Buchauszug Stephanie Schorp: „Persönlichkeit Macht Karriere. So stellen Sie die Weichen für Ihren eigenen beruflichen Weg“
Schorp ist Personalexpertin und war bei Daimler und Kienbaum, bevor sie Managing Partner bei der Executive-Beratung Comites Executive Search wurde.

Stephanie Schorp (Foto: Campus/Stefanie Kresse)
Herausforderungen, Krisen, Scheitern
Eine der schönsten Beschreibungen des eigenen Scheiterns ist uns aus der Feder des Superstars der deutschen Gründerzeit des 19. Jahrhunderts überliefert: Bethel Henry Strousberg. Der »Eisenbahnkönig«, dessen Bahngesellschaften um 1870 zu den Lieblingsaktien der deutschen Anleger gehörten, landete 1875 wegen Betrügereien im Gefängnis, sein Imperium brach zusammen. Und Strousberg schrieb, als alles vorbei und er mittellos war: »Alles, was ich befürchtete, traf ein und wie zu erwarten war, blieben Kränkungen aller Art nicht aus. Falsche Freunde, triumphierende Feinde, verzagte Geschäftsverbündete, Belagerung durch arme Obligationsbesitzer, unaufhörliche Beleidigungen der Presse, die Kombination gegen mich bei der Görlitzer Bahn seitens der Disconto-Gesellschaft, das Versiegen meines Kredites, die Befriedigung der sich täglich mehrenden Geldbedürfnisse neben verminderten Einnahmen, Einsturz des Gebäudes an allen Enden, Baueinstellung bei den Bahnen und Fabriken, kurz, was nur Namen hatte und stören, schaden, kränken und zum Ruin führen konnte, trat ein.«
Sie können beruhigt sein: Egal, wie heftig Sie gerade von einer Krise gebeutelt werden, so schlimm wird es schon nicht kommen. Und Sie haben eine gute Chance, dass es bei Ihnen nach der Krise auch weitergehen wird. Vielleicht nicht so wie zuvor gedacht, aber eben weiter. Anders als bei Strousberg, der 1884 völlig verarmt starb.
Krisen gehören zum Leben dazu. Zu Ihrem Leben, zum Leben eines Unternehmens, zum Leben einer Gesellschaft. Sie stellen Wendepunkte des Geschehens dar, die offenlassen, ob sich daraus eine Entwicklung zum Guten oder Schlechten ergibt. Und für wen es gut oder schlecht ausgehen wird, denn wenn es nicht gerade um Ihre ganz persönliche Sinnkrise geht, gibt es bei Krisen immer mehrere Beteiligte. Wenn ein ganzes System zusammenbricht, wiedas der kommunistischen Staaten in Osteuropa Anfang der 1990er Jahre, leiden viele darunter; aber viele eben auch nicht.
Ich verwende in diesem Buch oft den Begriff der Weichenstellung. Er passt auch hier: Krisen sind erzwungene Weichenstellungen. Sie bringen Veränderungen, ob wir das wollen oder nicht, aber immer können wir zumindest mitentscheiden, was sich für uns persönlich dadurch verändert.

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Und wenn die Weiche, die von der Krise gestellt wurde, definitiv aufs Abstellgleis führt? Dann können Sie immer noch den Zug wechseln. Die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ist dafür ein gutes Beispiel. Die Weichenstellungen des Einigungsprozesses führten zu einem abrupten Zusammenbruch der meisten DDR-Unternehmen. Keine Märkte, keine Kunden, verschlissene Anlagen, damit konnte man schlicht nicht weitermachen. Aber wenn das Unternehmen, bei dem man beschäftigt ist, nichts mehr machen kann, kann man immer noch selbst etwas tun. Und das wiederum war durch die Wiedervereinigung leichter geworden. Ob Abwanderung, ob Umschulung, ob Unternehmensgründung: Für die meisten Ostdeutschen ging das Berufsleben weiter – nur eben anders.
Eine für viele Branchen ähnlich gravierende Krise haben wir gerade erst erlebt: die Corona-Pandemie. Als Hotel, Club oder Reisebüro konnte man da nicht viel anderes machen als die staatlichen Überbrückungsgelder zu beantragen. Nicht wenige Unternehmen, bis dahin grundsolide, sind dieser Krise ganz zum Opfer gefallen – und mit ihnen die Karrieren zahlreicher Topmanager. Aber Sie müssen nicht mit dem Schiff untergehen. Einige der Kandidaten beispielsweise, die ich im Jahr 2019 für Unternehmen der Hotelbranche angesprochen hatte, haben sich in der Zwischenzeit in Richtung IT- Branche aufgemacht, die als Gewinner aus der Pandemie hervorgegangen ist. Gut möglich, dass sie dort dann eine ganz andere Karriere machen, als sie vor COVID-19 jemals vermutet hätten.
Manchmal kommt der Vorwurf, so etwas sei feige, die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Und natürlich beschäftigt das auch die betreffenden Manager, schließlich haben sie mit ihrer Führungsposition auch Verantwortung übernommen. Ich empfehle in solchen Fällen, sich an eben dieser Verantwortung zu orientieren, indem Sie sich die Frage stellen: Kann ich im Unternehmen Teil der Lösung werden? Oder bin ich nur Teil des Problems? Wenn Letzteres, ergibt sich gerade aus Ihrer Führungsverantwortung die Entscheidung zum Wechsel. Aber solange Sie noch die Chance haben, selbst eine aktive Rolle zu übernehmen: Just do it!
Denn diese Chance besteht nicht nur darin, irgendwie das Unternehmen oder die Abteilung durch die Extremsituation durchzuwurschteln, sondern auch darin, sich als Krisenmanager zu bewähren und somit für »Höheres« zu empfehlen, was während der Pandemie auch vielen gelungen ist. Damit folgen sie einem Muster, das wir auch in der Zeit vor weltweit zuschlagenden Viren beobachten konnten: Auffällig viele Topmanager der deutschen Wirtschaft haben sich zu Beginn ihrer Karriere für Betätigungsfelder entschieden, die außerhalb ihrer Komfortzone lagen, die ein gewisses Risiko des Scheiterns mit sich brachten, damit einhergehend aber auch die Chance, frühzeitig Verantwortung zu übernehmen, wahrgenommen zu werden und Förderer zu finden.
