Buchauszug Arno Luik im Interview mit Markus Lanz: „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna. Gespräche über den Wahnsinn dieser Zeit mit Ferdinand von Schirach, Ina Müller, Yanis Varoufakis, Barbara Schöneberger und vielen mehr“

Buchauszug Arno Luik, Journalist und „Deutschlands führender Interviewer“ („Taz“): „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna. Gespräche über den Wahnsinn unserer Zeit mit Ferdinand von Schirach, Ina Müller, Yanis Varoufakis, Barbara Schöneberger, Jean Ziegler, Roland Kaiser, Sahra Wagenknecht und vielen mehr“

Einer davon  ist TV-Moderator Markus Lanz. Der Westend Verlag schreibt:

„Markus Lanz, 1969 in Südtirol geboren, hat im deutschen Fernsehen so ziemlich alles moderiert, was man moderieren kann: Kochshows, Jahresrückblicke, Krawallsendungen. Seit 2008 hat er im ZDF seine eigene Talkshow »Markus Lanz«, und seither schafft er – und das dreimal pro Woche -, was sonst im deutschen Fernsehen niemand schafft: seine Gesprächspartner so zu befragen, dass man wirklich etwas erfährt – und zwar auf unterhaltsame Art, manchmal anrührend, oft überraschend. An Lanz sieht man auch, wie weichgespült die meisten TV-Gesprächssendungen sind, an ihm sieht man, was Fernsehen sein kann und öffentlicher Diskurs sein müsste. Und so, weil ernsthafter, also auch kontroverser Diskurs fast ausgestorben ist, überfordert er manchmal sein Publikum.

 

Arno Luik beginnt oft mit provozierenden Fragen, schon mit der ersten Antwort werden Leser in diese Gespräche hineingezogen – und lesen Dinge, die sie anderswo nicht erfahren. Luik verführt seine Gegenüber von Beginn an zu einer erstaunlichen Offenheit und schafft es, Brisantes aus ihnen herauszukitzeln – oder Lustiges, oder Berührendes. Nun erscheinen über zwanzig seiner besten Interviews in dem Buch „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna.“ Ein Gesprächsband, aber auch eine faszinierende Zeitreise, in der sich Geschichte auf eine mitreißende Weise entfaltet: anekdotisch, politisch, intim.

 

Erzählt wird auch die Geschichte vom „Gespenst“ Arno Luik, das angeblich beim „Spiegel“-Interview mit Yanis Varoufakis lauschte – eine Anekdote, die tagelang für Heiterkeit in der deutschen Medienbranche und bei ihren Lesern sorgte. Als Faksimile abgedruckt sind zahlreiche Korrekturen von Angela Merkel, die sie kurz vor Drucklegung des Interviews noch schickte und die den Autor fast in den Wahnsinn trieben.

Der Theologe Hans Küng wiederum wollte sein Interview bei der Autorisierung nicht bloß umschreiben, er wollte darüber hinaus Titel, Vorspann und Bildunterschriften gestalten – ein Ansinnen, das Luik per Brief zurückwies mit den Worten: „Ich ziehe unser Gespräch zurück.“

Arno Luiks Buch ist ein zeitloser Spiegel dieser Gesellschaft, es zeigt, warum wir wurden, wer wir sind: eine zerrissene, eine verstörte, manchmal trotzdem schöne Welt – um die es sich lohnt, zu kämpfen.

 

Aus dem Vorwort von Markus Lanz: „Ich bin in meinem Berufsleben schon das eine oder andere Mal interviewt worden. Aber keines dieser Gespräche war wie das mit Arno Luik vom „Stern“. Ich war krank an dem Tag, so richtig, mit Fieber und so. Doch es stellte sich heraus: die Grippe war mein kleineres Problem. Das deutlich größere hatte einen schwäbischen Akzent und hieß Arno. Als die Anfrage kam, wusste ich schon, was mir blühte. Ich kannte ja seine harten Interviews, und ich mochte sie. Von Luik interviewt zu werden, war sicher kein Vergnügen, aber in gewisser Weise ein Ritterschlag. Und nun war ich also selbst dran. Luik hat mich nicht enttäuscht. Gut drei Stunden Attacke. Freundlich im Ton, hart in der Sache. Das Gespräch begann mit irgendeiner Unverschämtheit über einen sprachlichen Tick von mir. Ich erinnere mich nicht mehr so genau. ‚Unsinn. Sie weichen aus!‘, würde Luik jetzt einwerfen. Der Mann hat mich gegrillt. Ich weiß noch: Nach dem Interview war ich richtig fertig. Nassgeschwitzt. Und das lag nicht nur an meinem Fieber.“

