kündigungen in der Privatwirtschaft habe ich noch nicht gesehen. In meiner Beratungspraxis spielen Streitigkeiten über Tattoos nur eine geringe Rolle. Zum einen tragen die meisten tätowierten Arbeitnehmer ihre Tattoos am Arbeitsplatz nicht unbedingt provokant zur Schau, sondern trennen zwischen ihrem privaten und dem beruflichen Auftreten. Zum anderen betreffen die Vorbehalte der meisten Arbeitgeber nur noch wenige Positionen, in denen sie zwingend ein besonders seriöses Auftreten voraussetzen.

Wie zum Beispiel?
Anfragen zur Zulässigkeit von Tattoos erhalte ich nur, wenn ein Unternehmen eine allgemeine Kleiderordnung aufstellt, die mit dem Betriebsrat vereinbart werden muss. Zuletzt fragte mich dazu eine Bank, für die eine hohe Verlässlichkeit und Seriosität ihrer Mitarbeiter elementarer Teil der Marke ist und die ein korrektes Auftreten auch jetzt bei den häufigen Videokonferenzen sichergestellt haben wollte.

Wenn Tattoos hierzulande kein Thema sind, was stört Unternehmen denn sonst an der Optik ihrer Mitarbeiter?
Relevanter sind bestimmte Piercings, wenn diese etwa eine Gefährdung für Arbeitnehmer selbst oder andere Personen darstellen können. Während kleine Piercings in Ohr oder Nasen unproblematisch sind, können größere Piercings zum Beispiel in Kindergärten oder Krankenhäusern, aber auch in manchen Produktionsbetrieben eine Gefahr darstellen. Dann darf der Arbeitgeber sie wegen seiner Fürsorgepflicht verbieten und Mitarbeiter, die sich nicht an das Verbot halten, abmahnen und auch kündigen, wenn der Mitarbeiter sie nicht ablegt.

Dürfen Unternehmen denn in Zeiten des Homeoffice das Tattoo vorm Bildschirm untersagen – oder auch die Krawatte anordnen?

Zeitgeist und Konvention spielen dabei eine große Rolle. Besonders deutlich wurde dies über die vergangenen Jahre bei der Einstellungspraxis der Polizei. Früher waren sichtbare Tattoos für Polizeibeamte ein absolutes No-Go. Sie mussten sie unter langen Hemdsärmeln verstecken und standen in vielen Bundesländern einer Übernahme in den Polizeidienst auch oft komplett im Weg. Das Argument war: Die Bevölkerung empfinde sie als furchteinflößend und hätte dann kein Vertrauen in die jeweiligen Beamten. Seit einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vor drei Jahren muss dafür aber eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die einzelne Polizeibehörde darf das nicht entscheiden. Die Begründung lautete: „Tätowierungen sind mittlerweile in der Mitte der Bevölkerung angekommen“. Im vergangenen Jahr wurde deshalb das Bundesbeamtengesetz ergänzt: Beamten kann das Tragen von Tätowierungen im sichtbaren Bereich untersagt werden, „soweit die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert“.

Was bedeutet das in der Praxis?
Es soll nur noch dann der Fall sein, wenn die Tattoos über das übliche Maß hinausgehen und dadurch geeignet sind, „die amtliche Funktion der Beamten in den Hintergrund zu drängen“. Damit sind Tattoos im „normalen Maß“ auch bei der Polizei kein Problem mehr – soweit die Ländergesetze nicht strenger sind. In der Bayern zum Beispiel sind Polizisten weiterhin alle sichtbaren Tätowierungen – also an Kopf, Hals, Händen und Unterarmen – verboten. Zuletzt betraf dies einen Polizisten, der bis zum Bundesverwaltungsgericht klagte, um eine Genehmigung für den Schriftzug „Aloha“ in Erinnerung an seinen Hawaii-Urlaub auf seinem Unterarm zu erhalten. Er verlor. In anderen Bundesländern wäre dies gar kein Problem. In Nordrhein-Westfalen stellten weder ein zähnefletschender Löwenkopf noch ein von einer Friedenstaube und einem Engel umrahmter Totenkopf ein Problem dar.

Wenn wir einen Schritt weiter denken: Wäre ein Krawattenzwang am Arbeitsplatz heute überhaupt noch möglich?

Kaum, denn wenn selbst Dax-Vorstände Pressekonferenzen eher in Sneakern als mit Krawatte abhalten, lässt sich – außer vielleicht für einen Krawattenproduzenten – einfach nicht mehr argumentieren, dass letztere zwingende Voraussetzung eines seriösen Auftretens ist.

 

Lesetipp: Cornalia Marquardt zu Tattoos im Job bereits 2014

Arbeitsrecht: Wann Sie ein Tattoo den Job kosten kann (wiwo.de)

 

 

 

 

 

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