Experte für den Ausnahmezustand: Winston Churchill Er war Soldat und Kriegsberichterstatter in mehreren Kolonialkriegen, im Ersten Weltkrieg britischer Marineminister – und nach Kriegsende erfolgloser Politiker. Wer nichts als Krieg kann, hat in Friedenszeiten schlechte Karten. Winston Churchill zog sich auf sein Schloss zurück, malte und schrieb Bücher; seine Karriere schien beendet. Aber als der nächste Krieg begann, war er genau der, den das Land brauchte. Zwei Tage nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs leitete er wieder die Marine, im Mai 1940 wurde er Premierminister – und gewann. Kaum war der Krieg vorbei, wählten ihn die Briten wieder ab. Für die neuen Friedenszeiten brauchten sie keinen Experten für Ausnahmezustände.
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So wie die Krise gehört auch das Scheitern zur Karriere. Wenn Sie ganz oben mitspielen wollen, müssen Sie immer damit rechnen, dass Sie auf dem Weg dahin mindestens eine Niederlage einstecken müssen. Sie solltn das nicht einplanen. Vorhaben, bei denen Sie nur verlieren können, fangen Sie besser gar nicht erst an. Aber Sie sollten sich darauf vorbereiten, dass es dazu kommen kann, und wissen, wie Sie danach weitermachen.
Ich weiß, das sagt sich einfacher, als es ist. Jede Krise ist anders und man kann sich nicht auf jede vorbereiten: Für Pandemien à la Ebola war die ganze Welt gewappnet, aber für so etwas wie das Coronavirus hatte niemand einen Plan in der Schublade. Und lockere Sinnsprüche wie »Aufstehen, Krönchn richten, weitergehen« können ziemlich hohl klingen, wenn Sie tatsächlich am Boden liegen. Denn nicht jede Krise ist vom »Gelobt sei, was hart macht«-Typus. Die richtig fiesen Krisen, die, die einen fast zerstören, die machen einen nicht härter, sondern schwächer. Sie können zu Orientierungslosigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht führen. Und Ohnmachtserfahrungen sind sehr, sehr nachhaltig. Im schlimmsten Fall fasst man danach nie mehr richtig Fuß; taumelnd wie ein angezählter Boxer, stolpernd wie ein angeschossenes Reh. Ich kenne Manager, die sich nicht von einer solch schweren Krise erholt haben.
Im Folgenden möchte ich Ihnen deshalb erläutern, wie Sie rechtzeitig erkennen können, dass sich etwas über Ihnen zusammenbraut, auf welche Stolpersteine Sie im Unternehmen besonders achten sollten, und wie Sie am besten mit Ihrer nächsten Krise fertig werden. Denn die kann kommen.
Stephanie Schorp: „Persönlichkeit Macht Karriere. So stellen Sie die Weichen für Ihren eigenen beruflichen Weg“ – Campus Verlag, 222 Seitem 24 Euro https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/karriere/beruf-erfolg/persoenlichkeit_macht_karriere-17106.html
Frühwarnsysteme und Indikatoren
Sowohl für persönliche Krisen als auch für Unternehmenskrisen gibt es eine ganze Reihe von Warnzeichen – wie bei einem Gewitter, das am Horizont heraufzieht. Aber wir hören nicht darauf – wie beim Tsunami von 2006 oder im Juli 2021 bei der Flutkatastrophe im Ahrtal. Da werden die Warnzeichen unterschätzt, weil man in den dräuenden Wolken nur ein normales Gewitter vermutet, und nicht einen Tornado, der alles in seiner Bahn Liegende vernichtet. Oder die Zeichen werden nicht einmal wahrgenommen und Sie stellen nach Ihrem Rauswurf überrascht fest, dass alle im Unternehmen schon wussten, was Ihnen da blüht, außer Ihnen natürlich.
Oder, und auch das passiert leider häufig, man will keine Warnungen hören; und wenn man sie doch hört, will man sie nicht glauben. Das war das Schicksal, das der griechische Gott Apollon der Prophetin Kassandra auferlegte: Alle ihre Prophezeiungen waren wahr, aber keiner wurde geglaubt. Manchmal fühle ich mich ein bisschen wie Kassandra. So wie bei Anna V.: Als ich sie vermittelte, war sie die erste Frau, die in diesem Unternehmen einen Vorstandsposten bekam. Nach einiger Zeit zeichnete sich jedoch ab, dass es ihr nicht gelang, in die Closed Shops der Männerrunden hineinzukommen. Es wäre für das Unternehmen und auch für sie selbst wohl am besten gewesen, wenn sie von sich aus den Schritt gemacht hätte, da wieder herauszugehen.
Das Unternehmen hätte gelernt, dass zur Öffnung und Modernisierung mehr gehört, als »jetzt eben mal ’ne Frau« zu engagieren, und sie hätte wieder frei atmen können. Ich hatte V. das erst angedeutet und dann auch direkt geraten, nicht darauf zu warten, dass sie gegangen werde, aber diesen Rat wollte sie nicht hören. Hätte sie sich darauf eingelassen, hätte sie riskiert, den Status zu verlieren, der mit einem Vorstandsposten verbunden ist; das wollte sie nicht, ob bewusst oder unbewusst. Als es kam, wie es kommen musste, war ihr Fall dann umso tiefer.
Das Problem ist also meistens nicht, dass es keine Anzeichen für eine drohende Gefahr gäbe, sondern dass wir nicht auf sie achten. Um sie zu erkennen und zu interpretieren, gibt es leider noch keine App, und es wird sie vermutlich auch nie geben. Das müssen Sie schon selbst machen. Sie müssen Ihre eigenen Gefahrenfelder identifizieren und dafür Frühwarnindikatoren erkennen. Bevor wir dazu kommen, worum es sich da handelt und wie Sie am besten vorgehen, sei eins vorausgeschickt: Sie müssen sich dafür Zeit nehmen. Und zwar wirklich nehmen, denn meistens sind wir so gehetzt von dem, was gerade passiert, dass wir nicht mehr zu dem kommen, was passieren könnte.