 

Arno Luik (Foto: PR/ Andreas Herzau)

 

 

Interview mit Markus Lanz: »Die Typen sitzen schon da mit gespannter Flinte«

Arno Luiks Interviews beginnen oft mit provozierenden Fragen, schon mit der ersten Antwort wird der Leser in diese Gespräche hineingezogen – und liest Dinge, die er anderswo nicht gelesen hat. Arno Luik verführt seine Gegenüber von Beginn an zu einer erstaunlichen Offenheit und schafft es, Brisantes aus ihnen herauszukitzeln. Luiks Gesprächsband „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna. Gespräche über den Wahnsinn unserer Zeit“ ist eine faszinierende Zeitreise, in der sich Geschichte auf eine mitreißende Weise entfaltet: anekdotisch, politisch, intim. Sie zeigt, warum wir wurden, wer wir sind: eine zerrissene, eine verstörte, manchmal trotzdem schöne Welt – um die es sich lohnt, zu kämpfen.

 

Markus Lanz hat eine Lungenentzündung, als er im Winter 2013 für unser Gespräch in meine Wohnung in Hamburg kommt. Obwohl er heftig angeschlagen ist, reden und streiten wir uns gut drei Stunden lang – der Mann hat Nehmerqualitäten. Es geht an meinem Wohnzimmertisch, ohne Kameras und Publikum, ein wenig so zu wie in der Talkshow.

 

Wow! Wow! Wow! Wow! Wow! Sensationell, Herr Lanz, great performance, schön, dass Sie da sind, Herr Lanz! Ich freu mich auf ein großartiges Gespräch! Herzlich willkommen, vielen Dank!

Herzlich willkommen in meiner Sendung.

 

Danke. Wow. Wow. Wow. 20 Sekunden lang wow. Warum machen Sie das?

Das macht man ja nicht bewusst. Das war in meiner zweiten »Wetten, dass ..?«-Sendung. Robbie Williams hatte vorher gesungen, und dann hat er mich angekündigt, und die Halle tobte, drei-, vier-, fünftausend Leute. Ich hatte damals nicht die Coolness rauszugehen und zu sagen: Schönen guten Abend, beruhigen Sie sich.

 

Das Publikum im Saal klatscht, rast, Sie wissen, Millionen an den Fernsehschirmen schauen auf Sie – das ist ein Gefühl, wie wenn Weihnachten, Ostern, Geburtstag am selben Tag wären?

Nein, damit hat es gar nichts zu tun. Es ist eher wie Silvester am Brandenburger Tor.

 

Was heißt das?

Da knallt es einfach.

 

Im Kopf?

Da kommt Ihnen eine riesige Energiewelle entgegen, die Sie bändigen müssen. Die Sekunde vor dem Auftritt, das ist der beschissenste und der großartigste Moment gleichzeitig. Sie können das ja nicht lernen. Es ist ähnlich, wie wenn Sie zum Süd- oder Nordpol marschieren. Sie können das nicht wirklich trainieren. Sie können es zwar geistig immer wieder durchspielen, aber letztendlich ist es nicht lernbar. Und jeder Künstler wird Ihnen sagen, wenn er auf der Bühne steht und 15 000 Leute toben – da muss man aufpassen, dass man nicht heult.

 

»Es macht süchtig«, meinte der Schauspieler Robert Redford, »seine Gefühle vor Massen auszuleben«.

So sehe ich das nicht.

 

Dann bin ich beruhigt.

Warum?

 

Tja, die Lage ist für Sie doch fatal, richtig traurig.

Traurig?