Eigentlich erfordert der Führungsjob Wachheit und Aufmerksamkeit. Im Meeting, beim Kunden oder beim Aufsichtsrat. Andererseits läuft der Job sehr schnell auf ein Monkey-Business hinaus, wo Sie gar nicht zum Durchatmen kommen. Eine Lösung dafür ist es, sich Puffer zu schaffen, um nicht im Tagesgeschäft aufgefressen zu werden. Und das hilft nicht nur im Meeting mit dem Kunden, sondern auch im Erkennen von herannahenden internen Gewittern. Die Zeit, die Sie dafür brauchen? Fünf Minuten pro Tag. Fünf Minuten, in denen Sie nur bei sich sind und gleichzeitig aus sich herausgehen, sich quasi von außen betrachten. In diesen Minuten stellen Sie sich folgende Fragen:
- Deutet etwas darauf hin, dass der Unternehmensbereich, in dem ich tätig bin, in Zukunft weniger Relevanz hat?
- Bahnen sich im Unternehmen Entscheidungen oder Machtkämpfe an, bei denen ich mich positionieren sollte?
- Gibt es jemand, dem ich gefährlich werden könnte?
- Verhält sich jemand mir gegenüber anders als sonst?
- Fühlt sich jemand von mir bedroht?
Da es sich um Fragen handelt, bei denen Sie in erster Linie die Ereignisse und Erkenntnisse des vergangenen Arbeitstags vor Augen haben sollten, empfiehlt es sich, dafür einen regelmäßigen Slot nach der Arbeit zu reservieren, etwa auf dem Nachhauseweg, nach dem Abendessen oder vor dem Zähneputzen. Wenn Ihre Antwort in jedem Fall Nein heißt, kommen Sie mit den fünf Minuten locker aus. Bei einem Ja haben Sie ein potenzielles Gefahrenfeld identifiziert, mit dem Sie sich weiter beschäftigen sollten. Dann sollten Sie sich zusätzlich Gelegenheiten schaffen, um mit vertrauten Menschen zu reden, die kritisch und trotzdem wohlwollend sind und Ihnen eine Einschätzung von außen geben können.
Solche Gespräche können Sie natürlich ebenso führen, wenn gerade keine Gefahr droht. Im Kapitel über Karrierebegleitung habe ich darüber geschrieben. Aber auch wenn Sie nicht so der extrovertierte Typ sind, der sich gerne mit Vertrauten austauscht: In diesem Fall sollten Sie es tun.
Neben dieser regelmäßigen Übung einmal am Tag können bei der Arbeit Situationen auftreten, bei denen Sie ein ungutes Gefühl haben. Ein Meeting, bei dem Sie den Eindruck haben, dass Ihr Chef Sie auf dem Kieker hat, eine Information, die an Ihnen vorbeigelaufen ist, ein Projekt, das bei Ihnen hätte landen können, das aber jemand anders bekommen hat. Auch ganz anlasslos können solche Gefühle aufkommen, etwa wenn eine Ihrer Aufgaben Sie plötzlich langweilt.
Manchmal sind solche unguten Gefühle der Auslöser, um ein Coaching zu beginnen. Gerade wenn noch kein Unwetter losgebrochen ist, halte ich das für ein hilfreiches Instrument, um sich einen Überblick über die Situation und die eigene Position zu verschaffen. Aber ob mit oder ohne Coach: Beobachten Sie gut. Betrachten Sie die Situation nicht nur von innen, sondern auch von außen. Treffen Sie Ihre Vorbereitungen, solange Sie noch Zeit dafür haben.
Stolpersteine und der Umgang damit
Wenn mich im Interview ein Kandidat spontan überzeugt und ich ziemlich sicher bin, in ihm oder ihr eine sehr gut passende Person gefunden zu haben, fängt eine neue Frage an, in meinem Kopf mitzulaufen. Neben dem »Passt das?«, das von Anfang an dabei ist, erscheint dann: »Hält der das aus?« Ich weiß ja schon ganz gut über das suchende Unternehmen Bescheid, auch wenn es vorkommt, dass der Klient mir nur die Hälfte erzählt. Ich kenne den Bereich und die Aufgabe, um die es geht, und ich kenne zumindest einige der Personen, auf die es ankommt, vom CEO über den Bereichsleiter bis zum Personalchef.
Sie müssen ebenso zum Kandidaten passen wie umgekehrt der Kandidat zu ihnen. Eigentlich müssen sie sogar besser passen, denn beim Kandidaten kann man erwarten, dass er sich zumindest ein Stück weit an das neue Umfeld anpasst. Aber diejenigen, die dort schon seit Jahren oder Jahrzehnten den Ton angeben, werden die sich an einen neuen Manager anpassen, wie wichtig er auch ist? Eher nicht.
Wenn ich es für wahrscheinlich halte, dass die Chemie nicht stimmen würde, nehme ich deshalb sogar bei fachlich perfekter Eignung von einer Empfehlung Abstand. Wenn ich Zweifel habe, setze ich den Kandidaten zwar mit auf die Empfehlungsliste, weise aber den Kunden auf mögliche Nicht-Passungen hin. Zudem begleiten wir den Kandidaten bis zur Vertragsunterzeichnung und auch noch in der »Onboarding«-Phase der ersten Arbeitsmonate, sodass wir vermitteln können, wenn Reibungen entstehen. Dadurch haben wir eine sehr geringe Fehlerquote: Höchstens in einem Fall pro Jahr ist die Beziehung zwischen Kandidat und Klient doch nicht so erfolgreich, wie wir uns dies gewünscht hätten. Die Gründe dafür sind in diesem Fall wie so häufig vielfältig.
Aber natürlich gibt es auch keine Garantie dafür, dass die Beziehung auf Dauer gutgeht. Da gibt es externe Faktoren, die dazu führen können, dass man sich von einer Führungskraft wieder trennt, beispielsweise Übernahme, Fusion oder Restrukturierung. Und es gibt interne Faktoren, die dazu führen, dass man es doch nicht miteinander ausgehalten hat. Sie tauchen auf, wenn Fehler gemacht werden, von Ihnen, den anderen oder beiden. Sie fallen überwiegend in zwei Kategorien: Macht und Kultur. Ich nenne sie die Stolpersteine, denn man kann wegen ihnen fallen, aber ihnen auch aus dem Weg gehen. Wenn man sie rechtzeitig erkennt, kann man sein Verhalten ändern: in den Vorsichtsmodus oder die Warnstufe gehen, mit Bedacht agieren, sich absichern, einen Coach kontaktieren oder auch schon nach anderem Ausschau halten.