 

Sie stehen im Zenit und sind in Deutschland so bekannt wie nie zuvor, und doch sind Sie …

Was? Was bin ich?

 

Ein erledigter Fall.

Ein erledigter Fall? Ich! Mein Gott, mein Gott. Bin ich ein winselndes Häufchen Elend? Ich wusste gar nicht, dass jetzt hier mein Abgesang geschrieben wird. Mit Verlaub, ich seh das ein wenig anders. Ich hab ja bei stern.de – und ich musste schmunzeln – die Überschrift gelesen: »Lanz ist das Hauptproblem«.

 

Und? Stimmt es nicht?

Ich muss jetzt mit aller Freundlichkeit sagen: Ich war nie das Hauptproblem. Ich war die Lösung.

 

Das finde ich interessant.

Als es um die Nachfolge von Thomas Gottschalk ging, hat sich jeder in die Büsche geschlagen. Es war dramatisch. Jeder wusste, wie schwer es werden würde, jeder hatte Angst.

 

Sind Sie nun ein Held oder bloß der Depp?

Ich hoffe, dass ich für meinen Sohn und meine Frau ein Held bin, und wenn der Rest mich als Deppen sieht, ist es auch in Ordnung.

 

Thomas Gottschalk, der mehr als 20 Jahre »Wetten, dass …?« moderiert hat, meinte nach seinem Abgang, er hinterlasse »einen abgenagten Knochen«.

Ja, genau. Und im Nachhinein sind ja alle, die sich verdrückt haben, in ihren schlimmsten Vermutungen bestätigt worden. Das scheint mir der wahre deutsche Generationenvertrag zu sein: meckern über die Deutsche Bahn, die Nationalmannschaft und »Wetten, dass …?«.

 

Verfluchen Sie heute den Tag, an dem Sie den Zuschlag für »Wetten, dass …?« bekamen?

Nein, aber es war auch kein Tag der Freude, als ich zusagte. Denn ich wusste ja, dass ich auf eine Lichtung rausgehe, und die Typen sitzen schon da mit gespannter Flinte, noch ehe das Wild die Lichtung betreten hat, etwa Ihr Kollege Stefan Niggemeier. Er hat mich im „Spiegel“ erledigt, bevor die erste Minute gesendet war.

 

Arno Luik „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna. Gespräche über den Wahnsinn unserer Zeit mit Ferdinand von Schirach, Ina Müller, Yanis Varoufakis, Barbara Schöneberger, Jean Ziegler, Roland Kaiser, Sahra Wagenknecht und vielen mehr“ –  288 Seiten, Westend Verlag, 24 Euro. https://www.westendverlag.de/buch/als-die-mauer-fiel-war-ich-in-der-sauna/

 

Er hat Sie als den »vielleicht größten Streber im deutschen Fernsehen« bezeichnet.

Ja, das ist ja noch harmlos, ist ja nicht alles.

 

In seinem Medienblog erklärte er, weshalb er Sie für »unausstehlich« hält, nämlich wegen der »Phrasen, der angestrengten und anstrengenden Vortäuschung des kritischen Nachfragens, der Wichtigtuerei« und »der verklemmten Zudringlichkeit und zudringlichen Verklemmtheit«.

Ja, doll. Interessant ist doch, dass die Leute, die sonst wortreich beklagen, dass im Fernsehen zu wenig nachgehakt werde, einem genau das vorwerfen! Der Ankläger hat übrigens nie mit mir geredet: Zu viel Recherche könnte die schöne, böse Geschichte ja kaputt machen.

 

Sie regen sich nun richtig auf.

Überhaupt nicht. Ich denke vielmehr, dass solch eine Attacke den Schreiber entlarvt. Wir sind ein freies Land, hier kann jeder sagen, denken und schreiben, was er will.

 

Ich glaube nicht, dass man solche Attacken so einfach wegsteckt.

Sie müssen einfach lernen, gewisse Dinge zu beherrschen. Wenn Sie das nicht tun, gehen Sie kaputt. Sie müssen in der Lage sein, wenn der Shitstorm kommt, gedanklich einfach mal sie Spülung zu drücken.

 

Sie klingen traurig.