Die Machtfrage: Wenn Sie jemand anderem in die Quere kommen
Ein Klassiker: Sie wollen Karriere machen und nach oben kommen. Aber da oben sitzt schon jemand, der überhaupt nicht einsieht, warum er Ihnen Platz machen sollte. Anders als im Sport gibt es keinen objektiven Bewertungsmaßstab dafür, wer von Ihnen beiden den besseren Job macht, also läuft es in vielen Fällen auf die aus dem Tierreich bekannten Rangordnungskämpfe hinaus: Der Sieger übernimmt beziehungsweise behält die Macht im Revier, der Verlierer trollt sich in die hinterste Ecke oder verlässt das Revier ganz.
Manche Unternehmen schaffen bewusst solche Konstellationen und stellen neben den internen Kronprinzen einen externen Herausforderer. Oft informieren sie weder die Headhunterin noch die Beteiligten über ihr Vorhaben. Möge der Stärkere gewinnen!
Ob geplant oder ungeplant, vorinformiert oder nicht, hart oder knüppelhart: Solche Kämpfe müssen Sie aushalten und ausfechten. Denn sie passieren nicht nur in streng hierarchisch geprägten Unternehmen, sondern überall, wo es Führungspositionen und Verantwortlichkeiten gibt. Sie passieren zwischen Männern, zwischen Männern und Frauen und zwischen Frauen, werden dann allerdings mit jeweils unterschiedlichen Waffen ausgetragen. If you can’t stand the heat, get out of the kitchen. Eine Vorstandsetage ist kein Ponyhof. Wer auf dieser Ebene angekommen ist oder sie erreichen will, sollte nicht nur Hermann Hesse und Rosamunde Pilcher gelesen haben, sondern auch Machiavelli und Sun Tzu.
Manchmal allerdings kommt die Machtfrage aus einer gänzlich unerwarteten Ecke. So passierte es Richard M. Ich hatte den Auftrag eines Unternehmens, einen neuen Vorstand von außen zu finden. Er solle in ein paar Jahren den Richtung Altersgrenze gehenden CEO ersetzen und zeitig genug einsteigen, um sich intensiv auf den Chefposten vorbereiten zu können. M. war der ideale Kandidat dafür und wurde in den Vorstand berufen. Normal wäre jetzt gewesen, wenn ein Konflikt mit einem der internen Vorstände ausgebrochen wäre, der sich ebenfalls Hoffnung auf den CEO- Posten machte. Aber das passierte nicht. Stattdessen gab es nach Jahren überraschenderweise einen Konflikt mit dem alten CEO, der fand, dass sich Richard M. zu sehr als CEO geriere. Hm, sollte er nicht genau dafür geholt werden? »Aber doch erst, wenn ich weg bin!«, bekam ich zur Antwort. M. musste gehen, und der Silberrücken ging dann eben ein paar Jahre später in Rente.
»Was hätte ich anders machen können?«, fragte M. mich hinterher. Oh, da fällt einem natürlich viel ein: Mäuschen spielen, dankbar sein, dem Chef die Tür aufhalten und die Tasche tragen, aber das wäre dann nicht M. gewesen. Ich hatte nach einem potenziellen CEO gesucht, und M. war ein CEO-Typ. Der spielt eben nicht Mäuschen. Klar, man kann politisch und taktisch agieren, und hin und wieder muss man das auch, aber wer will sich schon jahrelang verbiegen? Manchmal ist man eben zu gut für sein Umfeld.
Die Neidfrage: Wenn Sie jemandem das Licht wegnehmen
War im vorigen Abschnitt die Lektüreempfehlung eher im martialischen Sachbuchsegment, kann in diesem Fall ein bisschen Blättern in Klatschpresse und Liebesromanen nicht schaden. Denn bei der Neidfrage ist Ihre Überlegenheit und Brillanz nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Wenn Sie neu in den Laden hineinschneien und dort zu strahlen beginnen, stellen Sie andere in den Schatten. Und wer bisher gewohnt war, sich in Anerkennung und Wertschätzung zu sonnen, wird not amused sein, wenn jemand anderes, nämlich Sie, einen Teil oder gar die gesamte Aufmerksamkeit absaugt.
Dabei muss es sich nicht einmal um einen direkten Konkurrenten handeln. Wenn Sie als neue Vertriebsleiterin Ihren Bereich aufpolieren und damit Erfolg haben, können Sie damit dem Chief Strategist oder dem Finanzvorstand auf die Füße treten und es nicht einmal merken. Das geht natürlich auch drei Ebenen tiefer:
Sie erregen als frisch gebackener Teamleiter die Aufmerksamkeit der Abteilungsleiterin und erhalten deren Anerkennung, und das nimmt Ihnen ein Sachbearbeiter übel, der bislang als Graue Eminenz der Abteilung besondere Aufmerksamkeit genoss.
Macht ist ein rationales Konzept: Man hat sie oder nicht, man kann darum kämpfen und den Kampf entscheiden. Neid hingegen ist emotional und manchmal sogar zutiefst irrational. Dafür gibt es keine Spielregeln, dafür lässt sich kein Schlachtplan aufstellen. Sie haben es da eher mit einem Beziehungsdrama zu tun. Wenn zwei Manager um Aufmerksamkeit kämpfen, ist das ein bisschen so, wie wenn zwei Frauen oder zwei Männer um einen Mann oder eine Frau kämpfen. Auch wenn Sie noch nie in ein Klatschmagazin hineingeschaut haben sollten, wissen Sie, wovon ich rede.
Ein dramatischer Wendepunkt in Kitschroman und Herzkino ist der Moment der Erkenntnis: Die neue Favoritin des Märchenprinzen begreift plötzlich, dass das Herz der Schlossverwalterin seit Jahren nur für den Prinzen schlägt, und dass sie sich nicht über dessen neue Liebe freut, sondern sie beseitigen will. Nach diesem Moment der Erkenntnis ist alles anders, die Begleitmusik wechselt von Geige zu Trommel, die Romanze wird zum Kampf, bis sich am Ende doch noch alles in Friede, Freude, Eierkuchen auflöst.
Ein solcher Moment der Erkenntnis würde auch Ihnen helfen. Gerade wenn Sie, wie die meisten Topmanager, keine Antenne für Kitsch und Romantik haben, achten Sie im Allgemeinen eher auf rational erklärbares Konfliktpotenzial. Aber wenn Sie eine emotionale Konfliktkomponente erst einmal ausgemacht haben, können Sie auch dafür Strategien entwickeln. Dabei geht es nicht so sehr darum, sich selbst kleinzumachen, sondern eher darum, auch die anderen strahlen zu lassen. Wenn Sie beispielsweise explizit auf die wertvolle Expertise von Herrn XYZ hinweisen, die zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat, geben Sie ihm etwas von dem Licht ab, das sonst nur auf Sie fallen würde.