An diesem Punkt habe ich keine Chance, das ist die Wahrheit. Es ist egal, wie Sie abbiegen, es ist immer falsch. »Wetten, dass …?« ist der große Platzhirsch, vielleicht das letzte Generationenübergreifende, Verbindende im deutschen Fernsehen. Jeder weiß, wenn er den großen Platzhirsch attackiert, kriegt er Aufmerksamkeit, kriegen die Onlinemedien die gottverdammten Klicks, die sie brauchen – für Werbung. Es ist ein Geschäft. Es geht um Angebot und Nachfrage. Um knallharte Zahlen. Ums nackte Überleben.

 

Und Sie sehen sich als ein Opfer.

Das ist jetzt billig! Ich bin kein Opfer irgendeiner medialen Entwicklung. Ich komme auch nicht hierher zu Ihnen in Sack und Asche. Ich sehe mich nicht als Verlierer. Wir reden hier nun aber über etwas, was unsere Gesellschaft spalten kann, sie auf jeden Fall verändert.

 

Was meinen Sie?

Es geht – vor allem von Online getrieben – nicht mehr darum, etwas möglichst nachvollziehbar zu bewerten, es geht nicht mehr um die Suche nach Wahrheit, es geht primär darum, Klicks zu generieren. Punktgenau, ohne Redaktionsschluss, rund um die Uhr, lässt sich abfragen; wenn ich die Geschichte in diese Richtung weitertreibe, kriege ich noch mehr Klicks, und oft gilt: je schriller, desto mehr Klicks.

 

So sehen Sie das?

Wollen Sie das ernsthaft bestreiten? Was »Wetten, dass …?« angeht: Ich finde es schade, dass man Millionen Menschen etwas kaputtschreibt. Doch wenn Sie dauernd den Untergang herbeischreiben, dann kriegen Sie ihn auch. Wir haben sicherlich Fehler gemacht, aber wir mussten einfach ein paar Dinge ausprobieren.

 

Etwa dem Hollywoodschauspieler Gerald Butler Eiswürfel in den Starschritt zu kippen?

Ich habe zwei-, dreimal versucht, diese Szene anzuschauen, ich habe es fast nicht ausgehalten. Sie Armer.

 

Ich dachte auch: Sie Armer. »Great fun« nannten Sie das, und ich dachte nur: wie peinlich!

Na ja, jetzt wollen wir mal nicht übertreiben. Aber Sie haben recht: Wir hätten das nicht machen sollen. Wir haben die Macht der Bilder, die im Kopf entstehen, unterschätzt.

 

Oder in der letzten Sendung, als Christian wettete, er könne am Geschmack die Zahnpastamarke erkennen, die seine Freundin Maggy benutzt. Ihnen machte das Zungenküssen vor Millionen viel Spaß. Und Sie fanden das »sinnlich«, ich ziemlich geschmacklos.

Im deutschen Fernsehen wurden schon Pupse angezündet vor laufender Kamera. Wo blieb da der Aufschrei der Anständigen und Gerechten? Also bitte, Thomas Gottschalk steht in einer Calvin-Klein-Unterhose vor Christiane Hörbiger und sagt, es stehe zwar »klein darauf, ist aber groß drin«. Maggy und Christian sind ein sympathisches Paar, das sich kurz küsst. Ein bisschen Liebe in lieblosen Zeiten, Herr Luik, mehr nicht.

 

Ach so.

Mann, Sie sind so was von päpstlich!

 

Gibt es eine Episode, die Sie aus Ihrem Fernsehleben streichen möchten?

Die Mallorca-»Wetten, dass …?«-Sendung war ganz schön, ich habe mich wohlgefühlt, bis diese Limbo-Tanz-Geschichte begann. Die würde ich gerne streichen.

 

Es gab Buhrufe des Publikums, weil die Kandidatin gegen alle Limbo-Regeln verstieß.

Diese Nummer war nicht richtig vorbereitet. Aber es passieren einfach Dinge. Wir hatten verloren, als die Kandidatin meine Kollegin anschrie: »Wir können jetzt gern bei Wikipedia gucken, liebe Cindy!« Ich sah dieses Flackern in ihren Augen, ich konnte nicht mehr einschätzen, was in ihrem Kopf vorgeht, ich hielt alles für möglich. Diese Situation hat mir Angst gemacht und mich aus der Fassung gebracht. Am liebsten wäre ich aus der Arena gerannt. Aus einem netten Abend war plötzlich ein schlechter Tag geworden.

 

Haben Sie damit gerechnet, dass alles so heftig wird?

Sagen wir mal so: Es kam alles so, wie ich es mir in meinen schönsten Träumen ausgemalt habe – wir haben tolle Momente erlebt. Es kam aber auch so, wie ich es mir in meinen schlimmsten Albträumen ausgemalt habe. Zum Schluss kam ja in der Zeile von bild.de, »Fack ju, Lanz!«, noch mal der ganze Hass in seiner reinsten Form hoch.

 

Sie hatten die Chance, zu einer richtigen Entertainmentgröße zu werden und …

Und was?

 

… und in die Riege der ganz Großen aufzusteigen: zu Kulenkampff, Carrell, Rosenthal, Elstner. Doch nun sind Sie …

… garantiert nicht der erledigte Fall, als den Sie mich sehen wollten. Ich gestehe: Dafür, dass Sie mir die Letzte Ölung verabreichen wollen, fühle ich mich ganz gut.

 

Sie haben Historisches geleistet: »Wetten, dass ..?« auf eine Quote von gerade noch 6,55 Millionen runtergebracht.

Was heißt denn »runtergebracht« und »gerade noch«? Ich finde das frech. Knallt die Auflage vom „stern“ gerade in den Himmel? In der traditionellen Medienwelt herrscht doch zurzeit die nackte Panik. Glauben Sie mir, es läuft ganz gut bei »Wetten, dass ..?«. Wenn heute eine Show 4 Millionen holt, lese ich am nächsten Tag: »Starke Quote!« und Sie werfen mir 6,5 Millionen vor! Und zwar über einen ganzen, langen Fernsehabend? Und kommen mir mit »Wow!« und »Wuff!«? Geben Sie einem Menschen, der vorher noch am Samstagabend Fernsehen gemacht hat, einfach mal die Chance, sich reinzufuchsen! Nach der letzten Sendung gab’s übrigens ein paar sehr gute Kritiken. Man kann das leicht übersehen, ich weiß.

 

Frank Elstner, der »Wetten, dass ..?« vor über 30 Jahren miterfunden hat, hat Wochen vor der Sendung schlecht geschlafen. Und während der Sendung habe er so »geschwitzt, dass ich mir in Hemden und Sakkos extra Dreiecke habe einnähen lassen. Achselschweiß ist nicht samstagabendtauglich.«

Und – was wollen Sie mir damit sagen? Wenn Sie keine guten Nerven haben, dann dürfen Sie das nicht machen. Ich kann gut schlafen. Anders wäre es, wenn mein Arzt sagte: Herr Lanz, Sie haben Krebs, Sie haben noch sechs Monate. Dann würde ich wohl schweißnasse Hände bekommen. Welchen wirklichen Grund zur Beschwerde sollte ich denn haben? Ich bin ein sehr privilegiertes Mitglied dieser Gesellschaft. Ich fühl mich als Glücksschwein.

 

Vielleicht ist es mit dem Glücksgefühl an diesem Samstag vorbei, denn dann ist in Augsburg Ihr nächster Auftritt. Auf Ihnen muss ein Riesendruck lasten, diese Angst, dass noch weniger Leute »Wetten, dass ..?« angucken.

Wenn ich so denken würde, wäre das ein Albtraum.

 

Vielleicht ist dieser Samstagabend ja der Showdown für Sie.

Völliger Quatsch. Das ist kein Showdown, es geht doch nur um ein bisschen Fernsehen. Ich habe jederzeit die Freiheit zu sagen: Okay, dann lassen wir es eben.

 

Vielleicht wäre es gut für Ihr Seelenheil.

Nett, Herr Luik, dass Sie sich um mich sorgen. Aber jetzt aufzuhören wäre uncool. Schon um ein paar Leute aus der Meute zu ärgern, muss ich weitermachen. Das Wichtigste aber ist: Es gibt Millionen von Menschen, die diese Sendung lieben.