Und wie erkennen Sie ein emotionales Konfliktpotenzial? Am besten über den Flurfunk, falls Sie dazu einen Zugang finden – wobei der in der Regel kein Wort über dieses Beziehungsdrama verlieren wird, solange Sie mit an der Kaffeemaschine stehen. Ein anderer Weg geht über Äußerungen oder Verhaltensweisen, die Sie sich nicht erklären können, und über die Sie normalerweise achselzuckend hinweggehen. Wenn da etwas besonders merkwürdig ist: Merken Sie es sich. Versuchen Sie, eine Erklärung zu finden, reden Sie mit einer Vertrauensperson außerhalb des Unternehmens darüber, ob sich hinter einem rätselhaften Satz ein ganzes Beziehungsdrama verbergen könnte. Denn im Unterschied zu den Schmonzetten von Rosamunde Pilcher können Sie in Ihrem Drama nicht sicher sein, dass es ein Happy End gibt.
Die Kulturfrage: Jemand passt dann doch nicht ins Unternehmen
Unternehmen sind mehr als nur eine Ansammlung von Menschen und Maschinen. Sie können stärker sein als jeder CEO, ihre Eigenheiten können sogar Fusionen und Übernahmen überleben. Auch nach einem Jahrzehnt unter dem Dach von Daimler war Chrysler immer noch Chrysler, und obwohl der Zusammenschluss von Asea und BBC zu ABB schon mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt, legen viele Beschäftigte immer noch Wert auf die Feststellung, ob sie in einem BBC- oder einem Asea-Werk arbeiten.
In den soziologiedominierten Nach-68er-Zeiten nannte man diese Eigenheiten »Unternehmenskultur«, in der von Wall Street und Silicon Valley dominierten Zeit um die Jahrhundertwende sprach man eher von »Corporate Vision« und »Corporate Mission«. Inzwischen sind wir im Biotech-Zeitalter angekommen und man spricht von der »DNA« eines Unternehmens. Gemeint ist jeweils in etwa das Gleiche, und als Psychologin bleibe ich gerne beim Kulturbegriff. Eine Kultur kann sich verändern (anders als die DNA), eine Kultur wird gelebt, nicht geschrieben (anders als die Corporate Mission), und zu einer Kultur kann man passen oder eben auch nicht. Darum geht es in meinem Job, und darum geht es auch für Sie.
Unternehmenskultur zeichnet sich durch das aus, was man schätzt und was nicht. Zu ihr gehört, wie man sich von innen sieht und wie man von außen gesehen wird. Wobei sich Innen- und Außensicht stark voneinander unterscheiden können, wovon sowohl Pharmakonzerne als auch Fußballklubs ein Lied singen können. Besonders drastisch zeigt sich das an dem Verein meiner Heimatstadt. Im offiziellen Vereinslied heißt es: »FC Bayern, Deutscher Meister, ja so heißt er, mein Verein. Ja so war es und so ist es und so wird es immer sein.« Im Song »Bayern« der Punkband Die Toten Hosen hingegen heißt es genrespezifisch drastisch: »Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben bei diesem scheiß Verein?«
Ganz so groß ist die Differenz zwischen Innen- und Außensicht bei Unternehmen nicht, aber sie existiert. Und damit kann es für Sie zu positiven oder negativen Überraschungen kommen, wenn Sie das Unternehmen, das Sie bislang nur von außen als Zuschauer wahrnahmen, jetzt von innen als Akteur kennenlernen.
Kommunikation als Kulturschock Martina K. ist eine sehr wettbewerbs- und erfolgsorientierte Frau und hatte sich in einem Konzern bis in die oberste Etage emporgearbeitet. Weil sich dort keine weitere Perspektive bot, wechselte sie in eine andere Branche und in ein komplett anderes Setting – und scheiterte dort nach kürzester Zeit. K.s Problem waren dabei weder die Leistung noch der Branchenwechsel, sondern die Kommunikationskultur im neuen Unternehmen. Besser gesagt die Nicht-Kommunikationskultur: Man sprach dort nach innen wenig und nach außen überhaupt nicht. Natürlich wusste K. das vorher, aber nur in der Theorie, nicht in der Praxis. Die Differenz zwischen ihrem eigenen Anspruch an Kommunikation und der Wirklichkeit im Unternehmen stellte sich bald als unüberbrückbar heraus. |
Wenn ich weiß, dass ein Kulturkonflikt droht, kann ich einen Kandidaten darauf vorbereiten. Aber natürlich habe ich auch keine wirkliche Innenansicht, sondern nur eine fundierte Außenansicht. Das hilft oft, aber nicht immer. Denn bei der Unternehmenskultur ist es wie beim Eisberg: Das eigentlich Interessante ist unter der Oberfläche. Was man nicht sieht, was einem nicht erzählt wird, was man erspüren muss. Wie können Sie abschätzen, ob die Kulturen passen oder kollidieren? Ich empfehle Ihnen einen dreistufigen Weg.
- Recherchieren Sie, um das Unternehmen so gut wie möglich von außen kennenzulernen. Dazu gehören nicht nur die Produktpalette und die Bilanzdaten, sondern auch die Selbstdarstellung und die dort tätigen Personen.
- Reden Sie mit jemand über das Unternehmen. Am besten mit jemand, der oder die dort schon gearbeitet hat, oder jemanden kennt, der oder die dort war oder ist. Wie sieht es dort aus? Was erwartet einen da?
- Stellen Sie sich zwei Fragen: Was muss ich hier tun? Was darf ich hier auf keinen Fall tun? Schreiben Sie das Ergebnis auf ein Blatt Papier.
- Schreiben Sie auf ein anderes Blatt, welche Werte Sie persönlich für besonders wichtig halten, legen Sie beide Blätter nebeneinander und vergleichen Sie die Antworten.