 

Kann ich Sie mir als zufriedenen Menschen vorstellen?

Das können Sie ruhig tun, ja.

 

Sie sind mit sich im Reinen.

Sollte ich das denn nicht sein? Handle ich mit Waffen, oder verkaufe ich Frauen? Was mache ich denn? Fernsehen. Ich mache dreimal in der Woche eine Talkshow, unsere Leute zerreißen sich für diese Sendung. Der Lohn: Ihre Jobs sind in dieser unsicheren Branche ziemlich sicher. Das hätte anders kommen können. Als die ARD vor drei Jahren in die Talkshow-Offensive ging, stand ich mal vor einer Plakatwand, auf der Jauch, Will, Plasberg, Maischberger, Beckmann zu sehen waren. Lauter erfolgreiche Leute, unsere Konkurrenz. Ich sah diese fünf Menschen und dachte: Okay, ein Jahr noch, und dann habe ich keinen Job mehr.

 

Sie haben sich behauptet.

Ja, unsere Einschaltzahlen sind so, dass wir nicht akut von Absetzung gefährdet sind. Und ich freu mich, wenn ich Abend für Abend anderthalb, 2 Millionen Menschen mit zufriedenem Lächeln ins Bett schicken kann.

 

Staunen Sie manchmal über sich?

Wieso? Ich staune eher über die Welt um mich herum. Ich bin mehr denn je der, der ich immer war.

 

Der Bub aus den Südtiroler Alpen.

Ich weiß sehr genau, wo ich herkomme. Ich weiß sehr genau, aus welchem Holz ich geschnitzt bin.

 

Sie sind hart.

Ich kann schon sehr hart zu mir selber sein, ja, das glaube ich schon. Wenn Sie jahrelang als Kind in der Dunkelheit zur Schule losziehen, zwei Kilometer durch meterhohen Schnee und dunklen Wald kerzengerade den Berg hochstapfen, dann kriegen Sie ein Selbstbewusstsein, sonst scheißen Sie sich vor Angst in die Hosen.

 

Und Sie wollten den Erfolg.

Entschuldigen Sie mal, ich bin doch nicht auf der Welt, um keinen Erfolg zu haben. Jeder Mensch braucht Selbstbestätigung, und jeder Mensch möchte weiterkommen. Und wenn Sie aus so Verhältnissen kommen wie ich: Da willst du raus. Ich hatte keinen Bock, für den Rest meines Lebens arm zu bleiben.

 

Ihr Vater starb sehr früh.

Mein Vater starb mit 52 Jahren, ich war gerade 14. Er hatte Leukämie. Wir haben ihn täglich im Krankenhaus besucht, das zog sich lange hin. Da liegt dein Vater, abgemagert, und er wird immer weniger. Entgegen allen Beteuerungen war mir klar – Kinder haben ja einen untrüglichen, unbestechlichen Instinkt –, dass das kein gutes Ende nehmen wird. Am Ende lag er auf der Intensivstation, der schlimmste aller schlimmen Fälle. Dennoch war die Hoffnung da, dass es noch dieses Wunder gibt. Eines Tages wurde ich ins Internat zurückgeschickt, sie meinten es gut, aber ich werfe es denen noch heute vor, denn so erfuhr ich vom Tod meines Vaters durch das Telefon. Es war bitter, dass ich nicht Abschied nehmen konnte, dass ich im entscheidenden Moment nicht dabei war.

 

Das schmerzt immer noch.

Es gibt keinen dümmeren Satz als »Die Zeit heilt alle Wunden«. Das ist nicht wahr. Man lernt allenfalls, mit der Trauer umzugehen.

 

Der Tod Ihres Vaters …

Das war schwierig danach. Ich weiß sehr genau, was Existenzängste sind. Meine Mutter stand mit ihren drei Kindern allein da, sie musste uns irgendwie durchbringen, es ging oft Spitz auf Knopf. Sie schaffte es, sie war zäh, und ich ziehe meinen Hut vor ihrer Lebensleistung. Ich hatte kein Geld, um coole Jeans zu kaufen. Da war zu wenig Geld, um in irgendeinen Laden zu gehen und einfach mal was zu kaufen. Wir Kinder trugen die alten Klamotten von Touristen auf. Da fühlt man sich scheiße. Das ist nicht gut fürs Selbstwertgefühl. Mein erstes gutes Fahrrad, es war ein gebrauchtes BMX-Rad, habe ich von einem Jungen bei Aschaffenburg geschenkt bekommen.