Für den Fall, dass Ihre Entscheidung zugunsten dieses Unternehmens ausfällt, können Sie sich als vierte Stufe beide Blätter auf Wiedervorlage nach Ihrem ersten Jahr im neuen Job legen und Ihre damalige Außenansicht mit der aktuellen Innenansicht vergleichen. Oder Sie verwenden Ihren Kulturtest als Spickzettel für Konfliktsituationen. Denn sowohl Konflikte mit Vorgesetzten als auch mit Untergebenen beruhen nicht selten auf unterschiedlichen Werten, die wiederum unterschiedlich in persönlicher und betrieblicher Kultur verankert sein können.
Intrigen erkennen und bewältigen
Unternehmen sind eine politische Gemengelage. Sie werden nicht nur Freunde haben. In manchen Konzernen gehört die interne Politik zu den wichtigsten Beschäftigungen – also Machtkampf und Intrigen. Die zweite Hauptbeschäftigung in solchen Konzernen heißt übrigens: Cover your ass – suche nicht den Erfolg, sondern versichere dich, dass im Fall des Misserfolgs nicht du daran schuld bist. Der immense Geschwindigkeitsvorteil von Start-ups rührt in erster Linie daher, dass sie solche Spiele nicht machen.
Wie können Sie sich vor Intrigen schützen? Deren Hauptmerkmal ist ja leider, dass Sie selbst nichts davon mitbekommen. Jedes Gespräch, das beendet wird, wenn Sie den Raum betreten, kann zu einer solchen Intrige gehören. Aber wenn Sie überall, wo theoretisch eine Intrige versteckt sein könnte, tatsächlich eine vermuten, kann das schnell in Richtung Paranoia ausarten. Das ist sehr ungesund. Vielleicht handelte es sich bei dem für Sie so verdächtig abrupt beendeten Gespräch ja nur darum, was die Abteilung Ihnen zum Geburtstag schenken will.
Andererseits kann es auch gefährlich werden, wenn Sie überhaupt nicht auf Intrigen gefasst sind. Sie sollten schon ein Gefühl dafür haben, wer einen Vorteil davon haben könnte, Ihnen zu schaden, und wer nicht. Und Sie sollten ein Gefühl dafür haben, wem Sie trauen können. Nicht unbedingt im Musketier-Sinne des »Einer für alle, alle für einen«. So funktionieren Unternehmen nicht. Und auch in den Netzwerken, in denen Sie sich befinden, sind die anderen ja nicht deshalb dabei, um Ihnen zu nützen, sondern sind in erster Linie auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Das gehört ja zu einem Netzwerk auch dazu. Aber zumindest trauen in dem Sinne, dass Ihr Gegenüber das, was er Ihnen sagt, auch ehrlich meint.
Aus der Kombination der beiden Dimensionen Freund/Feind und ehrlich/falsch ergeben sich die folgenden vier Typen, mit denen Sie es in Ihrem beruflichen Umfeld zu tun haben können.
Freund und Feind im Unternehmen
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Ist ehrlich |
Ist falsch |
Ist Feind |
Nahkämpfer |
Meuchelmörder |
Ist Freund |
Buddys |
Opportunisten |
Nahkämpfer sind Leute, die in den Konflikt gehen können, die den Streit aushalten, manche haben sogar Spaß daran. Wenn Sie einen Nahkämpfer als Gegner haben, können Sie davon ausgehen, dass es um die Sache geht; bei einer anderen Auseinandersetzung kann er auch auf Ihrer Seite sein. Es gibt auch auf unteren Ebenen Nahkämpfer, aber selten: Immerhin gehört dazu, im Zweifelsfall auch Vorgesetzten zu widersprechen. Wenn Sie so jemanden unter Ihren Leuten haben, respektieren Sie ihn, auch wenn er mal nervt. Auf höheren Ebenen kommen Nahkämpfer häufiger vor. Eine gute Führungskraft muss es schließlich aushalten, dass der eine oder andere sich abwendet, wenn sie eine Entscheidung fällt.
Meuchelmörder gehen jedem Konflikt mit Ihnen aus dem Weg, achten aber genau darauf, ob Sie ihnen gefährlich werden können. Dieses Gefährlichwerden hat dabei nichts mit der Sache zu tun. Ihr Vergehen kann schlicht darin bestehen, dass Sie besser oder gar beliebter sind. Wenn er sich diese Meinung gebildet hat, ist der Meuchelmörder zum Kampf bis aufs Messer bereit, wobei er mit dem Messer von hinten kommt. Hinterher sagt er allen, also allen außer Ihnen, was ihm die ganze Zeit an Ihnen nicht gepasst hat. So werden Sie auch nach der Niederlage noch gedemütigt, und allen anderen wird die Warnung mitgegeben, nur ja nicht Ihrem Beispiel zu folgen. Leider sind Meuchelmörder gar nicht so selten: Es gibt viele, die falsch spielen. Und es gibt Umfelder, da können Sie nur scheitern.
Buddys sind die Einzigen, die Sie fragen können, wenn Sie spüren, dass etwas faul ist oder Sie unsicher sind. Meistens haben sie ein ähnliches bis gleiches Wertesystem wie Sie, wollen nicht so sehr Streit als vielmehr eine gute Zeit haben. Sie können echte Bundesgenossen sein, wenn es hart auf hart kommt. Aber auch das hat seine Grenzen: Selbst von Ihren Buddys können Sie nicht erwarten, dass sie sich für Sie in den Kampf stürzen, wenn erst einmal klar ist, dass der Chef Sie loswerden will. Am Ende ist man immer alleine.
Opportunisten sind so lange auf Ihrer Seite, wie sie sich davon am meisten versprechen können. Und sie haben keine Probleme damit, sofort die Seiten zu wechseln, wenn der Wind von anderswoher weht. Daraus müssen Sie keine Moralfrage machen, aber Sie sollten wissen, woran Sie sind. Für viele Menschen ist der Job nun mal ein existenzielles Thema und sie sind deshalb auch dazu bereit, sich viel und oft zu bücken, um den Job zu behalten.
Dieser Vorschlag für eine grobe Einordnung Ihres beruflichen Umfelds erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Er soll Ihnen lediglich dabei helfen, Ihre Lage zu sortieren, um gegen Intrigen gewappnet zu sein. Und je nachdem, wie Sie Ihre Karriere aufbauen wollen, können Sie auch den einen oder anderen Typ für sich nutzen. Ich würde Ihnen allerdings nicht empfehlen, eine solche Einordnung in Ihrem Umfeld bekannt zu machen. Niemand mag es gern, in Schubladen gesteckt zu werden. Auch Sie nicht.
Krisenmanagement davor, mittendrin und danach
In der Corona-Pandemie haben wir den Begriff »Präventionsparadox« kennengelernt: Die Maßnahmen, um Infektionen zu vermeiden, funktionieren so gut, dass eine Infektionswelle verhindert wird und viele Menschen vor Krankheit und Tod geschützt werden. Statt Dank erntet man aber nur Unmut der Bevölkerung: Wenn so wenig passiert, warum haben wir dann überhaupt so einschneidende Maßnahmen ertragen müssen? There is no glory in prevention …
So etwas gibt es auch in der Wirtschaft. Das Risikomanagement arbeitet so gut, dass praktisch nichts mehr schiefgeht. Anstatt das zu feiern, kann die neu gewonnene Sicherheit dazu verleiten, dann eben noch gewagtere Geschäfte zu machen. Es wird schon gutgehen. Und das tut es ja auch – bis es doch nicht mehr gutgeht. So in etwa ist die Finanzkrise von 2008/09 entstanden und auch so manche Firmenpleite beruht auf solchem Übermut.
Was den persönlichen Umgang mit Krisen angeht, kann ich diese Verhaltensweise nicht empfehlen. Die beste Krise ist eine, die gar nicht erst passiert, und im bisherigen Teil dieses Kapitels ist viel davon die Rede, wie Sie mögliche Konflikte erkennen und vermeiden können. Das macht Leben und Arbeiten angenehmer. Mit den Krisen, die von außen an Ihr Unternehmen heranbranden, haben Sie auch ohnehin schon genug zu tun. Und wem es dadurch zu ruhig wird, der möge sich lieber am Wochenende ins Bungee-Jumping stürzen als unter der Woche in Machtkämpfe.
Aber wenn es dennoch zu Konflikten kommt? Das schauen wir uns jetzt an. Aber auch in diesem Abschnitt beginne ich mit dem, was bisher mein Thema war: die Prävention.
Vor der Krise: Lösungsversuche und Gefechtsbereitschaft
Ja, es gibt Situationen, da kann es fatal wirken, Frieden zu schließen. Das Münchner Abkommen von 1938 zum Beispiel: Um einen Krieg zu vermeiden, überließen England und Frankreich Deutschland einen Teil der Tschechoslowakei, was Hitler in seiner Ansicht bestärkte, dass er es mit Schlappschwänzen zu tun habe, und seine Kriegslust weiter anfachte. Allerdings halte ich es für unwahrscheinlich, dass Ihre innerbetrieblichen Gegner mit Diktatoren vergleichbar sind.
Deshalb ist meine erste Priorität immer, einen drohenden Konflikt durch Gespräche zu entschärfen. Wenn es rein um die Sache geht und wenn die Gegenseite mit offenem Visier kämpft, haben Sie dabei gute Chancen: Dann sollten beide Seiten feststellen können, dass sie ein gemeinsames, übergeordnetes Interesse haben, nämlich den Erfolg des Unternehmens. Unter diesem schützenden Dach kann jede Seite inhaltliche Zugeständnisse machen, ohne dadurch das Gesicht zu verlieren.
Aber auch wenn Sie auf diesem Weg nicht weiterkommen, bietet er Ihnen doch wertvolle Erkenntnisse. Falls Sie wissen, dass es einen Konflikt gibt, und die Gegenseite darauf ansprechen, die aber behauptet, es sei alles in Ordnung, wissen Sie, dass Sie es mit einem Gegenspieler vom Typ Meuchelmörder zu tun haben, und können Ihre Strategie dementsprechend ausrichten. In dieser Situation ist ein mehr als 2000 Jahre alter Ratschlag von Cicero hilfreich: Si vis pacem para bellum – Wenn du den Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor. Auf jeden Fall sollte diese Vorbereitung mental stattfinden, aber es kommt zusätzlich auch eine gezielte Ressourcenallokation infrage, zum Beispiel, indem Sie Ihre Truppen in der Grenzregion zum Gegner verstärken, etwa durch ein neues Projekt-Team, das den Konfliktraum bespielt.
Wenn Sie bei dieser Vorbereitung feststellen, dass Ihre Truppen nicht stark genug sind oder psychisch nur bedingt kampfbereit, oder wenn Sie schlicht keine Lust auf diese Art von Kriegsspielen haben, ist auch ein strategischer Rückzug möglich. Zum Beispiel indem Sie vorschlagen, eine heikle Entscheidung nicht jetzt und hier zu treffen, sondern sie zu vertagen, um die Alternativen klarer herausarbeiten zu können. Das nimmt den Druck aus der aktuellen Situation und ermöglicht es zudem, den Konflikt von der emotionalen zurück auf die rationale Ebene zu bringen.
In der Krise: die Kunst des Kämpfens
Jetzt geht es um eine Entscheidung. Und wenn sich hier zwei oder gar mehr Fronten gebildet haben, muss diese Entscheidung erkämpft werden. Spätestens jetzt wäre es eine gute Idee, sich die Kunst des Krieges von Sun Tzu zu besorgen und zu prüfen, was Sie davon für Ihre aktuelle Auseinandersetzung verwenden können. Denn wie bei einem echten Gefecht in einem echten Krieg wissen Sie vorher nicht, wie es verlaufen wird, wie lange es dauert und wie es ausgeht.
Fronten können sich verhärten oder verschieben, Verbündete können überlaufen oder Reißaus nehmen, und irgendein Zufall oder ein externes Ereignis kann den Gefechtsverlauf auf den Kopf stellen. Im Ersten Weltkrieg wurde einmal eine Schlacht in Westafrika zugunsten der deutschen Truppen entschieden, weil zwischen den Fronten ein Bienenschwarm aufgeschreckt worden war, der die Engländer und ihre Verbündeten attackierte.
Unabhängig von der Konfliktsituation und dem Ablauf des Kampfes können für Sie zwei Ressourcen von entscheidender Wichtigkeit sein: innere Stärke und Unterstützung von außen. Denn wenn man den Kampf ganz alleine führt, sind erstens die Chancen zu gewinnen schlechter und zweitens fühlt es sich nicht so gut an.
Bei der eigenen inneren Stärke spielt bei mir Zen eine große Rolle. Nicht nur in Konfliktsituationen, sondern auch sonst. Aber Sie müssen das nicht nachmachen. Es geht ja darum, dass Sie in Ihre innere Kraft kommen, nicht in meine. Das kann auch ein Spaziergang mit dem Hund oder ein Karaoke-Abend sein. Oder das Aufsuchen eines Kraftortes in der Natur.