Das hat mich geprägt. Ich habe lange gebraucht, um wirklich zu glauben – und diese Überzeugung musste ich mir richtig erarbeiten –, dass ich es wohl immer irgendwie schaffen werde, für meine Familie die Miete zu bezahlen und Essen auf den Tisch zu bringen.

 

Sie haben schon früh Geld verdient.

Ich musste einfach ran. Seit ich 12, 13 bin, verdiene ich mein eigenes Geld. Mit meinem Bruder habe ich in Hotels und Clubs Musik gemacht, ich am Keyboard, mein Bruder hat gesungen. Wir sind dreimal in der Woche aufgetreten, das war richtig harte Arbeit. Mein erstes richtiges Silvester, also mit Freunden, hatte ich erst mit 25, 26 Jahren. Vorher war ich immer unterwegs, denn an Silvester gab es doppelte Gage.

 

»We gotta get out of this place, if it’s the last thing we ever do!«, singt Eric Burdon.

Ja, ich hab früh kapiert, dass Musik die Chance für mich ist, um rauszukommen aus dem allen. Hoteliers haben uns gebucht, wir sind dann vor deutschen Reisegruppen aufgetreten, ältere Herrschaften meist, die zwei nette Jungs in Lederhosen erwarteten, adrette Bergbauernbuben, die jodeln und den Folklorekasper machen.

 

Und?

Ich habe nie in meinem Leben gejodelt, auch keine Tracht getragen für die Touristen. Wir haben die oft enttäuscht. Wir haben die Pet Shop Boys gespielt, die Hitparade rauf und runter, und wenn sich die Tanzfläche bedrohlich leerte, dann haben wir halt »Die rote Sonne von Barbados« gespielt, dann war der Abend wieder gerettet.

 

Und jetzt sind Sie der bekannteste Italiener im deutschen Fernsehen.

Ich bin da irgendwie reingerutscht. Ich hatte nie das dringende Bedürfnis, Fernsehen zu machen. Ich wollte zum Radio, wollte eigentlich nur Musikproduzent werden.

 

Warum denn das?

Weil der das richtig gemacht hat! Er steht nicht auf der Bühne, aber er verdient mit – und keine Sau kennt ihn! Er hat also all die Risiken und Nebenwirkungen, die Bekanntheit mit sich bringt, nicht zu ertragen.

 

Können Sie Ihrer Mutter die Welt erklären, in der Sie sich heute bewegen?

Das muss ich nicht. Sie ist eine sehr geerdete Frau, die …

 

… über Sie sagt: »Er hat sein Leben, ich habe mein Leben.«

So. Das sind diese Nebenwirkungen. Ihr Zitat kommt aus der „Süddeutschen Zeitung“. Meine Mutter ist eine alte Frau von fast 80 Jahren. Da kommt Ihr Kollege von der „Süddeutschen“ und bringt diese Frau, die höflich sein will, in Not. Sie will ihre Ruhe, sie sagt also einen Satz, der so klingt, als ob sie sich von mir distanziert. Aber das will sie gar nicht. Es ist nur der hilflose Satz einer einfachen Frau, die sagen möchte: »Lassen Sie mich doch bitte in Ruhe!« Ich habe lange gebraucht, ihr zu erklären, dass es nicht unhöflich ist, Klatschreporter rauszuschmeißen, die mit Blumen in der Hand vor der Tür stehen und ihr weismachen wollen, sie seien extra ihretwegen aus Deutschland angereist, weil sie sich »Sorgen« um sie machten.

 

Denken Sie manchmal: »Verdammt, warum mach ich das alles?«

Nein, ich mache meine Arbeit sehr gerne, ich bin da mit Haut und Haaren dabei. Aber ich muss bei allem immer den zweiten Schritt mitdenken. Ich habe, das ist natürlich blöd, notgedrungen immer eine Schere im Kopf.