Bei der Unterstützung von außen ist für viele die Familie wichtig. Und das natürlich nicht als Bataillon im Kampf, sondern als ein sicherer Ort und auch als Gelegenheit, sich mal aussprechen zu können. Was das Auffangen und das Zur-Ruhe-Kommen angeht, spricht in der Tat viel dafür, denn genau dafür hat man Familie und Partner. Aber Ratschläge in der Krise, das ist schon noch mal etwas anderes. Meine Faustregel hierfür: Ein Partner, dem Sie vertrauen und der Ihnen über lange Zeit schon eine Stütze war, kann auch eine Stütze in der Krise sein. Sonst sollten Sie sich eher eine professionelle Unterstützung holen.
Nach der Krise: Aufräumen und bewältigen
Einen Kampf kann man gewinnen oder verlieren. Wenn Sie gewonnen haben, werden Sie wenig Ratschläge brauchen, vielleicht sogar gar keine annehmen wollen. Deshalb hier nur kurz: Der größere Erfolg besteht nicht darin, den Krieg zu gewinnen, sondern den Frieden. Sie sind weder Unternehmer noch Diktator, Sie sind Manager. Sie sind in den Konflikt hineingegangen, um den Nutzen des Unternehmens zu mehren (und auch Ihren Nutzen). Nach der Krise sollte es jetzt nicht darum gehen, Ihnen Denkmäler zu bauen, sondern weiterhin ganz schlicht und rational darum, den Nutzen des Unternehmens zu mehren. Das ist Ihr Job.
Ganz anders liegt der Fall, wenn Sie verloren haben, wenn Sie gescheitert sind. Ja, wir haben hundertmal gelesen, dass Scheitern dazugehört, und es danach wieder besser wird, und dass wir daraus auch etwas lernen können, aber es fällt uns trotzdem nicht leicht, das auch zu akzeptieren. Vielleicht liegt es an der Evolution, in der Scheitern allzu oft den Tod bedeutete: Wenn man dem Löwen mit einem Speer gegenübersteht, hat man keinen zweiten Versuch. Und vielleicht liegt es daran, dass wir zu viele Hollywood-Filme gesehen und dadurch eine völlig wirklichkeitsfremde Vorstellung von Leben und auch Karriere haben. Das Scheitern passt nicht in das Stark-Erfolgreich-Sexy-Weltbild, das uns da vermittelt wurde.
Also, Sie sind gescheitert und es fühlt sich grässlich an. Wie können Sie das verarbeiten? Das kommt erst einmal darauf an, wie Sie diesen Satz betonen. Ist es eher ein »Ich bin gescheitert«? Dann handelt es sich vor allem um eine Herausforderung für Sie selbst. Damit können Sie so verfahren wie damals, als Sie gelernt haben, Fahrrad zu fahren: Natürlich sind Sie da mal umgefallen, haben den Lenker verrissen oder zu spät gebremst. Hätten Sie sich da resigniert in die Ecke gesetzt und sich bemitleidet, hätten Sie nie Fahrradfahren gelernt. Nein, Sie sind wieder aufgestanden und haben weitergemacht, und irgendwann hat es geklappt. Auf den aktuellen Fall übertragen heißt das also: analysieren, welche Fehler Sie gemacht haben, überlegen, wie Sie es hätten besser machen können, und beim nächsten Mal zeigen, dass Sie es besser können. Ich will ja nicht, dass Sie nach dem Sturz von der Bühne das Theater verlassen. Sie sollen sich auf den nächsten Auftritt vorbereiten.
Ganz anders, wenn Sie eher das Gefühl des »Ich bin gescheitert« haben. Denn dann geht es nicht um taktische Finessen oder strategische Ausrichtung, sondern um Ihre Psyche. Sie sind gekränkt, Sie sind verletzt, Sie zweifeln an sich selbst. In diesem Fall hilft es nicht, den Fehler zu suchen und weiterzumachen. Zuerst müssen Sie über den Schock hinwegkommen, den Sie erlitten haben. Das ist ähnlich wie beim Ende einer Partnerschaft. Auch da wollen die meisten sich am liebsten sofort in eine andere Beziehung stürzen. Aber wenn Sie noch am Ende der alten Beziehung knabbern, haben weder Sie noch Ihr neuer Partner etwas davon. Im Unternehmen ist das nicht anders: Knabbernde Mitarbeiter will kein Arbeitgeber haben.
Wenn Ihnen ein Scheitern so nahe geht, liegt das in der Regel nicht an der Niederlage selbst, sondern an dem Kontrollverlust und der Ohnmacht, die Sie dabei empfunden haben. Gerade wenn Sie es gewohnt sind, immer selbst Ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, ist es sehr bedrohlich, auf einmal nichts tun zu können, nicht zu wissen, wie Ihnen geschieht, und das Schicksal nicht abwenden zu können. Und wenn es richtig heftig wir, zieht Ihr Körper für Sie den Stecker: Man wird krank, bricht zusammen. Wie ein Albtraum, nur in der Wirklichkeit.
Es ist wichtig, dass Sie nach einem solchen Scheitern persönliche Distanz gewinnen, um reflektieren zu können, was da eigentlich schiefgelaufen ist. Mit ruhigerem Geist, mit Abstand, mit Perspektivenwechsel noch einmal draufschauen. Und, ganz wichtig, mit anderen zusammen. Oft hilft es schon, wenn man jemand anderem von seinem Albtraum erzählt.
Aber wem? Wenn Sie wollen, fangen Sie mit einem Barkeeper an. Der hört so was öfter. Aber vor allem brauchen Sie in dieser Situation Leute, die nicht nur zuhören, sondern die Sie auch unterstützen können. Wenn es Freunde sein sollen, müssen es gute Freunde sein, mit denen Sie auch in besseren Zeiten immer wieder Kontakt gehalten haben. Damit nicht Ihr »Du, ich habe ein Problem«-Anruf der erste seit 17 Jahren ist.
Meine Empfehlung ist aber: Holen Sie sich professionelle Hilfe. Sie sind schwer verletzt worden, nicht körperlich, aber psychisch. Es gibt Experten, die genau auf die Behandlung solcher schweren Verletzungen spezialisiert sind. Das sind keine Psychoklempner, sondern diejenigen, die Sie jetzt brauchen.
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