 

Auch jetzt bei diesem Gespräch?

Klar, aber was soll ich machen? Ich liefere mit jedem Satz eine neue mögliche absurde Schlagzeile für die Regenbogenpresse. Soll ich in diese Fallen tappen? Nein. Neulich bringe ich morgens um halb acht mit meinem Sohn den Müll runter. Da sitzt einer von diesen Flitzpiepen der Yellow Press mit seinem Fotoapparat hinterm Gebüsch. Es ist ekelhaft, wenn man so beobachtet wird, so im Halbdunkel. Und dann wird das Bild auch noch gedruckt. Ich klage fast jede Woche, damit wir unsere Ruhe haben.

In Ihrem Bildband Grönland träumen Sie von einem Ausstieg aus dem Geschäft, Sie sind im Fernsehstudio: »Publikum ist da«, schreiben Sie, »alle wollen bespaßt werden. Da habe ich einen Moment gedacht: Okay, ich lauf jetzt raus und komm nie wieder zurück. Ich bin einfach weg.«

Ich kam da direkt aus der Arktis, vom nördlichsten Ort auf diesem Planeten. Wenn Sie von dort zurückkommen, wo es so unglaublich still ist, dann tun Sie sich schwer mit dem Lärm eines Studios. Da stehen 150 Leute vor Ihnen, warten und freuen sich auf Alfons Schuhbeck – und der Lärm treibt Sie fast die Wände hoch. Ich mag Ruhe, Einsamkeit – ich bin kein Stadtkind.

 

Dann müssen Sie ja fürchterlich leiden: Sie wohnen in Köln, Sie arbeiten in Hamburg – wo ist Ihre Heimat?

Heimat ist für mich Südtirol. Dieses Gefühl ist ganz stark verbunden mit bestimmten Bergen, bestimmten Bäumen und bestimmten Gerüchen. Im Frühjahr riecht es ganz anders als im Herbst, harzig, im Herbst spüren Sie in jeder Sekunde, dass der Winter kommt, und es ist schön zu sehen, wie die Natur einschläft.

Manchmal zelte ich mit Freunden oben auf dem Berg, auf 2 500 Metern. Du hörst nichts außer ein bisschen Kuhglockengebimmel, und du schaust aus dem Zelt raus und siehst einen wahnsinnigen Sternenhimmel. Diese wunderschöne Landschaft. Sie schauen auf die Dolomiten und denken an die alte Sage von der Mondprinzessin, die den Prinzen aus den Dolomiten geheiratet hat. Sie hatte Heimweh nach dem Mond, und auf Wunsch des Prinzen haben dann Hunderte von Feen das Mondlicht zu Fäden gesponnen und damit die Dolomiten überzogen. Dann wurden die Dolomiten bleich. Und dieses besondere Gestein reflektiert nachts das Mondlicht und …

 

Sie sind ein Romantiker.

Das ist Heimat. Und deswegen könnte ich nie auch nur ein Tal weiter wohnen, nicht im Vinschgau, nicht in Bozen oder Meran. Manchmal stehe ich abends auf meinem Balkon, sehe das alles, bin überwältigt, und dann denke ich: »Wow, wow, wow. Was für eine großartige Show!«

 

 

Zum Autor: Arno Luik, geboren 1955, war Reporter für „Geo“ und den Berliner „Tagesspiegel“, Chefredakteur der „taz“, Vizechef der „Münchner Abendzeitung“ und langjähriger Autor der Zeitschrift „Stern“. Gespräche von „Deutschlands führendem Interviewer“ (taz, Peter Unfried) sind in mehr als 25 Sprachen übersetzt worden; für sein Gespräch mit Inge und Walter Jens wurde Luik 2008 als „Kulturjournalist des Jahres“ ausgezeichnet. Für seine Enthüllungen in Sachen Stuttgart 21 erhielt er den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ des Netzwerks Recherche. Zuletzt erschien von ihm bei Westend der Bestseller „Schaden in der Oberleitung – Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“ (2019).

 

 

 

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